1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...

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25.05.2014 Aufrufe

1997 (Reihe I) 10.08.1997: 11. Sonntag nach Trinitatis (Vorstellung in Ratzeburg) Lukas 18,9-14 Das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner ist uns allen sehr vertraut. Es gibt kaum eine neutestamentliche Geschichte, die so bekannt ist – auch bei denen, die sich vom regelmäßigen Bibellesen längst verabschiedet haben. Es ist geradezu sprichwörtlich geworden mit seiner Ablehnung heuchlerischer Frömmigkeit und hat bei uns im Norden sogar einem Getränk den Namen gegeben – denken Sie an die Geschichte von der Insel Nordstrand: „Ihr Pharisäer“, sagte der Pastor, als er den Rum unter der Sahnehaube entdeckte. Es geht um das Aufdecken eines heimlichen Schadens unter der glatten Oberfläche wohlanständigen Verhaltens. Ob wir damit den Pharisäern zur Zeit Jesu Gerechtigkeit widerfahren lassen, steht auf einem ganz anderen Blatt. So ist das nun einmal mit unseren Pauschalurteilen: Mögen wir auch im Einzelfall Recht haben, durch die Verallgemeinerung wird alles falsch und schief. Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, wollen wir zunächst einmal festhalten, was dieses Gleichnis nicht sagt und gegen wen oder für wen es nicht ins Feld geführt werden darf. Es gibt nämlich durchaus fromme und rechtschaffene Leute, die verachten die anderen Menschen nicht. Zu denen ist dieses Gleichnis nicht gesagt. Es gibt auch Sünder, die gehen gar nicht erst in die Kirche und wollen auch mit Gott nichts zu tun haben. Auch sie werden von diesem Gleichnis nicht erreicht. Das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner ist also keine pauschale Anklage gegen die Frommen im Lande, als müsse ihre Frömmigkeit notwendigerweise immer eine heuchlerische sein. Dem ist nicht so. Das Gleichnis ist auch keine bequeme Rechtfertigung aller Sünder und Gesetzesübertreter, als genügte die Annahme dieses einen durch Gott und nun wären alle Sünder gerechtfertigt, ohne auf Einzelheiten, auf Folgen und Konsequenzen zu achten. Jesus beschreibt in seinem Gleichnis zwei menschliche Verhaltensweisen, die er uns zum Nachdenken, zur eigenen Bewusstwerdung vor Augen führen will. Da ist der Fromme, der nach außen alle guten Werke tut, aber nach innen eine eher finstere, vor allem verächtliche Gesinnung hat. Und da ist der offensichtliche Sünder, der zwar nachweislich Übles getan und sich an anderen vergangen hat, der sich aber besinnt, umkehrt, vor Gott seine Schuld bekennt und ihn um Gnade bittet. Der erste, der sich so fromm und rechtschaffen vorkommt, macht Gott arbeitslos. Er missbraucht ihn allenfalls zur eigenen Selbstdarstellung und verkennt im Grunde sein Wesen. Der zweite bittet Gott um das Wesentliche seiner Existenz: nämlich gnädig und barmherzig zu sein. Da kann Gott dann viel tun und bewirken in einem Menschen. Und darum geht es in unserem Predigttext: um das rechte Wirken Gottes, der da einzig gerecht macht. Gerechtigkeit ist Gottes Gerechtigkeit, nicht unsere eigene: fremde, geschenkte Gerechtigkeit, keine selbstgemachte. Schon gar keine, die man vernachlässigen, verachten oder verleugnen könnte, sondern eine erbetene, erwünschte, ja wirklich für uns not-wendige. Der wahre Heilige und der bekehrte Sünder wissen das: Gerechtigkeit kommt nicht aus mir. Sie ist mir geschenkt, zugeeignet von Gott. Und ich kann sie nicht machen, nur wünschen und erbitten. Der falsche Heilige braucht Gottes Gerechtigkeit nicht. Er ist sich selbst genug: ich, ich. Ich kann, ich mache, ich gebe ... Der unbußfertige Sünder wird nicht einmal zu- 4

