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Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der ...

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wie<strong>der</strong> hervorgehoben, dass Sport im Alltagsleben von Jungen<br />

von größter Bedeutung ist. Sport ist ihre mit Abstand<br />

beliebteste Freizeitbeschäftigung. Die Sportvereine sind die<br />

größten <strong>und</strong> beliebtesten außerschulischen Jugendorganisationen.<br />

R<strong>und</strong> 60% aller männlichen Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

sind in Turn- <strong>und</strong> Sportvereinen organisiert. Während das<br />

Interesse von Mädchen am Sportverein mit zunehmendem<br />

Alter nachlässt, binden sich Jungen länger <strong>und</strong> fester an eine<br />

Sportart: Fußball.<br />

Die intensive Orientierung <strong>der</strong> Jungs am Fußball zeigt, dass<br />

sie gerade im Fußball Möglichkeiten finden, ihre männliche<br />

Identität zu entwickeln (selbst wenn sie sich <strong>des</strong>sen nicht<br />

bewusst sind). Die Fußballvereine mit ihren zahlreichen,<br />

meistens ehrenamtlichen Trainern <strong>und</strong> Übungsleitern tragen<br />

viel dazu bei, dass dieser Prozess in den meisten Fällen<br />

gelingt. Trotzdem kann <strong>und</strong> muss noch viel geschehen, um<br />

diese wichtige pädagogische Funktion <strong>und</strong> Leistung <strong>der</strong><br />

Fußballvereine noch zu verbessern. Aus leibeserzieherischer<br />

Sicht hat die Fußballfixierung <strong>der</strong> Jungs jedoch nicht nur<br />

gute Seiten. Im Vergleich zu den Mädchen muss von einer<br />

Verkümmerung <strong>der</strong> sportlich-motorischen Entwicklungsmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Jungen gesprochen werden. Wie die Mitglie<strong>der</strong>statistik<br />

<strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Olympischen</strong> Sportbun<strong>des</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

einzelnen Fachverbände zeigt, nehmen Mädchen im Durchschnitt<br />

ein wesentlich breiteres Spektrum an Sportarten <strong>und</strong><br />

Sportbetätigungen wahr als Jungen. Mit dem Ergebnis, dass<br />

die Jungen beson<strong>der</strong>s ihre koordinativen Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

Fertigkeiten nicht in dem Maß ausbilden, wie es wünschenswert<br />

wäre. Dasselbe gilt für Beweglichkeit <strong>und</strong> Kraft, vor<br />

allem Arm- <strong>und</strong> Rumpfkraft. Gute Fußball-Jugendtrainer<br />

haben dies längst erkannt <strong>und</strong> ihr Training entsprechend<br />

darauf eingestellt.<br />

Festzuhalten bleibt jedoch, dass Sport insgesamt auf junge<br />

Menschen <strong>und</strong> speziell auf männliche Jugendliche eine große<br />

Faszination ausübt. Um diesem Phänomen auf den Gr<strong>und</strong> zu<br />

gehen, muss man sich zunächst klar werden, welche Funktionen<br />

denn Sport, <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s ein kämpferischer Mannschaftssport<br />

wie Fußball, in unserer Gesellschaft erfüllen.<br />

Der Soziologe <strong>und</strong> "Menschenwissenschaftler" Norbert Elias<br />

hat in dem Buch "Sport <strong>und</strong> Spannung im Prozess <strong>der</strong> Zivilisation"<br />

argumentiert, dass "eine Gesellschaft, die ihren Mitglie<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e ihren jüngeren Mitglie<strong>der</strong>n keine<br />

ausreichenden Möglichkeiten für die freudige Erregung eines<br />

Kampfes zur Verfügung stellt, <strong>der</strong> körperliche Kraft <strong>und</strong><br />

Geschicklichkeit erfor<strong>der</strong>n kann, aber nicht muss, (…) möglicherweise<br />

Gefahr (läuft, MK), das Leben ihrer Mitglie<strong>der</strong> zu<br />

langweilig werden zu lassen. Diese Gesellschaft ist möglicherweise<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage, ausreichende komplementäre Korrektive<br />

für die monotonen Spannungen anzubieten, die von den<br />

immer wie<strong>der</strong>kehrenden, gleichbleibenden Tätigkeiten <strong>des</strong><br />

gesellschaftlichen Lebens erzeugt werden."<br />

48<br />

Natürlich brauchen nicht nur Jungen <strong>und</strong> junge Männer diese<br />

"ausreichenden komplementären Korrektive", um das mo<strong>der</strong>ne<br />

gesellschaftliche Leben ohne Schaden an Leib <strong>und</strong> Seele<br />

aushalten zu können, son<strong>der</strong>n auch Mädchen <strong>und</strong> junge<br />

