Abschied - AIDS-Hilfe Stuttgart
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LEBEN MIT HIV & <strong>AIDS</strong><br />
HI VIRUS<br />
Rainbow:<br />
Lieber Herr Dr. Ulmer, von anderen HIV-<br />
Ärzten habe ich den Einwand gehört,<br />
dass ihre Patientenzahlen, die für eine<br />
antientzündliche HIV-Therapie mit niedrig<br />
dosierten Prednisolon sprechen,<br />
sehr gering seien. Wie gehen Sie mit<br />
einer solchen Kritik um?<br />
Dr. Ulmer:<br />
Die Kritik ist berechtigt und nicht berechtigt<br />
zugleich. Grundsätzlich ist die<br />
Medizin gut beraten, gegenüber Entdeckungsberichten<br />
einzelner Ärzte<br />
skeptisch zu sein. Sie wissen selbst,<br />
dass wir beispielsweise aus Afrika<br />
Meldungen von Ärzten und traditionellen<br />
Heilern hören, sie könnten <strong>AIDS</strong> heilen.<br />
Auf einer nigerianischen Internetseite<br />
habe ich die Behauptung gefunden<br />
„Wir haben schon 20.000 von HIV<br />
geheilt.“ Wenn wir denen nicht glauben,<br />
warum soll jemand dann mir glauben?<br />
Meine Daten könnten ein Riesen<br />
Schwindel sein. Sie sind nicht fremdkontrolliert.<br />
Sie könnten auf irgendeiner<br />
einseitigen Patientenauswahl oder –<br />
Beeinflussung beruhen. 46 Patienten,<br />
wie Sie zitiert haben, ist wirklich eine<br />
kleine Zahl. Und retrospektive Daten<br />
gelten wissenschaftlich immer als zweitrangig<br />
bis fragwürdig.<br />
38 I 39<br />
Dr. Ulmer (lilnks) mit Dr. Jäger aus München bei einer <strong>AIDS</strong>-Veranstaltung in <strong>Stuttgart</strong><br />
Also: Viel Verständnis für alle Skepsis<br />
und Kritik.<br />
Andererseits habe ich im Laufe der vielen<br />
Jahre, die ich an diesem Thema<br />
dran bin, auch deutlich erleben müssen,<br />
dass Kritik, Interesse oder Desinteresse<br />
an einem Thema oft nicht in erster Linie<br />
wissenschaftlichen „Wahrheiten“, sondern<br />
dem wirtschaftlichen Potential und<br />
der Bedeutung für wissenschaftliche<br />
Karrieren folgen. Immer wieder zeigt sich,<br />
dass die Medizin zu abhängig von<br />
vordergründig wirtschaftlichen Interessen<br />
ist. Diesen Interessen verdankt sie<br />
viele entscheidende Innovation. Aber<br />
einfache Beobachtungen in der Praxis,<br />
die möglicherweise sogar Umsätze an<br />
neuen, teuren Medikamenten oder<br />
Maßnahmen vermindern, haben viel zu<br />
wenig Chancen, in angemessene<br />
Prüfungsverfahren und letztlich integriert<br />
in die Medizin zu gelangen.<br />
Viele wichtige Entdeckungen beginnen<br />
mit einem einzigen ersten Fall. Dadurch<br />
aufmerksam geworden, verfolgt man<br />
weitere Einzelfälle. Oft bedeutet schon<br />
ein zweiter Fall, dass man einem interessanten<br />
Phänomen auf der Spur ist.<br />
Denken Sie nur an die Contergan-<br />
Missbildungen. Musste nicht bereits der<br />
erste Fall aufmerksam machen? Und<br />
hätte man bei 6 Fällen immer noch einwenden<br />
dürfen, dass es eine kleine Zahl<br />
ist? Ich bin diesem Einwand der kleinen<br />
Zahl begegnet, als ich zum ersten Mal<br />
vor Expertenkollegen über unsere Beobachtung<br />
an 6 Prednisolonpatienten<br />
berichtet habe. Die Reaktion der Kollegen<br />
war damals: Bei einer so kleinen<br />
Zahl haben wir kein Interesse.<br />
Dabei haben diese 6 Fälle genau das<br />
Phänomen gezeigt, das wir inzwischen<br />
immer wieder gesehen haben und das<br />
jetzt endlich zu Konsequenzen geführt<br />
hat. Aber wir müssen uns, wenn eines<br />
Tages alles gesichert ist, sehr deutlich<br />
fragen, wie viel Jahre, die Patienten<br />
hätten zugute kommen müssen, durch<br />
dieses Desinteresse und die Notwendigkeit<br />
der jahrelangen wissenschaftlichen<br />
Absicherung verloren<br />
gegangen sind.<br />
Rainbow:<br />
Was konnten Sie seit den Münchner<br />
<strong>AIDS</strong>-Tagen 2004 erreichen?<br />
Dr. Ulmer:<br />
