1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...

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08.09.2002: 15. Sonntag n. Tr. (Tag des offenen Denkmals in Niendorf a.d.St.) 1. Mose 2,4b-10a.15 „Sie haben es hier wie im Paradies“ – so pflegen wir zu sagen, wenn wir bei einem Besuch bei Freunden oder Bekannten entdecken, wie schön sie es haben. Auch und gerade hier in Niendorf a.d.St.! Das Haus oder die Gartenhütte steht in einem gepflegten Garten. Bäume geben ihren Schatten. Blumen blühen. Gemüse wächst. Es ist ein erfreulicher Anblick. Die Gastgeber hören unser Lob voll stolz und Befriedigung. Es hat zwar eine Menge Arbeit gekostet, bis alles fertig und schön war. Aber nun können sie sich in ihrem Garten wirklich wohlfühlen. Die Kinder können ungefährdet spielen. Im Kreis der Familie und der Freunde kann man fröhlich beisammen sitzen. Man kann sich ausruhen von der Arbeit und dem Stress des Alltages und neue Kräfte für die nächste Woche sammeln. Es ist tatsächlich wie im Paradies. So denken wir und schätzen die Menschen glücklich, die sich ein solches kleines Paradies haben schaffen können. Gerade am Tag des offenen Denkmals spüren wir davon etwas in Niendorf a.d.St. Seit jeher lebt in den Menschen diese Sehnsucht nach dem Paradies. Die Mythen und Sagen der Völker sind voll von dieser Sehnsucht. In grauer Vorzeit – so erzählen sie – hat es das einmal gegeben. Damals lebten die Menschen sorglos und fröhlich. Aber das ist vorbei. Jetzt gibt es nur noch die Sehnsucht nach einem solchen Ort der Geborgenheit, der Ruhe und des Friedens, fern von aller Sorge, aller Not und allem Elend. Auch in der Bibel gibt es eine solche Erzählung, die wir jetzt hören: (Textlesung aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 2, Verse 4b-10a.15) Diese Geschichte ist uns wohl allen bekannt und vertraut, vielleicht seit Kindertagen. Sie gehört zu den bekanntesten Erzählungen der Bibel. Wir wissen auch, wie es weitergeht mit der Erschaffung von Tieren und der Frau, mit dem Ungehorsam der ersten Menschen, mit dem Sündenfall und mit der Vertreibung aus dem Paradies. So interessant und wichtig es wäre, das Ganze zu betrachten, so können wir doch heute nur einen Teil, eben die Erzählung vom Paradies bedenken. Beginnen wir damit, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Die Erzählung vom Paradies hat nichts gemein mit dem Märchen vom Schlaraffenland, in dem den Nichtstuern und Faulpelzen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen und die Früchte von den Bäumen ihnen in den Schoß fallen. Sie gibt auch keinen Grund zu den Vorwürfen, sie wolle nur die Menschen, denen es jetzt schlecht geht, auf bessere Zeiten vertrösten. Das ist alles falsch. Die Erzählung will uns vielmehr die Augen öffnen und uns sagen, wie Gott, der Schöpfer, zu uns steht und wie wir, die Geschöpfe, zu ihm stehen. Es geht um die Gemeinschaft zwischen Gott und uns Menschen, so wie Gott sie von Anfang an gewollt hat. Und so könnten wir es wie eine Überschrift über diese Erzählung schreiben: Über der Geschichte des Menschen auf der Erde steht der gute und gnädige Wille Gottes. Denn er hat diese Welt für uns Menschen zu einem Ort gemacht, an dem wir wohnen und uns nähren können. Der Mensch steht im Mittelpunkt dieser Erzählung. Damit er auf dieser Welt leben kann, beginnt Gott sein Werk. Der Mensch ist nicht – wie manchmal gesagt wird – ein Zufalls- oder gar ein Abfallsprodukt der Entwicklung. Sondern Gott will in seiner Schöpfung ein Gegenüber haben, dem er seine Erde anvertrauen kann, damit sie bebaut und bewahrt wird. Das sagt uns die Erzählung sehr deutlich. Es beginnt damit, dass Gott in der trockenen Wüste das lebensspendende Wasser aufquellen lässt. Aus dem feucht gewordenen Erdboden bildet er die Gestalt des Menschen, so wie ein Töpfer aus feuchtem Ton ein Gefäß oder eine Plastik formt. Er haucht diesem Gebilde den Atem des Lebens in die Nase. Und dann pflanzt er einen 76

