Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt
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§§ 22, 23, 24, 212 StGB<br />
Rechtsprechung<br />
RÜ 4/2012<br />
Wiederholte Korrektur des Rücktrittshorizonts zuungunsten<br />
des Täters nur bei engstem Zusammenhang zur Tathandlung<br />
BGH, Urt. v. 01.12.2011 – 3 StR 337/11<br />
Fall (Sachverhalt vereinfacht)<br />
A traf sich mit K und G in seiner Wohnung, um eine seit längerem streitige Angelegenheit<br />
zu klären. Das Gespräch verlief zunächst ruhig. Kurz nachdem G<br />
den Raum für einen Toilettenbesuch verlassen hatte, begannen A und K heftig<br />
zu streiten. A fasste daher den Entschluss, K zu erstechen. Die jederzeit mögliche<br />
Rückkehr des G und sein zu erwartender Widerstand schreckten ihn hiervon<br />
nicht ab, da er ihm körperlich überlegen war. A zog ein mitgebrachtes<br />
Messer aus seiner Jackentasche und stieß es zwei Mal in den Brustkorb des K,<br />
der zusammenbrach und zunächst auf dem Boden liegen blieb.<br />
A ging davon aus, alles Erforderliche zur Tötung des K getan zu haben und<br />
ging auf den nun zurückkehrenden G los. In diesem Moment stand K unerwartet<br />
auf und stürzte sich von hinten auf A, der dachte, nochmals zustechen zu<br />
müssen, um K zu töten. Dies gelang ihm zunächst nicht, da K und G ihn gemeinsam<br />
überwältigen und auf dem Boden fixieren konnten. Da A davon ausging,<br />
sich schnell aus der Umklammerung lösen und sowohl K als auch G dann<br />
erstechen zu können, wehrte er sich heftig.<br />
K lief deshalb in das Nachbarzimmer und alarmierte telefonisch Hilfe. Anschließend<br />
brach er bewusstlos zusammen. Hierbei stöhnte er so laut, dass sowohl<br />
A als auch G dies hörten. G ließ A daraufhin los und rannte aus der Wohnung,<br />
um Hilfe zu holen. Auch A bemerkte nun die inzwischen eingetretene<br />
Handlungsunfähigkeit des K. Er ging deshalb „erst recht“ davon aus, dass K<br />
ohne weitere Tathandlungen sterben werde und flüchtete. K wurde durch die<br />
von ihm herbeigerufenen Sanitäter gerettet.<br />
Strafbarkeit des A wegen versuchten Totschlags?<br />
Entscheidung<br />
A könnte sich durch die Messerstiche gegen K wegen versuchten Totschlags<br />
gemäß §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.<br />
I. Die Tat ist nicht vollendet, weil K überlebt hat. Die Strafbarkeit des Versuchs<br />
folgt aus § 23 Abs. 1 StGB.<br />
II. A hielt es zum Zeitpunkt der Messerstiche für möglich, dass der Tod des K<br />
eintrat und nahm dies billigend in Kauf. Der erforderliche Tatentschluss liegt<br />
somit vor. Ferner hat er subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ der Tat<br />
überschritten, das Leben des K mit den Messerstichen nach seinem Vorstellungsbild<br />
in eine konkrete nahe Gefahr gebracht und folglich nach § 22 StGB<br />
unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt. Er handelte auch<br />
rechtswidrig und schuldhaft.<br />
III. Fraglich ist jedoch, ob A gemäß § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. StGB strafbefreiend<br />
zurückgetreten ist, indem er aus der Wohnung flüchtete und auf weitere<br />
Messerstiche verzichtete.<br />
1. Hierzu müsste zu diesem Zeitpunkt ein Aufgeben der weiteren Tatausführung<br />
noch möglich gewesen sein. Nach h.L. und Rechtsprechung setzen sämt-<br />
Leitsätze<br />
1. Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts<br />
ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch<br />
eines Tötungsdeliktes ist daher<br />
nicht beendet, wenn der Täter zunächst<br />
irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich<br />
hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis<br />
seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen<br />
Abstand nimmt. Rechnet<br />
der Täter dagegen zunächst nicht<br />
mit einem tödlichen Ausgang, liegt eine<br />
umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts<br />
vor, wenn er unmittelbar darauf<br />
erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat.<br />
2. Wechselt das vorgenannte Vorstellungsbild<br />
des Täters nach Abschluss der<br />
letzten Tathandlung in engstem räumlichem<br />
und zeitlichem Zusammenhang<br />
mehrfach, so kommt auch eine mehrfache<br />
Korrektur des Rücktrittshorizontes<br />
sowohl zugunsten als auch zuungunsten<br />
des Täters in Betracht.<br />
(Leitsätze des Bearbeiters)<br />
Bei der Rücktrittsprüfung sollten im Obersatz<br />
zunächst die einschlägige gesetzliche<br />
Rücktrittsvariante – regelmäßig<br />
der tätergünstigste § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt.<br />
StGB für den Rücktritt vom unbeendeten<br />
Versuch – sowie das hierfür in Betracht<br />
kommende Täterverhalten genannt werden.<br />
Bei mehraktigen Geschehensabläufen<br />
mit wechselnden täterseitigen Erkenntnishorizonten<br />
wie dem vorliegenden<br />
empfiehlt es sich ferner, bei der<br />
Prüfung zeitlich an das Vorstellungsbild<br />
des Täters vor dem abschließenden<br />
Verzicht auf weitere Tathandlungen<br />
– hier also an die Flucht des A aus<br />
der Wohnung – anzuknüpfen. So können<br />
mögliche vorherige Korrekturen des<br />
täterseitigen Rücktrittshorizonts sauber<br />
in die Fallprüfung integriert werden.<br />
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