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1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...

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mit dem heutigen Gottesdienst aus meinem Propstamt aus. Himmelhochjauchzend –<br />

zu Tode betrübt.<br />

Der HERR hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen. Gilt das auch für mich<br />

und meine derzeitige Befindlichkeit?<br />

Und dann dieser großartige Stimmungswechsel: Jauchzet, ihr Himmel; freue dich,<br />

Erde! ... Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden. Ist<br />

das auch mir gesagt? Darf ich die Lasten eines schweren Amtes nun ablegen und<br />

erleichtert und fröhlich von dannen ziehen? Getröstet von so vielen Menschen, die<br />

mich bis hierher begleitet haben, und berufen in eine neue Aufgabe, die wichtig und<br />

verheißungsvoll ist.<br />

„Verwechsle dich nicht!“ höre ich die Mahnung meines Pastoren- und Propstenkollegen<br />

Klaus Kasch. Schon zu Büdelsdorfer Zeiten sah er sich veranlasst, mich<br />

gelegentlich zu mahnen und zu warnen vor allzu schnellen Identifizierungen mit einem<br />

bedeutsamen Bibeltext.<br />

Und es ist ja wahr: Diese Worte des Propheten Jesaja sind nicht für mich gesagt. Sie<br />

gelten den Verbannten im fernen Babylon, die dabei sind, all ihre Hoffnungen fahren<br />

zu lassen und sich endgültig vom Gott ihrer Väter und Mütter zu verabschieden: Er<br />

hat sie verlassen und, was noch schlimmer ist, vergessen. Es gibt keine Hoffnung<br />

mehr!<br />

Und zu ihnen kommt nun der Prophet und tröstet sie. Er sagt: Jauchzet, ihr Himmel;<br />

freue dich, Erde! ... Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner<br />

Elenden.<br />

Dem Propheten gehen da sämtliche Zeiten durcheinander: Gott hat sein Volk getröstet<br />

in der Vergangenheit; Gott erbarmt sich seiner Elenden in der Gegenwart; Gott<br />

wird ihrer nicht vergessen in der Zukunft. Mich erinnert das an ein wichtiges Diktum<br />

des Kirchenvaters Augustin über die Zeit. Er sagte: Es gibt nur eine Zeit – Gegenwart.<br />

Die Gegenwart der Vergangenheit ist Erinnerung, die Gegenwart der Gegenwart<br />

ist Aufmerksamkeit und die Gegenwart der Zukunft ist Erwartung.<br />

Der Prophet möchte die Menschen gegenwärtig, geistesgegenwärtig machen: dass<br />

sie sich erinnern, dass sie aufmerksam sind, dass sie noch etwas erwarten. Denn<br />

das ist ja die tiefste Verletzung eines Menschen in seiner Seele, wenn er sich gar<br />

nicht mehr erinnert, wenn er nichts mehr wahrnimmt um sich herum, wenn er schon<br />

gar nichts mehr erwartet vom Leben. Es gibt eine tiefe Trauer und eine tiefe Verletzung,<br />

die das alles nicht mehr kann: sich erinnern, aufmerksam sein, erwarten.<br />

Jesaja müssen solche Menschen in Babylon, in der Fremde, vor Augen gestanden<br />

haben, als er seine tröstende Stimme erhob (40,1-2):<br />

Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und prediget<br />

ihr, daß ihre Knechtschaft ein Ende hat, daß ihre Schuld vergeben ist; denn sie<br />

hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.<br />

Gemessen an dem, was das Volk Israel in Babylon und dann später in noch schlimmeren<br />

Zeiten von Verbannung, Verfolgung und Vernichtung erlebte, geht es mir ja<br />

noch gold. Ich darf Abschied nehmen von einem geliebten und geschätzten, aber<br />

doch auch schweren Amt. Ich bekomme eine neue Aufgabe übertragen. Warum also<br />

sollte ich mich zu tief von diesen Texten berühren lassen?<br />

Aber kaum, dass ich mich gelöst habe und dankbar meine andere existentielle Situation<br />

wahrnehme, holt mich Jesaja mit seinen Worten schon wieder ein.<br />

Dankbar registriere ich ja, dass alle Schuld vergeben ist, aber der dunkle Hintergrund<br />

wird auch sichtbar: sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für<br />

alle ihre Sünden.<br />

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