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Der Bierstaedter Mai 2014

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Seite 3<br />

Kulmbachs STARKe Geschichte<br />

Kulmbach 1795: Mit Fähnrich Reiche durch die Straßen der Stadt<br />

Obere Stadt 7 – Einst Wohnsitz der Kulmbacher Oberamtmänner. Das schmucke Barockgebäude Obere Stadt 10 wurde 1730<br />

durch den Notar Peter Gottfried Leßner errichtet.<br />

Das Gasthaus „Zum Golden Anker“, Obere Stadt 11,<br />

zählte einst zu den renomiertesten Gaststätten Kulmbachs.<br />

Das wohl schönste Fachwerkhaus in Kulmbach<br />

ist das Wohn gebäude Oberhacken 6.<br />

Hier wurde der Kulmbacher Maler Michel Weiß geboren.<br />

Im Juli 1792 war mit dem preußischen Infanterieregiment Nr. 45 ein junger Fähnrich aus<br />

Wesel nach Bayreuth gekommen. <strong>Der</strong> junge Mann, er hieß Jobst Christoph Ernst von Reiche,<br />

war 1772 in Hannover geboren worden. Sein Vater Ernst Karl von Reiche stand als Hofrat im<br />

Dienst der Welfen. Im zarten Alter von 16 Jahren trat er 1788 in die preußische Armee und<br />

wurde Fahnenjunker im genannten 45. Infanterieregiment. Nach der Abdankung des Markgra -<br />

fen Alexander und dem Übergang des Fürstentums Brandenburg-Kulmbach an Preußen, wurde<br />

Reiches Regiment nach Bayreuth verlegt und bald darauf auf verschiedene Städte des Landes<br />

verteilt. Das Grenadierbataillon bekam Kulmbach als Garnison zugewiesen und 1792 kam<br />

auch Fähnrich von Reiche als Adjutant des neuen Regimentschefs, Oberst Carl Philipp von<br />

Unruh, nach Kulmbach ins Quartier.<br />

Reiche war ein für die Geschichte und Sehenswürdigkeiten seiner neuen Heimat sehr aufgeschlossener<br />

junger Mann. Schon 1795 veröffentlichte er eine Beschreibung von Bayreuth.<br />

Im Jahr danach folgte im Selbstverlag das Buch „Culmbach und Plassenburg geschildert von<br />

J. C. E. von Reiche, Officier in Königlich Preußischen Diensten“. Den Auftakt zu Reiches Bericht<br />

bildet eine malerische Beschreibung der Lage Kulmbachs. Dieser folgt die Darstellung der mit<br />

dem Tod des letzten Andechs-Meraniers 1248 beginnenden Stadtgeschichte. Die Gründung<br />

der Stadt brachte er jedoch mit den Slawen in Verbindung. Im Anschluss daran begibt sich<br />

Reiche auf Entdeckungstour durch Kulmbach und berichtet über „ihre ehemalige Befestigung,<br />

gegenwärtige Bauart, Eintheilung und Größe“:<br />

Von Mauern und Toren<br />

„... Die Befestigung der Stadt, von welcher die Ueberbleibsel noch da sind, bestand in hohen<br />

starken, mit theils runden und theils eckigten Thürmen versehnen Mauern und tiefen Gräben,<br />

welche die Stadt in einem halben Zirkel umgaben.“ Diese Feststellung besitzt auch heute noch<br />

Gültigkeit, da sich große Teile der mittelalterlichen Stadtbefestigung bis in unsere Tage erhalten<br />

haben. Allein die zu Reiches Zeit noch vorhandenen Stadttore sind heute verschwunden:<br />

„Die Thore, welche ohne die Vorstädte die eigentliche Stadt begränzen sind das Breyol- oder<br />

Hospital-, das Hirten- oder Bayreuther- und das Canzley- oder Burgthor. Ausserhalb des<br />

Hospitalthores befindet sich am Ende der Fischergasse das Steinenbrücker Thor, rechts (von)<br />

diesem das Buchthor und außerhalb des Burgthores ist noch das Röhrenplatz-Wolfskehler-, jezt<br />

obere Thor. Das Fischergasser Thor, welches jezt abgebrochen ist, wurde auch ehehin Veits -<br />

thor, ohne Zweifel von dem ersten Thorwart nach der Wiederauferbauung der Stadt: Veit,<br />

genannt. Das Kirchwehr, die Straße (an) der Kirche vorbey nach dem Röhrenplatz, wo die<br />

Wasserröhren verfertigt werden, mit einschließende Thor führt nach der Wolfskehle, darinnen<br />

noch der Spiegelhof und der Apothekerhof anzumerken sind.“<br />

<strong>Der</strong> erwähnte Spiegelhof ist eines der Kulmbacher Burggüter – das heutige Anwesen<br />

