Gisela Spiller, Wenn guten Menschen Böses widerfährt - Peter Godzik
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<strong>Gisela</strong> <strong>Spiller</strong>, <strong>Wenn</strong> <strong>guten</strong> <strong>Menschen</strong> BÄses widerfÅhrt<br />
„Die Religion … ist eine Radikalisierung des ‘Willens zum Sinn’, und zwar insofern,<br />
als es sich um einen ‘Willen zum letzten Sinn’ ... handelt“ (Viktor E. Frankl). Weil dieser<br />
„Wille zum Sinn“ tief eingewurzelt in der <strong>Menschen</strong>natur ist, stellt sich auch immer<br />
wieder die Frage nach dem Sinn von Leiden und BÖsem. Sie stellt sich umso<br />
radikaler, desto religiÖser ein betroffener Mensch ist. Das wird exemplarisch deutlich<br />
an dem Ringen H. Kushners um die Frage nach dem „Warum“ des Leides, in das er<br />
uns in dem Buch „<strong>Wenn</strong> <strong>guten</strong> <strong>Menschen</strong> BÖses widerfÜhrt“ 1 Einblick gibt.<br />
Die Ausgangssituation – was Kushner veranlasst hat, sich der „Frage nach dem Warum“<br />
zu stellen und sein Buch zu schreiben<br />
Harold Kushner wurde durch eine ganz persÖnliche Tragik gezwungen, áber Leid,<br />
Gott und áber seine eigne Arbeit als Seelsorger neu nachzudenken. Als Rabbiner<br />
war er Leid und TragÖdien begegnet, hatte versucht, Trost zu spenden und die <strong>Menschen</strong><br />
Gottes erbarmender Liebe zu versichern. Durch ganz persÖnliches schweres<br />
Leiderleben geriet fár ihn alles auf den Práfstand: Als sein kleiner Sohn Aaron drei<br />
Jahre alt war, stellte sich heraus, dass er an einer unheilbaren Krankheit litt. Das,<br />
was sich zunÜchst als WachstumsstÖrungen gezeigt hatte, erwies sich als Progerie,<br />
eine Krankheit progressiven schnellen Alterns.<br />
Kushner musste sich dieser Diagnose stellen, begreifen, welcher Leidensweg vor<br />
seinem SÖhnchen lag, wissen, dass es nie wie andere Kinder werden wárde, als<br />
Kind das Aussehen eines alten Mannes haben wárde, kaum Ülter als zehn, zwÖlf<br />
Jahre werden kÖnnte. Er musste die physischen und psychischen Qualen seines<br />
Kindes mit ansehen und verlor Aaron kurz nach seinem 14. Geburtstag.<br />
„<strong>Wenn</strong> es Gott wirklich gab und Er nur im geringsten Gerechtigkeit ábte – von Liebe<br />
und Vergebung ganz zu schweigen – wie konnte er mir das antun? Wie konnte gerade<br />
meiner Familie dies widerfahren?“ (S.10 f.)<br />
„Warum hat Gott nicht Aarons Leid und Tod verhindert? Unsre Familie ist doch nicht<br />
besser oder schlechter als andere – ist Gott nicht ungerecht?“<br />
In diese Fragen hineingestoâen, suchte Kushner nach Antwort. Was er fár sich als<br />
helfende Gedanken gefunden hat, will er <strong>Menschen</strong> in Ühnlicher BedrÜngnis weitergeben.<br />
Es entsteht das Buch: „<strong>Wenn</strong> <strong>guten</strong> <strong>Menschen</strong> BÖses widerfahrt“.<br />
Er will denen, die durch Tod, Krankheit, Ungerechtigkeit, EnttÜuschungen ins existenzielle<br />
Fragen nach Gott und seiner Gerechtigkeit gekommen sind, helfen mit dem,<br />
was ihm selber zur inneren Hilfe und Antwort geworden ist. Ein Betroffener schreibt<br />
fár Betroffene.<br />
1<br />
Kushner, Harold S., <strong>Wenn</strong> <strong>guten</strong> <strong>Menschen</strong> BÖses widerfÜhrt, Gátersloh: Gátersloher 2 1988.<br />
Weitere Bácher zum Thema:<br />
Berger, Klaus, Wie kann Gott Leid und Katastrophen zulassen? Stuttgart: Quell 1996.<br />
Brandt, Hans-Martin, Der Hiob in uns. Vertrauen im Zweifeln, GÖttingen: Vandenhoeck & Ruprecht<br />
1986.<br />
Hohensee, Wolfgang, Zum Beispiel: Hiob. Mit <strong>Menschen</strong> der Bibel Lebenskrisen áberwinden, Gátersloh:<br />
Gátersloher 2002.<br />
Khoury, Adel Th./ Hánermann, <strong>Peter</strong> (Hg.), Warum leiden? Die Antwort der Weltreligionen, Herder:<br />
Freiburg 1987.<br />
Máller, A. M. Klaus, Vom Sinn des Leides, in: ders., Leid – Glaube – Vernunft. Signale der<br />
GeschÖpflichkeit, Stuttgart: Radius 1982, S. 13-32.<br />
Rohr, Richard, Hiobs Botschaft. Vom Geheimnis des Leidens, Mánchen: Claudius 3 2006.<br />
Scholl, Norbert: Warum denn ich? Hoffnung im Leiden, Mánchen: KÖsel 1990.<br />
