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1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...

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hinter sich lassen. Wer könnte das nicht verstehen?! Wir wissen aber: Wir können<br />

unserer Wirklichkeit nicht entkommen, nicht im Rausch, nicht im Wald und erst recht<br />

nicht, indem wir unsere Verantwortung nicht bewusst wahrnehmen. Es gibt kein<br />

Ausweichen vor der Frage: Wer bist du Mensch? Was tust du? Darfst du, was du<br />

tust?<br />

Hubertus versucht es trotzdem – und wir ahnen, wie das ausgehen wird: ein Blutbad,<br />

ein Blutbad im Wald. Wer selbst ohnmächtig ist, möchte irgendwo, und sei es nur an<br />

den Geschöpfen, seinen Machtinstinkt ausleben. Denken Sie nur an die Jugendlichen,<br />

die hier ganz in unserer Nähe vor einiger Zeit offenbar über Jahre Katzen gequält<br />

und umgebracht haben. Wo Menschen ihr Verantwortungsgefühl ausschalten,<br />

vergessen sie sich selbst, verlieren sie ihr menschliches Gesicht, ihre Würde – und<br />

gehen menschenverachtend mit ihrer Mitwelt um. Gottlos nennt die Bibel das – verantwortungslos.<br />

Hubertus gehörte auch zu diesen Menschen, so erzählt die Legende. Auch er handelte<br />

instinktgeleitet, aus dem Gefühl der Ohnmacht heraus, das danach drängt,<br />

doch noch irgendwie Macht ausüben. Deshalb will er den Hirsch erlegen – wie auch<br />

immer. Doch da wird er plötzlich unterbrochen. Ihm gehen die Augen auf. Er erkennt<br />

seine Verantwortung. Nicht mehr dieses „Ich – ich – ich bin doch der Herr“, nicht<br />

mehr diese Angst, selbst zu kurz zu kommen, sondern mit einem Mal tritt ihm die<br />

Wahrheit seiner Existenz selbst vor Augen.<br />

Die Legende erzählt das so: Hubertus hetzt dem Tier nach. Zweige schlagen ihm ins<br />

Gesicht. Er ist dem Hirschen schon ganz nahe, kann ihn riechen – und mit einem Mal<br />

hat er ihn vor sich. Majestätisch, ein Hirsch. Er hält inne. Aug in Aug mit dem Tier.<br />

Beide atmen heftig. Er hebt den Bogen, zielt – und sieht erst jetzt, wo er genau zielt,<br />

in dem Geweih des Hirsches ein Kreuz.<br />

Gott am Kreuz: getötet aus menschlicher Machtgier und Eigennutz. Und wie mit der<br />

Stimme seines eigenen Gewissens scheint Gott durch diesen Hirsch zu ihm zu sprechen:<br />

„Wenn du dich nicht wahrhaft zum Herrn bekehrst, wirst du zur Hölle fahren.“<br />

Ist er nicht schon dort – dieser Edelmann? Ist er nicht auf dem besten Wege sich<br />

selbst, seiner Mitwelt und seinen Mitgeschöpfen das Leben zur Hölle zu machen?<br />

Gott selbst stellt ihm diese Frage:<br />

Was ist der Mensch? Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und was des<br />

Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?<br />

Man kann das als Frage hören: Was ist der Mensch, dass du, Gott, seiner gedenkst?<br />

Man kann das aber auch als Ausdruck maßlosen Erstaunens hören. „Was ist doch<br />

der Mensch, dass du, der ewige Gott, seiner gedenkst, und was ist doch des Menschen<br />

Kind, dass du dich seiner immer wieder annimmst!“<br />

Die Legende vom heiligen Hubertus zeigt, wer hier heilig ist: Gott selbst. Er hat seine<br />

Schöpfung nicht sich selbst überlassen. Er möchte, dass auf dieser Welt Spuren heiligen<br />

Lebens sichtbar werden. Deshalb stellt er sich Hubertus in den Weg: ein Geweih<br />

mit einem Kreuz. Hier stößt der ohnmächtig-mächtige Hubertus heilsam an eine<br />

Grenze. Aus dem Geweih klingt die Stimme zu ihm herüber: „Ich mag diese Welt. Ich<br />

sehe dein Leid, aber ich bleibe dir treu. Da schau: Mein Sohn – er hat gelitten, an<br />

den Menschen, an der Gewalt, die ihr Menschen euch antut, an dem Unrecht, das ihr<br />

euch zufügt. Er ist daran zugrunde gegangen. Mir tat das weh, sehr weh, will ich<br />

doch, dass er lebt, dass ihr lebt. Ich kann euch nicht aufgeben, will es nicht – auch<br />

wenn ihr nicht locker lasst, Macht zu missbrauchen.“<br />

Hubertus ließ den Hirsch laufen. Er ließ ihn am Leben – und fand darüber selbst zu<br />

seiner Verantwortung zurück. Nicht, dass er die Jagd aufgegeben hätte. Er wurde<br />

Mönch und später Bischof – und Bischöfe seiner Zeit gingen wie andere auch der<br />

Jagd nach. Dennoch hat diese Erfahrung sein Leben verändert. Er ist sich seiner<br />

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