Spiegel 12 – und war von 1601 bis etwa 1634 im Besitz eines Dietrich von Spiegel, der auf<br />

dem Gut und dem ganzen Kulmbacher Stadtteil Spiegel seinen Namen lieh. <strong>Der</strong> sogenannte<br />

Apothekerhof – Spiegel 39 – war ein vom Markgrafen als Kanzleimannlehen vergebenes<br />

Gut, das von 1608 bis 1701 in den Händen der Kulmbacher Apothekersfamilien Keßler und<br />

Ritter und deren Nachkommen gewesen ist.<br />

„Nebenthore sind noch das Tränkthor, von welchem aus man nach der Zügelhütte und weiter<br />

nach Petzmannsberg geht, das Hirschen-, jezt Flaschnersthor, und das Rindlesthor. Das<br />

ehemalige Langgasser oder Crimensthor, welches da stand, wo das schöne Justizrath Weißi -<br />

sche und diesem gegenüber Kaufmann Christensche Haus stehet, ist abgebrochen worden.“<br />

Die Anwesen des Justizrats Weisse und des Kaufmanns Christenn sind die beiden schönen frühklassizistischen<br />

Gebäude die östlich der Kreuzung Langgasse – Grabenstraße stehen. Sie wurden<br />

nach dem 1788 erfolgten Abbruch des Langgässer Tores durch den Justizrat Gottlieb<br />

Friedrich Weiße (Langgasse 8) und den Maurermeister Johann Andreas Stöcker (Langgasse<br />

13) erbaut; letzteres ist 1791 vom Lederfabrikanten und Ratsherrn Christoph Valentin Chris -<br />

tenn erworben worden.<br />

Die Einfahrt zum ehemaligen Apothekerhof, Spiegel 39.<br />

Das Wohngebäude wurde vor einigen Jahren abgebrochen.<br />

Obere Stadt und Henkersviertel<br />

Zur Siedlungsstruktur Kulmbachs bemerkt Reiche, dass sie der Ort in eine obere und eine untere<br />

Stadt eingeteilt sei. „Die obere Stadt begreift in sich die Haupt- oder Kirchstraße und den<br />

sogenannten Oberhacken. Die Hauptstraße ist in der That schön, breit, rein und mit mehrern<br />

ansehnlichen Gebäuden, z. B. mit dem Prozeß-Rath Löwelischen, dem D. Müllerischen, dem<br />

Kaufmann Bauerischen, der Steinischen Apotheke, dem Gasthof zum goldenen Anker, dem<br />

ehemaligen Prinzessenhause, der Burg u. s. w. besezt. Sie läuft etwas bergan, daher dieser<br />

Theil der Stadt auch ganz recht die obere, wie der andre, vom Markte aus bis zum Bayreuther<br />

Thor, die untere Stadt genannt wird.“ In der Tat zeichnet sich die Obere Stadt auch heute noch<br />

durch die repräsentativen Wohngebäude der wohlhabenden und ratsfähigen Kulmbacher<br />

Bürgerschaft aus. Das 1772 vom Prozeßrat Anton Christian Löwel erkaufte Haus Obere Stadt<br />

7 war schon im 16. Jahrhundert der Sitz der Kulmbacher Oberamtmänner, die von hier aus<br />

das ausgedehnte Gebiet des markgräflichen Oberamtes Kulmbach verwalteten. <strong>Der</strong><br />

Kulmbacher Landphysikus Dr. Johann Heinrich Müller hatte im Anwesen Obere Stadt 25<br />

gewohnt. 1793 hatte er sich bei der Behandlung französischer Kriegsgefangener auf der<br />

Plassenburg mit Fleckfieber angesteckt und war daran gestorben. 1795 gehörte das Wohn -<br />

haus dessen Erben. Das Kaufmann Bauerische Haus ist das Wohnhaus Obere Stadt 10 und<br />

auch heute noch mit seinem barocken Torschmuck eine besondere Zierde der Straße. Erbaut<br />

hat es im Jahr 1730 der Notar Peter Gottfried Leßner – seine Initialen schmücken bis heute<br />

den Schlußstein des Torgewändes. <strong>Der</strong> Weißbäckermeister Conrad Bauer erwarb es 1755 von<br />

dessen Erben. 1779 übernahm wurde das Wohnhaus dann vom Kaufmann Erhard Bauer aus<br />

dem väterlichen Erbe übernommen. Bei der Steinschen Apotheke handelt es sich um die heutige<br />

Obere Apotheke. Das Wohnhaus Obere Stadt 11 wird 1730 erstmals als „Gasthaus zum<br />

Goldenen Anker“ erwähnt. Seit 1776 war der Weißbeckenmeister Johann Michael Fiesenich<br />

der Ankerwirt. Er starb wohl 1796 und hinterließ seine Witwe Maria Magdalena und 7 Kinder.<br />

Das Prinzessenhaus steht am östlichen Ende der Oberen Stadt, dem markgräflichen Kanzlei -<br />

gebäude gegenüber. Hier befand sich zu Reiches Zeiten noch das Kanzlei- oder Burgtor. <strong>Der</strong><br />

