31.10.2012 Aufrufe

Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt

Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt

Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Art. 1, 2 GG; § 100 f StPO<br />

Rechtsprechung<br />

RÜ 4/2012<br />

Absolute Unverwertbarkeit abgehörter Selbstgespräche<br />

BGH, Urt. v. 22.12.2011 – 2 StR 509/10<br />

Fall<br />

S, I und W sind verdächtig, die L getötet zu haben. S war der Ehemann der L,<br />

die von den Philippinen stammte und ein gemeinsames Kind zur Welt gebracht<br />

hatte. L hatte sich im Folgenden wenig um das Kind gekümmert; I und<br />

W, in deren Haus die Eheleute S und L wohnten, behandelten das Kind wie ihr<br />

eigenes. Die Ehe von S und L scheiterte. S, I und W befürchteten, die L würde<br />

das Umgangsrecht des Vaters durch Wegziehen vereiteln. S, I und W beschlossen,<br />

die L zu töten. S erschlug im Einvernehmen mit I und W seine Ehefrau in<br />

deren Wohnung, damit das Kind bei S, I und W aufwachsen konnte.<br />

Im Zuge der Ermittlungen wurden auf entsprechende Beschlüsse des Ermittlungsrichters<br />

verschiedene verdeckte Überwachungsmaßnahmen durchgeführt.<br />

Unter anderem fand gemäß § 100 f StPO i.V.m. §§ 100 b Abs. 1, 100 d<br />

Abs. 2 StPO eine Überwachung im Auto des S statt. Dabei wurden dessen<br />

Selbstgespräche, als er sich alleine im Auto befand, an mehreren Tagen aufgezeichnet.<br />

Dabei fielen unter anderem die Worte „oho i kill her … oh yes, oh yes<br />

… and this ist my problem …“, ferner „nö I, wir haben sie tot gemacht…“.<br />

S, I und W wurden wegen Mordes angeklagt. Im Rahmen der Beweisaufnahme<br />

wurden die Inhalte der akustischen Überwachung verlesen.<br />

Können diese bei der Urteilsfindung verwertet werden?<br />

Entscheidung<br />

A. Die Selbstgespräche können dann nicht verwendet werden, wenn sie einem<br />

Beweisverwertungsverbot unterliegen. Hier kommt ein selbstständiges,<br />

aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgendes Beweisverwertungsverbot<br />

in Betracht, weil durch eine Verwertung in den Kernbereich persönlicher<br />

Lebensgestaltung eingegriffen werden könnte.<br />

I. Der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung wird aus<br />

Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet (z.B. BVerfGE 80, 367). Sein<br />

Schutzbereich wird durch heimliche Aufzeichnung des nichtöffentlich geführten<br />

Selbstgesprächs der Zielperson staatlicher Ermittlungsmaßnahmen und<br />

deren Verwertung in der Hauptverhandlung berührt (BGHSt 50, 206, 212). Der<br />

Grund für den absoluten Schutz eines Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung<br />

besteht in der Eröffnung einer Möglichkeit für Menschen, sich in einem<br />

letzten Rückzugsraum mit dem eigenen Ich befassen zu können, ohne Angst<br />

davor haben zu müssen, das staatliche Stellen dies überwachen (BGHSt 31,<br />

296, 299 f.). Ob das nichtöffentlich gesprochene Wort zum absolut geschützten<br />

Kernbereich oder zu dem nur relativ geschützten Bereich des Persönlichkeitsrechts<br />

gehört, ist durch Gesamtbewertung aller Umstände im Einzelfall<br />

festzustellen.<br />

II. Hier könnte sich die Unverwertbarkeit aus einer Rechtsanalogie zur Rechtsprechung<br />

hinsichtlich der Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen<br />

ergeben. Schriftliche Aufzeichnungen, die der Intimsphäre angehören, können<br />

unverwertbar sein (BVerfGE 34, 238, 245), sind jedoch nicht schlechthin<br />

von der Verwertung ausgenommen (BVerfGE 80, 367). Verwertet werden kön-<br />

Leitsatz<br />

Ein in einem Kraftfahrzeug mittels akustischer<br />

Überwachung aufgezeichnetes<br />

Selbstgespräch eines sich unbeobachtet<br />

fühlenden Beschuldigten ist im Strafverfahren<br />

– auch gegen Mitbeschuldigte –<br />

unverwertbar, da es dem durch Art. 2<br />

Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1<br />

absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit<br />

zuzurechnen ist (…).<br />

Man unterscheidet gesetzlich geregelte,<br />

selbstständige und unselbstständige<br />

Beweisverwertungsverbote (= BVV). Bei<br />

selbstständigen BVV (abgeleitet aus dem<br />

GG) wird die Unverwertbarkeit unabhängig<br />

von sonstigen strafprozessualen<br />

Fehlern angenommen. Alle anderen BVV<br />

setzen einen Rechtsverstoß der Ermittlungsbehörden<br />

voraus. Hier gibt es die<br />

geschriebenen (z.B. § 136 a StPO) und<br />

ungeschriebenen (z.B. Belehrungsfehler).<br />

Die Unterscheidung ist deshalb so<br />

wichtig, weil an die Feststellung der Unverwertbarkeit<br />

unterschiedliche Anforderungen<br />

gestellt werden.<br />

237

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!