SÖlle, Dorothee, Leiden (1973), Stuttgart: Kreuz 2003.<br />
1
Das „Theodizeeproblem“ – die Frage nach Gottes Liebe und Allmacht<br />
In die Frage „Wie kann Gott so etwas zulassen?“ existentiell hineingeraten, steht<br />
Kushner vor einer Menschheitsfrage. Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit, Allmacht<br />
und Liebe angesichts des Leidens in der Welt ist eine uralte. Man prÜgte dafár den<br />
Fachausdruck „Theodizeeproblem“ (wÖrtlich in etwa: Problem der Rechtfertigung<br />
Gottes).<br />
Im Laufe der Geschichte haben Philosophen, Theologen und Leidende diese Frage<br />
immer wieder neu gestellt: Gefragt: „Wo ist Gott?“ „Ist Gott Liebe bei so viel Leid?“<br />
„Warum greift Gott nicht ein, er ist doch allmÜchtig!“<br />
Immer wieder waren (und sind!) die Antworten schwierig und unzureichend. Immer<br />
wieder bricht die Frage neu auf, weil sie eminent existentiell ist und jeder in irgendeiner<br />
Form davon betroffen ist – als Leidender oder Mitleidender. PersÖnlich und radikal<br />
betroffen und beruflich als Rabbiner immer wieder damit konfrontiert, stellt sich<br />
Kushner der Frage nach dem „Warum“ mit absoluter Ehrlichkeit und RadikalitÜt.<br />
Unser Gottesbild im Judentum und Christentum ist von GlaubenssÜtzen bestimmt:<br />
2<br />
o Gott ist allmÜchtig.<br />
o Gott ist gerecht.<br />
o Gott ist Liebe.<br />
Kushner zeigt: <strong>Wenn</strong> diese GlaubenssÜtze mit dem Leiden in der Welt zusammenstoâen,<br />
sind sie nicht mehr stimmig. Alles bisher Geglaubte und Gedachte gerÜt ins<br />
Wanken, wenn <strong>guten</strong> <strong>Menschen</strong> (<strong>Menschen</strong> „wie du und ich“) BÖses widerfÜhrt.<br />
<strong>Wenn</strong> <strong>Menschen</strong> schuldlos leiden, másste Gott es verhindern: aus Gerechtigkeit und<br />
Liebe – denn es wÜre ihm in seiner Allmacht mÖglich. Warum ist das dann nicht so?<br />
Messerscharf formuliert Kushner die Denkvoraussetzungen und die entstehenden<br />
Diskrepanzen:<br />
A Gott ist allmÜchtig – nichts geschieht ohne seinen Willen.<br />
B Gott ist gerecht und gátig und teilt den <strong>Menschen</strong> zu, was sie verdienen.<br />
C Es gibt schuldloses Leiden, sogar bei „Frommen“.<br />
Stimmt Punkt C (und die Tatsachen des Lebens belegen das!), stimmt entweder<br />
Punkt A oder Punkt B nicht. <strong>Wenn</strong> <strong>Menschen</strong> schuldlos leiden mássen, ist Gott ungerecht<br />
oder er ist nicht allmÜchtig.<br />
Es geht nicht auf. Alle drei Voraussetzungen sind nicht auf einen Nenner zu bringen.<br />
<strong>Wenn</strong> Gott einen Unschuldigen nicht beschátzt und rettet, ist es schwer, an seine<br />
Liebe und Gerechtigkeit zu glauben. Wer angesichts des Leidens von <strong>Menschen</strong> an<br />
Gottes Liebe und Gerechtigkeit festhalten will, muss an seiner Allmacht zweifeln.<br />
In der allerschÜrfsten Form fáhren diese Schwierigkeiten bis dahin, dass die Existenz<br />
Gottes selbst in Frage gestellt wird. „<strong>Wenn</strong> es einen Gott gÜbe, másste er das maâlose<br />
Leid der Weit verhindern!“ Anders gewendet: „Die einzige Entschuldigung Gottes<br />
ist seine Nichtexistenz“ (Nietzsche).<br />
Auch dieses Thema wird in Kushners Buch angesprochen. Es wird deutlich, dass in<br />
der „Frage nach dem Warum“ eine ganze Reihe elementar wichtiger religiÖser Fragen<br />
stecken und wir uns bei diesem Thema im Brennpunkt der Religion befinden.<br />
<strong>Wenn</strong> <strong>guten</strong> <strong>Menschen</strong> BÖses widerfÜhrt, widerfÜhrt ihnen zusÜtzlich zu Leid und Not<br />
die Last des schmerzlichen Fragens „Warum?“<br />
Und mit dieser bedrÜngenden Frage, die ein Bándel weiterer Fragen in sich birgt,<br />
kommt dem Leidenden zusÜtzliche Not und Verunsicherung. Zu helfen, solch zusÜtz-
liche Lasten abzunehmen und Klarheiten zu schaffen, das ist das Ziel, das Kushner<br />
mit seinem Buch zu erreichen versucht.<br />
LÄsungsversuche<br />
Im Bewusstsein des Schwergewichts der „Frage nach dem Warum“ geht Kushner mit<br />
bewundernswárdiger Grándlichkeit LÖsungsmÖglichkeiten nach. Er spielt an Hand<br />
von Beispielen aus seiner SeelsorgetÜtigkeit und in einer intensiven Auseinandersetzung<br />