geben, dass er ein Sünder ist, Gott nicht brauchen in seinem Leben und fröhlich und rücksichtslos weiter drauf los leben. Unser Gleichnis nimmt nicht die beiden Extrempositionen zum Vergleich: den wahren Heiligen und den unbußfertigen Sünder. Da wäre ja auch das Urteil leicht zu fällen. Unser Gleichnis stellt die beiden Positionen gegenüber, die uns eher naheliegen und die am Ende nicht so leicht zu beurteilen sind, ja bei denen sich Innen- und Außenansicht verkehrt, je nachdem, worauf ich mehr achte. Der äußerlich korrekte Fromme ist doch nur scheinbar heilig. In Wahrheit plagt ihn die Sünde des Hochmuts gegenüber Gott und die Sünde der Verachtung gegenüber den Leuten. Der offensichtliche Sünder, Betrüger und Gesetzesübertreter ist innerlich längst auf einem anderen Weg. Er hat eingesehen, was alles falsch läuft bei ihm, er kehrt um und bittet Gott um Verzeihung. Er lässt zu, dass Gott an ihm handelt und geht gerechtfertigt in sein Haus. So urteilt Jesus über diese beiden. Er nimmt wahr, dass der Zöllner Gott mit „Du“ anspricht und ihm Platz einräumt in seinem Leben. Der scheinbar Fromme, der immer nur „ich, ich“ sagt, braucht Gott gar nicht. Der hat nur seine Rechtschaffenheit im Kopf und hat das Bitten verlernt. Wie gesagt, wir reden nicht von den wahrhaft Frommen und den unbußfertigen Sündern. Wir reden von den Frommen, die meinen, andere verachten zu können, und nicht damit rechnen, dass Gott auch ihnen gnädig sein könnte. Und wir reden von den Sündern, die dabei sind, ihre verkehrten Wege zu verlassen und heimzukehren zu Gott. Denn das ist gerade das Gefährliche an all den hochmütig Frommen: Dass sie nicht gönnen können, dass sie die anderen behaften bei ihren Sünden und gar kein Interesse und keine Mitfreude haben an Besinnung, Umkehr, Neuanfang. Es gibt so ein Frommsein, das lebt von der Negativfolie der anderen und wüßte sich gar nicht mehr zu artikulieren, wenn es „die anderen“ nicht gäbe. Spätestens an dieser Stelle fragen wir natürlich: Wer oder was ist damit heute gemeint. Ich nehme zwei Beispiele: die Debatte um die Segnung Homosexueller in unserer Kirche und die Auseinandersetzung um die Frage des Kirchenasyls. Beginnen wir mit dem letzteren. Es gibt eine „politische Korrektheit“, die dem anderen ständig seine Irrtümer und Verfehlungen vorhält und nicht mehr achtgibt auf seine inneren Beweggründe. „Kirchenasyl“ scheint der politischen Rechtsordnung in unserem Lande zu widersprechen. Ein eigenes Rechtsinstitut – das es nicht gibt! – neben das des Staates setzen zu wollen, das wird von vielen – völlig zu recht! – abgelehnt. Aber wenn dann einige sagen: Lieber Gott, ich danke dir, dass ich nicht so töricht und verblendet bin wie jene Kirchenasylbefürworter, und sie daraufhin verachten und ihnen gar nicht mehr zuhören, wird alles falsch. Sie nageln damit die anderen fest auf ihre vermeintlich falsche Rechtsposition und hören gar nicht mehr hin, auf welches Problem sie aufmerksam machen wollen. Es geht hier nicht um die Behauptung eines eigenen Rechtsinstituts, es geht auch nicht um kirchliche Besserwisserei oder die Bestreitung des Rechtsstaates, sondern im Gegenteil um seine – vielleicht auch manchmal übertriebene und übermäßige – Inanspruchnahme. Noch einmal soll gehört, geprüft, abgewogen und dann erst geurteilt und in bestimmten Fällen auch abgeschoben werden. Noch einmal soll Beistand und Hilfe geleistet werden, ehe eine womöglich tragische und lebensgefährliche Situation entsteht. Staatliche Instanzen sollen vor schrecklichen Irrtümern mit Todesfolge bewahrt werden, Umkehr ermöglicht werden – das ist doch der Sinn des erneuten Einspruchs. 5

<strong>1997</strong> (Reihe I)<br />

10.08.<strong>1997</strong>: 11. Sonntag nach Trinitatis (Vorstellung in Ratzeburg)<br />

