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Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der ...

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früher) kiffen, saufen, klauen <strong>und</strong> prügeln. Im Flatrate-Saufen<br />

sind die Jungs an <strong>der</strong> Spitze. Deviantes Verhalten im Kin<strong>des</strong><strong>und</strong><br />

Jugendalter, wie die Experten das nennen, hat ein<br />

Geschlecht, das männliche. Der untrüglichste Beweis für<br />

diese Analyse ist die Kriminalitätsstatistik. Die Jungs führen<br />

sie mit weitem Abstand vor den Mädchen an. Aber Mädchen<br />

holen auf. Prügeln <strong>und</strong> saufen finden auch manche von<br />

ihnen cool.<br />

Die "Krise <strong>der</strong> Männlichkeit" ist Thema in den Feuilletons <strong>und</strong><br />

in zahlreichen Fach- <strong>und</strong> Sachbüchern. "Kleine Helden in<br />

Not" (von Dieter Schnack <strong>und</strong> Reiner Neutzling) führt die<br />

Bestsellerliste in <strong>der</strong> sechsten Auflage immer noch an, <strong>und</strong><br />

die verschiedenen "Anleitung(en) zum Männlichsein" - wenn<br />

sie auch nicht so heißen wie <strong>der</strong> aktuelle Titel von Andreas<br />

<strong>und</strong> Stefan Lebert - sind kaum noch zu überblicken. Die<br />

Analysten sind sich einig, dass ein Gr<strong>und</strong> für diese Krise darin<br />

liegt, dass den Männern ihre traditionellen Aufgabengebiete<br />

abhanden gekommen seien. Nicht nur radikale Feministinnen<br />

stellen öffentlich die Frage, wozu man denn heute überhaupt<br />

noch Männer brauche, wenn Frauen alles das, was bisher<br />

Männern vorbehalten war, genauso gut <strong>und</strong> meistens besser<br />

erledigen als die Männer. Immer mehr Männer <strong>und</strong> solche,<br />

die es werden wollen, stellen sich selbst diese männliche<br />

Sinnfrage. In <strong>der</strong> Arbeitswelt gelten Frauen vielfach als kompetenter<br />

<strong>und</strong> zuverlässiger (allerdings mit den schlechter<br />

bezahlten Jobs, obwohl, wie behauptet wird, Frauen die<br />

besseren Chefs seien). Selbst in den technischen Berufen sind<br />

Mädchen <strong>und</strong> Frauen auf dem Vormarsch, <strong>und</strong> auch das<br />

Militär kommt in den meisten westlichen Län<strong>der</strong>n nicht mehr<br />

ohne Frauen aus - wobei die Wehpflicht <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zivildienst<br />

in Deutschland allerdings noch den jungen Männern vorbehalten<br />

bleibt; ein Vorrecht, auf das sicher die meisten gerne<br />

verzichten würden. "Die Domänen <strong>der</strong> Männer sind keine<br />

mehr", schreiben die Brü<strong>der</strong> Lebert in ihrer "Anleitung zum<br />

Männlichsein". "Nirgends lässt sich diese Krise besser erkennen<br />

als in <strong>der</strong> Arbeitswelt, oben wie unten. Hier ist <strong>der</strong> Identitätsverlust<br />

<strong>des</strong> Mannes ein dramatisches gesellschaftliches<br />

Problem geworden."<br />

Es gibt noch einen weiteren gesellschaftlichen Bereich, in<br />

dem <strong>der</strong> "Machtverlust" <strong>der</strong> Männer gegenüber den Frauen<br />

evident ist: den Sport. Der Sport ist keine Männerdomäne<br />

mehr. Das alte deutsche Turnen, zu Friedrich Ludwig Jahns<br />

Zeiten eine Schule "wahrer Mannlichkeit", ist inzwischen eine<br />

typische Frauensportart. Mehr als 70% <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Deutschen</strong> Turner-Bun<strong>des</strong> sind Mädchen <strong>und</strong> Frauen. Längst<br />

hätte sich <strong>der</strong> DTB zum Turnerinnen-B<strong>und</strong> o<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t -<br />

neutral - zum Turn-B<strong>und</strong> erklären müssen; wie dies im Übrigen<br />

die "Turnjugend" in Hessen schon getan hat. Die <strong>Olympischen</strong><br />