mit dem biblischen Buch „Hiob“ (das um das Theodizeeproblem ringt!) eine<br />
DeutungsmÖglichkeit nach der anderen durch und práft, ob sie seines Erachtens<br />
nach jeweils standhÜlt.<br />
Indem er mit groâer Ehrlichkeit die mÖglichen LÖsungsversuche testet, leistet er zugleich<br />
eine wichtige seelsorgerliche Arbeit. Er kann den betroffnen Lesern helfen,<br />
sich von zusÜtzlichen Lasten, die durch vorgefasste religiÖse Meinungen entstehen,<br />
zu befreien.<br />
Mit folgenden LÖsungsversuchen setzt Kushner sich auseinander:<br />
1. Leid ist Strafe.<br />
2. Leid ist gÖttliche Práfung.<br />
3. Leid ist Inhalt des Erziehungsplans Gottes.<br />
4. Leid findet seinen Ausgleich in der Gotteswelt (JenseitsvertrÖstung!).<br />
Um das „Práfungsergebnis“ vorwegzunehmen: Bei all diesen Versuchen bleiben<br />
meist die Vorstellungen von Gottes Liebe bzw. Gerechtigkeit auf der Strecke!<br />
Ein glÜubiger Mensch kann zwar in bestimmtem Falle sein Leiden als Folge einer<br />
Schuld verstehen oder als Práfung oder LÜuterung. Und das kann ihm Anlass zur<br />
LebensÜnderung werden.<br />
Aber es gibt Leidsituationen, da helfen solche ErklÜrungsversuche nicht weiter. Und<br />
vor allem, wenn wir vor fremdem Leid stehen, wird es schwierig. Kurzschlássige<br />
Deutungen und Trostspráche kÖnnen dann mehr schaden als nátzen. Kushner macht<br />
das an Beispielen aus seinem Erleben und an den Reden der Freunde Hiobs in der<br />
BibelerzÜhlung deutlich.<br />
Zu 1.: Ist Leid Strafe fÖr Schuld?<br />
Wie kann man an einen Gott der Liebe glauben, wenn ein Kind unschuldig leiden<br />
muss? Was wÜre es fár ein Gott, der „Gerechte und Ungerechte“ mit maâlosem Leid<br />
straft?<br />
<strong>Menschen</strong>, die meinen, im Ungláck noch die Schuld bei sich selbst suchen zu mássen,<br />
werden zusÜtzlich gequÜlt von Selbstzweifeln und Zweifel an Gott.<br />
„Leid ist Strafe“ kann <strong>Menschen</strong> in zusÜtzliche Krisen stárzen und „das Schlimmste<br />
ist, es stimmt nicht einmal“ (S. 20).<br />
Es gibt <strong>Menschen</strong>, die suchen in krankhafter Weise immer die Schuld bei sich selbst.<br />
Sie geraten im Leiden dadurch unter immer stÜrkeren Druck.<br />
„Nicht jedes Ungláck ist unser Fehler, das Resultat unserer Irrtámer oder unserer<br />
Schlechtigkeit!“ (S. 98) – es gibt schuldloses Leiden. Zu diesem Resultat fáhrt Kushners<br />
Nachdenken.<br />
Zu 2.: Ist Leid gÄttliche PrÖfung?<br />
Zu welcher Gefáhlsverwirrung und seelischen Belastung es kommen kann, wenn<br />
man versucht, Leidende mit dem Gedanken „Gott práft Dich!“ zu trÖsten, macht<br />
3
Kushner deutlich am Beispiel einer Frau, die erfahren musste, dass sie an einer unheilbaren<br />
Krankheit litt und nun in zusÜtzliche Glaubenszweifel gestoâen wurde:<br />
„<strong>Wenn</strong> Gott ihr diese Qualen geschickt hatte, wenn er aus welchen Gránden auch<br />
immer wollte, dass sie so leiden musste – wie konnte sie ihn dann bitten, sie davon<br />
zu befreien?“ (S. 26)<br />
Und er schreibt aus seiner seelsorgerlichen Erfahrung, dass er dem Gedanken „Leid<br />
ist Práfung“ skeptisch gegenáber steht, weil er oft <strong>Menschen</strong> unter dem Druck eines<br />
unertrÜglichen Schicksals zusammenbrechen sah.<br />
„Ich sah Ehen zerbrechen nach dem Tod eines Kindes ... ich habe <strong>Menschen</strong> erlebt,<br />
die zynisch und bitter wurden. <strong>Wenn</strong> Er uns nur aufbárden will, was wir auch ertragen<br />
kÖnnen, so habe ich oft erleben mássen, wie sehr Er sich getÜuscht hat“ (S. 34).<br />
Zu 3.: Ist Leiden Erziehung?<br />
Der Gedanke, Gott erziehe die <strong>Menschen</strong> so, wie ein Vater Kinder erzieht, ist zunÜchst<br />
einleuchtend (und Stellen in der Bibel legen das auch nahe). Aber vor ábergroâem<br />
Leiden und Ungláck hÜlt auch dieser ErklÜrungsversuch nicht stand. Wie<br />
wird es zum Beispiel auf einen QuerschnittsgelÜhmten wirken zu sagen: „Gott wollte<br />
dir damit eine Lektion erteilen.“<br />
Solche Reden kÖnnen dem Leidenden nicht helfen. „Alle diese Begrándungen zeigen<br />
die Missachtung vor dem Wert des einzelnen Lebens.“ Sie sind eher da, „um Gott zu<br />
