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Eurolinguistik im Schatten der Globalisierung - Plansprachen.ch

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<strong>Eurolinguistik</strong> <strong>im</strong> <strong>S<strong>ch</strong>atten</strong> <strong>der</strong> <strong>Globalisierung</strong><br />

Bu<strong>ch</strong>- und Themenbespre<strong>ch</strong>ung zum Titel: Hinri<strong>ch</strong>s, Uwe (Hrsg.): Handbu<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Eurolinguistik</strong>. Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2010. 993 S.<br />

Die <strong>Eurolinguistik</strong> ist na<strong>ch</strong> Uwe Hinri<strong>ch</strong>s <strong>der</strong> linguistis<strong>ch</strong>e Zweig einer neuen, <strong>im</strong> Prinzip<br />

kulturanthropologis<strong>ch</strong> angelegten Super-Disziplin, die Namen wie Europäistik, Eurologie o<strong>der</strong><br />

Europafors<strong>ch</strong>ung trägt und si<strong>ch</strong> interdisziplinär mit Kultur, Wirts<strong>ch</strong>aft, Re<strong>ch</strong>t, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

Spra<strong>ch</strong>en usw. des Kulturraums Europa befasst.<br />

Nun liegt etwa 20 Jahre na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Erfindung <strong>der</strong> ‚<strong>Eurolinguistik</strong>’ ein fast tausend Seiten<br />

umfassendes Handbu<strong>ch</strong> vor, das dieses Thema, inzwis<strong>ch</strong>en zum akademis<strong>ch</strong>en Fa<strong>ch</strong> avanciert,<br />

<strong>der</strong> interessierten Öffentli<strong>ch</strong>keit s<strong>ch</strong>mackhaft ma<strong>ch</strong>en mö<strong>ch</strong>te. Herausgeber Uwe Hinri<strong>ch</strong>s<br />

(Leipzig) ist selbst erstaunt, „dass es ein sol<strong>ch</strong>es Handbu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on längst gibt“, hält er es<br />

„angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> forts<strong>ch</strong>reitenden Entwicklung von EU und Europa-Wissens<strong>ch</strong>aften“ do<strong>ch</strong> für<br />

„eine dringende linguistis<strong>ch</strong>e, politis<strong>ch</strong>e, viellei<strong>ch</strong>t geopolitis<strong>ch</strong> relevante, ganz si<strong>ch</strong>er aber eine<br />

didaktis<strong>ch</strong>-curriculare Notwendigkeit“. Es ist natürli<strong>ch</strong>, dass neue (Konkurrenz-)Ideen gerade in<br />

den ho<strong>ch</strong>konservativen universitären Traditionsdisziplinen anfängli<strong>ch</strong> auf viel Skepsis,<br />

Vorurteile und Ablehnung stossen. Aber viellei<strong>ch</strong>t verbirgt si<strong>ch</strong> hinter dem griffigen Begriff<br />

‚<strong>Eurolinguistik</strong>’ ja mehr als nur ein trendiges Modewort, das einer kleinen elitären Zunft von<br />

idealistis<strong>ch</strong>en Akademikern zur Re<strong>ch</strong>tfertigung dient, <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Europastudien etwas<br />

Neues, Originelles und politis<strong>ch</strong>-gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> Nützli<strong>ch</strong>es zu ers<strong>ch</strong>affen, spri<strong>ch</strong> die alten,<br />

s<strong>ch</strong>einbar etwas müde gewordenen Disziplinen wie Germanistik, Romanistik, Slavistik,<br />

Indogermanistik usw. vor ihrem mögli<strong>ch</strong>en Untergang zu bewahren und auf eine mo<strong>der</strong>nere<br />

Grundlage zu stellen.<br />

Folgt man einem weiteren ‚Werbespru<strong>ch</strong>’ von Uwe Hinri<strong>ch</strong>s, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> neben Norbert<br />

Reiter (+2009) als einer <strong>der</strong> ‚Patriar<strong>ch</strong>en’ <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> profilieren konnte, präsentiert si<strong>ch</strong><br />

diese neue Studienri<strong>ch</strong>tung „interdisziplinär, kulturologis<strong>ch</strong> und weltoffen“, ja sogar<br />

„transkulturell“, und <strong>im</strong> Internet findet man die Definition „spra<strong>ch</strong>grenzübergreifend“. Aber,<br />

und so klingt die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille, es könne von einer „wirkli<strong>ch</strong>en Integration <strong>der</strong><br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Verzweigungen“ trotz einer „stürmis<strong>ch</strong>en Entwicklung“ in den 90er Jahren zum<br />

gegenwärtigen Zeitpunkt, „no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wirkli<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en werden“, und in wel<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tung<br />

si<strong>ch</strong> die <strong>Eurolinguistik</strong> weiterentwickeln wird, sei zur Zeit ebenfalls s<strong>ch</strong>wer zu sagen (S. 1/2).<br />

Der Werbeprospekt <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> enthält no<strong>ch</strong> mehr: So soll dur<strong>ch</strong> die<br />

<strong>Eurolinguistik</strong> das Bewusstsein einer gemeinsamen Identität unter den Europäern geför<strong>der</strong>t, das<br />

Bewusstsein eines gemeinsamen Kulturraums entwickelt, die Vielfalt <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>en und<br />

Kulturen in Europa als gemeinsames Erbe erhalten und gepflegt, die vielfältigen Spra<strong>ch</strong>kontakte<br />

zwis<strong>ch</strong>en den europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en in Ost und West erfors<strong>ch</strong>t werden. Na<strong>ch</strong> Harald<br />

Haarmann (Helsinki), <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> für seine Theorien eine geeignete Nis<strong>ch</strong>e<br />

gefunden zu haben s<strong>ch</strong>eint, sollen Europafors<strong>ch</strong>ung und <strong>Eurolinguistik</strong> für den Aufbau einer<br />

europäis<strong>ch</strong>en Identität <strong>im</strong>pulsgebend sein. Sein Beitrag trägt den Titel „Theoretis<strong>ch</strong>e<br />

Grundlagen <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> als konstitutive Domäne <strong>der</strong> Europafors<strong>ch</strong>ung“. Zu den hehren<br />

Ambitionen <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> gehört ferner <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong>, ein Konzept <strong>der</strong> Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit für<br />

Europa zu erstellen (interessant: um die „absolute Vorherrs<strong>ch</strong>aft des Englis<strong>ch</strong>en zu<br />

relativieren“) und die Spra<strong>ch</strong>enwelt Europas vor dem Hintergrund <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Spra<strong>ch</strong>kreise in<br />

<strong>der</strong> Welt genauer zu modellieren. Zum Rahmen des Fa<strong>ch</strong>s gehört selbstverständli<strong>ch</strong> die<br />

„effektive“ Koordination <strong>der</strong> eurolinguistis<strong>ch</strong>en Aktivitäten, die Öffentli<strong>ch</strong>keitsarbeit, die<br />

För<strong>der</strong>ung eurolinguistis<strong>ch</strong>er Fors<strong>ch</strong>ungsprojekte und die Implementation <strong>der</strong> neuen Disziplin in<br />

die Europa-bezogenen Studiengänge. Vorgesehen ist „<strong>im</strong> Laufe <strong>der</strong> nä<strong>ch</strong>sten 20 Jahre“ die<br />

1


Gründung neuer Lehrstühle, Zentren, Studiengänge und Projekte. Mit ELAMA 1 , IZ ZEUS,<br />

EUROTYP u.a. Programmen sind Anfänge gema<strong>ch</strong>t worden. Alles gut und re<strong>ch</strong>t, man kann<br />

überhaupt keinen Einwand gegen diese s<strong>ch</strong>önen Pläne haben (die hoffentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t versanden<br />

werden) und sie nur voll unterstützen. Dass es die <strong>Eurolinguistik</strong> trotz grosser Begeisterung aber<br />

s<strong>ch</strong>wer haben dürfte, verhe<strong>im</strong>li<strong>ch</strong>t Hinri<strong>ch</strong>s dur<strong>ch</strong>aus ni<strong>ch</strong>t. Dem Aufbau einer s<strong>ch</strong>lagkräftigen<br />

und allgemein anerkannten <strong>Eurolinguistik</strong> stehen nämli<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Hürden und Hin<strong>der</strong>nisse<br />

diametral <strong>im</strong> Weg, von denen etwa <strong>der</strong> dramatis<strong>ch</strong>e Abbau in den Geisteswissens<strong>ch</strong>aften (das ist<br />

sehr s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ! aK), die mangelhafte Institutionalisierung <strong>der</strong> europabezogenen Fors<strong>ch</strong>ung und<br />

Lehre und das Fehlen von eurolinguistis<strong>ch</strong>en Konzepten und Komponenten zu den s<strong>ch</strong>ärfsten<br />

gehören dürften. Haarmann warnt: Die interdisziplinäre Fors<strong>ch</strong>ung, die si<strong>ch</strong> auf Europa und<br />

seine Spra<strong>ch</strong>envielfalt konzentriert, läuft Gefahr, si<strong>ch</strong> <strong>im</strong> Selbstzweck zu verlieren (S. 43).<br />

Au<strong>ch</strong> die neuartige, <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> angepasste Terminologie ma<strong>ch</strong>t ein wenig stutzig<br />

und ist gewöhnungsbedürftig: Gemeinsame Züge in den Spra<strong>ch</strong>en Europas werden meist mit<br />

den Termini ‚Europem’ (Harald Haarmann), ‚Europäismus’ (Martin Haspelmath) o<strong>der</strong><br />

‚Euroversal’ (Bernd Kortmann) bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Spra<strong>ch</strong>lands<strong>ch</strong>aft Europa<br />

Begriff, Definition, Perspektiven und Realität <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> hin o<strong>der</strong> her, das<br />

Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis des neuen Bu<strong>ch</strong>es verspri<strong>ch</strong>t denno<strong>ch</strong> sehr viel interessanten Stoff, mit dem<br />

si<strong>ch</strong> eine Auseinan<strong>der</strong>setzung, eine Vertiefung zweifellos lohnt. Haarmanns Einstiegsbeitrag<br />

führt ras<strong>ch</strong> zur Bestätigung des Vorurteils: <strong>Eurolinguistik</strong> s<strong>ch</strong>eint ein (faszinierendes) Fa<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Beliebigkeit zu sein, in dem alles, was au<strong>ch</strong> nur <strong>im</strong> Geringsten und Entferntesten mit<br />

europäis<strong>ch</strong>er Kultur, mit ‚Europäizität’, zusammenhängt, in den Blickfang gerät und<br />

erfors<strong>ch</strong>ungswürdig ers<strong>ch</strong>eint: Hier die legendäre Indoeuropäisierung des Kontinents, dort seine<br />

Romanisierung, hier die lateinis<strong>ch</strong>e Kultur, dort die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>-byzantinis<strong>ch</strong>e, hier Etruskis<strong>ch</strong>,<br />

dort Baskis<strong>ch</strong> und die Glagolica des Heiligen Kyrill. Selbst Kreolis<strong>ch</strong>, Mauritius und Anatolien<br />

s<strong>ch</strong>einen no<strong>ch</strong> relevant zu sein, und sogar Künstler wie Brâncuşi, Moore und Giacometti werden<br />

in die Betra<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> miteinbezogen. Ein breit angelegtes, weitflä<strong>ch</strong>iges Fa<strong>ch</strong>,<br />

das umfangrei<strong>ch</strong>es Wissen voraussetzt, viel Wissen produziert und das wohl niemand wirkli<strong>ch</strong><br />

zu bewältigen vermag. Mit <strong>der</strong> Abhandlung <strong>der</strong> landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

„Lateineuropas“ holt Mi<strong>ch</strong>ael Mitterauer in seinem Beitrag über die Beson<strong>der</strong>heit(en) des<br />

historis<strong>ch</strong>en Raums Europa no<strong>ch</strong> weiter aus und verglei<strong>ch</strong>t die religiösen Strukturen des<br />

Okzidents mit dem islamis<strong>ch</strong>en Kulturraum, um s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> auf die Entwicklung des<br />

Bu<strong>ch</strong>drucks zu spre<strong>ch</strong>en zu kommen.<br />

Die <strong>Eurolinguistik</strong> s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> also mindestens aus den folgenden Rahmenthemen<br />

zusammenzusetzen, die zuglei<strong>ch</strong> die Hauptkapitel des Bu<strong>ch</strong>s bilden: 1. Raum Europa (3<br />

Beiträge), 2. Die Spra<strong>ch</strong>en in Europa (11), 3. Areal, Spra<strong>ch</strong>typen und Spra<strong>ch</strong>bund Europa (9), 4.<br />

Die linguistis<strong>ch</strong>en Ebenen (11), 5. Spra<strong>ch</strong>politik, Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit und Verkehrsspra<strong>ch</strong>e,<br />

Hintergrund <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong>. Abges<strong>ch</strong>lossen wird <strong>der</strong> Band mit dem Rahmenthema<br />

Hintergrund (Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te) <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> (8).<br />