Spiele, die von Pierre de Coubertin einst als ein weihevolles<br />

Weltsportfest zu Ehren junger männlicher Athleten<br />

gedacht waren, sind trotz <strong>der</strong> heftigen Gegenwehr Coubertins<br />

nicht mehr nur den Männern vorbehalten. Es gibt prak-<br />

tisch keine Sportart mehr, die nicht auch von Frauen ausgeübt<br />

würde, selbst das Boxen o<strong>der</strong> - im nicht-olympischen<br />

Bereich - <strong>der</strong> Automobilsport (wobei ohnehin längst erwiesen<br />

ist, dass Frauen die besseren Autofahrer sind).<br />

Fußball gilt in den meisten westlich-zivilisierten Län<strong>der</strong>n<br />

noch als Bastion <strong>der</strong> Männlichkeit, aber auch diese bröckelt.<br />

In den USA ist "soccer" eine typische Frauensportart, <strong>und</strong> bei<br />

uns in Deutschland haben die Mädchen längst keine Scheu<br />

mehr, Fußball zu spielen. Es soll Bolzplätze <strong>und</strong> Pausenhöfe<br />

geben, in denen Mädchen gegen Jungs Fußball spielen <strong>und</strong><br />

auch noch gewinnen.<br />

Viele - werdende - Männer klammern sich regelrecht an den<br />

Fußball, weil sie in diesem Spiel - frei nach Friedrich Schiller -<br />

noch glauben, wahrhaft Mann sein zu dürfen. Manche verstehen<br />

das dann falsch, wenn sie meinen, zum richtigen<br />

Mann- <strong>und</strong> Fußballer-Sein gehöre in erster Linie das Stemmen<br />

von Bierflaschen in Verbindung mit dem Grölen unflätiger<br />

Lie<strong>der</strong> <strong>und</strong> Chauvisprüche - zumin<strong>des</strong>t kann dieser Eindruck<br />

entstehen, wenn man einige Ergebnisse <strong>der</strong> Untersuchung<br />

von Brettschnei<strong>der</strong> <strong>und</strong> Kleine (2002) zu Jugendlichen<br />

in Sport-(<strong>und</strong> speziell Fußball-) Vereinen ernst nimmt. Es mag<br />

in dem Zusammenhang nicht ganz glücklich <strong>und</strong> konsequent<br />

sein, wenn <strong>der</strong> Deutsche Fußball-B<strong>und</strong>, <strong>der</strong> sich gern <strong>und</strong> viel<br />

auf seine hohen moralischen Maßstäbe beruft, eine Bierbrauerei<br />

als Sponsor <strong>des</strong> deutschen Fußballs auftreten lässt.<br />

Die Flucht vieler Männer in den Fußball, den sie sich krampfhaft<br />

als männliche Domäne zu erhalten versuchen, ist selbst<br />

ein Symptom <strong>der</strong> Krise <strong>der</strong> Männlichkeit in unserer Zeit. Noch<br />

krasser zeigt sich diese Symptomatik in einigen Auswüchsen<br />

<strong>der</strong> so genannten Fußball-Fankultur, von <strong>der</strong> sich auch junge<br />

Mädchen <strong>und</strong> Frauen mitreißen lassen.<br />

Der Sport - <strong>und</strong> für die große Mehrheit <strong>der</strong> deutschen Jungen<br />

ist das identisch mit Fußball - spielt eine entscheidende<br />

Rolle für die männliche Identitätsbildung. Selbst sportkritische<br />

Jugendforscher teilen diese Auffassung. Es stellt sich aus<br />

pädagogischer bzw. sportpädagogischer Sicht nur die Frage,<br />

ob <strong>und</strong> inwiefern das pädagogische Potenzial <strong>des</strong> Sports<br />

genutzt wird, um den "kleinen Helden in Not" zu helfen, zu<br />

wirklichen Männern zu werden. Was können Bewegung,<br />

Gymnastik, Turnen, Spiel <strong>und</strong> Sport leisten, um die Krise <strong>der</strong><br />

Männlichkeit zu überwinden?<br />

Guter, vielseitiger, anstrengen<strong>der</strong> <strong>und</strong> herausfor<strong>der</strong>n<strong>der</strong>, mit<br />

einem Wort: "olympischer" Sport ist eines besten Mittel, um<br />

Jungen auf ihrem Weg zum Mann-Werden zu unterstützen.<br />

Das ist nicht nur eine These, die Sportpädagogen <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e<br />

solche, die für eine "olympische Pädagogik" stehen,<br />

quasi von Berufs wegen vertreten müssen, son<strong>der</strong>n die meisten<br />

Jungen wählen diesen Weg <strong>des</strong> Sports selbst. In neuesten<br />

Studien zur jugendlich-männlichen Sozialisation wird immer<br />

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