rechtfertigen und Worte und Ideen dazu zu missbrauchen“ (S. 31).<br />
Kushner folgert aus dem Tatbestand, dass Kinder in einem Swimmingpool ertrinken<br />
oder aus dem Fenster stárzen und man dann sagt, das Ungláck sei eine Mahnung<br />
fár Eltern oder Babysitter: „Der Preis ist zu hoch“ (S. 31). Und seine eigene Betroffenheit<br />
lÜsst ihn ausrufen: „Ich bin auâer mir áber die, die meinen, Gott schaffe behinderte<br />
Kinder, damit die Mitmenschen Mitleid und Dankbarkeit lernen“ (S. 31).<br />
Zu 4.: JenseitsvertrÄstung<br />
Genauso erfasst Kushner EmpÖrung, wenn der Hinweis auf die Welt Gottes zum<br />
Trost im Leid missbraucht wird. Er erzÜhlt von der Trauerfeier eines verstorbenen<br />
Kindes, bei der der Geistliche die Eltern und AngehÖrigen zu Dankbarkeit auffordert,<br />
dass das Kind aus der „Sándenwelt“ ins „Land der Seeligen“ entnommen ist. Er<br />
wehrt sich dagegen, auf diese Weise Tod und Ungerechtigkeit zu verklÜren und folgert:<br />
„Der Glaube, in eine Welt zu gelangen, in der die Unschuldigen fár alle ihre Leiden<br />
belohnt werden, kann helfen, die Ungerechtigkeit dieser Welt zu ertragen, ohne<br />
den Glauben an Gott zu verlieren. Aber er kann ebenso als Entschuldigung dafár<br />
dienen, dass man sich nicht áber die Ungerechtigkeit in dieser Welt aufregt“ (S. 37) –<br />
und dementsprechend handelt!<br />
Zusammengefasst ergibt sich Folgendes:<br />
Einige dieser LÖsungswege erscheinen gut und verstÜndnisvoll, aber keiner befriedigt<br />
wirklich. <strong>Wenn</strong> man Gott als Ursache und Urheber des Leides denkt (oder denken<br />
zu mássen glaubt!), muss es zu Zweifeln an seiner Gerechtigkeit und Liebe<br />
kommen. Darum versucht H. Kushner, einen anderen LÖsungsweg zu suchen, und<br />
setzt bei der Frage nach Gottes Allmacht an.<br />
4
Der LÄsungsversuch Kushners<br />
Kushner hinterfragt die These von der „Allmacht Gottes“: „Vielleicht ist Gott gar nicht<br />
die Ursache unseres Leidens? Vielleicht geschieht es irgendwie auâerhalb von Gottes<br />
Willen?“ (S. 38)<br />
Was zunÜchst wie Mangel an religiÖser Ehrfurcht und auâergewÖhnlich gewagt anmutet,<br />
erweist sich anhand der einzelnen äberlegungsschritte, auf die uns Kushner<br />
in seinem Buch mitnimmt, als ein mÖglicher Weg des Verstehens, als eine Quelle,<br />
aus der Leidenden positive KrÜfte und Impulse zuflieâen kÖnnen.<br />
Solch einen LÖsungsweg zu gehen, bringt Kushner und alle, die er innerlich mitnimmt<br />
auf seinem Gedankenweg, in direkte Verbindung zu ihren besten KrÜften und Empfindungen:<br />
„Woher nehme ich meine EmpÖrung und meinen Zorn, meine instinktive Sympathie,<br />
wenn einem <strong>Menschen</strong> BÖses widerfahren ist? Kommt mir das nicht alles von Gott?<br />
Ist nicht mein Mitleidsgefáhl … nur eine Widerspiegelung des Mitleids, das Gott fáhlt,<br />
wenn er das Leiden seiner Kreatur sieht?“ „Ich mÖchte gerne glauben, dass ER und<br />
ich auf der gleichen Seite sind, wenn wir auf Seite der Opfer stehen“ (S. 134/84).<br />
Folgende (provokativ klingende) Thesen stellt Kushner auf:<br />
o Leid und Unheil ist nicht von Gott geschickt.<br />
o Nicht alles, was geschieht, ist sein Wille.<br />
o Gott ist nicht allmÜchtig.<br />
Diesen Thesen nachgehend kommt er zu den Gedanken:<br />
o Gott leidet am Leid der Welt.<br />
o Gott kann im Leiden zur Quelle von Trost und Kraft werden.<br />
Kushner wehrt sich gegen die religiÖse Vorstellung „alles ist Gottes Wille“. Er versucht<br />
– wieder mit Hilfe von Beispielen aus seiner eignen Erlebnis- und Erfahrungswelt<br />
– zu zeigen, zu welchem verzerrten Gottesbild solche Gedanken fáhren und<br />
summiert:<br />
„Es fÜllt mir leichter, einen Gott zu verehren, dem Leiden verhasst sind, der sie aber<br />
nicht verhindern kann, als an einen Gott, der Kinder leiden und sterben lÜsst, aus<br />
welchen Gránden auch immer!“ (S. 129)<br />
Manches – so Kushner – was an Schlimmem geschieht, ist einfach Missgeschick,<br />
manches geht zu Lasten von Schuld und Versagen von <strong>Menschen</strong>, manches ist Folge<br />
der Gesetze, denen unsere Welt unterworfen ist.<br />
Nicht Gott schickt BÖses, Ungláck und Leid. äbel und BÖses gehÖren zu der Wirklichkeit<br />