Be<strong>im</strong> Versu<strong>ch</strong>, die spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Grenzen <strong>im</strong> Osten zu definieren, s<strong>ch</strong>lägt Siegfried<br />

Tornow vor, Europas Ostgrenzen an die bulgaris<strong>ch</strong>e, albanis<strong>ch</strong>e, grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e, tataris<strong>ch</strong>e,<br />

türkis<strong>ch</strong>e, armenis<strong>ch</strong>e und georgis<strong>ch</strong>e Peripherie zu setzen, wo diese europäisierten Ethnien auf<br />

die arabis<strong>ch</strong>e und persis<strong>ch</strong>e Zivilisation stossen. Ausgehend vom Frankenrei<strong>ch</strong> habe si<strong>ch</strong> seit<br />

dem Mittelalter die Grenze Europas ständig na<strong>ch</strong> Osten vers<strong>ch</strong>oben. Geographis<strong>ch</strong> ist das<br />

‚Einzugsgebiet’ <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> somit sehr ausgedehnt. Was aber Ulf Brunnbauer über den<br />

1 S. www.elama.de<br />

2


Balkan s<strong>ch</strong>reibt, las man in ähnli<strong>ch</strong>er Weise s<strong>ch</strong>on an<strong>der</strong>swo – <strong>der</strong> Bezug dieses dur<strong>ch</strong>aus<br />

lesenswerten Beitrags zur <strong>Eurolinguistik</strong> bleibt unklar.<br />

Auf über 260 Seiten werden <strong>im</strong> Folgenden die Spra<strong>ch</strong>gruppen und Spra<strong>ch</strong>en Europas<br />

abgehandelt. Von den 6417 Spra<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Welt werden in Europa nur gerade 143 in<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>em Grad verwendet. In seinem Übersi<strong>ch</strong>tsbeitrag über die Spra<strong>ch</strong>lands<strong>ch</strong>aft<br />

Europas weist Harald Haarmann, ein in Finnland leben<strong>der</strong> ausgewiesener Kenner <strong>der</strong><br />

europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en, auf einige Beson<strong>der</strong>heiten hin, die es zu studieren gilt. Dazu zählen<br />

neben den auto<strong>ch</strong>thonen Spra<strong>ch</strong>en Europas au<strong>ch</strong> das Problem <strong>der</strong> Immigrantenspra<strong>ch</strong>en, die in<br />

den 1990er Jahren an Quantität und Intensität zugenommen haben, aber au<strong>ch</strong> isolierte<br />

Einzelspra<strong>ch</strong>en wie Baskis<strong>ch</strong>, Maltesis<strong>ch</strong>, Grönländis<strong>ch</strong>, Isländis<strong>ch</strong>, Livis<strong>ch</strong>, dessen letzter<br />

Mutterspra<strong>ch</strong>ler <strong>im</strong> Februar (ni<strong>ch</strong>t <strong>im</strong> April) 2009 gestorben ist, sowie das altaiis<strong>ch</strong>-mongolis<strong>ch</strong>e<br />

Kalmückis<strong>ch</strong>, faktis<strong>ch</strong> die östli<strong>ch</strong>ste Spra<strong>ch</strong>e auf dem europäis<strong>ch</strong>en Kontinent. Von Interesse<br />

wird aber au<strong>ch</strong> das spra<strong>ch</strong>planeris<strong>ch</strong>e Exper<strong>im</strong>ent des Moldauis<strong>ch</strong>en gehalten, das seit dem<br />

Untergang <strong>der</strong> Sowjetunion zugunsten des Rumänis<strong>ch</strong>en an Aktualität eingebüsst hat. Wi<strong>ch</strong>tige<br />

Untersu<strong>ch</strong>ungen zu diesem Thema stammen aus den Jahren 1965, 1978 und 1980, sind also<br />

älteren Datums. Zu Bea<strong>ch</strong>ten ist au<strong>ch</strong> die Entwicklung <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e in <strong>der</strong> DDR und<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit geniessen in <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> au<strong>ch</strong><br />

die vers<strong>ch</strong>iedenen historis<strong>ch</strong>en arabis<strong>ch</strong>en Kulturräume und die hebräis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>kultur, die die<br />

Völker Alteuropas prägten. Ein weiteres Thema ist die Entwicklung genuin europäis<strong>ch</strong>er<br />

Spra<strong>ch</strong>en wie das Englis<strong>ch</strong>e, Französis<strong>ch</strong>e, Spanis<strong>ch</strong>e, Portugiesis<strong>ch</strong>e, Russis<strong>ch</strong>e – und<br />

Deuts<strong>ch</strong>e 2 – hin zu globalen Spra<strong>ch</strong>en.<br />

Die allgemeinen Übersi<strong>ch</strong>tsdarstellungen für die einzelnen Spra<strong>ch</strong>gruppen – so die<br />

germanis<strong>ch</strong>en (Janet Duke und Britta Hufeisen), slavis<strong>ch</strong>en (Monika Wingen<strong>der</strong>), romanis<strong>ch</strong>en<br />

(Wolfgang Dahmen), finnougris<strong>ch</strong>en (Eberhard Winkler), baltis<strong>ch</strong>en (Rainer Eckert) und<br />

inselkeltis<strong>ch</strong>en (Britta Irslinger) – sind insgesamt dur<strong>ch</strong>aus lesenswert; <strong>im</strong> Unters<strong>ch</strong>ied zu<br />

älteren Präsentationen wurden sie aktualisiert, so etwa <strong>im</strong> Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> neueren Entwicklung bei<br />

den Slavinen und bei den slavis<strong>ch</strong>en Mikrospra<strong>ch</strong>en. Sonst enthalten sie aber meist Bekanntes<br />

und zei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> keine innovativen methodologis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ungsansätze aus, was von<br />

den Eurolinguisten nun zu erwarten wäre. Interessanter ist <strong>der</strong> Beitrag über die vorrömis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en auf <strong>der</strong> iberis<strong>ch</strong>en Halbinsel (lei<strong>der</strong> fehlt ein analoger Aufsatz über die vorrömis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en auf <strong>der</strong> Balkanhalbinsel). Im Beitrag über die germanis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en wird gezeigt,<br />

dass eine Spra<strong>ch</strong>e wie das Isländis<strong>ch</strong>e eine konservative und komplexe Morphologie besitzt und<br />

daher mit dem Bulgaris<strong>ch</strong>en, das am an<strong>der</strong>en Ende des Kontinents verwendet wird, zu<br />

verglei<strong>ch</strong>en wäre. Die ausführli<strong>ch</strong>e Studie über das Baskis<strong>ch</strong>e (K<strong>im</strong> McCone) bestätigt, dass die<br />

Fors<strong>ch</strong>ung <strong>im</strong> Prinzip über keine neuen Erkenntnisse verfügt, was die Herkunft dieser na<strong>ch</strong> wie<br />

vor rätselhaften Spra<strong>ch</strong>e erhellen könnte. Der Beitrag von Christan S<strong>ch</strong>mitt über die Bedeutung<br />

des Lateins für die spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Europäisierung wurde mit Beispielen und kaum<br />

na<strong>ch</strong>vollziehbaren Graphiken überfra<strong>ch</strong>tet. Bei einigen Bibliographien mangelt es an diversen<br />

wi<strong>ch</strong>tigen Titeln – unerwähnt blieb so z.B. das zweibändige Standardwerk A.D. Duličenkos<br />

(Tartu) über die slavis<strong>ch</strong>en Mikrospra<strong>ch</strong>en, ein bemerkenswertes Harrassowitz-Bu<strong>ch</strong> über die<br />

Mari und Mordwinen o<strong>der</strong> die eins<strong>ch</strong>lägigen Bü<strong>ch</strong>er von Arthur Baur über das<br />

S<strong>ch</strong>weizerdeuts<strong>ch</strong>e, das <strong>im</strong> Bu<strong>ch</strong> zu kurz kommt. Abges<strong>ch</strong>lossen wird <strong>der</strong> zweite Teil des Bu<strong>ch</strong>s<br />

mit einem von Harald Haarmann erstellten Kapitel, das unter dem Titel externe Linguistik steht<br />

und einen Teil <strong>der</strong> Soziolinguistik tangiert. Es beinhaltet u.a. eine Rücks<strong>ch</strong>au über die<br />

prestigemässige Aufwertung europäis<strong>ch</strong>er Volksspra<strong>ch</strong>en seit <strong>der</strong> frühen Neuzeit und behandelt<br />

aktuelle Fragen wie spra<strong>ch</strong>politis<strong>ch</strong>e Parameter <strong>der</strong> eurolinguistis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung,<br />

Amtsspra<strong>ch</strong>enregelung und Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit in Belgien und Finnland, ferner Auswirkungen<br />

des <strong>Globalisierung</strong>sprozesses auf die Spra<strong>ch</strong>en Europas am Beispiel <strong>der</strong> starken Beeinflussung<br />

einzelner multilingualer Kontaktgebiete (z.B. Katalonien o<strong>der</strong> Tatarstan) dur<strong>ch</strong> das Englis<strong>ch</strong>e<br />

2 S. http://www.bgdv.be/Dokumente/GM-Texte/gm59_koenig.pdf<br />

3


sowie kontaktlinguistis<strong>ch</strong>e Parameter <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>gefährdung und des Spra<strong>ch</strong>verlusts (am<br />

Beispiel des Inselkeltis<strong>ch</strong>en). Um gefährdete Regionalkulturen Europas zu s<strong>ch</strong>ützen, ist Anfang<br />

März 2007 die von <strong>der</strong> UNESCO verabs<strong>ch</strong>iedete ‚Convention on the protection and promotion<br />

of the diversity of cultural expressions’ in Kraft getreten. Sollte diese Konvention tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

Bea<strong>ch</strong>tung finden, so wäre dies na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Meinung Haarmanns in <strong>der</strong> Tat das bisher effektivste<br />

Instrument globaler Bewusstseinsbildung für den S<strong>ch</strong>utz kultureller und spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Vielfalt in<br />

<strong>der</strong> Welt.<br />

Spra<strong>ch</strong>areale, Spra<strong>ch</strong>typen und Spra<strong>ch</strong>bünde in Europa<br />

Wegen vieler für Laien ungewohnter Fa<strong>ch</strong>termini wirkt Kapitel III über Spra<strong>ch</strong>areale,<br />

Spra<strong>ch</strong>typen und Spra<strong>ch</strong>bünde in Europa anspru<strong>ch</strong>svoller, aber umso interessanter. Anhand von<br />

fünf typologis<strong>ch</strong>en Kriterien sortiert Georg Bossong die europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en in ergativis<strong>ch</strong>e<br />

und akkusativis<strong>ch</strong>e, zentrifugale und zentripetale, abstrakte und spezifikative Spra<strong>ch</strong>en.<br />

Während ein Teil <strong>der</strong> europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en wie das Baskis<strong>ch</strong>e, Isländis<strong>ch</strong>e, Kaukasis<strong>ch</strong>e von<br />

einem komplexen Formalismus <strong>ch</strong>arakterisiert wird, haben Spra<strong>ch</strong>en wie das Festland-<br />

Skandinavis<strong>ch</strong>e, Englis<strong>ch</strong>e, Romanis<strong>ch</strong>e, Maltesis<strong>ch</strong>e und Bulgaris<strong>ch</strong>-Makedonis<strong>ch</strong>e Teile ihres<br />

Spra<strong>ch</strong>baus erhebli<strong>ch</strong> vereinfa<strong>ch</strong>t. Das Englis<strong>ch</strong>e hat bekanntli<strong>ch</strong> seine morphologis<strong>ch</strong>e<br />

Komplexität extrem abgebaut, was es als Lingua Franca qua Weltspra<strong>ch</strong>e trotz einiger Na<strong>ch</strong>teile<br />

für beson<strong>der</strong>s taugli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>einen lässt. Was das Kasus- und Verbsystem europäis<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>en<br />

anbelangt, steht man vor einem speziellen Phänomen: Ganz <strong>im</strong> Westen des Kontinents finden<br />

si<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>en, die eine rei<strong>ch</strong>e Kasus-Flexion aufweisen, während <strong>im</strong> Zentrum die ursprüngli<strong>ch</strong>e<br />

Kasus-Flexion vers<strong>ch</strong>wunden ist. Der Osten hingegen wird von Spra<strong>ch</strong>familien beherrs<strong>ch</strong>t, in<br />

denen si<strong>ch</strong> die rei<strong>ch</strong>en Kasus-Systeme wie<strong>der</strong>um erhalten haben und teilweise sogar no<strong>ch</strong><br />

ausgebaut wurden. So stellt si<strong>ch</strong> <strong>im</strong> Beitrag von Thomas Stolz das Thema <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>bünde von<br />

Neuem. Im Unters<strong>ch</strong>ied zu einer Spra<strong>ch</strong>familie ist von einem ‚Spra<strong>ch</strong>bund’ dann die Rede,<br />

wenn geographis<strong>ch</strong> bena<strong>ch</strong>barte Spra<strong>ch</strong>en mehrere bemerkenswerte Eigens<strong>ch</strong>aften gemeinsam<br />

haben, die ni<strong>ch</strong>t auf genetis<strong>ch</strong>er Verwandts<strong>ch</strong>aft beruhen können, son<strong>der</strong>n das Ergebnis von<br />

