1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...

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25.05.2014 Aufrufe

In Jerusalem, der heiligen Stadt, mit den Resten des Tempels, dem Abendmahlssaal und der Grabeskirche mit Kreuzigungsstätte, Grablegung und Ort der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu wird das alles sichtbar, erlebbar, nachfühlbar und einfühlbar für das religiöse Verständnis der Menschen. Aber was ist geschehen mit dieser klaren und deutlichen Ablösung aller religiösen Opfer durch den einmaligen Kreuzestod Jesu? Wir halten es im menschlichen Umgang miteinander nicht aus. Politischen und rassistischen Wahnideen werden Menschenleben geopfert. Millionen von Menschen waren es in der Zeit des Nationalsozialismus, heute sind es wieder Hunderte und Tausende in Zimbabwe, in Tschetschenien, im Kosovo und anderswo. Wir opfern Menschen und Tiere auch dem technologischen Fortschritt, dem wirtschaftlichen Überleben oder einfach unserem Ehrgeiz, unserer Überlegenheit, auch unserer Dummheit und Gedankenlosigkeit. Das „Ein für allemal“ hat sich nicht durchhalten lassen – dieses: „Es ist genug“. Es ist doch wieder geschehen und wir suchen danach, Frieden zu finden und uns zu versöhnen mit Gott. Das Abendmahl, das an den einmaligen Kreuzestod Jesu erinnert und seine Wohltat uns zugute vergegenwärtigt, ist so ein Ort ständiger Versöhnung mit Gott. Wir werden gemahnt, einander nicht mehr so viele Opfer aufzuerlegen, sondern Frieden zu machen, Frieden zu geben, Frieden zu empfangen. Wir erinnern uns: In der Geschichte der Christenheit gab es auch darum einmal Streit. Luther warf der katholischen Messfeier die Verdunkelung der einmaligen Lebenshingabe Jesu durch eigenes religiöses Aufopfern vor. Und die Reformation führte zu schmerzlichen Trennungen und Scheidungen. Aber heute verstehen wir einander wieder besser. Beide, evangelische und katholische Christen, betonen die Einmaligkeit des Kreuzestodes Jesu und sein völliges Genügen für das Heilsgeschehen. Im ständigen Wiederholen des Abendmahles wiederholen wir nicht das Ereignis von Golgatha, sondern wir erinnern uns und vergegenwärtigen es. Es genügt völlig, was Christus für uns getan hat; wir müssen dem nichts mehr hinzufügen. Aber wir dürfen immer wieder kommen, um davon zu zehren und zu genießen für unser Heil. Deshalb hat Jerusalem für uns eine so eigenartige Bedeutung bekommen: Es ist wichtig wegen des „Ein für allemal“: Hier war es, hier ist es geschehen, hier ist Wirklichkeit geworden, was uns alle rettet. Aber es geschieht nicht gebunden an äußere Dinge und etwa nur im Heiligen Land. Es geschieht überall da, wo Gottes Wort verkündigt und die Sakramente ausgeteilt werden. Christus ist gegenwärtig in einer zutiefst innerlichen Weise bei einem jeden und einer jeden von uns. Einmalig und ein für alle mal. Wir dürfen uns erinnern und zurückkehren und Kraft schöpfen daraus. Bei dieser Betonung des Einmaligen und Einzigartigen bringt der Apostel im Hebräerbrief noch eine andere Heilstatsache in Erinnerung: Es bleibt nicht bei diesem „Einmal und ein für allemal“. Für die Errettung aus Sünde und Tod schon. Aber Christus kommt noch einmal wieder – zum Heil für die, die auf ihn warten. Auch davon zeugt das irdische Jerusalem: Das Kidron-Tal im Osten ist voller Steingräber. Hier wird der Messias erwartet, der Einzug hält durch das Goldene Tor am Tage des Gerichts. Für Juden ist das ein einmaliges Ereignis, das ein für allemal gilt. Für uns Christen wird es auch so sein, aber wir kennen schon den Namen dessen, der kommt: Es ist derselbe Jesus von Nazareth, der den Kreuzestod in Jerusalem gestorben ist, den wir erwarten als den Heiland und Retter der Welt am Ende der Tage. Er wird wiederkommen als der erhöhte Christus mit den Wolken des Gerichts – nicht einfach als Mensch, wie in seinen irdischen Tagen, sondern wie eine ganze Sphäre voller Licht, Liebe und Barmherzigkeit, auch Strenge der Wahrheit und des Gerichts, der wirklich tiefen und vollen Gerechtigkeit, aber doch wiedererkennbar als ein 52

