1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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Blievenstorf ist davon auch nicht verschont geblieben wie all die anderen Dörfer und<br />
Städte in deutschen Landen. Ein paar Jahre rechtloser Diktatur haben genügt, arge<br />
Zerstörungen in den Herzen der Menschen anzurichten. Und dann schloss sich eine<br />
weitere Diktatur an, die angetreten war unter humanistischen Idealen, aber doch fundamentale<br />
Menschenrechte verletzte und hintertrieb. Eines davon ist das wichtige<br />
Recht, ein Gottmensch zu sein, ein Glaubender, Hoffender und Liebender in der<br />
Nachfolge Jesu Christi.<br />
700 Jahre alt ist die Geschichte von Blievenstorf. Es ist eine Geschichte unter christlichem<br />
Vorzeichen mit den Gütesiegeln der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, des<br />
Glaubens, der Liebe, der Geduld und der Sanftmut. Die Dorfchronik erzählt von der<br />
Geschichte des Wachstums in diesem Ort, von den Belastungen in Zeiten von Krieg<br />
und Not, von den Heldentaten menschlicher Güte angesichts von bösen Versuchungen<br />
und schlimmen Verstrickungen. Die Blievenstorfer haben verschiedene politische<br />
Systeme erlebt und überlebt und in all dem versucht, ihre Menschlichkeit zu bewahren.<br />
Ob sie Gottmenschen geblieben sind in ihrer Mehrzahl? Jedenfalls gibt es genügend<br />
Leute auch hier, die sich auch heute noch zu ihrem christlichen Glauben bekennen,<br />
wie die Teilnahme an diesem Gottesdienst zeigt.<br />
10 Jahre ist es nun her, dass nach dem Zerbrechen der zweiten Diktatur in Deutschland,<br />
nach der Öffnung der Grenzen, zusammenwachsen durfte, was zusammengehört,<br />
um das klassisch gewordene Wort von Willy Brandt zu zitieren. Das Zusammenwachsen<br />
hat sich als viel schwieriger herausgestellt, als wir alle in der anfänglichen<br />
Euphorie der geöffneten Grenzen dachten. Zu unterschiedlich waren die beiden<br />
Teile, die da zusammengefügt werden sollten in politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher,<br />
rechtlicher und kultureller Hinsicht. Wir sind dankbar dafür, dass wir diese<br />
Aufgabe in unserer Generation anpacken durften, aber wir arbeiten immer noch<br />
daran und sind noch lange nicht fertig. Es geht vor allem um Gerechtigkeit, aber daneben<br />
auch um Liebe, Geduld und Sanftmut. Haben die Frommen, die Gottmenschen,<br />
etwas dazu beizutragen?<br />
Sie lassen sich genügen, sagt unser Predigttext, sie sind bescheidene und genügsame<br />
Leute. Sie widerstehen den törichten Versuchungen, lassen sich nicht in<br />
schädliche Begierden ziehen, die doch nur ins Verderben führen. Insofern sind sie<br />
ein wichtiger Bestandteil gegenwärtiger Entwicklung. Sie sind geduldig, nehmen<br />
Tempo und Gier heraus und streben nach Gerechtigkeit, nach Sanftmut und Geduld.<br />
Jede umwälzende Entwicklung mit ihren gefährlichen und unerfreulichen Begleiterscheinungen<br />
braucht solche Menschen, fromme Gottmenschen, die sich nicht beirren<br />
lassen. Und sie leisten den Dienst der Warnung vor Überheblichkeit und Übermut.<br />
Ohne Wertmaßstäbe im Lebensgepäck kommen doch nur Übertreibungen, Verwerfungen<br />
und menschliche Verluste dabei heraus: „Denn die reich werden wollen, die<br />
fallen in Versuchung und Verstrickung und in viele törichte und schädliche Begierden,<br />
welche die Menschen versinken lassen in Verderben und Verdammnis. Denn<br />
Geldgier ist eine Wurzel allen Übels.“ Vom Westen haben es die Menschen im Osten<br />
gelernt. Wenn heute immer wieder von den Besserwessies und den Jammerossies<br />
die Rede ist, dann doch nur auf diesem Gebiet des Habenwollens und der Geldgier.<br />
Können wir nicht anderes zwischen Ost und West austauschen, womöglich zu gleichen<br />
Teilen: Gerechtigkeit, Glaube, Liebe, Geduld, Sanftmut?<br />
Mich erschrickt nach 10 Jahren Deutscher Einheit besonders die Tatsache, dass so<br />
viele nach Geld gelüstet, dass so viele vom Glauben abgeirrt sind und sich selbst<br />
damit viele Schmerzen bereiten. Werte gehen verloren, Streit bricht aus, Frustration<br />
vergiftet die Seelen.<br />
Mich beunruhigt, dass so viele der Kirche den Rücken drehen, dass so viele wieder<br />
PDS wählen, vor allem aber: dass so viele Jugendliche den Weg des Rechtsradika-<br />
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