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Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt

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248<br />

RÜ 4/2012<br />

Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1 GG; § 4 NiSG<br />

Sonnenstudioverbot für Minderjährige<br />

BVerfG, Beschl. v. 21.12.2011 – 1 BvR 2007/10<br />

Leitsätze<br />

1. § 4 NiSG, der es den Betreibern von<br />

Sonnenstudios verbietet, Minderjährigen<br />

die Nutzung zu gestatten, ist verfassungsgemäß.<br />

2. Zwar greift das an die Betreiber von<br />

Sonnenstudios gerichtete Verbot nicht<br />

unmittelbar in die Handlungsfreiheit der<br />

Minderjährigen ein, es wirkt sich aber im<br />

Ergebnis auch für Minderjährige wie ein<br />

Verbot aus und stellt daher ein „funktionales<br />

Äquivalent“ eines Eingriffs dar.<br />

3. Es stellt grundsätzlich ein legitimes<br />

Gemeinwohlanliegen dar, Menschen davor<br />

zu bewahren, sich selbst leichtfertig<br />

einen größeren persönlichen Schaden<br />

zuzufügen.<br />

(Leitsätze des Bearbeiters)<br />

Z.B. wird dem 14-jährigen die „Religionsmündigkeit“<br />

zuerkannt wegen § 5 des<br />

Gesetzes über die religiöse Kindererziehung,<br />

wonach einem Kind nach der Vollendung<br />

des vierzehnten Lebensjahres<br />

die Entscheidung darüber zusteht, zu<br />

welchem religiösen Bekenntnis es sich<br />

halten will (vgl. BVerwG RÜ 2012, 182,<br />

184).<br />

Fall<br />

Rechtsprechung<br />

Am 04.08.2009 trat die Vorschrift des § 4 des Gesetzes zum Schutz vor nichtionisierender<br />

Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG) in Kraft: „Die<br />

Benutzung von Anlagen nach § 3 zur Bestrahlung der Haut mit künstlicher<br />

ultravioletter Strahlung in Sonnenstudios, ähnlichen Einrichtungen oder sonst<br />

öffentlich zugänglichen Räumen darf Minderjährigen nicht gestattet werden."<br />

Zur Begründung führt der Gesetzgeber an, das Risiko, im Erwachsenenalter an<br />

Hautkrebs zu erkranken, steige, wenn Menschen bereits in Kindheit und Jugend<br />

verstärkt der ultravioletten Strahlung (UV-Strahlung) ausgesetzt gewesen seien.<br />

Die 16-jährige Schülerin S nutzt gelegentlich öffentliche Solarien und sieht<br />

sich durch die Verbotsregelung in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt.<br />

Das GG verpflichte niemanden dazu, gesund oder vernünftig zu leben.<br />

Zudem sei das Verbot ungeeignet, da sich Minderjährige, die ein Solarium<br />

nicht nutzen dürften, verstärkt der natürlichen UV-Strahlung der Sonne aussetzen<br />

würden. Zudem hätte die UV-Strahlung bekanntermaßen auch positive<br />

Effekte, z.B. hinsichtlich der Bildung von Vitamin D. Die Eltern M und V<br />

rügen die Verletzung ihres Elterngrundrechts, weil der nach ihrer Ansicht unverhältnismäßige<br />

Eingriff sie daran hindere, ihrer Tochter die Solariennutzung<br />

zu erlauben. Haben die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden<br />

Erfolg?<br />

Hinweis: Das NiSG ist formell verfassungsgemäß.<br />

Entscheidung<br />

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.<br />

A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde<br />

I. Das BVerfG ist gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 13 Nr. 8 a BVerfGG zuständig<br />

für die Entscheidung über Individualverfassungsbeschwerden.<br />

II. Beteiligtenfähig ist nach § 90 Abs. 1 BVerfGG jedermann, d.h., jeder, der fähig<br />

ist, Grundrechtsträger zu sein. Sowohl S als auch die Eltern M und V sind als<br />

natürliche Personen Träger von Grundrechten und daher beteiligtenfähig.<br />

III. Hinsichtlich der 16-jährigen S ist fraglich, ob diese prozessfähig ist. In Ermangelung<br />

von Vorschriften im BVerfGG ist ein Minderjähriger prozessfähig,<br />

wenn er auch grundrechtsmündig ist. Dabei wird allgemein nicht auf eine<br />

starre Altersgrenze abgestellt; vielmehr hängt die Grundrechtsmündigkeit von<br />

der Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der Tragweite des konkreten Grundrechts<br />

ab (Theorie der flexiblen Altersgrenze). Dabei ergeben sich Indizien aus Altersgrenzen<br />

im GG selbst oder in einfachen Gesetzen.<br />

1. Hinsichtlich des möglicherweise betroffenen Grundrechts der allgemeinen<br />

Handlungsfreiheit der S (Art. 2 Abs. 1 GG) ist davon auszugehen, dass ein Minderjähriger<br />

eher nicht die volle Tragweite und Bedeutung der Handlungsfreiheit<br />

überblicken kann. Daher ist davon auszugehen, dass die 16-jährige S nicht<br />

selbst grundrechtsmündig und damit nicht prozessfähig ist.<br />

2. Für S handeln daher die Eltern M und V als gesetzliche Vertreter.

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