Mensch – als der Mensch, der uns das aufgedeckte Angesicht Gottes nahegebracht hat. Karfreitag, Kreuzestod Jesu – das ist nicht nur Ausdruck einer schrecklichen Strafe und einer menschlichen Katastrophe – das ist auch der Ausgangspunkt einer religiösen Revolution, die möchte, dass wir aufhören, einander Opfer zuzumuten. Es ist genug. Es ist vollbracht. Ein für allemal. Amen. 10.09.2000: 12. Sonntag nach Trinitatis (Text: Losung) (Ansverus-Wallfahrt) Jesaja 35,4 „Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache“ (Jesaja 35,4). Da werden Gefühle angesprochen in unserem Prophetentext, die uns auch beschleichen mögen, wenn wir an das Schicksal der Märtyrer denken. Vor 934 Jahren haben der Abt Ansverus und seine 18 Gefährten auf dem Rinsberg bei Einhaus ihr Leben gelassen. Ansverus wollte als letzter gesteinigt werden, um die Brüder und die mitbetroffenen Christen zu trösten. Er hat, den schrecklichen Tod vor Augen, zu Gott gebetet und im Erdulden des eigenen Martyriums den Himmel offen gesehen wie Stephanus, der erste Märtyrer der Christenheit. Unser Landstrich ist geehrt und geheiligt worden mit der Lebenshingabe christlicher Zeugen. Sie sind uns zu Heiligen geworden, die wir verehren, an die wir denken, zu deren Todesstätte wir pilgern in der Überzeugung, dass dort auch der Ort ihrer Geburt in das himmlische Licht ist. Am Ansverus-Kreuz auf dem Rinsberg bei Einhaus denken wir zugleich an die vielen anderen Zeugen und Märtyrer des Glaubens, die sich auch durch Leiden und Tod hindurch nicht haben beirren lassen in ihrem Vertrauen auf den dreieinigen Gott. Rachegefühle für so überaus zahlreich erlittenes Unrecht im Laufe der Jahrhunderte mag uns beschleichen – es hat Christen und Nichtchristen betroffen, und was vielleicht am schlimmsten ist: Auch von Christen ist das Martyrium anderen zugemutet worden, vor allem dem jüdischen Volk in diesen schrecklichen 12 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland. „Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache“, heißt es beim Propheten Jesaja. Aber dann wendet sich das Blatt – das ist ganz wörtlich zu verstehen in meiner Ausgabe der Luther-Bibel: Auf der anderen Seite, auf der liebevollen und barmherzigen Seite Gottes, geht es ganz anders weiter, als wir Menschen es uns in unserer Wut und Empörung vorstellen können. „Gott, der da vergibt, kommt und wird euch helfen“: So ist er gekommen in dieses Lauenburger Land mit seinem Wort und Sakrament und hat die Wunden der heidnischen Aufstände geheilt in den Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten nach dem Märtyrertod des Ansverus und seiner Gefährten auf dem Rinsberg bei Einhaus in der Nähe von Ratzeburg. Dieser Dom konnte gebaut werden und die zahlreichen Kirchen im Lauenburger Land. Durch die Irrungen und Wirrungen weltlicher und kirchlicher Geschichte hindurch sind wir zu ökumenischer Gemeinschaft zusammen gewachsen und bezeugen unseren christlichen Glauben gemeinsam vor der Welt, damit die Welt glaube und wir eins werden in Christus. Auch die tiefen Wunden unserer jüngeren Vergangenheit durch die Schrecken des Krieges, der Vertreibung und der Teilung unseres Landes durften heilen durch die Güte unseres Gottes. Wir haben einen Gott, der Überraschungen liebt, Wendungen zum Heil, mit denen wir nicht mehr gerechnet haben. Wie es in unserem Text heißt: „Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen: Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein.“ (Jesaja 35,4b-7a) 53

Mensch – als der Mensch, der uns das aufgedeckte Angesicht Gottes nahegebracht<br />

hat.<br />

Karfreitag, Kreuzestod Jesu – das ist nicht nur Ausdruck einer schrecklichen Strafe<br />

und einer menschlichen Katastrophe – das ist auch der Ausgangspunkt einer religiösen<br />

