1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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geben, dass er ein Sünder ist, Gott nicht brauchen in seinem Leben und fröhlich und<br />
rücksichtslos weiter drauf los leben.<br />
Unser Gleichnis nimmt nicht die beiden Extrempositionen zum Vergleich: den wahren<br />
Heiligen und den unbußfertigen Sünder. Da wäre ja auch das Urteil leicht zu fällen.<br />
Unser Gleichnis stellt die beiden Positionen gegenüber, die uns eher naheliegen und<br />
die am Ende nicht so leicht zu beurteilen sind, ja bei denen sich Innen- und Außenansicht<br />
verkehrt, je nachdem, worauf ich mehr achte.<br />
Der äußerlich korrekte Fromme ist doch nur scheinbar heilig. In Wahrheit plagt ihn<br />
die Sünde des Hochmuts gegenüber Gott und die Sünde der Verachtung gegenüber<br />
den Leuten.<br />
Der offensichtliche Sünder, Betrüger und Gesetzesübertreter ist innerlich längst auf<br />
einem anderen Weg. Er hat eingesehen, was alles falsch läuft bei ihm, er kehrt um<br />
und bittet Gott um Verzeihung. Er lässt zu, dass Gott an ihm handelt und geht gerechtfertigt<br />
in sein Haus.<br />
So urteilt Jesus über diese beiden. Er nimmt wahr, dass der Zöllner Gott mit „Du“<br />
anspricht und ihm Platz einräumt in seinem Leben. Der scheinbar Fromme, der immer<br />
nur „ich, ich“ sagt, braucht Gott gar nicht. Der hat nur seine Rechtschaffenheit im<br />
Kopf und hat das Bitten verlernt.<br />
Wie gesagt, wir reden nicht von den wahrhaft Frommen und den unbußfertigen Sündern.<br />
Wir reden von den Frommen, die meinen, andere verachten zu können, und<br />
nicht damit rechnen, dass Gott auch ihnen gnädig sein könnte. Und wir reden von<br />
den Sündern, die dabei sind, ihre verkehrten Wege zu verlassen und heimzukehren<br />
zu Gott.<br />
Denn das ist gerade das Gefährliche an all den hochmütig Frommen: Dass sie nicht<br />
gönnen können, dass sie die anderen behaften bei ihren Sünden und gar kein Interesse<br />
und keine Mitfreude haben an Besinnung, Umkehr, Neuanfang. Es gibt so ein<br />
Frommsein, das lebt von der Negativfolie der anderen und wüßte sich gar nicht mehr<br />
zu artikulieren, wenn es „die anderen“ nicht gäbe.<br />
Spätestens an dieser Stelle fragen wir natürlich: Wer oder was ist damit heute gemeint.<br />
Ich nehme zwei Beispiele: die Debatte um die Segnung Homosexueller in unserer<br />
Kirche und die Auseinandersetzung um die Frage des Kirchenasyls. Beginnen<br />
wir mit dem letzteren.<br />
Es gibt eine „politische Korrektheit“, die dem anderen ständig seine Irrtümer und Verfehlungen<br />
vorhält und nicht mehr achtgibt auf seine inneren Beweggründe.<br />
„Kirchenasyl“ scheint der politischen Rechtsordnung in unserem Lande zu widersprechen.<br />
Ein eigenes Rechtsinstitut – das es nicht gibt! – neben das des Staates setzen<br />
zu wollen, das wird von vielen – völlig zu recht! – abgelehnt. Aber wenn dann einige<br />
sagen: Lieber Gott, ich danke dir, dass ich nicht so töricht und verblendet bin wie jene<br />
Kirchenasylbefürworter, und sie daraufhin verachten und ihnen gar nicht mehr<br />
zuhören, wird alles falsch.<br />
Sie nageln damit die anderen fest auf ihre vermeintlich falsche Rechtsposition und<br />
hören gar nicht mehr hin, auf welches Problem sie aufmerksam machen wollen. Es<br />
geht hier nicht um die Behauptung eines eigenen Rechtsinstituts, es geht auch nicht<br />
um kirchliche Besserwisserei oder die Bestreitung des Rechtsstaates, sondern im<br />
Gegenteil um seine – vielleicht auch manchmal übertriebene und übermäßige – Inanspruchnahme.<br />
Noch einmal soll gehört, geprüft, abgewogen und dann erst geurteilt<br />
und in bestimmten Fällen auch abgeschoben werden. Noch einmal soll Beistand<br />
und Hilfe geleistet werden, ehe eine womöglich tragische und lebensgefährliche Situation<br />
entsteht. Staatliche Instanzen sollen vor schrecklichen Irrtümern mit Todesfolge<br />
bewahrt werden, Umkehr ermöglicht werden – das ist doch der Sinn des erneuten<br />
Einspruchs.<br />
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