Ich habe immer wieder Gelegenheit gefunden,<br />
unsere Daten auf Kongressen<br />
zu präsentieren. 2005 konnte ich unsere<br />
Ergebnisse zweimal in einer angesehenen<br />
wissenschaftlichen Zeitschrift, der Hauszeitschrift<br />
der Dt. <strong>AIDS</strong>-Gesellschaft,<br />
publizieren, wobei ich betonen muss,<br />
dass mir zwei der anfangs nicht interessierten<br />
Professoren und die Mitarbeiterin<br />
eines Pharma-Unternehmens<br />
aus der HIV-Branche sehr geholfen<br />
haben. 2005 hat das Missionsärztliche<br />
Institut Würzburg reagiert und mit<br />
Partnern in Tansania die Durchführung<br />
einer Studie in Tansania beschlossen,<br />
die wahrscheinlich noch dieses Frühjahr<br />
an den Start geht. Schließlich konnte ich<br />
bei den Münchner <strong>AIDS</strong>-Tagen im<br />
Februar 06 vier Professoren, alle führende<br />
deutsche HIV-Experten, gewinnen,<br />
mit mir eine Arbeitsgruppe zur<br />
HIVNEWS<br />
Taten statt Worthülsen!<br />
Anlässlich des G7-Finanzministertreffens in Essen kritisierten<br />
das Aktionsbündnis gegen <strong>AIDS</strong>, die Aktion<br />
„Deine Stimme gegen Armut“ und das Bündnis für Entschuldung<br />
(Erlassjahr.de), dass die G7/G8-Staatengruppe<br />
bisher zu wenig zur Umsetzung ihres 2005 verkündeten<br />
Programms zur Armutsbekämpfung unternommen<br />
habe.<br />
„In Gleneagles haben die Staats- und Regierungschefs<br />
angekündigt, dass bis zum Jahr 2010 alle Menschen<br />
Zugang zu HIV-Prävention und <strong>AIDS</strong>-Behandlung haben<br />
sollen. Wenn die G7-Staaten diesem Versprechen keinen<br />
handfesten Finanzierungsplan zur Seite stellen, bleibt es<br />
Vorbereitung einer Studie in Deutschland<br />
zu gründen. Seitdem sind wir fleißig<br />
gewesen – man glaubt immer nicht,<br />
wie viel Arbeit in solchen Projekten<br />
steckt. Im November haben wir einen<br />
offiziellen Antrag für eine multizentrische<br />
Prednisolonstudie beim Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung<br />
eingereicht. Diese Studie soll unter dem<br />
Dach des Kompetenznetzes HIV / <strong>AIDS</strong><br />
laufen. Bisher ist die Finanzierung völlig<br />
ungewiss. Aber die Tatsache, dass ein<br />
solches Kooperationsprojekt mit einer<br />
Reihe von Spitzenleuten gemeinsam<br />
erarbeitet wurde, macht es unwahrscheinlicher,<br />
dass sich keine Finanzierung<br />
finden wird.<br />
LEBEN MIT HIV & <strong>AIDS</strong><br />
Rainbow:<br />
Wie erklären Sie sich, dass diese eventuell<br />
vorhandenen Möglichkeiten der<br />
HIV-Therapie bislang kaum bekannt<br />
sind und auch kaum bekannt gemacht<br />
werden, wenn man einmal von <strong>AIDS</strong>-<br />
Organisationen wie dem Förderverein<br />
Neue Wege in der HIV-Therapie e.V.<br />
oder RAINBOW absieht?<br />
Dr. Ulmer:<br />
Das Blatt hat sich schon ein wenig<br />
gewendet. Ich war kürzlich bei den<br />
<strong>Stuttgart</strong>er HIV-Therapietagen eingeladen,<br />
die Studie vorzustellen. Auch bei<br />
der Münchner <strong>AIDS</strong>-Werkstatt im März<br />
besteht eine solche Einladung, die dort<br />
nur eine Worthülse“, sagte die politische Koordinatorin<br />
des Aktionsbündnisses gegen <strong>AIDS</strong> Katja Roll.<br />
Das Aktionsbündnis gegen <strong>AIDS</strong> forderte die Verabschiedung<br />
eines verbindlichen Finanzierungsplans zur Umsetzung<br />
des universellen Zugangs zu HIV-Prävention und<br />
<strong>AIDS</strong>-Behandlung für alle Menschen. Nach Schätzungen<br />
von UN<strong>AIDS</strong> und der Weltgesundheitsorganisation sind zur<br />
weltweiten <strong>AIDS</strong>-Bekämpfung in diesem Jahr 18,1<br />
Milliarden US-Dollar nötig. Bislang bleibt mehr als die<br />
Hälfte dieses Finanzierungsbedarfes ungedeckt.<br />
(Quelle: www.aids-kampagne.de, Pressemeldung des Aktionsbündnis<br />
gegen <strong>AIDS</strong> vom 13. Februar 2007)