Lukas 18,9-14<br />

Das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner ist uns allen sehr vertraut. Es gibt kaum<br />

eine neutestamentliche Geschichte, die so bekannt ist – auch bei denen, die sich<br />

vom regelmäßigen Bibellesen längst verabschiedet haben. Es ist geradezu sprichwörtlich<br />

geworden mit seiner Ablehnung heuchlerischer Frömmigkeit und hat bei uns<br />

im Norden sogar einem Getränk den Namen gegeben – denken Sie an die Geschichte<br />

von der Insel Nordstrand: „Ihr Pharisäer“, sagte der Pastor, als er den Rum unter<br />

der Sahnehaube entdeckte. Es geht um das Aufdecken eines heimlichen Schadens<br />

unter der glatten Oberfläche wohlanständigen Verhaltens.<br />

Ob wir damit den Pharisäern zur Zeit Jesu Gerechtigkeit widerfahren lassen, steht<br />

auf einem ganz anderen Blatt. So ist das nun einmal mit unseren Pauschalurteilen:<br />

Mögen wir auch im Einzelfall Recht haben, durch die Verallgemeinerung wird alles<br />

falsch und schief. Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, wollen wir zunächst<br />

einmal festhalten, was dieses Gleichnis nicht sagt und gegen wen oder für wen es<br />

nicht ins Feld geführt werden darf.<br />

Es gibt nämlich durchaus fromme und rechtschaffene Leute, die verachten die anderen<br />

Menschen nicht. Zu denen ist dieses Gleichnis nicht gesagt.<br />

Es gibt auch Sünder, die gehen gar nicht erst in die Kirche und wollen auch mit Gott<br />

nichts zu tun haben. Auch sie werden von diesem Gleichnis nicht erreicht.<br />

Das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner ist also keine pauschale Anklage gegen die<br />

Frommen im Lande, als müsse ihre Frömmigkeit notwendigerweise immer eine<br />

heuchlerische sein. Dem ist nicht so.<br />

Das Gleichnis ist auch keine bequeme Rechtfertigung aller Sünder und Gesetzesübertreter,<br />

als genügte die Annahme dieses einen durch Gott und nun wären<br />

alle Sünder gerechtfertigt, ohne auf Einzelheiten, auf Folgen und Konsequenzen zu<br />

achten.<br />

Jesus beschreibt in seinem Gleichnis zwei menschliche Verhaltensweisen, die er uns<br />

zum Nachdenken, zur eigenen Bewusstwerdung vor Augen führen will.<br />

Da ist der Fromme, der nach außen alle guten Werke tut, aber nach innen eine eher<br />

finstere, vor allem verächtliche Gesinnung hat. Und da ist der offensichtliche Sünder,<br />

der zwar nachweislich Übles getan und sich an anderen vergangen hat, der sich aber<br />

besinnt, umkehrt, vor Gott seine Schuld bekennt und ihn um Gnade bittet.<br />

Der erste, der sich so fromm und rechtschaffen vorkommt, macht Gott arbeitslos. Er<br />

missbraucht ihn allenfalls zur eigenen Selbstdarstellung und verkennt im Grunde sein<br />

Wesen.<br />

Der zweite bittet Gott um das Wesentliche seiner Existenz: nämlich gnädig und<br />

barmherzig zu sein. Da kann Gott dann viel tun und bewirken in einem Menschen.<br />

Und darum geht es in unserem Predigttext: um das rechte Wirken Gottes, der da einzig<br />

gerecht macht. Gerechtigkeit ist Gottes Gerechtigkeit, nicht unsere eigene: fremde,<br />

geschenkte Gerechtigkeit, keine selbstgemachte. Schon gar keine, die man vernachlässigen,<br />

verachten oder verleugnen könnte, sondern eine erbetene, erwünschte,<br />

ja wirklich für uns not-wendige.<br />

Der wahre Heilige und der bekehrte Sünder wissen das: Gerechtigkeit kommt nicht<br />

aus mir. Sie ist mir geschenkt, zugeeignet von Gott. Und ich kann sie nicht machen,<br />

nur wünschen und erbitten.<br />

Der falsche Heilige braucht Gottes Gerechtigkeit nicht. Er ist sich selbst genug: ich,<br />

ich. Ich kann, ich mache, ich gebe ... Der unbußfertige Sünder wird nicht einmal zu-<br />

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