Revolution, die möchte, dass wir aufhören, einander Opfer zuzumuten. Es ist<br />

genug. Es ist vollbracht. Ein für allemal. Amen.<br />

10.09.2000: 12. Sonntag nach Trinitatis (Text: Losung) (Ansverus-Wallfahrt)<br />

Jesaja 35,4<br />

„Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache“ (Jesaja 35,4). Da werden Gefühle angesprochen<br />

in unserem Prophetentext, die uns auch beschleichen mögen, wenn wir<br />

an das Schicksal der Märtyrer denken. Vor 934 Jahren haben der Abt Ansverus und<br />

seine 18 Gefährten auf dem Rinsberg bei Einhaus ihr Leben gelassen. Ansverus<br />

wollte als letzter gesteinigt werden, um die Brüder und die mitbetroffenen Christen zu<br />

trösten. Er hat, den schrecklichen Tod vor Augen, zu Gott gebetet und im Erdulden<br />

des eigenen Martyriums den Himmel offen gesehen wie Stephanus, der erste Märtyrer<br />

der Christenheit. Unser Landstrich ist geehrt und geheiligt worden mit der Lebenshingabe<br />

christlicher Zeugen. Sie sind uns zu Heiligen geworden, die wir verehren,<br />

an die wir denken, zu deren Todesstätte wir pilgern in der Überzeugung, dass<br />

dort auch der Ort ihrer Geburt in das himmlische Licht ist.<br />

Am Ansverus-Kreuz auf dem Rinsberg bei Einhaus denken wir zugleich an die vielen<br />

anderen Zeugen und Märtyrer des Glaubens, die sich auch durch Leiden und Tod<br />

hindurch nicht haben beirren lassen in ihrem Vertrauen auf den dreieinigen Gott. Rachegefühle<br />

für so überaus zahlreich erlittenes Unrecht im Laufe der Jahrhunderte<br />

mag uns beschleichen – es hat Christen und Nichtchristen betroffen, und was vielleicht<br />

am schlimmsten ist: Auch von Christen ist das Martyrium anderen zugemutet<br />

worden, vor allem dem jüdischen Volk in diesen schrecklichen 12 Jahren nationalsozialistischer<br />

Herrschaft in Deutschland.<br />

„Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache“, heißt es beim Propheten Jesaja. Aber<br />

dann wendet sich das Blatt – das ist ganz wörtlich zu verstehen in meiner Ausgabe<br />

der Luther-Bibel: Auf der anderen Seite, auf der liebevollen und barmherzigen Seite<br />

Gottes, geht es ganz anders weiter, als wir Menschen es uns in unserer Wut und<br />

Empörung vorstellen können. „Gott, der da vergibt, kommt und wird euch helfen“: So<br />

ist er gekommen in dieses Lauenburger Land mit seinem Wort und Sakrament und<br />

hat die Wunden der heidnischen Aufstände geheilt in den Jahren, Jahrzehnten und<br />

Jahrhunderten nach dem Märtyrertod des Ansverus und seiner Gefährten auf dem<br />

Rinsberg bei Einhaus in der Nähe von Ratzeburg. Dieser Dom konnte gebaut werden<br />

und die zahlreichen Kirchen im Lauenburger Land. Durch die Irrungen und Wirrungen<br />

weltlicher und kirchlicher Geschichte hindurch sind wir zu ökumenischer Gemeinschaft<br />

zusammen gewachsen und bezeugen unseren christlichen Glauben gemeinsam<br />

vor der Welt, damit die Welt glaube und wir eins werden in Christus. Auch<br />

die tiefen Wunden unserer jüngeren Vergangenheit durch die Schrecken des Krieges,<br />

der Vertreibung und der Teilung unseres Landes durften heilen durch die Güte<br />

unseres Gottes. Wir haben einen Gott, der Überraschungen liebt, Wendungen zum<br />

Heil, mit denen wir nicht mehr gerechnet haben. Wie es in unserem Text heißt: „Gott,<br />

der da vergilt, kommt und wird euch helfen: Dann werden die Augen der Blinden aufgetan<br />

und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen<br />

wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden<br />

Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor<br />

trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen<br />

Brunnquellen sein.“ (Jesaja 35,4b-7a)<br />

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