Spra<strong>ch</strong>kontakt sein müssen. (Def. Zit. S. 431). Spra<strong>ch</strong>bünde erfor<strong>der</strong>n mindestens zwei<br />

Isoglossen, ihre Bündelung soll einmalig sein, und die Kontakte unter diesen Spra<strong>ch</strong>en sind<br />

meist intensiv und langfristig. Spra<strong>ch</strong>bünde sind aber au<strong>ch</strong> Konstrukte <strong>der</strong> Linguisten. Am<br />

bekanntesten ist wohl <strong>der</strong> Balkanspra<strong>ch</strong>bund, dem das Rumänis<strong>ch</strong>-Moldauis<strong>ch</strong>e, Bulgaris<strong>ch</strong>-<br />

Makedonis<strong>ch</strong>e, Albanis<strong>ch</strong>e, Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e und Türkis<strong>ch</strong>e angehöre. Definiert wurden aber au<strong>ch</strong><br />

an<strong>der</strong>e Spra<strong>ch</strong>bundzonen wie die SAE-Zone für das Deuts<strong>ch</strong>e, Englis<strong>ch</strong>e, Französis<strong>ch</strong>e,<br />

Italienis<strong>ch</strong>e und Russis<strong>ch</strong>e, die Wikinger-Zone, die alle nordgermanis<strong>ch</strong>en und keltis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en sowie das Samis<strong>ch</strong>e, Finnis<strong>ch</strong>e und Wepsis<strong>ch</strong>e umfassen. Die Litoral-Zone bezieht<br />

si<strong>ch</strong> auf den Spra<strong>ch</strong>bund des Friesis<strong>ch</strong>en, Nie<strong>der</strong>ländis<strong>ch</strong>en, Baskis<strong>ch</strong>en, Spanis<strong>ch</strong>en,<br />

Portugiesis<strong>ch</strong>en, Maltesis<strong>ch</strong>en, und die Donau-Zone beinhaltet das Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e, Slovakis<strong>ch</strong>e,<br />

Slovenis<strong>ch</strong>e, Kroatis<strong>ch</strong>-Serbis<strong>ch</strong>e-Bosnis<strong>ch</strong>e und Ungaris<strong>ch</strong>e. Die Anfänge <strong>der</strong> sogenannten<br />

Areallinguistik gehen auf die Zeit ab 1942 zurück; ernsthafte Versu<strong>ch</strong>e, diesem Zweig <strong>der</strong><br />

Linguistik erstmals auf ein wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> tragfähiges Fundament zu stellen, stammen aus den<br />

späten 1970er und den 80er Jahren.<br />

Die s<strong>ch</strong>einbar s<strong>ch</strong>on etwas abgegriffene Diskussion um die Konsistenz des<br />

Balkanspra<strong>ch</strong>bundes - <strong>der</strong> Begriff wurde erstmals 1928 von Troubetzkoy geprägt - dreht si<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> <strong>im</strong> Beitrag Armin Hetzlers um eine neue Runde. Die vorläufige S<strong>ch</strong>lussfolgerung s<strong>ch</strong>eint<br />

zu lauten, dass dem engeren Balkanspra<strong>ch</strong>bund in erster Linie wohl nur das Rumänis<strong>ch</strong>e,<br />

Bulgaris<strong>ch</strong>e und Albanis<strong>ch</strong>e angehören, während ihm <strong>im</strong> weiteren balkanlinguistis<strong>ch</strong>en Kontext<br />

wegen <strong>der</strong> interessanten Konvergenzen und Interferenzen au<strong>ch</strong> das Neugrie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e,<br />

Serbokroatis<strong>ch</strong>e und Türkis<strong>ch</strong>e zugere<strong>ch</strong>net werden können. Die beiden unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en und<br />

4


inkompatiblen Listen <strong>der</strong> bisher max<strong>im</strong>al 20 best<strong>im</strong>mten Merkmale des Balkanspra<strong>ch</strong>bunds<br />

regen zum zeitraubenden Verglei<strong>ch</strong> an.<br />

Unter dem massgebli<strong>ch</strong>en Einfluss von Johannes Be<strong>ch</strong>ert stellte si<strong>ch</strong> ein internationales<br />

Fors<strong>ch</strong>ernetzwerk die Aufgabe, mögli<strong>ch</strong>st umfassend die Spra<strong>ch</strong>en Europas na<strong>ch</strong> den Standards<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen funktionalistis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>typologie auf ihre strukturellen Eigens<strong>ch</strong>aften hin zu<br />

dur<strong>ch</strong>mustern und auf dieser Basis festzustellen, ob si<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>bund-relevante Ähnli<strong>ch</strong>keiten<br />

ergeben (Zitat S. 402). Das von <strong>der</strong> ESF (European Science Foundation) geför<strong>der</strong>te und 1990-<br />

94 dur<strong>ch</strong>geführte EUROTYP-Projekt (Typology of Languages in Europe), das etwa 120<br />

Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftlerInnen aus 20 europäis<strong>ch</strong>en Län<strong>der</strong>n zusammenführte, wird von Ekkehard<br />

König, dem damaligen Projekleiter und heutigem Emeritus, selbst vorgestellt. Als Ergebnis<br />

dieser intensiven Fors<strong>ch</strong>ungsarbeit sind Veröffentli<strong>ch</strong>ungen zu insgesamt neun Berei<strong>ch</strong>en<br />

entstanden: Diskurspragmatik, Konstituentenordnung, Komplementsätze, Aktanz und Valenz,<br />

Adverbialkonstruktionen, Tempus und Aspekt, NP-Struktur, Syntax <strong>der</strong> Klitika,<br />

wortprosodis<strong>ch</strong>e Struktur. Es würde den Rahmen sprengen, diese Begriffe hier zu vertiefen. Die<br />

in englis<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e ers<strong>ch</strong>ienenen EUROTYP-Bände sind in <strong>der</strong> Bibliographie erfasst.<br />

Ein komplexer Fall von Areallinguistik wird von Daniel Weiss am Beispiel Osteuropas<br />

und des Spra<strong>ch</strong>kontakts zwis<strong>ch</strong>en dem Ostslavis<strong>ch</strong>en und den übrigen Spra<strong>ch</strong>en in allen<br />

Einzelheiten abgehandelt. Aus <strong>der</strong> Darstellung geht unter an<strong>der</strong>em deutli<strong>ch</strong> hervor, dass na<strong>ch</strong><br />

einer langen Periode <strong>der</strong> Russifizierung in <strong>der</strong> Sowjetunion eigentli<strong>ch</strong> fast sämtli<strong>ch</strong>e auf dem<br />

Areal <strong>der</strong> Russis<strong>ch</strong>en Fö<strong>der</strong>ation verwendeten Spra<strong>ch</strong>en mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> als vom Aussterben<br />

gefährdet bezei<strong>ch</strong>net werden müssen. Lei<strong>der</strong> werden keine Strategien aufgezeigt, wie diese<br />

gefährdeten Idiome in Russland vom Untergang bewahrt werden könnten. Russland s<strong>ch</strong>eint<br />

ni<strong>ch</strong>t zu den Signatarstaaten <strong>der</strong> oben erwähnten UNESCO-Konvention zu gehören, 3 Belarus<br />

hingegen s<strong>ch</strong>on. (Neben den drei baltis<strong>ch</strong>en Staaten fühlt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Russland ni<strong>ch</strong>t an die von<br />

Weiss erwähnte Europäis<strong>ch</strong>e Charta <strong>der</strong> Regional- o<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heitenspra<strong>ch</strong>en SEV-Nr. 148<br />

gebunden; sie wurde von Moskau <strong>im</strong> Jahr 2001 zwar unterzei<strong>ch</strong>net, aber nie ratifiziert). Die<br />

Praxis zeigt, dass viele Staaten, die ihre Min<strong>der</strong>heitenfragen no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zur vollen Zufriedenheit<br />

aller Beteiligten gelöst haben, von eins<strong>ch</strong>lägigen Konventionen und Chartas offenbar wenig<br />

halten. Ausser <strong>der</strong> lapidaren Bemerkung, dass dem Weissrussis<strong>ch</strong>en „eher Symbolfunktion“<br />

zukommt (ja lei<strong>der</strong>! müsste man hinzufügen), werden die verheerenden Folgen <strong>der</strong><br />

Lukas<strong>ch</strong>enko-Politik für diese Spra<strong>ch</strong>e und ihre Träger mit keinem Wort kritisiert. Mit dem<br />

unglückli<strong>ch</strong>en Satz auf S. 445, dass „ausser in Weissrussland und Moldavien Russis<strong>ch</strong> nirgends<br />

den Status einer zweiten Staatsspra<strong>ch</strong>e geniesst“, s<strong>ch</strong>eint Weiss suggerieren zu wollen, dass es<br />

für die ehemaligen Sowjetrepubliken wohl besser gewesen wäre, Russis<strong>ch</strong> als Staatsspra<strong>ch</strong>e zu<br />

behalten o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> einzuführen. Weiss’ unverkennbare Antipathie gegenüber den baltis<strong>ch</strong>en<br />

Staaten s<strong>ch</strong>eint so weit zu rei<strong>ch</strong>en, dass er sogar dazu tendiert, den Regierungen Estlands und<br />

Lettlands die alleinige S<strong>ch</strong>uld für die ‚Ausgrenzung’ des Russis<strong>ch</strong>en und <strong>der</strong> Russophonen<br />

zuzus<strong>ch</strong>ieben. Diese Unterstellung ist aber fehl am Platz, zumal Estland und Lettland bei <strong>der</strong><br />

Integration <strong>der</strong> russis<strong>ch</strong>en Bevölkerung grosse formale Anstrengungen unternommen haben,<br />

von denen viele Russen gar ni<strong>ch</strong>t profitieren wollten. 4 Die Notwendigkeit und Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> in<br />

den baltis<strong>ch</strong>en Staaten dur<strong>ch</strong>gesetzten Politik, um ni<strong>ch</strong>t zuletzt die Titularspra<strong>ch</strong>en Estnis<strong>ch</strong>,<br />

Lettis<strong>ch</strong> und Litauis<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> Verdrängung dur<strong>ch</strong> das Russis<strong>ch</strong>e zu bewahren, wurde allgemein<br />

erkannt und anerkannt. Diese auto<strong>ch</strong>thonen Spra<strong>ch</strong>en blühen heute wie<strong>der</strong> auf (während das<br />

Livis<strong>ch</strong>e praktis<strong>ch</strong> ausgestorben ist). Weiss’ Gedankengang, dass die Russophonen des<br />

Baltikums darauf verzi<strong>ch</strong>tet hätten, zugunsten ihrer Re<strong>ch</strong>te o<strong>der</strong> für was au<strong>ch</strong> <strong>im</strong>mer die Hilfe<br />

des Kremls in Anspru<strong>ch</strong> zu nehmen, ist abenteuerli<strong>ch</strong> und blauäugig. Während gewisse<br />

3 Denno<strong>ch</strong> existiert ein entspre<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Prospekt auf Russis<strong>ch</strong>, da es si<strong>ch</strong> um eine <strong>der</strong> offiziellen<br />

UNESCO-Spra<strong>ch</strong>en handelt: http://unesdoc.unesco.org/<strong>im</strong>ages/0014/001429/142919r.pdf.<br />

4 Ein Teil <strong>der</strong> russis<strong>ch</strong>en Bevölkerung will si<strong>ch</strong> in Lettland gar ni<strong>ch</strong>t integrieren. S. NZZ vom 29.11.2010,<br />

S. 37.<br />

5


ussis<strong>ch</strong>e Medien no<strong>ch</strong> heute ni<strong>ch</strong>t davor zurücks<strong>ch</strong>recken, na<strong>ch</strong> alter Manier mit provokanten<br />

Kommentaren zu politis<strong>ch</strong>en Ereignissen in Estland und Lettland und mit historiographis<strong>ch</strong>en<br />

Verdrehungen die Erinnerung frustrierter Landsleute an ihr Diasporas<strong>ch</strong>icksal warm zu halten,<br />

war <strong>der</strong> kompromisslose Entzug <strong>der</strong> baltis<strong>ch</strong>en Staaten von <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en und kulturellen<br />

Einflusssphäre Russlands folgeri<strong>ch</strong>tig, und ihre erfolgrei<strong>ch</strong>e Einglie<strong>der</strong>ung in die<br />

westeuropäis<strong>ch</strong>en Strukturen sollte ni<strong>ch</strong>t mehr rückgängig gema<strong>ch</strong>t werden können.<br />

Diesen Beiträgen folgen vier Artikel in englis<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e. Sie behandeln alle<br />

geohistoris<strong>ch</strong>e und linguistis<strong>ch</strong>e Überlappungen (Interferenzen, Konvergenzen und<br />

Transferenzen) <strong>im</strong> nordost-, ostmittel- und südosteuropäis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>. Sture Ureland 5 arbeitet<br />