Baumgarten zu seiner Ernährung, und schließlich vertraut er seinem Geschöpf diesen Garten an. Wir sehen: Alles dreht sich um den Menschen. Liebevoll sorgt Gott für ihn. Sicher aber gibt es zu dieser Erzählung manche Fragen. Das geht uns ja bei den ersten Geschichten der Bibel immer wieder so. Wir meinen, das wäre alles nicht so recht glaubhaft. Denn es widerspricht in vielem den Erkenntnissen, die wir heute von der Entwicklung des Lebens und dem Werden des Menschen haben. Wir wissen von den Jahrmillionen, die es gedauert hat, bis überhaupt Leben da war. Wir wissen auch, dass es dann noch einmal unendlich lange Zeit gebraucht hat, bis der Mensch als letztes Glied in der Kette der Lebewesen über diese Erde schritt. Das alles soll und kann nicht bestritten werden. Aber das alles zwingt uns auch nicht zu einem negativen Urteil über die biblische Geschichte. Sie ist, so können wir sagen, eine Momentaufnahme aus dieser langen Entwicklungszeit. Sie stellt uns den fertigen Menschen vor Augen. Dazu kommt, dass die Erzählung nicht irgendwelche Phantastereien über den Menschen wiedergibt. Im Grunde genommen hören wir von Erfahrungen, die der Erzähler schon damals kannte und die wir heute auch machen können: Auch wir wissen, dass ohne Wasser das Leben nicht möglich und der Kreislauf der Natur zusammenbrechen müsste. Auch wir wissen, dass wir vergängliche, sterbliche Wesen sind. Sind wir tot, dann werden wir wieder zur Erde, von der wir genommen sind, dann werden wir wieder zu unbelebter Materie. Bei jeder Beerdigung werden wir daran erinnert, wenn es heißt: „Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staub zum Staube“. Auch wir wissen, dass wir nur leben, solange wir atmen. Stockt der Atem oder kommt es zum Atemstillstand, so ist unser Leben in Gefahr und wir müssen beatmet werden. Vielleicht hat ja diese Erzählung Pate gestanden bei der Entdeckung der lebensrettenden Mund-zu-Mund-Beatmung. Auch wir wissen, dass es in der Geschichte der Menschheit eine Zeit gegeben hat, in der der Mensch seine Nahrung einfach gesammelt hat, so wie der Mensch im Paradies von den Früchten der Bäume sich genährt hat. Das alles, so denke ich, sind Beobachtungen, die uns ein wenig helfen können, dem Misstrauen und der Skepsis gegenüber der Erzählung aus alten Zeiten zu begegnen. Aber entscheidend ist das letzten Endes nicht. Das Überraschende und Staunenswerte an der Erzählung ist etwas ganz anderes. Diese zerbrechliche, hilflose und sterbliche Kreatur wird und ist Gottes geliebtes Geschöpf. Für den Menschen hat er die Erde geschaffen. In ihr kann der Mensch unter Gottes Schutz geborgen fröhlich leben. Dankbar, sorglos und voller Vertrauen könnte sich der Mensch in Gottes Schöpfung aufgehoben wissen. Es ist anders gekommen. Die Erzählung berichtet im Folgenden davon. Der Mensch lehnt sich auf gegen Gott. Die beiden Bäume in der Mitte des Gartens werden für ihn zur Versuchung und zum Schicksal. Er muss das Paradies verlassen und in selbstgewählter Freiheit leben. Er nimmt sein Leben in die eigenen Hände. Das aber ändert nichts daran, dass Gott in seiner Liebe und Fürsorge die Schöpfung auch weiterhin erhält, damit wir leben können. Davon spricht Jesus Christus im Evangelium dieses Sonntags. Und so können wir sagen: Nicht das Paradies als solches ist die Voraussetzung für Geborgenheit und Ruhe, für friedliches und zuversichtliches Leben, sondern das Vertrauen zu Gott und seine bleibende Freundlichkeit und Güte. Sie können wir auch nach der Vertreibung aus dem Paradies erfahren, mitten in einer Welt, die unter dem Schatten des Todes liegt und voller Krieg und Mord, voller Hunger und Heimatlosigkeit ist. Die kleinen Paradiese, von denen wir zu Beginn gesprochen haben, können ein Zeichen für die beständige Zuwendung Gottes zu uns Menschen sein. Sie sind aber 77

