1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...
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ohnmächtig ist, aber gerade darum die Macht sucht. Sie zeigt den Menschen, der<br />
leben will – und dafür den Tod in Kauf nimmt.<br />
Vielleicht ist das, liebe Gemeinde, der Grund dafür, warum wir auch zu Beginn des<br />
dritten Jahrtausends auf diese uralte Legende zurückkommen. Hubertusmessen haben<br />
Konjunktur – und das wohl erst seit gut dreißig Jahren. Vorher waren sie Jahrhunderte<br />
lang für Nichtjäger fast in Vergessenheit geraten. Und heute scheinen sie<br />
Menschen in ihren Bann zu ziehen.<br />
Das liegt nicht daran, dass wir etwa heute mehr als früher eine kirchliche oder gottesdienstliche<br />
Besinnung auf das Wesen des Jagens bräuchten als früher. Jäger jagen<br />
– ob mit oder ohne Gottesdienst –, das war schon immer so und wird auch so<br />
bleiben. Dass wir Menschen des dritten Jahrtausends dennoch gerade diese uralte<br />
Legende vom heiligen Hubertus für uns wiederentdecken, hat auch nicht bloß in dem<br />
beeindruckenden Schauspiel der Parforcejagdhörner hier im Gottesdienst seinen<br />
Grund. Ich glaube vielmehr, dass die bleibende Aktualität dieser uralten Legende<br />
darin liegt, dass sie – wie viele Heiligenlegenden – eine brandaktuelle Frage stellt.<br />
Nämlich die Frage danach: Was ist der Mensch? Was ist der Mensch im Lichte der<br />
Hubertuslegende?<br />
Zuerst einmal: der Mensch, der zutiefst frustriert ist darüber, dass er gegenüber<br />
Schicksalsschlägen so wenig ausrichten kann – und gerade deshalb in der Gefahr<br />
steht, gierig und rücksichtslos um sich zu schlagen. Hubertus, so berichtet die Legende,<br />
ist verheiratet. Er ist begütert und geht, wie andere seiner Stellung auch, in<br />
seiner Freizeit der Jagd nach. Hubertus ist ein glücklicher Mensch. Seine Frau ist<br />
schwanger. Hubertus erwartet den Erben. Und wie jeder werdende Vater umsorgt er<br />
seine Frau, träumt bereits davon, wie er seinem Sohn – eine Tochter als Nachwuchs<br />
konnte er sich wohl nicht recht vorstellen – das Reiten beibringen würde, wie er mit<br />
ihm erst Spielen, dann zusammen auf die Jagd, auf Bälle, Ritterspiele oder in den<br />
Krieg ziehen würde. Hubertus ist glücklich, wenn er sich das ausmalt. Er ist im Vollbesitz<br />
seiner Kräfte.<br />
Aber dann kommt alles ganz anders: Seine Frau stirbt bei der Geburt. Und sie reißt<br />
den erhofften Erben mit in ihren Tod. Hubertus fühlt, wie seine Träume platzen. Ihm<br />
ist, als habe man eine Schlinge um seinen Hals gelegt. Das Atmen wird schwer. Er<br />
stürzt in den Stall, sattelt das Pferd und in scharfem Galopp geht es ins Freie: Luft.<br />
Freiheit. Immer voran. Wenigstens hier weiß er, wo es langgeht. Hier stellt sich ihm<br />
keiner in den Weg. Hier ist er der Herr.<br />
Die Frau tot, der ersehnte Sohn nicht geboren. Hubertus sieht sich dem Schicksal<br />
ausgeliefert. Er ist am Ende – und will all dem entfliehen: in der Jagd. Denn dort ist er<br />
der Herr über Leben und Tod. Hubertus sieht einen kapitalen Hirsch, heftet sich an<br />
seine Spuren. Sein Instinkt, seine Leidenschaft sind erwacht. Vergessen die Frau,<br />
das tote Kind, die enttäuschten Hoffnungen – und zugleich sind sie doch ganz da,<br />
untergründig schwelt die Enttäuschung, die Wut, das Gefühl des Ausgeliefertseins.<br />
Er weiß: Ich schaffe es – diesen Hirsch, dieses Tier. Ich werde es erlegen. Ich, selber<br />
dem Tod ausgeliefert, bin zugleich Herr über Leben und Tod, wenigstens in der<br />
Jagd.<br />
Was ist der Mensch? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und<br />
Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände<br />
Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch<br />
die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was<br />
die Meere durchzieht.<br />
Was ist der Mensch? Kluge Jagdausbilder geben ihren Leuten den Rat: „Bleibt sitzen,<br />
wenn ihr einen Schuss abgegeben habt. Geht nicht gleich zu dem erlegten Wild.<br />
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