„euro-atlantis<strong>ch</strong>e“ und „euro-asiatis<strong>ch</strong>e“ Konvergenzen heraus, die etwa anhand von<br />

Respektstiteln (khan, bojarin), Klei<strong>der</strong>/Textilien (kaftan, kil<strong>im</strong>), Gebäuden und Ausrüstung<br />

(kabak, divan), <strong>der</strong> Meteorologie (burja) und dem Handel (torg, tlumacz) na<strong>ch</strong>gewiesen werden<br />

können. In einer an<strong>der</strong>en Tabelle werden Verwandts<strong>ch</strong>aften bei Possessivkonstruktionen in<br />

zentralen, östli<strong>ch</strong>en und klassis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en aufgezeigt (u menja jest). Eine typis<strong>ch</strong>e Nord-<br />

Ost-Transferenz ist <strong>der</strong> Name Igor’ (von Ingvar) o<strong>der</strong> das Etnonym Varzykin (aus Vaeringer,<br />

Waräger) wie au<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Begriffe aus Handel, S<strong>ch</strong>ifffahrt, Fis<strong>ch</strong>erei, Kleidung usw.<br />

Daneben ist eine Reihe von West-Ost-Transferenzen (wie mebel’, stul, galstuk, sberkassa,<br />

veksel’, plug, šturman, borgomestr, usw.) zu beoba<strong>ch</strong>ten. Alle diese Fakten und Phänomene<br />

sind aber s<strong>ch</strong>on hinlängli<strong>ch</strong> bekannt und werden nun dur<strong>ch</strong> die <strong>Eurolinguistik</strong>, die si<strong>ch</strong> dieser<br />

Themen bemä<strong>ch</strong>tigt hat, erneut serviert. Maria Koptjevskaja-Tamm widmet si<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Situation <strong>im</strong> Ostsee-Raum, um Merkmale <strong>der</strong> dortigen Spra<strong>ch</strong>bünde<br />

herauszuarbeiten. Sie erwähnt den ‚Baltis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>bund’ und den ‚Peipus-Bund’, – alles alte<br />

Themen, die s<strong>ch</strong>on von Haarmann und Décsy in den 70ern behandelt wurden. Bei den<br />

Beispielen muss man genau hins<strong>ch</strong>auen, um die Kontaktverglei<strong>ch</strong>e zwis<strong>ch</strong>en dem Finnis<strong>ch</strong>en,<br />

Russis<strong>ch</strong>en und Baltis<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong>vollziehen zu können. Unter Aktionsarten versteht Ferenc<br />

Kiefer Verbformationen gemäss Bsp. jagen/verjagen, s<strong>ch</strong>lafen/vers<strong>ch</strong>lafen usw. Wie allgemein<br />

bekannt spielt diese Kategorie eine ungemein produktive Rolle in den slavis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en,<br />

wobei bei Definition und praktis<strong>ch</strong>em Verständnis zwis<strong>ch</strong>en Aktionsarten und Verbaspekt eine<br />

s<strong>ch</strong>arfe Trennlinie ni<strong>ch</strong>t <strong>im</strong>mer gezogen wird. In seinem Beitrag zeigt <strong>der</strong> Autor auf, dass<br />

Aktionsarten das Gewöhnli<strong>ch</strong>ste auf <strong>der</strong> Welt au<strong>ch</strong> in Spra<strong>ch</strong>en wie Jiddis<strong>ch</strong>, Ungaris<strong>ch</strong> und<br />

Romanes (Zigeuneris<strong>ch</strong>) sind, illustriert dies mit man<strong>ch</strong>en Beispielen und versu<strong>ch</strong>t, das<br />

Phänomen etwa mit <strong>der</strong> Substrattheorie zu begründen. Bei den entspre<strong>ch</strong>enden Einflüssen <strong>im</strong><br />

Lovari ist <strong>der</strong> Kontakt mit dem Ungaris<strong>ch</strong>en, Slavis<strong>ch</strong>en und Deuts<strong>ch</strong>en unverkennbar. So<br />

kristallisiert si<strong>ch</strong> bei den Aktionsarten ein Spra<strong>ch</strong>bund heraus, <strong>der</strong> ausser dem Slavis<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong><br />

das Ungaris<strong>ch</strong>e, Litauis<strong>ch</strong>e, Jiddis<strong>ch</strong>e, Deuts<strong>ch</strong>e und Zigeuneris<strong>ch</strong>e (Lovari) umfasst und das<br />

Romanis<strong>ch</strong>e, Englis<strong>ch</strong>e und Finnis<strong>ch</strong>e auss<strong>ch</strong>liesst. Die Existenz dieser Kategorie führt Kiefer<br />

eindeutig auf den Einfluss dur<strong>ch</strong> das Slavis<strong>ch</strong>e zurück. Anhand zahlrei<strong>ch</strong>er Beispiele bemühen<br />

si<strong>ch</strong> Bernd Heine und Tania Kuteva, den „Converging grammaticalization process“ in Europa<br />

zu erhellen, <strong>der</strong> wie folgt definiert wird (eine dt. Übersetzung erübrigt si<strong>ch</strong>): „converging<br />

processes… whi<strong>ch</strong> involve the grammars of the contact languages whereby the inter-linguistic<br />

transfer of grammatical meanings and syntactic relations (i.e. the or<strong>der</strong> of meaningful elements)<br />

but not phonological substance ist involved.“ Converging grammaticalization processes seien<br />

aber ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>zusetzen mit grammatical replication. Für ihre Theorien ziehen die Autoren<br />

ziemli<strong>ch</strong> ausgefallene Beispiele heran, die, zumindest in den slavis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en ausserhalb <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen literarturspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Norm stehen und ev. dialektal in Ers<strong>ch</strong>einung treten (russ. ja<br />

bylo pošel, delo bylo pošlo, mašina byla poe<strong>ch</strong>ala, vaza byla upala), aber <strong>im</strong><br />

Südwestbulgaris<strong>ch</strong>en (d.h. <strong>im</strong> Makedonis<strong>ch</strong>en - jaz sum dojden, nožov me <strong>im</strong>a isečeno),<br />

5 S. seine ‚ketzeris<strong>ch</strong>en’ Thesen zur <strong>Eurolinguistik</strong> auf http://www.linguistikonline.de/1_01/Ureland.html.<br />

6


Serbokroatis<strong>ch</strong>en (<strong>im</strong>am plačen račun) und offenbar au<strong>ch</strong> in an<strong>der</strong>en (ni<strong>ch</strong>tslavis<strong>ch</strong>en) Spra<strong>ch</strong>en<br />

gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> sind.<br />

Linguistis<strong>ch</strong>e Ebenen<br />

Wie Harald Haarmann in einem weiteren Artikel aufzeigt, sind linguistis<strong>ch</strong>e<br />

Verän<strong>der</strong>ungen dur<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>kontakte und massive Fusionsprozesse in den Spra<strong>ch</strong>en Europas<br />

ein altbekanntes Phänomen und können etwa anhand des Etruskis<strong>ch</strong>en/Lateinis<strong>ch</strong>en, Jiddis<strong>ch</strong>en<br />

o<strong>der</strong> Indogermanis<strong>ch</strong>en/Finnougris<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>t zuletzt au<strong>ch</strong> am Beispiel <strong>der</strong> frappanten<br />

Westeuropäisierung des Russis<strong>ch</strong>en lei<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>gewiesen werden. Neueren Datums sind<br />

abgesehen von herkömmli<strong>ch</strong>en Pidgins und Kreolspra<strong>ch</strong>en bizarre Ers<strong>ch</strong>einungen wie das dur<strong>ch</strong><br />

Immigranten begünstigte Kanaken-Deuts<strong>ch</strong> („ey, voll krass, alter, dem tuss hat voll geile titten,<br />

ey“ u.ä.) o<strong>der</strong> das dur<strong>ch</strong> die Informatik hervorgebra<strong>ch</strong>te „Te<strong>ch</strong>no-Kau<strong>der</strong>wels<strong>ch</strong>“, die vor allem<br />

<strong>im</strong> letzteren Fall dur<strong>ch</strong> die Überformung <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>en Europas dur<strong>ch</strong> das Englis<strong>ch</strong>e auftreten<br />

und Denglis<strong>ch</strong> 6 (bzw. Spanglish, Finglish, Franglais, Hindish, Japalish, usw.) genannt werden.<br />

Diese Ers<strong>ch</strong>einungen rei<strong>ch</strong>en von Hybridformen wie ‚shoppen gehen’, ‚user-freundli<strong>ch</strong>’,<br />

‚einloggen’ u.ä. bis zu extremen Strukturen (Code-Swit<strong>ch</strong>ing genannt) des Typs „I<strong>ch</strong> finde das<br />

au<strong>ch</strong> really,… wen some leute – ev. au<strong>ch</strong> people, aK – keine satzzei<strong>ch</strong>en meer usen…“. Usw.<br />

Mit einem äusserst anregenden Artikel über phonetis<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>en<br />

Europas führt Elmar Ternes den Leser in die faszinierende Welt <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>laute ein. Die<br />

zahlrei<strong>ch</strong>en Beispiele von Isländis<strong>ch</strong> bis Maltesis<strong>ch</strong>, S<strong>ch</strong>ottis<strong>ch</strong>-Gälis<strong>ch</strong> bis Finno-ugris<strong>ch</strong>, von<br />

Süds<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong> bis Züri<strong>ch</strong>deuts<strong>ch</strong>, Bairis<strong>ch</strong> und Piemontesis<strong>ch</strong> wecken ein hohes Interesse an<br />

<strong>der</strong> Thematik, die viele ungeahnte Überras<strong>ch</strong>ungen bereithält, wobei die drei vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Gruppen <strong>der</strong> Kaukasuspra<strong>ch</strong>en wie<strong>der</strong>um einen einzigartigen Son<strong>der</strong>fall darstellen. In einzelnen<br />

Kapiteln geht Ternes S<strong>ch</strong>ritt für S<strong>ch</strong>ritt die relevanten Themen dur<strong>ch</strong>: Inventar <strong>der</strong><br />

Lautqualitäten, Vokale und Vokalklassen, Öffnungsgrade, Nasalierung, Diphtonge,<br />

Konsonanten, Artikulationsstellen, Artikulationsarten, Korrelationen und Palatalisierung,<br />

Suprasegmentalia, Wortakzent, Töne, Phonotaktik, Silbenstruktur, Morphophonologie,<br />

Auslautverhärtung, Vokalharmonie, dia<strong>ch</strong>rone Verän<strong>der</strong>ungen. Er gelangt zur folgenden<br />

Erkenntnis, um die europäis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>enlands<strong>ch</strong>aft zu <strong>ch</strong>arakterisieren: Von den vier<br />

Luftstromme<strong>ch</strong>anismen, die es auf <strong>der</strong> Welt gibt, ist in Europa nur <strong>der</strong> pulmonal egressive mit<br />

‚normalen’ Lauten vertreten, das heisst, dass die europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en keine Ejektive,<br />

Implosive o<strong>der</strong> S<strong>ch</strong>nalzlaute kennen, wie sie in gewissen Spra<strong>ch</strong>en Afrikas, Amerikas und<br />

Asiens verbreitet sind. E<strong>ch</strong>te Tonspra<strong>ch</strong>en fehlen, es existiert hingegen eine hohe Zahl von<br />

Vokalqualitäten und Diphtongen, sowie eine starke Variabilität des Wortakzents. Die<br />

Silbenstruktur einiger europäis<strong>ch</strong>er Idiome ist komplex, die Variabilität des Wortstamms stark<br />

morphophonologis<strong>ch</strong>. In keiner Hinsi<strong>ch</strong>t weisen die europäis<strong>ch</strong>en Idiome jedo<strong>ch</strong> extreme Werte<br />

auf, we<strong>der</strong> na<strong>ch</strong> oben no<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> unten. Innerhalb dieser Grenzen bietet Europa ein re<strong>ch</strong>t<br />

bunts<strong>ch</strong>eckiges Bild mit ausgeprägten Unters<strong>ch</strong>ieden von Spra<strong>ch</strong>zweig zu Spra<strong>ch</strong>zweig, von<br />

Spra<strong>ch</strong>e zu Spra<strong>ch</strong>e und selbst von Dialekt zu Dialekt innerhalb <strong>der</strong>selben Spra<strong>ch</strong>e. Die<br />

gelegentli<strong>ch</strong> geäusserte Behauptung, die europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en seien <strong>im</strong> Weltmassstab<br />

‚exotis<strong>ch</strong>’, finden in den lautli<strong>ch</strong>en Inventaren <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>en Europas aber keine Bestätigung.<br />

Über die Phonetik europäis<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>en stellt Thomas Stolz mit 22 Karten sein<br />

