Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt
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RÜ 4/2012<br />
Interessenabwägung bei einer verhaltensbedingten<br />
Kündigung:<br />
� Aufseiten des Arbeitgebers sind zu berücksichtigen:<br />
Erheblichkeit der Pflichtverletzung,<br />
Verschulden des Arbeitnehmers,<br />
Betriebsstörungen, Beharrlichkeit<br />
der Pflichtverletzung;<br />
� aufseiten des Arbeitnehmers: früheres<br />
Verhalten des Arbeitnehmers, Mitverschulden<br />
des Arbeitgebers, Lebensalter<br />
und Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers.<br />
Rechtsprechung<br />
,Wohl und Wehe‘ gewissermaßen bedingungslos mit dem Lebenszeugnis ihrer leitenden<br />
Mitarbeiter für die katholische Sittenlehre zu verknüpfen.<br />
[42] (2) Durch diese Rechtslage ist es auch zu erklären, dass die Beklagte mehrfach<br />
Chefärzte beschäftigt hat bzw. beschäftigt, die als Geschiedene erneut geheiratet<br />
haben. Es handelt sich insoweit überwiegend um nichtkatholische Arbeitnehmer<br />
… Richtig ist, dass darin … kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
gefunden werden kann. Das ändert aber nichts daran, dass<br />
die Beklagte das Ethos ihrer Organisation durch eine differenzierte Handhabung<br />
bei der Anwendung und Durchsetzung ihres legitimen Loyalitätsbedürfnisses<br />
selbst nicht zwingend gefährdet sieht.<br />
[43] (3) Die Beklagte hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den<br />
nach dem Vertrag der Parteien der Wiederverheiratung gleichwertigen Verstoß<br />
des ehelosen Zusammenlebens des Klägers seit dem Herbst 2006 gekannt<br />
und hingenommen. Auch das zeigt, dass sie selbst ihre moralische Glaubwürdigkeit<br />
nicht ausnahmslos bei jedem Loyalitätsverstoß als erschüttert betrachtet,<br />
sondern sich, möglicherweise angesichts der ausgeprägten Verdienste des Klägers<br />
um die Patienten und ihres eigenen mit diesen Verdiensten verbundenen Rufs,<br />
durchaus zu unterscheiden gestattet. …<br />
[46] Zu Gunsten des Klägers fällt sein grundrechtlich und durch Art. 8, Art. 12 EMRK<br />
geschützter Wunsch in die Waagschale, in einer nach bürgerlichem Recht geordneten<br />
Ehe mit seiner jetzigen Frau zu leben. Auch deren Recht, die Form des Zusammenlebens<br />
mit dem von ihr gewählten Partner im gesetzlich vorgesehenen<br />
Rahmen zu bestimmen, verdient Achtung. Freilich hat der Kläger als Katholik<br />
durch den Vertragsschluss mit der Beklagten in die Einschränkung seines Rechts<br />
auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingewilligt. Wenn er an der Erfüllung<br />
seiner religiösen Pflicht aus Gründen, die den innersten Bezirk des Privatlebens betreffen,<br />
gescheitert ist, so geschah dies jedoch nicht aus einer ablehnenden oder<br />
auch nur gleichgültigen Haltung heraus. Der Kläger stellt die mit seiner Religionszugehörigkeit<br />
verbundenen ethischen Pflichten nicht in Abrede und hat<br />
sich zu keinem Zeitpunkt gegen die kirchliche Sittenlehre ausgesprochen oder ihre<br />
Geltung oder Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Im Gegenteil versucht er, den<br />
ihm nach kanonischem Recht verbliebenen Weg zur kirchenrechtlichen Legalisierung<br />
seiner Ehe zu beschreiten. Seine Leistung und sein Einsatz für die ihm anvertrauten<br />
Patienten, für seine Mitarbeiter und für sie selbst werden von der Beklagten<br />
anerkannt. Störungen des Leistungsaustauschs bestehen nicht. Irgendwelche<br />
auch nur leichten Irritationen bei Mitarbeitern oder Patienten wegen des<br />
Kündigungssachverhalts sind nicht erkennbar.“<br />
Nach alledem erscheint es für die B nicht unzumutbar, den K weiterzubeschäftigen:<br />
Zwar hat K mit seiner erneuten Heirat einen schweren Loyalitätsverstoß<br />
begangen, aber die B hat durch ihr Verhalten in der Vergangenheit selbst gezeigt,<br />
dass sie auf die Befolgung der von ihr aufgestellten Regeln nicht immer<br />
konsequent Wert legt. Ferner ist bislang durch die erneute Heirat des K weder<br />
das Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeitern oder den Patienten beeinträchtigt<br />
worden noch wurde das Ansehen der B dadurch erkennbar in Mitleidenschaft<br />
gezogen. Da es für weitere Loyalitätsverstöße seitens K keinerlei Anhaltspunkte<br />
gibt, wird K und B eine künftige Zusammenarbeit möglich sein.<br />
Infolgedessen ist der B die Weiterbeschäftigung des K zumutbar. Die Kündigung<br />
ist daher sozial ungerechtfertigt und somit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.<br />
Folglich hat die Kündigung der B vom März 2009 das Arbeitsverhältnis zwischen<br />
K und B nicht zum 30.09.2009 beendet.<br />
Claudia Haack