einer unfertigen Welt.<br />
„Dinge, die grundlos geschehen, werden uns weiterhin heimsuchen. Erdbeben, Mord<br />
und Raub sind nicht Gottes Wille, sondern Aspekte der Wirklichkeit“ (S. 63).<br />
Mit verschiedenen Hinweisen versucht Kushner, ein gewisses VerstÜndnis fár solche<br />
Gedanken bei seinen Lesern zu erwecken: Er verweist auf die Vorstellung, dass die<br />
SchÖpfung Gottes ein unvollendeter Prozess ist. Den Wandlungsprozess der SchÖpfung<br />
vom Chaos zur heilen Ordnung sieht er noch im Gange, im BÖsen und im Unheil<br />
so etwas wie „Chaosreste“. Diese Unfertigkeit der Welt „setzt Gott Grenzen“ – er<br />
ist nicht allmÜchtig!<br />
5
Und auf einen zweiten Punkt der „Grenzen Gottes“ weist Kushner hin: Der Mensch<br />
hat die Entscheidungsfreiheit fár sein Handeln. Vieles BÖse auf der Welt geschieht<br />
durch <strong>Menschen</strong>. Warum kann es Gott nicht verhindern? Er másste dann die Freiheit<br />
zur Entscheidung nehmen. „<strong>Wenn</strong> wir verpflichtet wÜren, nur das Gute zu tun, besÜâen<br />
wir nicht die Freiheit, uns zu entscheiden“ (S. 80). „<strong>Menschen</strong> kÖnnen sich gegenseitig<br />
belágen, berauben, verletzen und Gott kann nur mitfáhlend und voller Mitleid<br />
zuschauen ...“ (S. 81).<br />
Ein Gott, der leidet, entspricht einem Gottesbild, das fár <strong>Menschen</strong> annehmbarer ist,<br />
als die Vorstellung eines allmÜchtigen, mitleidlosen Gottes. <strong>Wenn</strong> ich mich damit abfinde,<br />
dass Gottes Allmacht begrenzt ist, dass es Ungláck, Grausamkeit und Krankheit<br />
in seiner Weit gibt und dass BÖses geschehen kann, bin ich in der Lage, die<br />
Blickrichtung zu Ündern. Statt der unlÖsbaren Frage immer weiter nachzuhÜngen<br />
„Warum ist das geschehen?“, kann ich fragen „Was kann ich, da mir solches widerfahren<br />
ist, jetzt tun, und wer kann mir helfen?“ (S. 128). Ich kann dem sinnlos scheinenden<br />
Schicksal einen Sinn geben. So tut es Kushner mit seinem eignen Schicksal<br />
und schreibt auf Grund seiner Leiderfahrungen ein Buch zur Hilfe fár viele!<br />
Und wenn ich die Ursache meiner Leiden nicht bei Gott suchen muss, ist es mir mÖglich,<br />
bei Gott Státze und StÜrke in meiner Not, in meinem Leiden zu suchen. „<strong>Wenn</strong><br />
Gott ein gerechter, aber nicht allmÜchtiger Gott ist, dann kann Er auch auf unserer<br />
Seite stehen, wenn uns BÖses widerfÜhrt“ (S. 52).<br />
Wir werden dann die Erfahrung machen, dass uns KrÜfte zuflieâen, die wir vorher<br />
nicht hatten. „<strong>Wenn</strong> Leute, die niemals besonders stark waren, angesichts des Unglácks<br />
stark werden, ... in kritischen Situationen selbstlos und tapfer werden, muss<br />
ich doch fragen, woher plÖtzlich diese Eigenschaften kommen“ (S. 134).<br />
Kushner weist darauf hin, dass in biblischen Texten wiederholt davon geredet wird,<br />
dass Arme, Witwen und Waisen unter dem besonderen Schutz Gottes stehen. Die<br />
Frage, wie es geschehen konnte, dass sie arm, verwitwet, verwaist und verlassen<br />
sind, wird dabei nicht gestellt.<br />
An anderer Stelle sagt er es noch pointierter. In den Psalmen heiât es: „Meine Hilfe<br />
kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ – nicht „mein Leiden<br />
kommt vom Herrn ...“<br />
<strong>Wenn</strong> der Weg frei ist, Hilfe bei Gott zu suchen, weil ich ihn nicht fár alles Leid der<br />
Welt verantwortlich sehen muss, dann ist er auch frei fár die wunderbare Erfahrung,<br />
die <strong>Menschen</strong> zu allen Zeiten gemacht haben: „... Und ob ich schon wanderte im<br />
finstern Tal fárchte ich kein Ungláck. Dein Stecken und Stab trÖsten mich ...“ (aus<br />
Psalm 23).<br />
Kurzfassung der Gedanken Kushners<br />
Das Anliegen des Buches „<strong>Wenn</strong> <strong>guten</strong> <strong>Menschen</strong> BÖses widerfÜhrt“ ist im Wesentlichen<br />
ein seelsorgerliches. Der Leser wird ganz persÖnlich seelsorgerlich angesprochen:<br />
„<strong>Wenn</strong> Du so einer bist, der an Gottes Gáte und Gerechtigkeit glauben mÖchte,<br />
es aber zu schwer findet wegen all der Dinge, die Dir und <strong>Menschen</strong>, die Du liebst,<br />
