1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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Freilich – die, die immer wieder so hartnäckig bitten und fordern, können sich auch<br />
irren. Vielleicht sagen sie eines Tages: Nun gut, jetzt haben wir verstanden und eingesehen.<br />
Es geht nicht anders. Jetzt mag auch ausgewiesen und abgeschoben werden<br />
nach geltendem Recht. Aber jetzt erst! Jetzt, nachdem alles noch einmal hin und<br />
her überlegt worden ist. So schwierig, so anstrengend, so mühsam ist das mit dem<br />
Rechtsstaat.<br />
Es soll verhindert werden, dass gegen unsere innerste Überzeugung und gegen unser<br />
christliches Gewissen vermeintliches Recht gesprochen wird. Alle können irren.<br />
Deshalb wird gestritten um die Wahrheit. Und deshalb gibt es Anwälte und rechtsförmige<br />
Verfahren. „Kirchenasyl“ heißt: Es gibt noch eine Instanz, die mich anhört<br />
und vertritt. Können wir nicht die Geduld aufbringen, dass unter uns in Ruhe geschehen<br />
zu lassen? Es ist kein Unrecht – es ist der Versuch, dem Recht Geltung zu verschaffen,<br />
nicht nach seinem äußeren Anschein, sondern nach seinem inneren Gehalt.<br />
Und dann die Sache mit der Segnung gleichgeschlechtlich liebender Menschen in<br />
der Kirche!<br />
Es gibt eine „biblische Korrektheit“, die dem anderen ständig seine Irrtümer und Verfehlungen<br />
vorhält und nicht mehr Acht gibt auf seine inneren Beweggründe, auch das<br />
Maß der Umkehr übersieht zu so etwas wie Liebe und Verantwortung in einer<br />
schwierigen Lebenssituation.<br />
Praktizierte Homosexualität wird an vielen Stellen der Bibel, nicht nur im Alten, sondern<br />
auch im Neuen Testament, verworfen. Wir können nicht leichtfertig darüber<br />
hinwegsehen und das alles für bedeutungslos erklären. Wir wollen uns in unserem<br />
kritischen Nachfragen auch nicht von denen beirren lassen, die für biblische Ansichten<br />
und kirchliche Überzeugungen nur Hohn und Spott haben und ihr überzogenes<br />
Treiben durch nichts und niemanden stören lassen wollen. Als ob es das nicht auch<br />
gäbe: diesen Spott und diesen Übermut!<br />
Aber die, die auch kommen zu dem Herrn und mit uns anbeten wollen, die werden<br />
wir nicht einfach verachten.<br />
Wir werden uns nicht hinstellen und uns selbst für gerechtfertigt halten in der Art und<br />
Weise, wie wir unsere Ehen und Partnerschaften leben oder mit unserem Single-<br />
Dasein zurechtkommen. Wir werden uns bewusst machen, wie sehr wir alle der Vergebung<br />
bedürfen. Denn, mit Paulus gesprochen: Wir sind allzumal Sünder und ermangeln<br />
des Ruhms, den wir bei Gott haben sollten (Römer 3,23).<br />
Aber fragen werden wir den anderen dürfen, ob er gemeinsam mit uns ein Hörender<br />
bleiben will und ein Bittender, dem bewusst ist, wie viel wir Gott und den Menschen<br />
immer wieder schuldig bleiben „auch in dem besten Leben“. Und dann treten wir<br />
nicht mehr mit Rechtfertigungsversuchen und Segenswünschen für alles und jedes<br />
auf, sondern begnügen uns mit der Erkenntnis, dass Gott das Herz ansieht, auch<br />
wenn andere Menschen meinen, über Äußerlichkeiten herziehen zu müssen.<br />
Wer kann schon beurteilen, was angesichts von Lebensrisiken, Herausforderungen<br />
und Zumutungen, die einem mitgegeben oder zugewachsen sind, der Anfang von<br />
Umkehr und Heimkehr zu Gott und seiner Lebensordnung ist? Jesus wagt dieses<br />
Urteil hier in dieser konkreten Situation: „Dieser ging hinab gerechtfertigt in sein<br />
Haus, nicht jener.“ Ob wir das auch immer so zielsicher beurteilen und sagen können?<br />
Jedenfalls sollten wir uns hüten, uns an dieser Stelle zu übernehmen und womöglich<br />
noch öffentlich und pauschal zu segnen und zu rechtfertigen, was nicht einmal<br />
im Einzelfall leicht zu beurteilen ist.<br />
Wir sind und bleiben doch miteinander auf der menschlichen, fehlbaren Seite. Und<br />
da gilt: Verlangen können wir das Gerechtfertigtsein und den Segen so ohne weiteres<br />
für uns nicht, aber bitten um Gottes Nähe und Beistand können wir schon. Wer<br />
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