„europhonologis<strong>ch</strong>es“ EUROTYP-Projekt vor, in dem es darum geht, Spra<strong>ch</strong>bünde (engl.<br />

linguistic areas) na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> arealen Verteilung von alveolaren und palatalen Sibilanten sowie dentalveolaren<br />

und palatalen Affrikaten in Europa zu definieren. Jack Feuillet betra<strong>ch</strong>tet mit einer<br />

glei<strong>ch</strong>zeitigen Kritik <strong>der</strong> Studie Martin Haspelmaths über Standard Average European von 2001<br />

morphosyntaktis<strong>ch</strong>e Gemeinsamkeiten <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>en Europas und versu<strong>ch</strong>t, Zäsuren zwis<strong>ch</strong>en<br />

6 S. http://www.uni-mannhe<strong>im</strong>.de/fkks/MaMomi16-NET-Denglis<strong>ch</strong>.pdf<br />

7


Osten und Westen (Kasus), Süden und Norden (Verb) aufzuzeigen. Helmut Keipert greift in<br />

seinem Beitrag das Problem <strong>der</strong> grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>-lateinis<strong>ch</strong>en Fremdwörter (bzw. Internationalismen,<br />

Europäismen) auf und erklärt, wie bedeutsam sie die Welt <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aftsterminologie<br />

geprägt haben. Vernakuläre Neologismen sind vor allem in <strong>der</strong> Grammatik ein Thema, wo<br />

neben den lat. Termini Substantiv, Adjektiv, Verb usw. volksspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Varianten wie dt.<br />

Dingwort, Eigens<strong>ch</strong>aftswort, Tatwort, slav. samostalnik, <strong>im</strong>enica, rzeczownik, sloveso usw.<br />

auftreten. Ferner wird deutli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, dass <strong>im</strong> Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Frage, si<strong>ch</strong> entwe<strong>der</strong> für lat.<br />

‚international-’, o<strong>der</strong> slav. ‚meždunarodnyj’ usw. bzw. f.-ugr. ‚rahvusvaheline’ u.ä., und für lat.<br />

‚universitas’ o<strong>der</strong> slav. ‚sveučilište‘ zu ents<strong>ch</strong>eiden, die Spra<strong>ch</strong>politik eines jeweiligen Landes<br />

eine grosse Rolle spielen kann. Ein weiteres Kapitel über Fremdwörter in europäis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>lägt Heinri<strong>ch</strong> Pfandl auf, um die spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Beeinflussung <strong>der</strong> „Europinen“ dur<strong>ch</strong><br />

das Englis<strong>ch</strong>e und ihre unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Reaktion auf diese Entwicklung darzustellen. Bei<br />

seinen Untersu<strong>ch</strong>ungen erwies si<strong>ch</strong> vor allem das Deuts<strong>ch</strong>e und – ausgere<strong>ch</strong>net – das Russis<strong>ch</strong>e<br />

für Anglizismen beson<strong>der</strong>s empfängli<strong>ch</strong>, während die Franzosen (d.h. <strong>der</strong> französis<strong>ch</strong>e Staat)<br />

wenig Begeisterung zeigen und Slovenien 2004 sogar ein Gesetz für den Erhalt eigener<br />

slovenis<strong>ch</strong>er Wörter erliess. Einen extremen Spra<strong>ch</strong>purismus legen die Islän<strong>der</strong> an den Tag,<br />

denn in ihrer ar<strong>ch</strong>ais<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e kommen praktis<strong>ch</strong> keine englis<strong>ch</strong>e Wörter vor. Letztgenannte<br />

Spra<strong>ch</strong>en sind interessante Beispiele dafür, die eindrückli<strong>ch</strong> illustrieren, wie <strong>der</strong> teilweise allzu<br />

penetrante Einfluss des Englis<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> bewusste Spra<strong>ch</strong>politik und Spra<strong>ch</strong>pflege erfolgrei<strong>ch</strong><br />

abgewehrt werden kann, ohne in eine Hysterie gegen das Amerikanis<strong>ch</strong>-Englis<strong>ch</strong>e zu verfallen.<br />

Das Kroatis<strong>ch</strong>e ist insofern ein Son<strong>der</strong>fall, als die Spra<strong>ch</strong>pfleger und Spra<strong>ch</strong>politiker in Zagreb<br />

aktiv bemüht sind, das Kroatis<strong>ch</strong>e weniger vom Englis<strong>ch</strong>en fernzuhalten als es vielmehr vor<br />

allem gegen serbis<strong>ch</strong>e ‚S<strong>ch</strong>ädlinge‘ zu s<strong>ch</strong>ützen. Weitere Spektren, die man <strong>im</strong> Rahmen von<br />

beson<strong>der</strong>en, datenbankbasierten Projekten <strong>der</strong> verglei<strong>ch</strong>enden <strong>Eurolinguistik</strong> für<br />

erfors<strong>ch</strong>enswert hält, sind die Berei<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Verwandts<strong>ch</strong>aftsbezei<strong>ch</strong>nungen (Birgit E<strong>der</strong>),<br />

Höfli<strong>ch</strong>keitsformen (Johannes Helmbre<strong>ch</strong>t) und <strong>der</strong> Phraseologie (Wolfgang Eismann). Es<br />

handelt si<strong>ch</strong> um drei weite Wissensgebiete, die quantitativ und qualitativ no<strong>ch</strong> tiefer zu<br />

ergründen sind. Einen neuen Fors<strong>ch</strong>ungsberei<strong>ch</strong>, die Eurotextologie (ihr Vorgänger wurde wohl<br />

Textlinguistik genannt), gibt es bislang nur als Programm. Zu den Textsorten, die hier als<br />

Beispiele unter die Lupe genommen und sowohl syn<strong>ch</strong>ron wie au<strong>ch</strong> dia<strong>ch</strong>ron untersu<strong>ch</strong>t werden<br />

sollen, zählt Wolfgang Pöckl Todesanzeigen in Tageszeitungen, Ko<strong>ch</strong>rezepte in Ko<strong>ch</strong>bü<strong>ch</strong>ern,<br />

Geri<strong>ch</strong>tsurteile, Lebensläufe und Medikamenten-Beipackzettel. Bei diesem Projekt erhofft man<br />

si<strong>ch</strong>, mehr Aufs<strong>ch</strong>luss über gemeinsame europäis<strong>ch</strong>e Traditionen zu erhalten, wobei die<br />

Beeinträ<strong>ch</strong>tigung <strong>der</strong> Fors<strong>ch</strong>ungsresultate dur<strong>ch</strong> den grossen Normierungs- und<br />

Uniformierungseifer europäis<strong>ch</strong>er Instanzen und den starken kulturellen Druck <strong>der</strong> Anglophonie<br />

(spri<strong>ch</strong> <strong>Globalisierung</strong>) beson<strong>der</strong>s zu berücksi<strong>ch</strong>tigen wäre. Am Ende dieses Themenblocks geht<br />

Joa<strong>ch</strong><strong>im</strong> Grzega no<strong>ch</strong> auf die sogenannte Europragmatik ein, die weniger linguistis<strong>ch</strong>e als<br />

vielmehr kulturpragmatis<strong>ch</strong>e Gemeinsamkeiten in Europa erfors<strong>ch</strong>t und si<strong>ch</strong> also mehr mit<br />

‚Mentalitäten‘ als mit Spra<strong>ch</strong>e befasst und bereits den Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> interkulturellen<br />

Kommunikation tangiert. 7<br />

Spra<strong>ch</strong>politik, Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit und Verkehrsspra<strong>ch</strong>e<br />

Fünf weitere Beiträge sind unter dem Rahmenthema ‚Spra<strong>ch</strong>politik, Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit<br />

und Verkehrsspra<strong>ch</strong>e‘ zusammengefasst und <strong>der</strong> endlosen spra<strong>ch</strong>politis<strong>ch</strong>en Thematik<br />

gewidmet.<br />

Faktenrei<strong>ch</strong> lässt Helmut Wilhelm S<strong>ch</strong>aller den historis<strong>ch</strong>en Prozess <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>werdung<br />

mit <strong>der</strong> parallelen Entwicklung <strong>der</strong> Nationsentstehung in Südosteuropa Revue passieren.<br />

7 S. http://www.joa<strong>ch</strong><strong>im</strong>-grzega.de<br />

8


Eindrückli<strong>ch</strong> wird hier no<strong>ch</strong> einmal aufgezeigt, wel<strong>ch</strong>en nationalistis<strong>ch</strong>en Verführungen und<br />

Vergewaltigungen Spra<strong>ch</strong>en wie Serbokroatis<strong>ch</strong>, Rumänis<strong>ch</strong>/Moldauis<strong>ch</strong>, Makedonis<strong>ch</strong> u.a.<br />

politis<strong>ch</strong>er Willkür ausgesetzt waren und darunter bis heute zu leiden haben, zieht man etwa die<br />

Zerstückelung des Serbokroatis<strong>ch</strong>en in ‚neue’ nationale Idiome in Betra<strong>ch</strong>t, die <strong>im</strong> Grunde mit<br />

den ‚alten’ identis<strong>ch</strong> sind. Ohnmä<strong>ch</strong>tig n<strong>im</strong>mt man die eigenmä<strong>ch</strong>tige Instrumentalisierung von<br />

Balkanspra<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> national(istis<strong>ch</strong>)e Politiker und Spra<strong>ch</strong>theoretiker hin. Zwar haben si<strong>ch</strong> in<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit zahlrei<strong>ch</strong>e westli<strong>ch</strong>e Slavisten mit den Problemen <strong>der</strong> eingehend<br />

Balkanspra<strong>ch</strong>en befasst, wel<strong>ch</strong>en Beitrag die mo<strong>der</strong>ne <strong>Eurolinguistik</strong> jedo<strong>ch</strong> zur<br />

Lösungsfindung beisteuert, ist etwas unklar.<br />

Die grösste Herausfor<strong>der</strong>ung für die Spra<strong>ch</strong>(en)politik in <strong>der</strong> EU ist na<strong>ch</strong> Jeroen<br />

Darquennes wohl <strong>der</strong> Kontrast zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> institutionellen, nationalen und transnationalen<br />

Ebene, wo ein Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Prioritäten angestrebt wird. Einerseits soll das Ziel<br />

‚Mutterspra<strong>ch</strong>e + 2 Fremdspra<strong>ch</strong>en’ geför<strong>der</strong>t werden, an<strong>der</strong>erseits zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> EU ab,<br />

dass die englis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> unaufhaltsam zur ersten Fremdspra<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> grossen Mehrheit <strong>der</strong><br />

europäis<strong>ch</strong>en Bevölkerung entwickelt. Immerhin bleiben auf nationaler Ebene die<br />

Nationalspra<strong>ch</strong>en unberührt, und Französis<strong>ch</strong>, Deuts<strong>ch</strong> spielen neben dem Englis<strong>ch</strong>en die Rolle<br />

von Relaisspra<strong>ch</strong>en. Na<strong>ch</strong> wie vor hält die EU am Prinzip fest, dass mögli<strong>ch</strong>st alles in allen<br />

Spra<strong>ch</strong>en zugängli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t werden soll. Um sol<strong>ch</strong>en Herausfor<strong>der</strong>ungen wie dem rasanten<br />

Vormars<strong>ch</strong> des Englis<strong>ch</strong>en die Stirn zu bieten, wurden ab 2004 viele Initiativen in Gang<br />

gebra<strong>ch</strong>t, die si<strong>ch</strong> unter dem Motto <strong>der</strong> ‚Neuen Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit’ subsumieren lassen. Au<strong>ch</strong><br />

wenn <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>e Wille zu sol<strong>ch</strong>en Massnahmen dur<strong>ch</strong>aus vorhanden ist, dürften Theorie und<br />

Praxis dabei weit auseinan<strong>der</strong>klaffen. Geht es um konkrete Beispiele, wird es politis<strong>ch</strong> heikel<br />

und inkorrekt: Wel<strong>ch</strong>er dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Este will o<strong>der</strong> soll s<strong>ch</strong>on Lettis<strong>ch</strong> lernen und wel<strong>ch</strong>er<br />

Lette Estnis<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>er Islän<strong>der</strong> Rumänis<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> Maltesis<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>er Portugiese Finnis<strong>ch</strong> o<strong>der</strong><br />

Slowakis<strong>ch</strong>, usw. ? Dasselbe gilt au<strong>ch</strong> für viele an<strong>der</strong>e Spra<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> EU.<br />

Nun sehen man<strong>ch</strong>e in <strong>der</strong> Ausbreitung des Englis<strong>ch</strong>en in Europa an<strong>der</strong>e Spra<strong>ch</strong>en als<br />

Gegenstände fremdspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Unterri<strong>ch</strong>ts bereits bedroht, und erst re<strong>ch</strong>t besteht bei einigen<br />

Autoren (wie Phillipson und Skutnabb-Kangas) die Befür<strong>ch</strong>tung, dass die Vermittlung einer<br />

‚einfa<strong>ch</strong>en’ Englis<strong>ch</strong>kompetenz für den internationalen Verkehr das Interesse an an<strong>der</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en verringern könnte. Eine ganze Reihe an<strong>der</strong>er Autoren fügte jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> gegenteilige<br />

