Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt
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RÜ 4/2012<br />
Notwehr im Showdown<br />
Kretschmer Jura 2012, 189<br />
Der Begriff des Showdowns ist dem Pokerspiel<br />
entlehnt: Niederlegen und Zeigen<br />
der Karten.<br />
Aktuelle Diskussion<br />
Der Titel des Beitrags von Kretschmer bezieht sich auf Lebenssachverhalte, in<br />
denen es zwischen zwei oder mehr Kontrahenten zu einer Zuspitzung kommt.<br />
Anlass zur Beschäftigung mit dem Thema sind zwei neuere Beschlüsse des<br />
Zweiten Strafsenats des BGH zur Frage des Gebotenseins einer Notwehr in Fällen<br />
der Notwehrprovokation.<br />
BGH 2 StR 118/10, RÜ 2010, 779 I. In dem seinem Beschl. v. 04.08.2010 zugrunde liegenden Fall hatte der Vater<br />
eines Sechzehnjährigen, der mit einem polizeilich bekannten Intensivtäter im<br />
Streit lag, diesen mit seinem Sohn vor einer Gaststätte aufgesucht, um ihn zum<br />
Einlenken zu bewegen. Jedoch eskalierte dort der Streit derart, dass der als gewaltbereit<br />
bekannte Kontrahent den Vater durch einen mit einem Knüppel auf<br />
den Kopf zielenden Schlag angriff, sodass sich der Vater gezwungen sah, sich<br />
mit einem mitgebrachten Butterflymesser durch einen lebensgefährlichen<br />
Stich in den Oberkörper des Angreifers zu verteidigen.<br />
BGH NStZ 2001, 143, RÜ 2001, 78; ausführlich<br />
auch AS Skript Strafrecht AT 1<br />
[2011], 94 ff.<br />
Die Lehre von der actio illicta in causa<br />
lehnt dagegen eine Einschränkung der<br />
Notwehr ab und sieht ein strafbares Verhalten<br />
zwar nicht in der Verteidigungshandlung,<br />
wohl aber in der vorsätzlichen<br />
oder fahrlässigen Provokation der<br />
Notwehrlage.<br />
1. Die Vorinstanz hatte den darin liegenden versuchten Totschlag gemäß<br />
§§ 212, 22, 23 StGB und die gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB<br />
für durch Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt gehalten, in der Provokation<br />
der Notwehrlage jedoch eine fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229<br />
StGB gesehen. Der BGH teilte die Ansicht des Schwurgerichts, dass der Messerstich<br />
durch Notwehr geboten gewesen sei, hob jedoch die Verurteilung wegen<br />
fahrlässiger Körperverletzung auf. Das Mitführen des Butterflymessers sei<br />
weder im Hinblick auf die vom Vater als möglich vorhergesehene körperliche<br />
Auseinandersetzung noch deshalb pflichtwidrig gewesen, weil er über die für<br />
das Führen des Messers erforderliche waffenrechtliche Erlaubnis nicht verfügte.<br />
Denn „es wäre ein Widerspruch, wenn die Rechtsordnung zum einen die<br />
Befugnis erteilte, das Notwehrrecht auszuüben, zum anderen aber gerade für<br />
diesen Fall die Bestrafung aufgrund eines Delikts androhte, dessen tatbestandliche<br />
Voraussetzungen mit der Ausübung dieser Befugnis erfüllt werden“.<br />
Dies gelte jedenfalls dann, wenn für den Fahrlässigkeitserfolg nicht an<br />
eine vorwerfbare Provokation der Notwehrlage angeknüpft werden könne.<br />
2. Diese Beurteilung steht in gewissem Widerspruch zu der Entscheidung des<br />
Dritten Strafsenats im sog. „Schrotflintenfall“. Dort hatte der Täter das Opfer in<br />
den Wald gelockt, um ihm als Racheakt mit einer abgesägten Schrotflinte ins<br />
Knie zu schießen. Als er das Opfer von hinten niederschlagen wollte, kam es jedoch<br />
zu einem Kampf, in dessen Verlauf das Opfer den unterlegenen Täter totzuschlagen<br />
drohte, sodass dieser das Opfer in äußerster Not mit der bis dahin<br />
versteckt gehaltenen Waffe erschoss. Der BGH hielt den Totschlag für durch<br />
Notwehr geboten, sah jedoch in der Notwehrprovokation eine fahrlässige Tötung<br />
gemäß § 222 StGB.<br />
3. Kretschmer teilt die in den Entscheidungen vertretene Ansicht, dass die jeweilige<br />
Verteidigung erforderlich und die Notwehr jeweils geboten gewesen<br />
sei. Die Begründung des Zweiten Senats für die Ablehnung einer fahrlässigen<br />
Körperverletzung hält er jedoch für vorgeschoben, um einer Divergenzvorlage<br />
gemäß § 132 Abs. 2 GVG zu entgehen.<br />
a) Die sog. sozialethischen Schranken der Notwehr werden üblicherweise an<br />
der Voraussetzung der Gebotenheit gemäß § 32 Abs. 1 StGB festgemacht. Als<br />
Fallgruppen anerkannt sind Fälle krassen Missverhältnisses, Angriffe durch<br />
Schuldlose, soziale Näheverhältnisse und Fälle der Notwehrprovokation. Eine<br />
solche hatte der BGH für diesen Fall abgelehnt. Das Aufsuchen der Gaststätte<br />
durch den Vater habe zwar „dem Gebot der Vorsicht und der Lebensklugheit<br />
widersprochen“, sei aber sonst nicht zu missbilligen gewesen.