DIE ERFUNDENE GESCHICHTE
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6<br />
Aus der Katzenperspektive (Rahmenthema: Mit den Augen eines Tieres)<br />
Es ist ein schönes Leben, das ich im Kreise meiner Menschenfamilie führe. Hie und<br />
da muss ich mich freilich auch ärgern. Zum Beispiel heute:<br />
Es fing schon zeitig am Morgen an. Ich wachte auf und merkte, dass Mutti und Inge<br />
noch schliefen. ,,Schlamperei, so etwas", dachte ich, ,,es muss doch schon spät<br />
sein!" Denn wenn ich die Uhr auch nicht kenne, weiß ich doch immer genau die Zeit.<br />
So etwas hat man als kluger Kater, wie ich einer bin, im Gefühl. Ich erhob mich also<br />
aus meiner Schachtel, meinem derzeitigen Lieblingsplatz. Mutti darf die Schachtel auf<br />
keinen Fall verbrennen, wie sie es schon einmal versucht hat. Damals bin ich sehr<br />
ärgerlich geworden, und hätte ich die Schachtel nicht wieder bekommen, ich hätte<br />
mindestens acht Tage lang getrutzt. Oh, ich kann sehr bockig sein, wenn einmal<br />
etwas nicht nach meinem Kopf geht! Da nützt es dann gar nichts, wenn Inge mich<br />
dann noch so zärtlich in eine Decke wickelt, mich in ihren Puppenwagen legt und im<br />
Zimmer herumführen will. Ich strample mich ab und laufe davon. Dabei liebe ich das<br />
Herumgeführtwerden sonst sehr. Schließlich bin ich ja beleidigt!<br />
Aber ich wollte doch von heute Morgen erzählen. Wenn meine beiden<br />
Menschenlieblinge verschlafen, dann nehmen sie sich nie Zeit, mir einen Guten-<br />
Morgen-Kuss auf meine Ohrenspitzen zu geben. Darauf verzichten zu müssen, ist<br />
schrecklich für mich. Was blieb mir also anderes übrig, als die beiden aufzuwecken.<br />
Ich sprang, es war ein wahrer Meistersprung, von meinem Platz beim Ofen in Muttis<br />
Bett. Vati ist schon längst im Geschäft. Ja, ja, Männer sind eben Frühaufsteher.<br />
Mutti, die noch fest schlief, merkte gar nicht, wie ich knurrend auf sie zuschlich. Noch<br />
ein Schritt, und ich stieß mit meiner Nase an die ihre. Nichts! Nun versuchte ich es<br />
mit den Haaren. ,,Geh weg!", brummte Mutti verschlafen, brachte ihren Kopf in eine<br />
andere Lage und schubste mich aus dem Bett. Dann schlief sie wieder prompt ein.<br />
,,So wecke ich eben Inge zuerst!" Ich sprang also zu Inges Bett. Nicht auf dem<br />
kürzesten Wege, o nein, meine schwere Weckarbeit ist stets auch meine<br />
Morgengymnastik. Man muss doch auf seine Linie achten! Ich turnte und kletterte<br />
also über sämtliche Möbelstücke und landete schließlich glücklich bei der tief<br />
schlafenden Inge. Aber auch hier wurde ich ziemlich unsanft aus dem Bett<br />
geschubst. Ein Glück nur, dass unsere Art immer auf allen vier Pfoten landet. Aber zu<br />
meinem Unglück habe ich mir einmal eines meiner vier Beine dreifach gebrochen.<br />
Jetzt ist alles längst wieder verheilt, aber trotzdem habe ich manchmal noch<br />
Schmerzen. Da ist ein Hinauswurf aus dem Bett nicht gerade angenehm.<br />
,,Miau, miau, wollt ihr denn gar nicht aufstehen?", schrie ich empört und ungeduldig,<br />
und ich miaute so lange, bis mein Weckruf Erfolg hatte.<br />
Wohin jetzt zuerst? Ich war ganz aus dem Häuschen. Das bin ich übrigens jeden<br />
Morgen. Ich schmiegte mich zuerst an Inge, dann an Mutti. Wir balgten uns ein<br />
wenig, dann bekam ich meine ersehnten Küsse. Nur zu bald sind diese herrlichen<br />
Minuten am Morgen zu Ende. Mutti und Inge müssen in die Schule. Dieses Fortgehen<br />
meiner Lieben ist mir stets ein Gräuel. Da ich aber ein kluger Kater bin, füge ich mich<br />
in das Unabänderliche, es bleibt mir ohnehin nichts anderes übrig. Wirklich glücklich<br />
bin ich nur, wenn wir alle zusammen zu Hause sind.