Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt
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Rechtsprechung<br />
den, dass die Benachteiligungsverbote des AGG bei der Auslegung der unbestimmten<br />
Rechtsbegriffe des allgemeinen und des besonderen Kündigungsschutzes<br />
(soziale Rechtfertigung i.S.d. § 1 KSchG; wichtiger Grund i.S.d. § 626<br />
BGB) zu berücksichtigen sind.<br />
3. Stellungnahme: Der deutsche Gesetzgeber muss die Vorgaben der europäischen<br />
Richtlinien umsetzen, er ist jedoch nicht verpflichtet, dies durch ein<br />
einziges Gesetz – wie das AGG – zu tun. Eine ausreichende Umsetzung liegt<br />
daher auch dann vor, wenn bereits vorhandene Regelungen das durch die<br />
Richtlinie angestrebte Ziel verwirklichen. Da die Benachteiligungsverbote des<br />
AGG bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des allgemeinen<br />
und besonderen Kündigungsschutzes berücksichtigt werden können, ist bereits<br />
dadurch ein ausreichender Schutz vor diskriminierenden Kündigungen<br />
gegeben und § 2 Abs. 4 AGG ist somit europarechtskonform.<br />
Folglich ist die Kündigungserklärung der B nicht gemäß § 134 BGB i.V.m. § 7<br />
Abs. 1 AGG nichtig.<br />
V. Die Kündigung könnte jedoch gemäß § 1 Abs. 1 KSchG wegen Sozialwidrigkeit<br />
unwirksam sein (allgemeiner Kündigungsschutz).<br />
1. Dazu muss das Kündigungsschutzgesetz anwendbar sein.<br />
Das Arbeitsverhältnis des K, der seit dem Jahr 2000 bei der B beschäftigt ist,<br />
bestand zum Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate, § 1 Abs. 1<br />
KSchG, und es ist davon auszugehen, dass im Betrieb der B mehr als 5 Arbeitnehmer<br />
beschäftigt werden, § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, sodass das Kündigungsschutzgesetz<br />
in persönlicher und betrieblicher Hinsicht anwendbar ist.<br />
2. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist die Kündigung sozialwidrig, es sei denn, sie<br />
ist aus Gründen, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers<br />
liegen, oder aus dringenden betrieblichen Gründen gerechtfertigt.<br />
a) K könnte mit seiner erneuten Heirat einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß<br />
wegen Missachtung maßgeblicher kirchlicher Vorschriften begangen haben,<br />
sodass seine Kündigung verhaltensbedingt gerechtfertigt sein könnte.<br />
Eine Kündigung ist verhaltensbedingt i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, wenn der Arbeitnehmer<br />
eine Vertragspflicht – i.d.R. schuldhaft – erheblich verletzt hat<br />
(Schaub/Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 14. Aufl. 2011, § 133 Rdnr. 1).<br />
Ferner könnte durch die zweite Eheschließung die persönliche Eignung des K<br />
für die von ihm auszuübende Tätigkeit als Chefarzt einer katholischen Klinik<br />
fortgefallen sein, sodass die Kündigung auch aus Gründen in der Person des<br />
Arbeitnehmers bedingt sein könnte. Eine Kündigung ist personenbedingt,<br />
wenn der Arbeitnehmer aufgrund mangelnder persönlicher Eignung oder seiner<br />
persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften nicht mehr in der Lage ist,<br />
künftig seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen (Schaub/Linck<br />
a.a.O., § 131 Rdnr. 1).<br />
Nach Maßgabe der Regelungen der kirchlichen Grundordnung, die auf Einhaltung<br />
der katholischen Glaubenslehre gerichtet ist, könnte die Kündigung personen-<br />
bzw. verhaltensbedingt sein. Fraglich ist jedoch, ob für die Beurteilung<br />
der Kündigung diese Regelungen überhaupt maßgeblich sind.<br />
„[20] aa) Das Verlangen der Beklagten nach Einhaltung der Vorschriften der katholischen<br />
Glaubens- und Sittenlehre steht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen<br />
Vorgaben.<br />
[21] (1) Dem Kläger steht freilich das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit<br />
gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und auf Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) zu. Diese<br />
Grundrechte umfassen regelmäßig auch die Freiheit, eine zweite Ehe einzugehen.<br />
…<br />
RÜ 4/2012<br />
Der Schwellenwert von i.d.R. mehr als<br />
zehn Arbeitnehmern gilt gemäß § 23<br />
Abs. 1 S. 3 KSchG nur für Neueinstellungen<br />
ab 01.01.2004.<br />
Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund<br />
liegt vor, wenn der Arbeitnehmer<br />
nicht arbeiten will, ein personenbedingter<br />
dagegen, wenn der Arbeitnehmer<br />
nicht arbeiten kann.<br />
Das BAG hat offengelassen, ob es sich<br />
um eine personenbedingte und zugleich<br />
um eine verhaltensbedingte Kündigung<br />
handelt (BAG, Urt. v. 08.09.2011 –<br />
2 AZR 543/10, Rdnr. 15).<br />
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