zugestoâen sind ...“, spricht Kushner schon im Vorwort seinen Leser an und sagt:<br />
„Ich wollte schreiben, um anderen <strong>Menschen</strong> zu helfen“ (S. 13).<br />
Deshalb wage ich den Versuch, die hauptsÜchlichsten Aussagen des Buches in einfache<br />
SÜtze zu fassen:<br />
6
Dir ist Leid und UnglÖck zugestoÜen.<br />
Du quÅlst Dich mit der Frage „Warum hat mir Gott das angetan?“<br />
Du leidest mit den Leidenden dieser Welt und in Dir schreit es:<br />
„Wie kann Gott das zulassen?“.<br />
QuÅl Dich nicht!<br />
Zermartere Dir nicht Deinen Kopf, Dein Herz!<br />
Nicht Gott ist es, der Dich leiden lÅsst.<br />
Dein Leiden ist nicht die Strafe fÖr irgendeine Schuld.<br />
Gott schickt nicht Leiden, um zu erziehen oder zu prÖfen,<br />
nicht um Dich auf ein besseres Jenseits vorzubereiten.<br />
HÄr auf, Dir selbst Schuld zu geben und Dir wehzutun!<br />
Es ist nicht Gott, der Erdbeben und Wasserfluten und Krankheiten schickt.<br />
Es kommt nicht alles von Gott!<br />
Viel Leid und UnglÖck entsteht,<br />
weil <strong>Menschen</strong> <strong>Menschen</strong> Unrecht tun –<br />
in ihrer Freiheit, sich so oder so zu entscheiden.<br />
Und solange die Weit so ist, wie sie ist,<br />
wird es Katastrophen und Leid geben.<br />
Die Welt ist unvollkommen, noch nicht fertig.<br />
Die SchÄpfung ist ein Entwicklungsprozess.<br />
Sieh es so: Gott ist nicht die Ursache Deines Leides.<br />
Neben der <strong>guten</strong> SchÄpferkraft Gottes ist noch Chaos.<br />
Es gibt das BÄse, ChaosmÅchte, den blinden Zufall.<br />
Dein Leiden ist Dein Anteil an den Leidstrukturen dieser unvollkommenen Welt.<br />
Alles, was sich aufbÅumt in Dir gegen Leiden und Ungerechtigkeit,<br />
kommt aus Deiner inneren Verwandtschaft mit der SchÄpferkraft,<br />
die wir „Gott“ nennen, Deine Liebe aus seiner Liebe.<br />
Mach Dich frei von Dogmen und Glaubensvorstellungen,<br />
die Dich in Verzweiflung stoÜen.<br />
Verlass Dich auf Dein Herz!<br />
In Deiner eigenen Liebe und GÖte<br />
widerspiegelt sich die Liebesmacht Gottes.<br />
An diese Macht kannst Du Dich wenden in Deiner Not.<br />
Daraus wird Dir die Kraft kommen,<br />
Dein Leid zu tragen,<br />
Dein Leben zu bestehen,<br />
Liebe zu geben.<br />
Lass die Warumfrage auf sich beruhen,<br />
frag „Was kann mir jetzt helfen?“<br />
„Verzeihung und Liebe sind die Waffen,<br />
die Gott uns gegeben hat,<br />
um ein erfÖlltes, tapferes und sinnvolles Leben<br />
in dieser unvollkommenen Welt leben zu kÄnnen!“ (Kushner)<br />
Meine Meinung zu der „Frage nach dem Warum?“<br />
Auch wenn man der Frage nach dem „Warum“ noch nicht in solcher Tiefe begegnet<br />
ist, wie sie im Hiobbuch gestellt wird oder wie sie z. B. Harold Kushner in seinem<br />
schweren Familienschicksal betroffen hat, so ist es doch eine ganz persÖnlich beráhrende,<br />
brennende Frage fár jeden.<br />
7
Sie stellt sich spÜtestens dann, wenn man vor eignem tiefem Leid und Ungláck oder<br />
dem Leiden Nahestehender steht, aber auch angesichts von so viel Ungerechtigkeit<br />
und Leid auf der Welt.<br />
PersÖnlich bin ich in den letzten Jahren ganz nah mit dieser Frage konfrontiert worden<br />
durch das Miterleben schwerer Schicksalsfáhrungen mir nahestehender <strong>Menschen</strong>.<br />
Dass es sich verbietet, in solchen Leidsituationen mit frommen Reden vom Willen<br />
Gottes und seiner Allmacht zu reden, war mir klar. Und dass Schweigen besser ist<br />
als falscher frommer Trost, auch.<br />
In mir ist ein Wissen, dass die Macht, die ich „Gott“ nenne, nicht „inhumaner“ sein<br />
kann als „humane“ <strong>Menschen</strong>. Und ich glaube, dass „Liebe“ ein anderes Wort fár das<br />
GÖttliche ist.<br />
Woher aber kommt dann Leiden und BÖses? All die Gedankenwege, die ich auf der<br />
Suche nach Antwort gegangen bin, haben mich nicht ans Ziel gebracht.<br />
Aber mich hat getrÖstet, dass es schon vor fast 2000 Jahren Christen gegeben hat,<br />
die das Problem zu lÖsen versuchten, indem sie trennten zwischen Gott, dem Vater<br />
Jesu Christi, und einem WeltschÖpfergott. Dem WeltschÖpfer, den sie als „Demiurgen“<br />
bezeichneten, schrieben sie Unheil, Unvollkommenes der Welt und das BÖse<br />