Erfahrungen an (van Els, House, Grzega, u.a.). Sie hängen <strong>der</strong> Theorie an, dass gerade Englis<strong>ch</strong><br />

si<strong>ch</strong> als Brückenspra<strong>ch</strong>e für an<strong>der</strong>e europäis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>en eignet. Bei Autoren, die ein<br />

Dreispra<strong>ch</strong>enmodell befürworten, wird das Englis<strong>ch</strong>e als mögli<strong>ch</strong>e Lingua Franca genannt. Fest<br />

zugeteilt ist die Rolle <strong>der</strong> Lingua Franca einem so genannten Global English in Joa<strong>ch</strong><strong>im</strong><br />

Grzegas Modell <strong>der</strong> „globalen Triglossie“ (2006). Dieser Autor hat sogar einen Vors<strong>ch</strong>lag von<br />

einem Englis<strong>ch</strong> mit reduziertem Worts<strong>ch</strong>atz vorgelegt: Es handelt si<strong>ch</strong> um das 2005 von ihm<br />

selbst entwickelte Basic Global English (BGE), das aus 750 allgemeinen Wörtern und einer<br />

Reihe von Internationalismen besteht. Um <strong>der</strong>en Worts<strong>ch</strong>atz zu erweitern, wird den Lernenden<br />

des BGE vorges<strong>ch</strong>rieben, si<strong>ch</strong> darüber hinaus 250 Wörter auszusu<strong>ch</strong>en, die sie selbst<br />

interessieren o<strong>der</strong> benötigen. Dieses Modell wurde 2007 als Bestandteil eines EU-<br />

Grunds<strong>ch</strong>ulprojektes aufgenommen.<br />

Begriffe wie Spra<strong>ch</strong>envielfalt und Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit sind ni<strong>ch</strong>t nur Teile des politis<strong>ch</strong>en<br />

Diskurses geworden, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> in die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Fors<strong>ch</strong>ungsarbeit eingegangen, wie<br />

das von Rosita S<strong>ch</strong>jerve-Rindler und Eva Vetter vorgestellte LINEE-Projekt darlegt. Es geht<br />

darum, die beiden Begriffe ni<strong>ch</strong>t als Abstrakta <strong>im</strong> luftleeren Raum zu begreifen, son<strong>der</strong>n als<br />

Konzepte wahrzunehmen, die mit best<strong>im</strong>mten Werten wie ‚Kultur’, ‚Ideologie’, ‚Ma<strong>ch</strong>t und<br />

Konflikt’, ‚Diskurs’, ‚Multikompetenz’, ‚Spra<strong>ch</strong>enpolitik und Spra<strong>ch</strong>planung’ usw. verbunden<br />

sind. Die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Erfors<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> europäis<strong>ch</strong>en Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit hat aber bislang<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einem kohärenten Mehrspra<strong>ch</strong>igkeitskonzept geführt. Die Frage, wie die EU und<br />

ihre Mitgliedstaaten die Spra<strong>ch</strong>envielfalt und die Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit politis<strong>ch</strong> planen sollen, ist<br />

auf die S<strong>ch</strong>wierigkeit gestossen, dass die Begriffe Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit und Spra<strong>ch</strong>envielfalt trotz<br />

9


ihrer häufigen Verwendung na<strong>ch</strong> wie vor diffus geblieben sind und s<strong>ch</strong>wer aufeinan<strong>der</strong><br />

abzust<strong>im</strong>men sind, wie die Autorinnen zu bedenken geben.<br />

Eine seit geraumer Zeit <strong>im</strong> Rahmen des EuroCom-Projekts entwickelte Idee, die<br />

Fähigkeit relativ lei<strong>ch</strong>t zu erwerben, in einer Gruppe von Spra<strong>ch</strong>en kommunizieren zu können,<br />

ohne diese formal erlernt zu haben, ist das Konzept <strong>der</strong> Interkomprehension. Bei diesem<br />

Fors<strong>ch</strong>ungsansatz handelt es si<strong>ch</strong> um eine no<strong>ch</strong> junge spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Disziplin, die<br />

si<strong>ch</strong> seit den 1990er Jahren in <strong>der</strong> Fors<strong>ch</strong>ungslands<strong>ch</strong>aft etabliert hat. Sie setzt kognate Spra<strong>ch</strong>en<br />

miteinan<strong>der</strong> in Beziehung, um sie verglei<strong>ch</strong>bar zu ma<strong>ch</strong>en und auf diesem Fundament Konzepte<br />

zur Vermittlung von Kenntnissen in einer o<strong>der</strong> mehreren dieser Spra<strong>ch</strong>en auszuarbeiten. Das<br />

Phänomen <strong>der</strong> Interkomprehension funktioniert insbeson<strong>der</strong>e in den drei grossen Spra<strong>ch</strong>gruppen<br />

Europas: <strong>der</strong> germanis<strong>ch</strong>en, romanis<strong>ch</strong>en und slavis<strong>ch</strong>en. Damit seien über die Methode<br />

EuroCom rein re<strong>ch</strong>neris<strong>ch</strong> etwa 94% <strong>der</strong> Europäer zu errei<strong>ch</strong>en. Es genüge die Kenntnis einer<br />

Brückenspra<strong>ch</strong>e (meist die Mutterspra<strong>ch</strong>e selbst) und die gesamte Spra<strong>ch</strong>familie werde für die<br />

Rezeption zugängli<strong>ch</strong>. Damit bestünde für beinahe alle Europäer die Mögli<strong>ch</strong>keit, mit äusserst<br />

geringem Lernaufwand Lese- und Hörverstehen zunä<strong>ch</strong>st innerhalb <strong>der</strong> Gruppe ihrer<br />

Mutterspra<strong>ch</strong>e zu erwerben, darüber hinaus aber au<strong>ch</strong> in den Spra<strong>ch</strong>familien, zu denen ihre<br />

Fremdspra<strong>ch</strong>e(n) gehört. Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Überzeugung von Christina Reissner, die diese Methode<br />

ausführli<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reibt, liegt darin eine einmalige Chance, die gemeinsame europäis<strong>ch</strong>e Identität<br />

zu entdecken und über die spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kenntnisse hinaus au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> inter- und transkulturelle<br />

Kompetenzen zu erlangen.<br />

Das „Bewusstsein einer gemeinsamen Identität unter den Europäern för<strong>der</strong>n“ mö<strong>ch</strong>te<br />

au<strong>ch</strong> die alteuropäis<strong>ch</strong>e Hydronymie, <strong>der</strong>en Verbreitungsgebiet einerseits von Skandinavien bis<br />

na<strong>ch</strong> Unteritalien, an<strong>der</strong>erseits von Westeuropa eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Britis<strong>ch</strong>en Inseln bis ins<br />

Baltikum rei<strong>ch</strong>t (Jürgen Udolph). Die Aufgaben des 1970 unter <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>irmherrs<strong>ch</strong>aft <strong>der</strong><br />

UNESCO gegründeten Europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>atlasses sind, onomasiologis<strong>ch</strong>e und<br />

semasiologis<strong>ch</strong>e Aspekte mit traditionellen als au<strong>ch</strong> mit innovativen Methoden zu<br />

interpretieren. Im Vor<strong>der</strong>grund des Untersu<strong>ch</strong>ungsinteresses stehen dabei die Kulturges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

und Religion, die zoomorphe, anthropomorphe und <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>/musl<strong>im</strong>is<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t. Anhand von<br />

Karten sollen bei diesen Fors<strong>ch</strong>ungen wie<strong>der</strong>kehrende Strukturmuster illustriert werden, um mit<br />

den erhobenen Daten den Kern eines verglei<strong>ch</strong>enden Motivationswörterbu<strong>ch</strong>s zu legen<br />

(Wolfgang Viereck). Der philosophis<strong>ch</strong> anregenden Aufgabe, die europäis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>reflexion<br />

<strong>der</strong> jüdis<strong>ch</strong>en, grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en, römis<strong>ch</strong>en und <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Welt bis in die Mo<strong>der</strong>ne zu ergründen,<br />

hat si<strong>ch</strong> Jürgen Trabant vers<strong>ch</strong>rieben. Seit <strong>der</strong> legendären Spra<strong>ch</strong>verwirrung be<strong>im</strong> Turmbau von<br />

Babel ist <strong>der</strong> Mythos <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>envielfalt, au<strong>ch</strong> als Flu<strong>ch</strong> zu begreifen, bei den Europäern fest<br />

verankert; die Idee <strong>der</strong> Einheitsspra<strong>ch</strong>e wird in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>philosophie<br />

eigentli<strong>ch</strong> abgelehnt. Bemerkenswert ist, dass ausgere<strong>ch</strong>net Jürgen Trabant, <strong>der</strong> Experte für<br />

europäis<strong>ch</strong>es Spra<strong>ch</strong>denken, stellvertretend für an<strong>der</strong>e Eurolinguisten überras<strong>ch</strong>end als<br />

wahrnehmbarster Warner gegen das Risiko <strong>der</strong> Überfremdung dur<strong>ch</strong> die englis<strong>ch</strong>e Hegemonie<br />

hervortritt. Ein Gebäude von Kriterien zu erri<strong>ch</strong>ten, um ‚Spra<strong>ch</strong>kultur’ und ‚Kulturspra<strong>ch</strong>e’<br />

dur<strong>ch</strong> Definition in den Griff zu bekommen, hat si<strong>ch</strong> Nina Jani<strong>ch</strong> als Aufgabe ausgesu<strong>ch</strong>t.<br />

Viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tig sind die Ebenen <strong>der</strong> Kriterien und rei<strong>ch</strong>en von Merkmalen, <strong>der</strong>en Erfüllung <strong>im</strong><br />

Verlauf <strong>der</strong> jeweiligen Spra<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te zur Herausbildung von Kulturspra<strong>ch</strong>en führte bis zu<br />

<strong>der</strong> Bes<strong>ch</strong>reibung von historis<strong>ch</strong>en Epo<strong>ch</strong>en, in denen si<strong>ch</strong> diese Merkmale offenbarten. In<br />

diesem Beitrag wird man mit den Begriffen Literalität, Überregionalität, Polyfunktionalität,<br />

Literarizität, Intersozialität, Philologizität, Institutionalität, Internationalität und Sakralität<br />

konfrontiert, die als typis<strong>ch</strong>e Merkmale für ‚Spra<strong>ch</strong>kultur’ und ‚Kulturspra<strong>ch</strong>e’ genannt werden.<br />

Hintergrund <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong><br />

10


Vier Beiträge zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und zum aktuellen Stand <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> runden den<br />

thematis<strong>ch</strong> äusserst vielseitigen Band zur <strong>Eurolinguistik</strong> ab.<br />

Die Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Eurolinguistik</strong> sei eng mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong><br />

europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft verbunden. Peter Raster ma<strong>ch</strong>t darauf aufmerksam, dass die<br />

europäis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t mit <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aft von den europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en<br />

glei<strong>ch</strong>zusetzen ist. Die europäis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft beginne mit <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aft einer<br />

europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e, des Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en, und habe in <strong>der</strong> Antike in zwei Varianten existiert, <strong>der</strong><br />

grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en und lateinis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft. Zu den ‚heiligen’ Spra<strong>ch</strong>en (des Kreuzes<br />

Jesu) gesellte si<strong>ch</strong> eine dritte, das Hebräis<strong>ch</strong>e, wobei <strong>im</strong> 9. Jahrhun<strong>der</strong>t mit <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>affung des<br />

Altkir<strong>ch</strong>enslavis<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die Hl. Kyrill und Method die volksspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Konkurrenz auftrat.<br />

Erst <strong>im</strong> Verlauf des Mittelalters und zu Beginn <strong>der</strong> Neuzeit wurden fast alle wi<strong>ch</strong>tigen<br />

europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en literatur- und grammatikfähig. Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts legten<br />

S<strong>ch</strong>legel, Jones, Bopp und S<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>er den Grundstein <strong>der</strong> Indogermanistik. De Saussure,<br />

Jakobson und Troubetzkoy prägten in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>t die so genannte<br />

Areallinguistik, die Europa als eine eigene linguistis<strong>ch</strong>e Einheit begreift. Die mo<strong>der</strong>ne<br />

<strong>Eurolinguistik</strong> ist fast glei<strong>ch</strong>zeitig mit <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Zeitenwende entstanden und läuft mit<br />

ihrer stürmis<strong>ch</strong>en Entwicklung parallel zur EU-Erweiterung. Die erste Phase <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong><br />

(1990 bis 2007) war gekennzei<strong>ch</strong>net vom Entwurf einer eigenen Disziplin und dem EUROTYP-<br />

Projekt, <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>bunddiskussion und konkurrierenden Konzeptionen <strong>der</strong> Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit.<br />

1997 fand in Berlin <strong>der</strong> erste, 1999 in St. Petersburg <strong>der</strong> zweite Kongress <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong><br />

statt, und <strong>im</strong> Oktober 2007 wurde in Leipzig ein Symposium über Entwicklungen und<br />

Perspektiven <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> dur<strong>ch</strong>geführt.<br />

