1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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Überall, wo er hinkommt: taube Ohren – taube Herzen. Alles ist umsonst, was ich<br />
mache. Was soll das Ganze noch? Und warum mach ich das eigentlich bloß? –<br />
Jeremia sitzt tief im Loch und mag nicht mehr!<br />
Ist Ihnen das so unbekannt oder kennen Sie es auch? Sicher, wir alle sind nicht<br />
solch ein besonderer Prophet, der einen direkten Auftrag von Gott in sich verspürt.<br />
Kommt heute wohl kaum noch vor – und wenn, dann liegt es schon an der Grenze<br />
der Normalität. Doch, dass uns alles zu viel wird, dass wir nicht mehr können, am<br />
liebsten alles hinschmeißen wollen, „es wird mir alles zu viel, ich kann und will nicht<br />
mehr, weiß nicht warum“, solche Gefühle, Empfindungen, die kennen wir schon, die<br />
kommen über jeden und jede irgendwann. Und dann sitzen wir wie Jeremia im dunklen<br />
Loch.<br />
Was macht nun Jeremia? Er tut etwas ganz Unerhörtes. Fast ist es wie eine Gotteslästerung.<br />
Er gibt all seinen Unmut weiter an Gott. Den Hohn und Spott, den er erfährt,<br />
gibt er zurück an Gott – so, als sei Gott sein Sündenbock. Und er tut es mit<br />
ganz drastischen Worten: „Hey Gott, der du mich in diese Sache hineingeritten hast.<br />
Du hörst mich doch? Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, als du mich zum Propheten<br />
gemacht hast? Ja, und was hast du dabei aus mir gemacht? Von Anfang an<br />
habe ich mich dagegen gesträubt! Ich wollte nicht, aus gutem Grund! Aber du hast<br />
mich gelockt (Luther sagt: „überredet“; die Zürcher Bibel: „betört“; eine jüdische<br />
Übersetzung: „verlockt und verführt“). Du hast mich aufs Kreuz gelegt und betrogen.<br />
Erst bezirzt du mich, dass ich in deinen Dienst trete, dem Volk und dem König unangenehme<br />
Wahrheiten sage – und dann lässt du mich einfach im Stich. Und nun steh<br />
ich da, niedergeschlagen, ein Hohn und Spott für alle.“<br />
So oder ähnlich mag er – in heutiger Sprache – mit Gott ins Gericht gegangen sein.<br />
Ungewöhnliche Worte brechen aus ihm heraus, wie ein Sturzbach ergießt es sich.<br />
Und so hat er es dann auch noch aufgeschrieben, beziehungsweise durch seinen<br />
Sekretär Baruch aufschreiben lassen. Mit Gott so zu reden! „Verrückt muss ich gewesen<br />
sein, als ich mich rumkriegen ließ, in deinen Dienst zu treten! Schöne Worte<br />
hast du mir gemacht. Und nun stehe ich da und kann nicht mehr, niedergeschlagen<br />
wie ich bin. Was hast du nur aus mir gemacht, Gott! Und wo bist du jetzt?“<br />
Man kann sich das – so denke ich – gar nicht drastisch genug vorstellen, wie Jeremia<br />
mit Gott geredet, gestritten, gekämpft, wie er getobt und gelitten, geschrien und geweint<br />
hat. Fünf weitere von diesen Wut- und Verzweiflungsausbrüchen gibt es von<br />
ihm, in den Kapiteln 10-20 des Jeremia-Buches nachzulesen. Alles, was ihm die<br />
Menschen antun, gibt er an Gott zurück, wirft es auf ihn. So redet er mit Gott.<br />
Können wir das auch? Trauen wir uns das auch? Ist das auch unser Erleben, auch<br />
unsere Sprache? Oder sagen wir: Ach, ferne Zeiten, als man noch so direkt mit Gott<br />
verkehrte! Ach, so furchtbar übertrieben solch eine Rede! Ach, so dick kommt es für<br />
uns nun ja doch nicht!?<br />
Eines kann man von Jeremia, der solch einen intensiven, ja fast intimen Kontakt zu<br />
Gott hat – zu seinem Gott und zu unserem Gott –, gut lernen. Und da brauchen wir<br />
gar nicht ein besonders prophetisches Selbstbewusstsein zu haben, müssen gar<br />
nicht meinen, allen überall die „Wahrheit Gottes“ auf den Kopf zusagen zu müssen.<br />
Nein, das gilt auch in ganz normalen und alltäglichen Situationen. Das können wir<br />
von Jeremia, diesem Gottesstreiter und Gottesliebhaber lernen:<br />
Er wirft all seine Sorgen, alle seine Ängste und sein Leid, salopp gesagt: all seinen<br />
„Frust“, auf Gott. Gott ist für ihn Sündenbock, Blitzableiter und Mülleimer in einem.<br />
Und er traut sich das. Er hat nicht die Befürchtung, er dürfe es nicht tun. Er vertraut<br />
darauf: Gott hält das aus. Vielleicht freut sich sogar Gott, dass ich so direkt, ja fast<br />
intim mit ihm rede, dass ich all meinen Ärger auf ihn werfe. Nicht in mich hineinfresse<br />
und auch andere damit nicht belaste, sondern es Gott „an den Kopf“ werfe.<br />
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