zu. (Lehre von Marcion und seinen AnhÜngern. Marcion verbreitete seine Gedanken<br />
ca. 150 n. Chr. und eine Art „Nebenkirche“ entstand!)<br />
Nicht, dass ich das fár eine fár mich schlássige WelterklÜrung halten wárde. Aber<br />
das Problem wird deutlich gesehen und versucht, den Glauben an die Liebe Gottes<br />
trotz Katastrophen, Elend und unermesslichem Leid festhalten zu kÖnnen. Und das<br />
ist fár mich jeden Denkversuch wert – auch wenn es sich letztlich in den Ergebnissen<br />
nur um intellektuelle NotlÖsungen handelt.<br />
Geholfen hat mir in diesen Fragen auch die Sicht von Albert Schweitzer. Er konstatierte:<br />
„Das auf Wahrheit ausgehende Denken muss sich eingestehen, dass ein Geist<br />
der Gátigkeit in dem Weltgeschehen nicht am Werke ist ... Die Welt ist Grausiges in<br />
Herrlichem, Sinnloses in Sinnvollem, Leidvolles in Freudvollem. Die Ethik befindet<br />
sich nicht in Harmonie zu solchem Weltgeschehen, sondern in Auflehnung gegen es.<br />
Sie ist die Regung eines Geistes, der anders sein will als der, der sich in der Welt<br />
kundgibt.“<br />
In Anerkennung des unbestreitbar Schlimmen in der Welt den Einsatz fár das Gute,<br />
LebensfÖrdernde leisten, auch wenn die letzten Fragen des Daseins áber unser Erkennen<br />
hinausgehen – fár mich eine gute Wegweisung!<br />
Und wenn auch vieles offen bleibt und mir nicht lÖsbar scheint, so sagt das doch nur,<br />
dass ich mit meinem Verstehen nicht weitergekommen bin, und nichts áber die ZusammenhÜnge<br />
von „Gott und der Welt“ an sich.<br />
Ich kann akzeptieren, dass mein Denken an Grenzen stÖât, aber ich kann nicht akzeptieren,<br />
mir Gott als ein strafendes, rÜchendes Prinzip vorzustellen, das Leid und<br />
Elend áber Welt und <strong>Menschen</strong> bringt.<br />
Von daher versteht sich, dass es mir sehr hilfreich erscheint, was Kushner in seinem<br />
Buch – aus tiefer eigener Betroffenheit – darlegt.<br />
Vieles von dem, was in dem Buch anklingt, ist mir „aus der Seele gesprochen“! Das<br />
zugrundeliegende Gottesbild ist mir sehr nahe. <strong>Wenn</strong> ich auch nicht jedem einzelnen<br />
Gedanken voll zustimmen kann und gegen einiges Vorbehalte habe, so kann ich<br />
8
doch nur bewundern, wie klar sich Kushner der „Frage nach dem Warum“ stellt und<br />
wie er in groâer seelsorgerlicher Verantwortung Lasten aus dem Weg rÜumt, die unweigerlich<br />
auf <strong>Menschen</strong> liegen mássen, die an bestimmten religiÖsen Vorstellungen<br />
festhalten. Mir gefÜllt die Konsequenz, mit der Kushner ins Bewusstsein ruft, dass es<br />
ein unlÖsbares Problem ist und bleibt, gleichzeitig<br />
o an der Schuldlosigkeit eines Leidenden,<br />
o an Gottes Liebe und Gerechtigkeit und<br />
o an dem Gedanken der Allmacht Gottes<br />
festhalten zu wollen.<br />
Dass der Glaubenssatz „Gott ist allmÜchtig“ ausgeklammert wird, macht den Weg<br />
frei, sich in Not und BedrÜngnis an Gott zu wenden. Und er hilft zu der Sicht „Gott<br />
leidet mit den Leidenden“.<br />
In Anlehnung an ein Plakat aus der Zeit der „Gott-ist-tot-Theologie“ (auf dem stand:<br />
„Mein Gott ist nicht tot, tut mir leid fár deinen“) prÜgt Kushner den Slogan „Mein Gott<br />
ist nicht grausam, tut mir leid fÖr deinen!“<br />
Das ist es – auf eine Kurzformel gebracht –, was mich den Gedanken Kushners so<br />
nahebringt.<br />
Etwas Zweites, was in Kushners Denken eine Rolle spielt, ist mir in meiner eigenen<br />
Stellung zu der Frage nach dem „Warum“ besonders wichtig: Kushner fordert dazu<br />
auf, die „Warum-Frage“ in eine „Wozu-Frage“ zu wenden.<br />
Weil es letztendlich keine ganz eindeutige Antwort auf die Frage nach dem „Warum“<br />
gibt und das Fragen wie eine Sackgasse ist, ist es gut und hilfreich zu áberlegen:<br />
„Was kann ich jetzt in meiner Situation tun, was kann mir helfen?“<br />
An dieser Stelle beráhrt sich das, was Kushner rÜt, mit dem, was mir in eigenen<br />
schweren Lebenslagen gehoffen hat und was mir zur Hilfe in GesprÜchen mit <strong>Menschen</strong><br />
in Leid und Not geworden ist: mit den Gedanken und Konzepten der Logotherapie.<br />
Diese von Viktor Frankl vertretene Richtung der Psychotherapie ist mir in der Auseinandersetzung<br />
