1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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2000 (Reihe IV)<br />
12.01.2000: Pastorenkonvent (Text: Rogate, Reihe V)<br />
Thema: Vom rechten Beten (Matthäus 6,7-15)<br />
Wir begehen in diesen Tagen auch bei uns im Kirchenkreis die Allianz-Gebetswoche.<br />
Sie ist eine Herausforderung und gute Übung, über den Sinn und die Kraft des Gebetes<br />
nachzudenken und es vor allem selbst in Gemeinschaft mit anderen zu praktizieren.<br />
Über das Beten lässt sich sehr vieles sagen. Ich möchte mich heute auf zwei<br />
Gedanken beschränken. Ich knüpfe dabei an den eben gehörten Text aus dem Matthäus-Evangelium<br />
an.<br />
Der erste Gedanke:<br />
Das Wichtigste beim Beten ist das Vergeben. Jesus lehrt seine Jünger das Beten. Er<br />
spricht zum ersten Mal das Vaterunser, das zu unserem wichtigsten Gebet geworden<br />
ist: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“<br />
Diesen Gedanken der Vergebung betont er noch einmal am Ende seiner<br />
Jüngerbelehrung: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird<br />
euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht<br />
vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“<br />
Die Wichtigkeit von Vergebung ist uns gerade in diesen Tagen bewusst geworden, in<br />
denen wir Abschied genommen haben von einem Jahrhundert voller Krieg und Vertreibung,<br />
voller Grausamkeit und Verletzung von Menschenrechten. Die Wunden<br />
schmerzen noch immer, die Menschen sich gegenseitig geschlagen haben. Können<br />
wir vergeben? Und, indem wir anderen vergeben, selber Vergebung empfangen?<br />
Ich denke, dass das ohne Beziehung zu Gott gar nicht möglich wäre. Ihm geben wir,<br />
was uns bedrückt, worunter wir leiden. Wir brauchen nicht mehr unsere Schuldiger<br />
damit zu belasten. Bei ihm ist unser Schmerz, unser verloren gegangenes Recht,<br />
aber auch unsere große und unsägliche Schuld aufgehoben. Er nimmt uns alles ab,<br />
worunter wir seufzen und leiden, damit wir wieder frei werden können. Er nimmt auch<br />
den Opfern ab ihre Schreie, ihre Schmerzen, ihre Hilflosigkeit – all den Opfern unserer<br />
Schuld. Wir brauchen uns nicht mehr gegenseitig zu belasten, weil einer da ist,<br />
der für uns trägt.<br />
Beten heißt vergeben – im wahrsten Sinne des Wortes: Gott geben, was wir wünschen,<br />
was wir bitten, worunter wir leiden, womit wir nicht fertig werden. Gott nimmt<br />
es und verwandelt es in seiner Liebe und gibt es uns so zurück, wie wir es brauchen<br />
und tragen können. Menschen, die beten, können loslassen, Gott geben, ihm anvertrauen<br />
und aus seiner Hand liebevoll verwandelt zurück nehmen. Beten heißt vergeben,<br />
sich erleichtern, Gott mit einbeziehen in unser Leben, damit er mit trägt und uns<br />
hilft.<br />
Wer nicht mehr beten kann, ist eigentlich schlimm dran. Er behält alles bei sich, was<br />
ihn quält, wonach er sich sehnt; er hat niemanden, der mit trägt. Darunter kann einer<br />
zerbrechen. Jesus lädt uns ein, zu Gott zu beten und mit ihm unser Leben zu teilen.<br />
Der zweite Gedanke:<br />
„Euer Vater weiß schon, was ihr braucht, ehe ihr ihn bittet.“ Warum dann noch beten,<br />
wenn Gott doch alles weiß, alles sieht, uns besser kennt, als wir uns selbst? Die<br />
Antwort ist einfach: Beten ist nicht nur ein Geben, ein Vergeben an Gott; Beten ist<br />
auch ein Nehmen, ein Vernehmen von Gott.<br />
Im Beten lernen wir, mit Gottes Augen zu schauen, mit seiner Liebe die Menschen zu<br />
lieben. Wir neigen ja dazu, nur unsere eigene jeweilige Erfahrung gelten zu lassen.<br />
Wir sind beschränkt und behindert in unserer Wahrnehmung von Welt. Darin liegt<br />
eben unsere große Schuld.<br />
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