1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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Der Rangstreit der Jesus-Jünger ist womöglich keine bloß historische Reminiszenz.<br />
Unter den politischen Parteien hat es den Streit um die Sitze und Plätze im Wahlkampf<br />
reichlich gegeben. Und das Ergebnis war ja durchaus überraschend und klar.<br />
Es hat Sieger und Verlierer gegeben – aber diejenigen, die die Wahl gewonnen haben,<br />
wissen aus eigener schmerzlicher Erfahrung und nicht erst belehrt durch unseren<br />
Bibeltext, dass nun nicht etwa das Herrschen, sondern das Dienen losgeht. Die<br />
besseren politischen Konzepte müssen her, in Zeiten des Mangels und der wachsenden<br />
Unzufriedenheit ist das keine leichte Aufgabe. Ach, wie war es doch vordem<br />
mit den vollen Kassen so bequem. Das hat man nun davon: Die Wahl gewonnen und<br />
die schwere Arbeit übernommen!<br />
Ja, so ist es. Auch in der Politik werden keine Ehrenplätze in Ehrenlogen vergeben,<br />
sondern verantwortungsvolle Sitze und Mandate übernommen, die zum Dienen verpflichten.<br />
Manch einer von Ihnen wird dann die kleinste Kleinigkeit entdecken über dem Wappen<br />
des Kreises: das Kreuz über der preußischen Königskrone.<br />
Es wirkt wie ein Relikt aus alter Zeit. Sollte es uns noch so bestimmen wie eine Obrigkeit,<br />
die sich selbst als christlich verstand und es selbst nicht immer war? Gilt nicht<br />
unter uns heute die weltanschauliche Neutralität des Staates als oberstes Gut? Da<br />
mag selbst ein solcher Gottesdienst zur Eröffnung des Lauenburgischen Kreistages<br />
bei manchen auf Kritik stoßen.<br />
Aber schauen wir genauer hin: Bedürfen wir nicht alle des Gebetes und der Vergewisserung<br />
durch gute Worte? Und am Ende werden wir noch miteinander entdecken,<br />
dass das Kreuz ein ganz besonderes Zeichen ist. Der Philosoph Eugen Rosenstock-<br />
Hussey, einer der großen Vordenker der europäischen Idee, beschrieb es als das<br />
„Kreuz der Wirklichkeit“. Ausgespannt sind wir da zwischen außen und innen, zwischen<br />
gestern und morgen. Ich will das kurz erläutern.<br />
Wir sprechen gern über „den“ Menschen, aber „der“ Mensch ist eine Abstraktion, die<br />
in der Wissenschaft und in der Statistik besteht. Im konkreten Leben begegnen wir<br />
Menschen (in der Mehrzahl), die darüber hinaus an einen bestimmten Raum und eine<br />
bestimmte Zeit gebunden sind.<br />
Wir wohnen zusammen mit anderen zu einem bestimmten Zeitpunkt, in einem bestimmten<br />
Gebiet. Zusammen mit anderen leben wir unser Mensch-Sein. Wir sorgen<br />
dafür, dass wir zu essen haben, dass wir unsere Kinder zur Welt bringen können, wir<br />
fangen Streit mit Gegnern an, wir haben unsere sozialen Absicherungen und unsere<br />
Freizeit, kurz, unsere Lebensform äußert sich als Kultur, als menschliches Verhaltensmuster,<br />
das unverkennbar den Stempel von Zeit und Milieu trägt. Durch diese<br />
Bindung an Zeit und Ort können wir zwei Tatsachen unterscheiden, die beide zwei<br />
Pole haben, mit denen wir es zu tun bekommen. So entsteht das, was Eugen Rosenstock-Hussey<br />
das „Kreuz der Wirklichkeit“ nennt.<br />
Wir wohnen irgendwo – nein nicht irgendwo, sondern in unserem schönen Kreis Herzogtum<br />
Lauenburg –, in einem bestimmten Land oder Gebiet, dies bedeutet, es gibt<br />
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