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Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt

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Aktuelle Diskussion RÜ 4/2012<br />

Das hält Kretschmer für falsch. Zwar könne dem Vater nicht zum Vorwurf gemacht<br />

werden, dem Intensivtäter nicht aus dem Weg gegangen zu sein. In einer<br />

freiheitlichen Gesellschaft gehe es nicht an, einen Bürger in seiner Lebensführung<br />

zu beschneiden, weil ein anderer daran Anstoß nehmen und gewalttätig<br />

werden könne. Jedoch habe er gezielt die Konfrontation gesucht und<br />

sich an Absichtsprovokation grenzend und zumindest bedingt vorsätzlich<br />

selbst in Not begeben. Dem Vater sei es nicht mehr um die Wahrnehmung<br />

bürgerlicher Freiheitsrechte gegangen, sondern um einen klärenden Showdown.<br />

Es habe sich in Wahrheit um einen Fall unzulässiger präventiver Nothilfe<br />

gehandelt. Der BGH goutiere mit seiner Bewertung Selbstjustiz. Diese<br />

widerstrebe aber dem friedensstiftenden Gewaltmonopol des Staates, wo obrigkeitliche<br />

Hilfe, z.B. in Form einer polizeilichen Gefährderansprache erreichbar<br />

sei. Zudem diene die Notwehr nicht nur dem Rechtsgüterschutz, sondern<br />

auch dem Schutz der Rechtsordnung als solcher. Der Provokant tauge aber<br />

nicht als Repräsentant des Rechts. Daher sei es Provokateuren nicht geboten,<br />

„sogleich die volle Notwehrkeule auszupacken, wenn sie in Bedrängnis geraten“.<br />

Dennoch habe sich der Vater nicht von seinem Kontrahenten erschlagen<br />

oder ernsthaft verletzen lassen müssen, als dieser mit dem Knüppel zuschlug.<br />

Daher sei dem Senat im Ergebnis beizupflichten.<br />

b) Eine andere Frage sei, ob das Vorverhalten eine fahrlässige Körperverletzung<br />

darstelle. Nach der Begründung des BGH scheiterte dies an dem Fehlen<br />

einer Sorgfaltspflichtverletzung: Wo in der Provokation kein sozialethisches<br />

Fehlverhalten liegt, liegt auch kein fahrlässiges Vorverhalten vor. Diese Begründung<br />

trägt das Ergebnis nach Kretschmer nicht, da die Herausforderung<br />

zum Showdown als sorgfaltswidrig einzustufen sei. Gegen eine fahrlässige<br />

Körperverletzung könne auch nicht – wie ein Teil der Literatur argumentiert –<br />

angeführt werden, dass derselbe Erfolg, die Verletzung des Angreifers, nicht<br />

zugleich rechtswidrig und rechtmäßig sein könne. Denn rechtlich missbilligt<br />

werde nicht der Erfolg, sondern nur die Verursachungshandlung.<br />

Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung scheitere jedoch an einer<br />

eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Angreifers. Es falle in die ureigene<br />

Risikosphäre des Rechtsbrechers, dass sich sein ausersehenes Opfer<br />

nicht widerstandslos ergebe und sich erfolgreich wehre. Erlittene Verletzungen<br />

habe sich der Angreifer selbst beizumessen, ohne die Verantwortung auf<br />

jemand anderes abwälzen zu dürfen.<br />

II. In dem Beschl. v. 10.11.2010 hatte der Zweite Strafsenat den Fall zu entscheiden,<br />

dass der Täter seine Meinungsverschiedenheiten mit einer Gruppe von<br />

Kontrahenten durch eine „einverständliche Prügelei“ mit einem stellvertretenden<br />

Mitglied dieser Gruppe siegreich geklärt hatte, als die beiden anderen<br />

Mitglieder begannen, mit ihren Gürteln auf ihn einzuschlagen. Als eine Verteidigung<br />

mit dem eigenen Gürtel sich als nicht ausreichend erwies und der Täter<br />

ernsthaft verletzt zu werden fürchtete, beendete er den Streit durch einen<br />

gezielten Stich mit einem Messer in die Brust eines der Angreifer.<br />

Der BGH hob die Verurteilung durch das Schwurgericht wegen versuchten<br />

Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung auf und sprach den<br />

Angeklagten frei. Nachdem die vorherige Prügelei durch eine wechselseitige<br />

Einwilligung gerechtfertigt gewesen sei, liege weder eine rechtswidrige noch<br />

sonst sozialethisch zu missbilligende Notwehrprovokation vor.<br />

Auch insoweit teilt Kretschmer die Ansicht des Senats, dass der Messerstich<br />

durch Notwehr geboten gewesen sei, obwohl er die einverständliche Prügelei<br />

für sozialethisch verwerflich hält. Eine fahrlässige Körperverletzung scheitere<br />

jedoch an dem Vorliegen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des<br />

später verletzten Angreifers.<br />

Eine Absichtsprovokation schließt die Berufung<br />

auf Notwehr grundsätzlich aus,<br />

während eine sonst schuldhaft herbeigeführte<br />

Notwehrlage zu einer abgestuften<br />

Einschränkung führt: Ausweichen<br />

– Schutzwehr – Trutzwehr. Ob das Vorverhalten<br />

rechtswidrig sein muss, ist streitig.<br />

Z.T. wird die Ansicht vertreten, nur<br />

ein rechtswidriges Vorverhalten könne<br />

zu einer Einschränkung der Notwehr<br />

führen. Nach a.A. und ständiger Rechtsprechung,<br />

so auch Kretschmer, genügt<br />

auch ein sozialethisch zu missbilligendes<br />

Vorverhalten, um Notwehrbeschränkungen<br />

zu begründen.<br />

Unabhängig davon bleibt der Verstoß<br />

gegen § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG, wenn der<br />

Täter die Waffe unerlaubt führt.<br />

BGH 2 StR 483/10, RÜ 2011, 232<br />

Unter einer „einverständlichen Prügelei“<br />

versteht man eine verabredete körperliche<br />

Auseinandersetzung von zwei oder<br />

mehreren Personen. Die wechselseitigen<br />

Misshandlungen sind nach h.M. durch eine<br />

wechselseitige rechtfertigende Einwilligung<br />

gedeckt, soweit nicht die Grenze<br />

des § 228 StGB überschritten ist.<br />

Eine Strafbarkeit gemäß § 229 StGB wurde<br />

in dieser Entscheidung – folgerichtig –<br />

gar nicht erst erwogen.<br />

Wünschenswert wäre jedoch eine Klarstellung<br />

dieser Frage durch eine Divergenzvorlage.<br />

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