Es s<strong>ch</strong>eint, dass die Eurolinguisten Grosses vorhaben: Sie mö<strong>ch</strong>ten vermehrt den<br />

aussereuropäis<strong>ch</strong>en, voreuropäis<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> vorindogermanis<strong>ch</strong>en Untergrund <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>en<br />

Europas ausleu<strong>ch</strong>ten, die Spuren des Baskis<strong>ch</strong>en verfolgen und den Spra<strong>ch</strong>en und Kulturen<br />

orientalis<strong>ch</strong>er Völker na<strong>ch</strong>gehen. So will man die Spra<strong>ch</strong>en Europas in einer grossen historis<strong>ch</strong>kulturell-linguistis<strong>ch</strong>en<br />

Gesamts<strong>ch</strong>au von den Anfängen bis in die Gegenwart beleu<strong>ch</strong>ten und<br />

Europa als linguistis<strong>ch</strong>es Teilstück einer weltweiten Spra<strong>ch</strong>enlands<strong>ch</strong>aft darstellen. So ist die<br />

<strong>Eurolinguistik</strong>, wie dem S<strong>ch</strong>lusswort ihres verstorbenen Begrün<strong>der</strong>s Norbert Reiter zu<br />

entnehmen ist, au<strong>ch</strong> als ein (inoffizieller) politis<strong>ch</strong>er Auftrag wahrzunehmen: Die <strong>Eurolinguistik</strong><br />

soll zur S<strong>ch</strong>affung und Stärkung eines Gemeins<strong>ch</strong>aftsgefühls unter den Europäern beitragen und<br />

auf diese Weise die von <strong>der</strong> Politik hinterlassenen Hohlräume auffüllen. So fasst si<strong>ch</strong> die<br />

<strong>Eurolinguistik</strong> als Weiterführung <strong>der</strong> Philologien auf, die <strong>im</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>t zur Formung <strong>der</strong><br />

Nationen mitgewirkt hatten. Mit einem Satz: Die <strong>Eurolinguistik</strong> soll die Mens<strong>ch</strong>en <strong>im</strong> vereinten<br />

Europa zusammenbringen.<br />

Diese Idee ers<strong>ch</strong>eint vorläufig als Wuns<strong>ch</strong>denken und bleibt auf eine relativ kleine<br />

Gruppe idealistis<strong>ch</strong>er AkademikerInnen bes<strong>ch</strong>ränkt. Dass die <strong>Eurolinguistik</strong> ausserhalb des<br />

westeuropäis<strong>ch</strong>en akademis<strong>ch</strong>en Kreises auf Probleme stossen könnte, ma<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Beitrag Adam<br />

Pawłowskis am Beispiel Polens na<strong>ch</strong>vollziehbar, in dem er zahlrei<strong>ch</strong>e Barrieren, so strukturelle,<br />

innere und äussere, bespri<strong>ch</strong>t, die typis<strong>ch</strong> für Län<strong>der</strong> wie Polen sind und die die Etablierung <strong>der</strong><br />

<strong>Eurolinguistik</strong> in diesem Land ers<strong>ch</strong>weren könnten. Denn in Län<strong>der</strong>n wie Polen, in denen die<br />

Mens<strong>ch</strong>en aus historis<strong>ch</strong>en Gründen sehr auf die Bewahrung ihrer nationalen Identität setzen<br />

und alle von aussen kommenden Einmis<strong>ch</strong>ungsfaktoren mit Skepsis betra<strong>ch</strong>ten und als<br />

potentielle Bedrohung empfinden, ers<strong>ch</strong>einen überethnis<strong>ch</strong>e Projekte wie die <strong>Eurolinguistik</strong><br />

künstli<strong>ch</strong>, ja sogar utopis<strong>ch</strong>. In sol<strong>ch</strong>en Län<strong>der</strong>n leiden die Geisteswissens<strong>ch</strong>aften und mit ihnen<br />

au<strong>ch</strong> die Linguistik an einem Mangel an natürli<strong>ch</strong>en Voraussetzungen für die Verbreitung des<br />

europäis<strong>ch</strong>en Diskurses. Zwar sind europäi(sti)s<strong>ch</strong>e Projekt in Polen <strong>im</strong> Prinzip positiv<br />

konnotiert, stossen aber eher auf Ablehnung, wenn sie etwa mit balkanologis<strong>ch</strong>en Kontexten<br />

verknüpft werden, da in Polen ‚<strong>der</strong> Balkan’ und alles was damit zusammenhängt na<strong>ch</strong> wie vor<br />

über ein denkbar s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes Image verfügt. Projekte, die aus westli<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tung kommen,<br />

lassen ras<strong>ch</strong> den Verda<strong>ch</strong>t einer Neuauflage des westeuropäis<strong>ch</strong>en Paternalismus, des<br />

11


Kolonialismus, Paneuropäismus und Kolonialismus aufkommen. Diese und an<strong>der</strong>e Faktoren<br />

haben dazu geführt, dass die <strong>Eurolinguistik</strong> in Polen bisher wenig Anerkennung gefunden hat<br />

und die polnis<strong>ch</strong>e Linguistik kaum an eurolinguistis<strong>ch</strong>en Projekten beteiligt war. Traditionelle<br />

Disziplinen wie Polonistik, slavistis<strong>ch</strong>e Literaturwissens<strong>ch</strong>aft, Kulturanthropologie,<br />

Ethnolinguistik, verglei<strong>ch</strong>ende Semiotik, Komparatistik, Methodologie und<br />

Fremdspra<strong>ch</strong>endidaktik sowie Lexikographie und Internationalismenfors<strong>ch</strong>ung haben in Polen<br />

mehr Chancen, betrieben zu werden.<br />

Na<strong>ch</strong> anfängli<strong>ch</strong>er Skepsis darf man die Lektüre des umfassenden <strong>Eurolinguistik</strong>-Bands<br />

für lohnend und empfehlenswert halten. Trotz stilistis<strong>ch</strong> man<strong>ch</strong>mal etwas mühsamen Passagen<br />

ist es den AutorInnen in <strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong>aus gelungen, die eurolinguistis<strong>ch</strong>e Materie - und damit<br />

die eurolinguistis<strong>ch</strong>en Anliegen - ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> auszubreiten und dem Interessenten glaubwürdig<br />

darzulegen. Angehende StudentInnen <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> haben nun die Qual <strong>der</strong> Wahl, ein ihren<br />

individuellen Interessen und Neigungen entspre<strong>ch</strong>endes Teilgebiet auszuwählen, um si<strong>ch</strong><br />

eurolinguistis<strong>ch</strong> zu vertiefen, weiterzubilden und si<strong>ch</strong> die nötigen Fa<strong>ch</strong>kompetenzen<br />

anzueignen. Man kann die noblen Bestrebungen und Bemühungen <strong>der</strong> Eurolinguisten<br />

vollumfängli<strong>ch</strong> bejahen und unterstützen.<br />

Am Ende dieser Bespre<strong>ch</strong>ung bleibt no<strong>ch</strong> die folgende Bemerkung übrig:<br />

Als Wissens<strong>ch</strong>aftler, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> mit internationalen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> (Interlinguistik) bes<strong>ch</strong>äftigt,<br />

bedauert man die Absenz eines diesbezügli<strong>ch</strong>en Beitrags in vorliegendem Bu<strong>ch</strong>. 8 Die<br />

Interlinguisten verstehen si<strong>ch</strong> neben ihrem Kernthema, <strong>der</strong> Bes<strong>ch</strong>äftigung mit internationalen<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> (au<strong>ch</strong> Kunstspra<strong>ch</strong>en, Weltspra<strong>ch</strong>en, Einheitsspra<strong>ch</strong>en, globale Spra<strong>ch</strong>en wie<br />

Esperanto usw. genannt) au<strong>ch</strong> als Bewegung gegen die Rolle von Nationalspra<strong>ch</strong>en qua<br />

Weltspra<strong>ch</strong>en und ma<strong>ch</strong>ten wie<strong>der</strong>holt auf die hegemonistis<strong>ch</strong>e Position des Englis<strong>ch</strong>en in<br />

Europa und in <strong>der</strong> Welt aufmerksam. Ausser den so genannten Esperantisten, einer Bewegung,<br />

die das Esperanto subjektiv für die opt<strong>im</strong>alste Lösung des na<strong>ch</strong> ihrer Ansi<strong>ch</strong>t ungelösten<br />

Spra<strong>ch</strong>enproblems hält, s<strong>ch</strong>eint jedo<strong>ch</strong> niemand mehr an die Notwendigkeit bzw. an die<br />

Aktualität einer sol<strong>ch</strong>en Lösung zu glauben, zumal die <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>-Bewegung in <strong>der</strong><br />

Vergangenheit si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> aus vers<strong>ch</strong>iedenen extralinguistis<strong>ch</strong>en Gründen (politis<strong>ch</strong>en,<br />

ideologis<strong>ch</strong>en u.a.) unmögli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t zu haben s<strong>ch</strong>eint (sektenhaftes Auftreten <strong>im</strong> Rahmen<br />

einer Art <strong>der</strong> Subkultur, politis<strong>ch</strong>e Linkslastigkeit, Anbie<strong>der</strong>ung an die kommunistis<strong>ch</strong>en<br />

Reg<strong>im</strong>e Osteuropas, Amerikas und Asiens, utopistis<strong>ch</strong>e und irreale Vorstellungen,<br />

Anglophobie, usw.). Das heisst ni<strong>ch</strong>t, dass Esperanto ni<strong>ch</strong>t von namhaften Persönli<strong>ch</strong>keiten<br />

bewun<strong>der</strong>t und befürwortet worden wäre. Da Esperanto in keinem Staat über einen offiziellen<br />

Status verfügt, kann es in Europa au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Teil <strong>der</strong> EU-Spra<strong>ch</strong>pyramide bzw.<br />

Spra<strong>ch</strong>(en)politik werden. Wegen seiner <strong>ch</strong><strong>im</strong>ärenhaften Existenz (Verbreitung und Anwendung<br />

vor allem in privaten Klubs und an isolierten Weltkongressen) und wegen seines<br />

<strong>S<strong>ch</strong>atten</strong>daseins wird es von keinen massgebli<strong>ch</strong>en Kräften berücksi<strong>ch</strong>tigt und in keine<br />

relevante spra<strong>ch</strong>(en)politis<strong>ch</strong>e Debatte einbezogen. Ausserhalb <strong>der</strong> Esperanto-Bewegung ist die<br />

Akzeptanz des Esperanto also glei<strong>ch</strong> null. 9 Au<strong>ch</strong> die Idee des Esperanto als Relaisspra<strong>ch</strong>e wurde<br />

8 Das Thema <strong>der</strong> internationalen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> wird ephemer in den Kapiteln über Terminologie und<br />

Phraseologie angespro<strong>ch</strong>en, wobei überras<strong>ch</strong>end die phraseologis<strong>ch</strong>e Pionierarbeit von Morde<strong>ch</strong>ai (sic)<br />

Zamenhof, dem Vater des Esperanto-Erfin<strong>der</strong>s L.L. Zarenhof, erwähnt wird. Der Begriff Interlinguistik<br />

wird in einem an<strong>der</strong>en Zusammenhang begriffen. Das Werk L.L. Zamenhofs wird kurz au<strong>ch</strong> <strong>im</strong> Beitrag<br />

des Polen Adam Pawłowski gewürdigt. Er mö<strong>ch</strong>te damit ausdrücken, dass den Polen utopistis<strong>ch</strong>e Projekte<br />

dur<strong>ch</strong>aus ni<strong>ch</strong>t fremd seien.<br />

9 Zu den mögli<strong>ch</strong>en Gründen s. http://planspra<strong>ch</strong>en.de/blanke.html. An dieser Stelle mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> die<br />

Lektüre des Artikels ‚Esperanto heute, morgen – vorläufige Bilanz und Ausblick unter dem Aspekt<br />

europäis<strong>ch</strong>er Politik und Wissens<strong>ch</strong>aft’ empfehlen, <strong>der</strong> in meiner <strong>im</strong> Jahr 2010 <strong>im</strong> Verlag Harrassowitz<br />

herausgegeben Zamenhof-Biographie ers<strong>ch</strong>ienen ist.<br />

12


von <strong>der</strong> EU offenbar ni<strong>ch</strong>t aufgenommen. In und über Esperanto wird kaum no<strong>ch</strong> etwas von<br />

Relevanz publiziert, die Esperanto-Literatur ist veraltet und das Thema <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> wird nur<br />

no<strong>ch</strong> von wenigen Interessenten <strong>im</strong> Dunstkreis einer na<strong>ch</strong> 1989 ges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ten Esperanto-<br />

Bewegung, vorwiegend aus älteren Personen bestehend, bea<strong>ch</strong>tet. Anhänger an<strong>der</strong>er<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> (Volapük, Ido, Occidental, Interlingua) sind ausgestorben. Esperanto ist eine<br />

Hauptspra<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Wikipedia. Der intellektuelle, publizistis<strong>ch</strong>e, wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und kulturelle<br />