Frauen. Jungs scheinen den kämpferischen Sport jedoch<br />

beson<strong>der</strong>s zu mögen <strong>und</strong> für eine ges<strong>und</strong>e Entwicklung auch<br />

zu brauchen.<br />

Diese Einsicht ist nicht neu. Sie ist in den verschiedensten<br />

zeit- <strong>und</strong> kulturbedingten Varianten von den Wegbereitern<br />

<strong>und</strong> Begrün<strong>der</strong>n mo<strong>der</strong>ner Leibeserziehung <strong>und</strong> Sportpädagogik<br />

immer wie<strong>der</strong> begründet <strong>und</strong> umgesetzt worden. Wenn<br />

Friedrich Ludwig Jahn in seiner <strong>Deutschen</strong> Turnkunst (1816)<br />

davon sprach, dass "die Turnkunst (…) die verloren gegangene<br />

Gleichmäßigkeit <strong>der</strong> menschlichen Bildung wie<strong>der</strong> herstellen,<br />

<strong>der</strong> bloß einseitigen Vergeistigung die wahre Leibhaftigkeit<br />

zuordnen, <strong>der</strong> Überverfeinerung in <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>gewonnenen<br />

Mannlichkeit das nothwendige Gegengewicht geben, <strong>und</strong> im<br />

jugendlichen Zusammenleben den ganzen Menschen umfassen<br />

<strong>und</strong> ergreifen (solle, MK.)", dann meinte er damit auch,<br />

dass gerade die jungen Männer eine körperliche Erziehung<br />

nötig hätten, die ein Gegenmodell zur einseitigen <strong>und</strong> vergeistigten,<br />

"verfeinerten" Kultur seiner Zeit bilden sollte. Dass<br />

diese "Turnkunst" auch den Zweck hatte, die jungen Männer<br />

für den Volkskrieg gegen Napoleon <strong>und</strong> die Franzosen aufzurüsten,<br />

war für ihn kein Gegensatz, son<strong>der</strong>n Teil seines Bil<strong>des</strong><br />

von "wahrer Mannlichkeit". Von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Zeitgenossen<br />

Jahns wurde berichtet, dass diese "männliche Erziehung"<br />

Jahns durchaus Erfolg hatte. Es sei ihm gelungen, schrieb <strong>der</strong><br />

Jahnschüler Hans Ferdinand Maßmann in seiner berühmten<br />

Beschreibung <strong>der</strong> Turnplätze auf <strong>der</strong> Hasenheide (1859 in <strong>der</strong><br />

<strong>Deutschen</strong> Turn-Zeitung veröffentlicht), "die an edlere Zucht<br />

<strong>und</strong> Ordnung … damals wenig gewöhnte, in polizeiloser Zeit<br />

ziemlich verwil<strong>der</strong>te Berliner Schuljugend zu zügeln, zu<br />

fesseln, im Walde, auf abendlichen Heimgängen <strong>und</strong> auf<br />

Turnfahrten mit sich fortzureißen <strong>und</strong> zu begeistern".<br />

Wer wollte bestreiten, dass nicht auch in unseren Tagen<br />

zumin<strong>des</strong>t Teile <strong>der</strong> Berliner Schuljugend es nötig hätten, "an<br />

edlere Zucht <strong>und</strong> Ordnung" gewöhnt zu werden?! Vor allem<br />

brauchen sie engagierte Sportlehrerinnen <strong>und</strong> Sportlehrer in<br />

Schule <strong>und</strong> Verein - wie seinerzeit Jahn selbst -, die sich um<br />

sie kümmern, sie fesseln <strong>und</strong> begeistern <strong>und</strong> eben auch - wo<br />

es sinnvoll <strong>und</strong> nötig ist - "zügeln". Um <strong>der</strong> Wahrheit willen<br />

muss man natürlich hinzufügen, dass die Erziehungsmethoden<br />

<strong>des</strong> Turnvaters nicht von allen Zeitgenossen mit Wohlwollen<br />

aufgenommen wurden.<br />

H<strong>und</strong>ert Jahre nach Jahn propagierte Pierre de Coubertin<br />

seine "olympische Pädagogik", die ebenfalls auf die Erziehung<br />

von jungen Männern ausgerichtet war. Die "Athletik", damit<br />

meinte er den wettkampforientierten Sport, wie er in <strong>der</strong><br />

Antike bei den jungen Männern üblich gewesen sei, könne<br />

jedoch genauso dazu benutzt werden, "den Frieden zu festi-

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