Name erinnert an die vom Bayreuther Hof verbannte Prinzessin Christiane Sophie Wilhelmine,<br />

die hier bis zu ihrem Tod im Jahr 1749 lebte.<br />

Nun folgt Reiche dem Oberen Stadtgäßchen hinunter zum Kohlenbach in den Oberhacken.<br />

Er schreibt: „Gleich beym Burgthore gehet man vom Markte aus rechts in eine Gasse und diese<br />

führt zu dem sogenannten Schlößchen, das an der Stadtmauer auf einer Höhe liegt (und) ehemals<br />

mit einem Graben umgeben war. [...] Die Straße von diesem Hause an bis nach das<br />

ohnweit dem Rathhause stehende Oberforstmeister Reitzensteinische Hauß heißt der Ober -<br />

hacken. [...] Auch wurde diese Gegend ehemals das Henkersviertel genannt, weil das Hauß<br />

des Scharfrichters da stand, von dem nicht weit ein kleiner Thurm an der Stadtmauer befindlich<br />

ist, der darum zum heiling Schwerdt genannt wird, weil in älteren Zeiten die Todesurtheile<br />

daselbst vollzogen wurden. Gleich an das ebengenannte Reitzensteinische Hauß, stößet ein<br />

Gäßchen, in welchem die Stadtwaage befindlich ist. Auch gegenüber steht das sehr gut gebaute<br />

Amtmann Gromannsche Haus, von da man durch ein anderes unbedeutendes Gäßchen, in<br />

einem Winkel der Stadt kömmt, in welchem die Frohnveste angebracht ist.“<br />

Reiches auf einer Höhe an der Stadtmauer erbautes Schlösschen wird seit langem als<br />

Künßbergsches Schlösschen bezeichnet, da man das über dem Eingangsportal angebrachte<br />

Wappen für das der Familie Künßberg hielt. Obwohl schon Stadtarchivar Richard Lenker den<br />

Irrtum entdeckte und das Wappen als das des Landschreibers Pankraz Saltzmann identifizierte,<br />

ist der erwähnte Name bis heute in Gebrauch. Interessant ist die Bemerkung Reiches, dass<br />

das Burggut, zu dem das Schlösschen gehört, wie eine Zitadelle auch zur Stadt hin – und<br />

zwar mit einem Graben – befestigt war. <strong>Der</strong> Wirtschaftshof des Burggutes und das vom<br />

Oberen Stadtgäßchen her in den Innenhof führende – heute vermauerte – Tor, sind auch<br />

heute noch gut zu erkennen.<br />

Das stattliche Haus Oberhacken 8 war von 1774 bis 1912<br />

Sitz der Kulmbacher Forstverwaltung.<br />

Im Haus des Oberforstmeisters v. Reitzenstein, Oberhacken 8, befindet sich heute das Bauamt<br />

der Stadt Kulmbach. 1774 kaufte der markgräfliche Kammerherr und Oberforstmeister Fried -<br />

rich Theodor Christoph von Reitzenstein das stattliche Gebäude von den Erben des fürstlichen<br />

Rates und Archivars Johann Georg Horn. Damit war es Sitz der Kulmbacher Forstverwaltung<br />

geworden bis es schließlich 1912 von der Stadt Kulmbach gekauft wurde. Das Kulmbacher<br />

Henkershaus stand zwischen dem Anwesen Oberhacken 24 und der Stadtmauer. Um 1700<br />

wurde die Henkerswohnung in die westliche Vorstadt verlegt. Danach hat man das Henkers -<br />

haus im Oberhacken abgebrochen. Die Vollstreckung von Todesurteilen am oder im Heiling -<br />

schwertturm ist jedoch als eher unwahrscheinlich zu erachten, da Hinrichtungen mit dem<br />

Schwert wahrscheinlich auf dem Marktplatz stattfanden und für die Vollstreckung anderer<br />

Hinrichtungsarten der Galgen vorgesehen war. Die den Kulmbachern auch heute noch bekannte<br />

Fronfeste, Waaggasse 9, war übrigens das Untersuchungsgefängnis und das Arrestlokal der<br />

Stadt Kulmbach. Die für die Waaggasse namengebende Stadtwaage befand sich im Anwesen<br />

Waaggasse 1. <strong>Der</strong> Klosteramtmann German August Gromann wohnte seit 1774 im Anwesen<br />

Oberhacken 6. Bei diesem Gebäude handelt es sich um das wohl schönste Fachwerkhaus in<br />

Kulmbach; 1867 wurde der bekannte Kulmbacher Maler Michel Weiß darin geboren.<br />

Zwischen den Häusern Langgasse 8 und Langgasse 13 stand einst das Langgässer Tor. Nach dessen Abbruch im Jahr 1788 wurden beide Gebäude neu erbaut.<br />

Harald Stark

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