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Garten. Bäume geben ihren Schatten. Blumen blühen. Gemüse wächst. Es<br />

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Es hat zwar eine Menge Arbeit gekostet, bis alles fertig und schön war. Aber<br />

nun können sie sich in ihrem Garten wirklich wohlfühlen. Die Kinder können ungefährdet<br />

spielen. Im Kreis der Familie und der Freunde kann man fröhlich beisammen<br />

sitzen. Man kann sich ausruhen von der Arbeit und dem Stress des Alltages und<br />

neue Kräfte für die nächste Woche sammeln. Es ist tatsächlich wie im Paradies. So<br />

denken wir und schätzen die Menschen glücklich, die sich ein solches kleines Paradies<br />

haben schaffen können. Gerade am Tag des offenen Denkmals spüren wir davon<br />

etwas in Niendorf a.d.St.<br />

Seit jeher lebt in den Menschen diese Sehnsucht nach dem Paradies. Die Mythen<br />

und Sagen der Völker sind voll von dieser Sehnsucht. In grauer Vorzeit – so erzählen<br />

sie – hat es das einmal gegeben. Damals lebten die Menschen sorglos und fröhlich.<br />

Aber das ist vorbei. Jetzt gibt es nur noch die Sehnsucht nach einem solchen Ort der<br />

Geborgenheit, der Ruhe und des Friedens, fern von aller Sorge, aller Not und allem<br />

Elend.<br />

Auch in der Bibel gibt es eine solche Erzählung, die wir jetzt hören: (Textlesung aus<br />

dem 1. Buch Mose, Kapitel 2, Verse 4b-10a.15)<br />

Diese Geschichte ist uns wohl allen bekannt und vertraut, vielleicht seit Kindertagen.<br />

Sie gehört zu den bekanntesten Erzählungen der Bibel. Wir wissen auch, wie es weitergeht<br />

mit der Erschaffung von Tieren und der Frau, mit dem Ungehorsam der ersten<br />

Menschen, mit dem Sündenfall und mit der Vertreibung aus dem Paradies. So<br />

interessant und wichtig es wäre, das Ganze zu betrachten, so können wir doch heute<br />

nur einen Teil, eben die Erzählung vom Paradies bedenken.<br />

Beginnen wir damit, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Die Erzählung vom<br />

Paradies hat nichts gemein mit dem Märchen vom Schlaraffenland, in dem den<br />

Nichtstuern und Faulpelzen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen und die<br />

Früchte von den Bäumen ihnen in den Schoß fallen. Sie gibt auch keinen Grund zu<br />

den Vorwürfen, sie wolle nur die Menschen, denen es jetzt schlecht geht, auf bessere<br />

Zeiten vertrösten. Das ist alles falsch.<br />

Die Erzählung will uns vielmehr die Augen öffnen und uns sagen, wie Gott, der<br />

Schöpfer, zu uns steht und wie wir, die Geschöpfe, zu ihm stehen. Es geht um die<br />

Gemeinschaft zwischen Gott und uns Menschen, so wie Gott sie von Anfang an gewollt<br />

hat. Und so könnten wir es wie eine Überschrift über diese Erzählung schreiben:<br />

Über der Geschichte des Menschen auf der Erde steht der gute und gnädige Wille<br />

Gottes. Denn er hat diese Welt für uns Menschen zu einem Ort gemacht, an dem wir<br />

wohnen und uns nähren können. Der Mensch steht im Mittelpunkt dieser Erzählung.<br />

Damit er auf dieser Welt leben kann, beginnt Gott sein Werk. Der Mensch ist nicht –<br />

wie manchmal gesagt wird – ein Zufalls- oder gar ein Abfallsprodukt der Entwicklung.<br />

Sondern Gott will in seiner Schöpfung ein Gegenüber haben, dem er seine Erde anvertrauen<br />

kann, damit sie bebaut und bewahrt wird. Das sagt uns die Erzählung sehr<br />

deutlich.<br />

Es beginnt damit, dass Gott in der trockenen Wüste das lebensspendende Wasser<br />

aufquellen lässt. Aus dem feucht gewordenen Erdboden bildet er die Gestalt des<br />

Menschen, so wie ein Töpfer aus feuchtem Ton ein Gefäß oder eine Plastik formt. Er<br />

haucht diesem Gebilde den Atem des Lebens in die Nase. Und dann pflanzt er einen<br />

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