1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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Vielleicht bin ich aber auch einer von den bedauernswerten Atlanten, die auf ihren<br />
Schultern fast die halbe Last des Gewölbes tragen, weil ich mich nicht traue oder zu<br />
stolz bin, andere um Hilfe zu bitten.<br />
Es gibt solche und solche Steine in unseren Gemeinden: Es gibt solche, die zögern<br />
und am liebsten nur zuschauen, es gibt solche, die ständig meckern und nörgeln,<br />
und solche, die fast die ganze Last der Verantwortung alleine tragen. Das aber ist<br />
nicht das Traumbild einer Kirche, wie Gott sie sich wünscht. „Einer trage des anderen<br />
Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“, so heißt es im Galaterbrief (6,2). Also,<br />
einer stütze den anderen. Die Last werde verteilt auf viele Schultern. Und so wird<br />
auch die Freude aller wachsen, der Zusammenhalt und die Liebe untereinander zunehmen.<br />
Und ein Weiteres: Was gibt es, das ich einbringen könnte, damit das Haus unserer<br />
Gemeinde Stabilität erlangt? Steine können klingen, Steine können wachsen, Steine<br />
können Wärme speichern und abgeben, haben wir vorhin erkannt. Was kann ich als<br />
Teil unserer Gemeinde einbringen, als Gabe, an Talent, an Fachwissen?<br />
Ein Mensch, der gut zuhören kann, findet seinen Platz vielleicht am Bett eines Kranken<br />
– und ein Mensch, der gut erzählen kann, findet seinen Platz als Mitarbeiter oder<br />
Mitarbeiterin im Kindergottesdienst.<br />
Menschen, die über großes Fachwissen und Lebenserfahrung verfügen, haben sich<br />
aufstellen lassen zur Kirchenvorstandswahl – und Menschen, die einfach gerne zupacken,<br />
dürfen beim nächsten Gemeindefest nicht zuhause bleiben.<br />
Ein Mensch, der gerne in der Stille betet, sollte mit offenen Augen durch die Gemeinde<br />
gehen und die Not, die er sieht, vor Gott bringen – und ein Mensch, dem dafür die<br />
Worte fehlen, der sollte hingehen und helfen.<br />
Ein Mensch, der die Traditionen kennt und liebt, sollte sie behutsam bewahren und<br />
weiter entwickeln helfen – und ein Mensch, der neugierig ist auf Neues, sollte frischen<br />
Wind in unsere Gemeinden bringen.<br />
Ein Haus aus lebendigen Steinen ist nicht nur eine Vision für die Zukunft – für ein<br />
fernes Reich Gottes. Dieses Haus aus lebendigen Steinen, das können wir heute<br />
schon werden.<br />
Indem wir zulassen, dass unsere schon ganz hart und kalt gewordenen Herzen mit<br />
unserem menschlichen Gegenüber wieder mitempfinden, dass unsere manchmal<br />
schon resigniert verschlossenen Augen sich wieder füreinander öffnen, und unsere<br />
auf Durchzug gestellten Ohren wieder auf das hören, was der andere sagt.<br />
Unsere Gemeinde wird wieder lebendig, wenn wir selbst wieder lebendig werden.<br />
Und unsere steinernen Herzen wieder Herzen aus Fleisch und Blut.<br />
Bleibt eigentlich nur noch eine Frage offen: Wer hält letztendlich denn diesen ganzen<br />
lebendigen Bau zusammen?<br />
Mein erster Gedanke war bei der Vorstellung eines Gebäudes aus lebendigen, sich<br />
bewegenden Steinen nämlich der, dass solch ein Gebäude eigentlich sehr instabil<br />
sein müsse. Da wackelt ja alles, war meine Befürchtung. Das hält doch nie.<br />
Und genau diese Befürchtung lähmt auch unsere Gemeinden! Wenn jetzt jeder das<br />
einbringt, was er oder sie kann, die Lustigen und die Ernsten, die Traditionalisten und<br />
die Erneuerer, die Zögernden und die Forschen, die Frommen und die Freigeister –<br />
gibt denn das alles nicht ein heilloses Durcheinander? Ein instabiles Gebäude, in<br />
dem keiner weiß, wo es langgeht? Und das letztlich in sich zusammenfällt?<br />
Als hätte der Verfasser des 1. Petrusbriefes geahnt, wie ängstlich wir Menschen<br />
doch bei solch einer Vorstellung sind. Er sagt uns:<br />
„Kommt zu Jesus Christus als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen<br />
ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Er ist zum Eckstein geworden.“<br />
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