um Leid und Verlust durch die Schriften von Frankl und seiner Schálerin<br />
Elisabeth Lukas 2 als sehr hilfreich begegnet. Die logotherapeutische Richtung<br />
geht davon aus, dass bei unwiederbringlichem Verlust, ungerechtem Leiden und unbegreiflichem<br />
Schicksal immer noch ein neuer Anfang und eine Sinngebung mÖglich<br />
sind und auf die Frage „Was kann ich jetzt tun?“ immer ein bestmÖglicher Rat und<br />
eine bestmÖgliche Antwort gefunden werden kann. Zu solcher Wendung der „Warum-Frage“<br />
ermutigt auch Kushner und gibt damit Lebenshilfe.<br />
Aber so sehr ich mich den Gedanken Kushners verbunden fáhle und im Wesentlichen<br />
anschlieâen kann – ein Rest bleibt. Es gibt in seinem Buch Thesen und SÜtze,<br />
bei denen es mir geht, als ob ein inneres Warnsignal aufleuchten wárde. Wo ich<br />
denke, es kÖnnte so sein – aber ist es so?<br />
Ist es nicht letztlich doch zu einfach, alles Gute Gott zuzuschreiben und alles was mir<br />
BÖses, Schlimmes, Schreckliches zu sein scheint, herauszunehmen? Ist das nicht<br />
vielleicht doch zu gradlinig, zu einfach und geht dabei nicht alles zu sehr auf und<br />
deshalb nur scheinbar?<br />
2<br />
Vgl. dazu: Elisabeth Lukas, In der Trauer lebt die Liebe weiter, Mánchen: KÖsel 1999.<br />
9
Es bleibt ein geistiges Unbehagen. Und trotz aller zustimmenden Gedanken zu<br />
Kushners Ansicht „Gott ist nicht fár alles verantwortlich und sein Wirken hat Grenzen“,<br />
so mÖchte ich trotzdem glauben, was mir so viele BibelsÜtze nahelegen: „Dein<br />
Leben wird von Gott und seinen <strong>guten</strong> MÜchten bestimmt. Was Dir an Schicksal aus<br />
Versagen von <strong>Menschen</strong> und der Unvollkommenheit der Welt zustÖât, ist in irgendeinem<br />
hÖheren Sinn – in einer nicht erreichbaren Denkebene – mit Gott verbunden.“<br />
Ich mÖchte denken dárfen: In der Wendung an Gott ist Schicksal auch beeinflussbar.<br />
<strong>Wenn</strong> ich den mir liebgewordenen Morgensegen Luthers spreche: „Dein heiliger Engel<br />
sei mit mir, dass der bÖse Feind keine Macht an mir finde ...“, rechne ich mit einer<br />
Wirklichkeit, die hinter diesen Worten steht und mit der von Mendelssohn so wunderbar<br />
vertonten Psalmzusage „Denn er hat seinen Engeln befohlen áber Dir ...“ Das<br />
sind Gedanken und Bedenken, die ich nicht unterschlagen mÖchte – auch mir selber<br />
gegenáber nicht.<br />
Ich kann nicht zu Kushners Thesen sagen: „Ganz genau so ist es, genauso stimmt<br />
es!“ Aber ich sage: „So kann man es sehen. So kann man <strong>Menschen</strong> in ihren Fragen<br />
weiterhelfen!“ Es ist eine mir sehr einleuchtende und sehr nahestehende Sicht der<br />
Dinge.<br />
Ich bin froh, dass Kushners Buch meinen Weg gekreuzt hat und dass mich die Arbeit<br />
im Hospizkurs veranlasst hat, mich damit grándlich auseinanderzusetzen. Es hat mir<br />
vieles im Zusammenhang der Frage nach dem „Warum“ deutlicher gemacht und mir<br />
inneren Gewinn gebracht.<br />
Ich mÖchte einen Text anschlieâen, der vor einiger Zeit bei der intensiven Auseinandersetzung<br />
mit Kushners Thesen entstand:<br />
Zu knapp<br />
Unrecht und Leid auf der Welt<br />
und dann die Frage nach Gott<br />
„AllgÖtiger, barmherziger Gott<br />
ist Deine Macht begrenzt?“<br />
Seelen fragen sich wund<br />
seit <strong>Menschen</strong>gedenken<br />
Zu knapp das Tuch des Versteh’ns<br />
unbedeckt bleibt immer ein Rest:<br />
Gottes Liebe, Allmacht und das Leid –<br />
sie schlieÜen einander aus!<br />
Nie reicht es ganz, das Tuch,<br />
zieh’n wir’s auch hin und her.<br />
Immer bleibt es zu knapp –<br />
zieh’s wie d e i n Sinn es vermag.<br />
Ich setze auf Gottes L i e b e !<br />
<strong>Gisela</strong> <strong>Spiller</strong> 3<br />
3<br />
<strong>Gisela</strong> <strong>Spiller</strong>, Bad Harzburg: Abschlussarbeit Hospizkurs 2002/03 mit folgender Aufgabenstellung:<br />
„Stellen Sie das Wesentliche des Buches von Harold Kushner in den Mittelpunkt und begránden Sie<br />
Ihre eigene Meinung zu der Frage nach dem ‘Warum’“. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.<br />
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