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Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten

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Leitlinie<br />

e5<br />

bis 19 Jahren wurde eine Prävalenz von 10 %, nach 20 bis 29 Jahren<br />

von 73 % <strong>und</strong> nach mehr als 40 Jahren von 92 % beschrieben.<br />

Eine ähnlich grobe Dosis-Wirkungs-Beziehung fand sich unter<br />

Asbestzementarbeitern [13].<br />

Unter ehemaligen Mitarbeitern einer Amosit-Asbest-Isolierfabrik,<br />

die hohen Asbestfaserstaub-Konzentrationen ausgesetzt<br />

waren, wiesen 20 Jahre später 20 % eine Prävalenz von parenchymalen<br />

Verschattungen im Sinne der Asbestose auf, wobei die Expositionszeit<br />

z. T. mit nur einem Monat außerordentlich niedrig<br />

war [14].<br />

Unter Arbeitern in der metallverarbeitenden Industrie (Walzenwerke)<br />

lag die Prävalenz von asbestbedingten radiologisch fassbaren<br />

Veränderungen bei 31 % (19 % nur Pleuraveränderungen,<br />

7% alleine Lungenfibrosen, 6% beides). Unter der Teilgruppe, die<br />

40 <strong>und</strong> mehr Jahre dort beschäftigt war, wiesen 41,5 % entsprechende<br />

radiologische Veränderungen auf [15].<br />

Asbestbedingte benigne Pleuraveränderungen<br />

Als besondere asbestbedingte nicht bösartige Erkrankungen der<br />

Pleura, deren Diagnosestellung i. d. R. auf radiologischen Bef<strong>und</strong>en<br />

basiert, sind anzusehen:<br />

" Pleuraplaques<br />

" diffuse Pleuraverdickung der seitlichen Brustwand (diffuse<br />

Pleurafibrose)<br />

" Pleuritis, Pleuraerguss, auch ohne Asbestose [16]<br />

" bindegewebig-schwartige, postpleuritische Folgezustände<br />

(Hyalinosis complicata)<br />

" R<strong>und</strong>atelektase.<br />

Differenzialdiagnostisch setzt die Annahme einer durch Asbest<br />

verursachten Erkrankung der Lunge <strong>und</strong>/oder Pleura voraus,<br />

dass eine entsprechende Exposition bestand <strong>und</strong> dass die Veränderungen<br />

nicht durch andere, insbesondere tuberkulöse, traumatisch-entzündliche<br />

oder tumoröse Pleuraveränderungen bedingt<br />

sind. Bezüglich der Abgrenzung von diffusen interstitiellen<br />

Lungenerkrankungen anderer Genese, siehe Anlage 1. Vor allem<br />

bei starkem Übergewicht sind als Differenzialdiagnose der<br />

asbestverursachten diffusen Pleurafibrose beidseitige, subpleurale<br />

Fetteinlagerungen abzugrenzen. Asbestbedingte benigne<br />

Pleuraveränderungen sind typischerweise meist bilateral, aber<br />

nicht symmetrisch. Einseitige oder ungewöhnliche Verteilungsmuster<br />

schließen eine asbestbedingte Genese nicht aus (siehe<br />

auch Kapitel 4.4). Der Nachweis gelingt häufig nur mittels CT/<br />

HRCT-Aufnahmen. Charakteristisch sind Plaques der Pleura diaphragmatica,<br />

auch wenn sie einseitig vorkommen. Noch häufiger<br />

als am Lebenden lassen sich Pleuraplaques autoptisch nachweisen.<br />

Durch Asbest verursachte diffuse, plaqueförmige oder postpleuritische<br />

Pleuraveränderungen können allein oder nebeneinander<br />

vorkommen.<br />

In großen Bevölkerungsstudien ohne explizite Arbeitsanamnese<br />

mit Asbestexposition findet man Pleuraplaques bei 0,02 % –12,8 %<br />

[17, 18], wobei regional bis zu 43 % Pleuraplaques auftreten können<br />

(z. B. Erionitexpositionen der Region Kappadokien, Türkei)<br />

[19].<br />

In Regionen, in denen Pleuraplaques nicht endemisch auftreten,<br />

sind schätzungsweise 80 bis 90 % aller beobachteten Pleuraplaques<br />

als arbeitsbedingte Erkrankung zu werten [20]. Eine exakte<br />

Arbeitsanamnese ist aber in jedem Fall zu erheben.<br />

4.1.2 Lungenkrebs (BK Nr. 4104 oder 4114)<br />

Der durch Asbestfasern bzw. durch das Zusammenwirken von<br />

Asbestfasern <strong>und</strong> polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen<br />

(PAK) bedingte Lungenkrebs (BK Nr. 4104 bzw. 4114)<br />

weist klinisch <strong>und</strong> diagnostisch keine wesentlichen Unterscheidungsmerkmale<br />

gegenüber einem Lungenkrebs anderer Ätiologie<br />

auf. Feingeweblich werden alle bekannten Tumorformen gef<strong>und</strong>en.<br />

