1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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eine Ahnung hatte von diesem Menschen: wahrhaftig ein Mensch und womöglich<br />
einer, dessen Kraft von oben her ist. So weit hat es Pilatus damals gebracht mit seinem<br />
Bekennen und Fragen. Ob wir überhaupt so weit sind? Es wäre schrecklich,<br />
wenn Jesus noch mehr unter uns leiden müsste. Amen.<br />
21.04.2000: Karfreitag<br />
Hebräer 9 i.A.<br />
Könnte ich Ihnen doch vor Augen malen, was ich gerade mit meiner Frau zusammen<br />
in Jerusalem erlebt habe! Sie könnten womöglich besser verstehen, wovon der Apostel<br />
im Brief an die Hebräer schreibt.<br />
Da geht es um die Stiftshütte, den Tempel, den Ort der Gottesbegegnung. Er ist<br />
dreigeteilt in einen Vorhof, den alle Frommen betreten dürfen; in das Heiligtum, das<br />
dem Gebet und Opferdienst unter Leitung der Priester vorbehalten ist; und dem Allerheiligsten,<br />
darin die Herrlichkeit Gottes wohnt – im Halbdunkel thronend über der<br />
Bundeslade mit den Zehn Geboten. Nur einmal im Jahr, am Versöhnungstag, darf<br />
sich der Hohepriester dieser Bundeslade nähern, nicht ohne ein Blutopfer zu bringen<br />
und einen „Sündenbock“ mit den Sünden Israels zu beladen und in die Wüste zu jagen.<br />
So geschah der Versöhnungsgottesdienst in der Stiftshütte und im Tempel in Jerusalem<br />
jedes Jahr – solange es ihn gab, bis zu seiner Zerstörung im Jahre 70 nach<br />
Christus. Seitdem haben die Tieropfer auch in der jüdischen Gemeinde aufgehört<br />
und sind übergegangen in den Wortgottesdienst der Synagogengemeinde.<br />
Für die christliche Gemeinde hört der Opfergottesdienst, bei dem Tiere geschlachtet<br />
wurden, um Gott zu versöhnen, mit dem Kreuzestod Jesu auf. Ein für allemal hat er<br />
das Opfer dargebracht zur Sühne für unsere Schuld. Christus ist das Lamm Gottes,<br />
das hinwegnimmt die Sünde der Welt, wie wir nachher in der Abendmahlsliturgie singen<br />
werden.<br />
Ein für allemal – ein Wiederholungszwang ist aufgebrochen und muss nicht mehr<br />
vollzogen werden. Das immer gleiche Ritual gottesdienstlicher Versöhnung wird abgelöst<br />
durch eine einmalige Liebestat. Das ist die Bedeutung von Karfreitag. So<br />
schrecklich dieser Tod am Kreuz auch ist – er bedeutet einen Segen für alle Lebenden.<br />
Nicht mehr Menschen, wie ganz früher, oder Tiere müssen mehr herhalten für<br />
eine Versöhnung mit einem zornig gewordenen Gott. Ein für allemal gibt einer sein<br />
Leben und stellt die zerbrochene Beziehung zu Gott wieder her. Er tritt ein in den<br />
garstigen Graben der Sünde und Lebensverfehlung und heilt den so großen Schaden.<br />
Ja, Gott selbst ist an diesem Pascha-Überschreitungsopfer beteiligt, weil im<br />
Sohn sich der Vater selber den Menschen gibt.<br />
Es ist eine religiöse Revolution, die der Hebräerbrief hier schildert. Nicht geschichtliche,<br />
äußere Gründe wie die Zerstörung des Tempels haben zum Ende der Blutopfer<br />
geführt am Altar Gottes, sondern innere, gewichtige Gründe eines neuen Gottes- und<br />
Menschenverständnisses.<br />
Der Hebräerbrief zählt auf, was da alles neu geworden ist gegenüber dem alten:<br />
nicht äußerlich mit Händen gemacht, sondern innerlich erlebt und erlitten; nicht fremdes<br />
Blut von Tieren, sondern die eigene Lebenshingabe; nicht das jährlich wiederkehrende<br />
Ritual, das doch nicht befreit, sondern nur tiefer in Wiederholungszwänge<br />
führt, sondern das eigene, einmalige, unwiederholbare Leben mit seiner ganzen Liebe<br />
und Hingabe; nicht das vergängliche Trostpflaster, sondern das ewige Heil; nicht<br />
irdische Abbilder, sondern himmlische Urbilder; nicht die routinemäßige Pflicht, sondern<br />
das einmalige, unwiederholbare Lebensopfer. Das alles ist der Unterschied zwischen<br />
dem Kreuzestod Jesu damals in Jerusalem und dem Versöhnungsritual des<br />
Hohenpriesters in Jerusalem an Jom Kippur.<br />
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