Ausstoss <strong>der</strong> Esperanto-Bewegung ist bes<strong>ch</strong>eiden. Dabei wäre eine Betra<strong>ch</strong>tung des Esperanto<br />

und an<strong>der</strong>er <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> aus (euro-/sozio-)linguistis<strong>ch</strong>en Gesi<strong>ch</strong>tspunkten dur<strong>ch</strong>aus keine<br />

uninteressante Aufgabe, denn <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> bieten beson<strong>der</strong>e und alternative Si<strong>ch</strong>ten auf<br />

Spra<strong>ch</strong>e überhaupt. Der Band IX (2009) <strong>der</strong> Zeits<strong>ch</strong>rift ‚Interlinguistica Tartuensis’ (Universität<br />

Tartu, Estland) war <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> gewidmet. Ein Desi<strong>der</strong>at <strong>der</strong> Interlinguisten und<br />

Esperantisten ist, eine Wie<strong>der</strong>belebung und Reaktualisierung <strong>der</strong> <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>thematik auf<br />

erneuerter rationaler wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er, publizistis<strong>ch</strong>er und politis<strong>ch</strong>er Basis zu errei<strong>ch</strong>en, denn<br />

es gilt unter an<strong>der</strong>em, die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Esperanto- und <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>-Bewegung<br />

aufzuarbeiten. Dieses Anliegen könnte – und sollte – <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> <strong>Eurolinguistik</strong> vollzogen<br />

werden.<br />

Ein mögli<strong>ch</strong>es Modell einer eurolinguistis<strong>ch</strong>en Studie aus Esperanto-Si<strong>ch</strong>t könnte <strong>der</strong><br />

unten wie<strong>der</strong>gegebene, von dem sowjetis<strong>ch</strong>en Interlinguisten Evgenij A. Bokarjov (1904-71)<br />

verfasste Artikel aus dem Jahr 1960 sein. 10 I<strong>ch</strong> gebe ihn mit Absi<strong>ch</strong>t <strong>im</strong> Esperanto-Original<br />

wie<strong>der</strong>.<br />

Andreas Künzli (S<strong>ch</strong>weiz)<br />

Mai 2010<br />

E.A. Bokarev<br />

Esperanto – la lingva kreaĵo de Zamenhof<br />

Inter diversaj lingvoprojektoj de lingvo internacia, Esperanto sola fariĝis larĝe uzata. Neniu<br />

lingvoprojekto ne nur ne povis superi Esperanton tiurilate, sed esti eĉ iom komparebla al ĝi.<br />

Kio estas la kaǔzo de tio ĉi ? En esperantologia literaturo tiu fakto ordinare estas<br />

klarigata per pure sociologiaj kaǔzoj. Jam dekomence Esperanto fariĝis instrumento de praktika<br />

interkompreniĝo en pli-malpli granda kolektivo kaj estis traktata de ĝiaj adeptoj precipe de tiu<br />

vidpunkto, sed ne kiel objekto de teoriaj diskutoj. La periodoj de teoriaj diskutoj, kiuj iafoje<br />

komenciĝis inter esperantistoj, ĉiam sekvigis malaltigon de ĝia disvastiĝo kaj praktika utiligo.<br />

Aliaj lingvoprojektoj, kontraǔe, restis precipe objektvoj de teoriaj studado kaj diskutado. Estas<br />

atentinda la fakto, ke idistoj dum sia pli ol kvindekjara laboro eldonis sufiĉe multajn librojn,<br />

dediĉitajn al la lingvo mem (propaganda, polemika, instrua literaturo), sed relative tre<br />

malmultajn librojn pri scienco, belliteraturo ktp., kie Ido estus nur r<strong>im</strong>edo, sed ne celo. Ido ne<br />

fariĝis r<strong>im</strong>edo de pli-malpli larĝa uzado, ĉar idistoj fakte ne tion atentis unuavice en sia laboro.<br />

Do klarigo per sociologiaj kaǔzoj esence estas tute vera.<br />

Sed detale tuŝi tiun sociologian flankon de la problemo ne estas celo de tiu ĉi artikolo.<br />

Ĝia celo estos iom trakti pure lingvan demandon, nome kiuj lingvaj trajtoj de Esperanto ebligis<br />

al ĝi fariĝi instrumento de interkompreniĝo kaj superi tiurilate siajn konkurantojn. La<br />

reprezentantoj de aliaj sistemoj de lingvo internacia precipe atentis en siaj teoriaj rezonadoj ne<br />

10 Ers<strong>ch</strong>ienen 1960 (Memorlibro Zamenhof-jaro, UEA London), 1973 (Pola Esperantisto 5-6, Wars<strong>ch</strong>au)<br />

und 2010 (Erinnerungsbu<strong>ch</strong> über Bokarjov, Moskau).<br />

13


tiujn trajtojn, kiuj karakterizas lingvon internacian kiel instrumenton kaj espr<strong>im</strong>sistemon, sed<br />

tiujn, kiuj reprezentas iun teorian principon, tute ne plej gravan de praktika, funkcia vidpunkto.<br />

Por la t.n. naturalistoj (adeptoj de Occidental, Interlingua ktp.), ekzemple, kiuj ĉiam plej atentis<br />

la et<strong>im</strong>ologian flankon de la problemo, sistemeco kaj struktureco de lingvo internacia restis<br />

afero de duagrada, iafoje, eĉ de nula, graveco. Ili ĉiam diskutis pri kriterioj kaj gradoj de<br />

natureco: ĉu estu atentata nur ĝenerala vortfonduso aǔ scienca terminaro ankaǔ, ĉu estu atentata<br />

nombro de lingvoj aǔ nombro de parolantoj, ĉu estu atentataj nur mo<strong>der</strong>naj lingvoj aǔ latino kaj<br />

la greka ankaǔ, ĉu estu atentataj nur romidaj lingvoj aǔ ankaǔ iuj aliaj ktp. La naturalistoj,<br />

atentante unuavice la s<strong>im</strong>ilecon de internacia lingvo al la naturaj, s<strong>im</strong>ilas homojn, kiuj penas<br />

taksi iun sistemon de aeroplano ne laǔ ĝiaj teknikaj, strukturaj kvalitoj, sed laǔ grado de ĝia<br />

s<strong>im</strong>ileco al natura birdo. Ofte <strong>im</strong>presas, ke adeptoj de iuj lingvo-projektoj, diskutante pri<br />

diversaj temoj de lingva teorio, tute forgesas, por kio iliaj lingvoj estas kreataj, ĉu por esti<br />

kabinetaj et<strong>im</strong>ologiaj sistemoj, ĉu por esti praktikaj r<strong>im</strong>edoj de internacia interkompreniĝo.<br />

Kiuj do trajtoj de lingvo estas plej gravaj, se ni atentas ĝin kiel praktikan r<strong>im</strong>edon,<br />

respondantan al koncernaj postuloj de sociaj praktiko ? Internacieco de lingva materialo estas<br />

tre grava en lingvo internacia, sed ĝi devas esti subigita al tiuj esencaj trajtoj de lingvo, kiuj<br />

karakterizas ĝin kiel r<strong>im</strong>edon de interkompreno: aǔtonomeco de lingva sistemo, integra<br />

kohereco de ĝiaj elementoj kaj reguleco-analogeco de ilia funkciado. Nur tio faras lingvon plej<br />

manovrebla kaj espr<strong>im</strong>kapabla en internacia interkompreno.<br />

Ni analizu kelkajn trajtojn de Esperanto, kiuj karakterizas ĝin kiel principe pli taǔgan<br />

r<strong>im</strong>edon de interkompreno, ol multaj aliaj projektoj de lingvo internacia.<br />

1. Oni devas opinii tre grava por lingvo internacia la eblecon libere krei laǔbezone<br />

novajn vortojn pere de produktivaj vort<strong>der</strong>ivaj elementoj. Kaj la sistemo de vort<strong>der</strong>ivado en<br />

Esperanto devas esti alte taksata de tiu vidpunkto. Unue, ĝi tre faciligas la studadon de la lingvo<br />

kaj ebligas al ĝia uzanto kvante tre riĉan vortformadon anstataǔ studado de multaj pretaj<br />

kliŝaĵoj. Due, samtempe ĝi estas granda avantaĝo, ĉar ĝi ebligas al ĝia uzanto formi novajn<br />

vortojn, kiam aperas neceso pri tio. La sistemo de vortfarado en Esperanto faras la lingvon<br />

morfologie tre diafana. Kontraǔe, la ‚naturalismaj’ projektoj estas tre l<strong>im</strong>igitaj je vort<strong>der</strong>ivaj<br />

eblecoj, ĉar en ili precipe estas uzataj nur tiuj <strong>der</strong>ivitaj vortoj, kiuj jam ekzistas en la naciaj<br />

lingvoj. En unu el la plej naturalismaj projektoj, en Interlingua de IALA, praktika vort<strong>der</strong>iva<br />

sistemo fakte eĉ ne ekzistas, ĉar ĝia afiksaro estas nur et<strong>im</strong>ologia sistemo de vort<strong>der</strong>ivaj<br />

elementoj en naciaj lingvoj, ne regule kaj ne produktive uzataj en Interlingua.<br />

2. Tre grava el la funkcia vidpunkto estas ankaǔ la sintaksa diafaneco de lingvo<br />

internacia, kiu ebligas tujan komprenon de sintaksa frazstrukturo, de uzata sintaksa modelo. En<br />

Esperanto tion ebligas parte jam la vor<strong>der</strong>iva sistemo, sed precipe specialaj karakteriziloj de<br />

ĉefaj morfologiaj vortklasoj: substantivo, adjektivo, verbo, adverbo. Tiuj karakteriziloj helpante<br />

larĝan vort<strong>der</strong>ivon (ekz. telefono, telefona, telefoni, telefone), pliriĉigas la lingvon. Due, ili<br />

cementigas la prepozicion, farante ĝian sintaksan modelon preciza kaj tuj komprenebla; se eĉ iuj<br />

vortoj en propozicio ne estas komprenitaj, specialaj vortfinaĵoj komprenigas ĝian ĝeneralan kaj<br />

abstraktan signifon: ….a … isto …e …as …aĵon de …aj …oj. Lingvoj sen tia kvalito multon<br />

perdas ne nur en sia espr<strong>im</strong>kapablo, sed ankaǔ en sia sintaksa diafaneco kaj precizeco.<br />

3. De la funkcia vidpunkto estas ankaǔ grava la libera vortordo en propozicio, ĉar ĝi<br />

ebligis la uzadon de inversa vortordo por pliriĉigo de senca enhavo de parolo, por intensigo de<br />

iuj sencaj nuancoj kaj kromsignifoj. Tion kauzas en Esperanto ne nur la vortkarakteriziloj, sed<br />

ankaǔ la akuzativo kaj varieblaj adjektivoj. Projektoj de lingvo internacia, ne havantaj tiujn<br />

eblecojn, multon perdas en sia precizeco kaj espr<strong>im</strong>kapablo. Nedeviga akuzativo neniel<br />

kompensas tiun mankon, ĉar, se ne uzata aǔtomate, la akuzativa karakterizilo ofte estas<br />

forgesata tiam, kiam ĝi estas esence necesa. Eĉ tiaj eminentaj idistoj, kiel L. de Beaufront, ne<br />

nur unufoje eraris, forgesante pri ĝia uzo en inversa vortordo.<br />

Iafoje oni opinias la analizan lingvostrukturon pli perfekta ol la sinteza. Efektive, tre<br />

ofte la analizaj lingvoj estas pli s<strong>im</strong>plaj ol la sintezaj, sed la kǔzo ne estas la analiza strukturo<br />

14


mem, ĉar la sintezaj lingvoj (ekz. turkaj) ankaǔ povas esti tre s<strong>im</strong>plaj. La uzo de kelkaj r<strong>im</strong>edoj<br />

de sintezaj lingvoj (ekz. de specialaj vortkarakteriziloj, de libera vortordo) estas tre valora el la<br />

funkcia vidpunkto kaj devas esti utiligita ankaǔ en internacia lingvo.<br />

4. Ankaǔ la fonetika ortografio en Esperanto devas esti alte taksata el la funkcia<br />

vidpunkto. Male, la tradicia ortografio de la ‚naturalismaj’ projektoj ne povas esti defendata, ĉar<br />

ĝi tute kontraǔas al la raciaj principoj de planlingvo.<br />

Do, la ĉefaj traktoj de la lingva strukturo de Esperanto karakterizas ĝin kiel tre praktikan<br />

r<strong>im</strong>edon de internacia interkompreno kontraste al multaj ‚naturalismaj’ projektoj, kiuj<br />

malatentas la funkcian vidpunkton, la plej gravan por lingvo internacia, kaj atentas unuagrade la<br />

et<strong>im</strong>ologian flankon de ka problemo, kiu tute ne estas ĉefa, se oni konsi<strong>der</strong>as lingvon<br />

internacian kiel instrumenton de praktika interkompreno. Ne nur sociologiaj, sed ankaǔ pure<br />

lingvistikaj kaǔzoj destinis al Esperanto larĝan praktikan utiligon kaj disvastigon.<br />

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