Differenzialdiagnostisch müssen insbesondere Lungenmetastasen<br />

eines anderen Primärtumors ausgeschlossen werden.<br />

Die Frühsymptome sind uncharakteristisch. Beispielhaft zu nennen<br />

sind therapieresistenter Reizhusten, blutiger Auswurf, Atelektasen<br />

<strong>und</strong> bronchopneumonische Prozesse mit verzögerter<br />

Heilungstendenz. Bildgebende Verfahren, Sputumuntersuchungen<br />

auf tumorverdächtige Zellen <strong>und</strong> bronchoskopische Gewebsentnahme<br />

mit pathologisch-histologischer Untersuchung stützen<br />

die Verdachtsdiagnose. Bei Asbestfaserstaub-Einwirkung in<br />

der Arbeitsanamnese sind röntgenologisch objektivierte Lungenveränderungen<br />

<strong>und</strong> jeder radiologische Bildwandel dringend abzuklären.<br />

Eine frühzeitige bioptische Klärung ist bei Tumorverdacht anzustreben.<br />

Beim Vorliegen einer Asbestose (einschließlich einer Minimalasbestose;<br />

siehe Kapitel 4.5.1.1) oder <strong>asbestbedingter</strong> benigner<br />

Pleuraveränderungen ist das Lungenkrebsrisiko erhöht (vgl.<br />

Merkblatt zu BK Nr. 4104 [5]). Im Ursachenspektrum des Lungenkrebses<br />

sind weitere äußere Einflüsse wesentlich [21]. An erster<br />

Stelle ist das Zigarettenrauchen zu nennen. Unter den Risikofaktoren<br />

des Arbeitsplatzes besitzt Asbestfaserstaub Priorität. Die<br />

Asbestfaserstaub-Einwirkung am Arbeitsplatz <strong>und</strong> die Zigarettenrauchinhalation<br />

wirken offensichtlich multiplikativ hinsichtlich<br />

der Risikosteigerung zusammen. Eine längerfristige, intensive<br />

Einwirkung von Asbestfaserstaub am Arbeitsplatz erhöht das<br />

Gr<strong>und</strong>risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, sowohl bei Nichtrauchern<br />

als auch bei Zigarettenrauchern um ein Mehrfaches.<br />

Weitere Ausführungen bezüglich des Lungenkrebses in Verbindung<br />

mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch<br />

asbestfaserstaubverursachter Erkrankung der Pleura finden sich<br />

im Merkblatt zur BK Nr. 4104 [5], bezüglich des Lungenkrebses<br />

durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub <strong>und</strong> PAH in<br />

der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 4114 [6], bezüglich<br />

des durch Asbest verursachten Mesothelioms des Rippenfells<br />

<strong>und</strong> des Bauchfells im Merkblatt zur BK Nr. 4105 [22].<br />

4.1.3 Kehlkopfkrebs (BK Nr. 4104)<br />

Mit der Änderung der BK-Liste im Jahre 1997 [5] wurde auch die<br />

Anerkennung eines Kehlkopfkarzinoms nach Asbestfaserstaubexposition<br />

im Rahmen der BK 4104 möglich. Neben Asbest können<br />

Kehlkopfkarzinome auch durch andere berufliche Noxen verursacht<br />

oder mitverursacht werden (ionisierende Strahlen, Chromate,<br />

Arsen u.a.), die teilweise in der <strong>Berufskrankheiten</strong>liste genannt<br />

sind. Wesentliche, in der Regel außerberufliche ätiologische<br />

Faktoren eines Kehlkopfkarzinoms sind ein chronischer Alkohol-<br />

<strong>und</strong>/oder Tabakkonsum.<br />

Prädilektionsstellen für das Auftreten von Karzinomen innerhalb<br />

des Kehlkopfes sind die Stimmbänder (glottische Tumoren – ca.<br />

⅔ der Fälle) sowie die Region oberhalb der Stimmbänder (supraglottische<br />

Tumoren). Karzinome unterhalb der Stimmbandebene<br />

sind selten. Von Kehlkopfkarzinomen sind die Hypopharynxkarzinome<br />

abzugrenzen. Diese sind ausserhalb des Kehlkopfes lokalisiert<br />

<strong>und</strong> können nicht im Rahmen der BK 4104 anerkannt werden.<br />

Epidemiologisch konnte bisher eine Asbestmitverursachung<br />

nur für das Kehlkopfkarzinom wahrscheinlich gemacht werden.<br />

Die klinischen Symptome sind abhängig von Lokalisation <strong>und</strong><br />

Ausdehnung des Tumors.<br />

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Baur X et al. <strong>Diagnostik</strong> <strong>und</strong> <strong>Begutachtung</strong> <strong>asbestbedingter</strong> <strong>Berufskrankheiten</strong> … Pneumologie 2011; 65: e1– e47

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