1 Peter Godzik, Ratzeburger Predigten Inhaltsverzeichnis 1997 ...

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25.05.2014 Aufrufe

Mir ist um Gottes Mission nicht bange – die einen bevollmächtigt er, aus ihrem Schweigen nach außen zu treten und der Welt zu bezeugen, welche Hoffnung in ihnen ist – die anderen lässt er verstummen, damit sie wieder neu Kräfte sammeln im Innern für eine neue Zeit der Mission nicht in Modernität und Beliebigkeit, sondern in Kraft und Wahrheit. Gott segne unser Lauenburger Land im Hören und im Reden – und im Warten und im Schweigen. Amen. 17.10.2003: Pröpsteklausurtagung in Weitenhagen Thema: Gebet (Matthäus 6,7-15) Wir sind in diesen Tagen zum Thema Spiritualität im (pröpstlichen) Alltag hier in Weitenhagen bei Greifswald versammelt. Ich habe es heute Morgen übernommen, mit Ihnen und Euch über das Thema Gebet zu sprechen. Ich möchte das schon in dieser Morgenandacht tun. Dazu lese ich einen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium, der zu den Lesungen des Sonntags Rogate gehört, nämlich Matthäus 6,7-15: Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben. Über das Beten und besonders über das Vaterunser lässt sich sehr vieles sagen. Ich möchte mich heute Morgen auf zwei Grundgedanken beschränken. Der erste Gedanke: Das Wichtigste beim Beten ist das Vergeben. Jesus lehrt seine Jünger das Beten. Er spricht zum ersten Mal das Vaterunser, das zu unserem wichtigsten Gebet geworden ist: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Diesen Gedanken der Vergebung betont er noch einmal am Ende seiner Jüngerbelehrung: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ Die Wichtigkeit von Vergebung wird uns in unserer pastoralen Praxis immer wieder sehr bewusst. Menschen (wir auch!) verfehlen, was ihnen (und uns!) an Gottes- und Nächstenliebe aufgetragen ist. Und auch in den Strukturen, in denen wir leben, steckt viel Schuld. Es ist noch nicht so lange her, da haben wir Abschied genommen von einem Jahrhundert voller Krieg und Vertreibung, voller Grausamkeit und Verletzung von Menschenrechten. Die Wunden schmerzen noch immer, die Menschen sich gegenseitig geschlagen haben. Aber da geschieht schon wieder neues Unrecht. Auch das neue Jahrhundert hat schrecklich begonnen mit terroristischen Anschlägen und weiterhin geführten Kriegen. Können wir Menschen anders werden und umkehren, Buße tun und neu anfangen? Können wir wirklich vergeben? Und, indem wir anderen vergeben, selber Vergebung empfangen? Ich denke, dass das ohne Beziehung zu Gott gar nicht möglich ist. Ihm geben wir, was uns bedrückt, worunter wir leiden. Wir brauchen nicht mehr unsere Schuldiger damit zu belasten. Bei ihm ist unser Schmerz, unser verloren gegangenes Recht, 100

aber auch unsere große und unsägliche Schuld aufgehoben. Er nimmt uns das alles ab, worunter wir seufzen und leiden, damit wir wieder frei werden können. Er nimmt auch den Opfern ab ihre Schreie, ihre Schmerzen, ihre Hilflosigkeit – all den Opfern unserer Schuld. Wir Menschen brauchen uns nicht mehr gegenseitig zu belasten, weil einer da ist, der für uns trägt. Beten heißt vergeben – im wahrsten Sinne des Wortes: Gott geben, was wir wünschen, was wir bitten, worunter wir leiden, womit wir nicht fertig werden. Gott nimmt es und verwandelt es in seiner Liebe und gibt es uns so zurück, wie wir es brauchen und tragen können. Menschen, die beten, können loslassen, Gott geben, ihm anvertrauen und aus seiner Hand liebevoll verwandelt zurücknehmen. Beten heißt vergeben, sich erleichtern, Gott mit einbeziehen in unser Leben, damit er mitträgt und uns hilft. Wer nicht mehr beten kann, ist eigentlich schlimm dran. Er behält alles bei sich, was ihn quält, wonach er sich sehnt; er hat niemanden, der mit trägt. Darunter kann einer zerbrechen. Jesus lädt uns ein, zu Gott zu beten und mit ihm unser Leben zu teilen. Der zweite Gedanke: „Euer Vater weiß schon, was ihr braucht, ehe ihr ihn bittet.“ Warum dann noch beten, wenn Gott doch alles weiß, alles sieht, uns besser kennt, als wir uns selbst? Die Antwort ist einfach: Beten ist nicht nur ein Geben, ein Vergeben an Gott; Beten ist auch ein Nehmen, ein Vernehmen von Gott. Im Beten lernen wir, mit Gottes Augen zu schauen, mit seiner Liebe die Menschen zu lieben. Wir neigen ja dazu, nur unsere eigene jeweilige Erfahrung gelten zu lassen. Wir sind beschränkt und behindert in unserer Wahrnehmung von Welt. Darin liegt eben unsere große Schuld. Wir meinen, wir haben recht, wenn wir nur auf uns sehen. Jeder hat immer viele und genügend gute Gründe für seine Sicht der Dinge. Er hat recht – mit seinen begrenzten Augen betrachtet. Aber mit den Augen Gottes betrachtet weitet sich der Horizont. Die Sicht der anderen, die unter uns leiden, kommt auch in Betracht. Im Beten vernehme ich von Gott all die Klagen der anderen, ihre Sicht der Dinge, ihre Wünsche und Sehnsüchte. Deshalb ist Beten so wichtig. Beten heißt: sich darum bemühen, Bescheid zu wissen und sich eine Meinung zu bilden. Beten heißt auch: seine Meinung überprüfen, offener zu werden für das Fremde und Unbekannte, weil es vor Gott genauso viel gilt wie ich selbst. Gott ist der Vater aller Menschen, ob sie es wissen oder nicht, jedenfalls nicht nur der Vater meiner Gedanken und Rechtfertigungen. Im Gebet begegnen sie mir, vernehme ich sie aus der liebevollen und behutsamen Sicht Gottes. Beten heißt: sich für die Liebe engagieren lassen, sich um Durchsetzung von Frieden und Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung bemühen. Durchsetzen meint dabei keinen machtpolitischen Anspruch, sondern eine Erfahrung am eigenen Leibe: durchsetzt zu sein von den andern, den Fremden, deren Erfahrung ich aus dem Gebet zu Gott vernommen habe. Verbunden zu sein mit ihnen und von daher mein eigenes Handeln zu bestimmen. Nicht mehr selbstgerecht auf mich selber zu sehen, sondern empfindsam gemacht und mit anderen verbunden, durchsetzt von ihnen, auf das Ganze achtzugeben. Beten heißt also: ver-geben und ver-nehmen, um frei zu werden von der Last der Vergangenheit und offen zu werden für die Taten der Liebe, die heute nötig sind. Amen. 101

aber auch unsere große und unsägliche Schuld aufgehoben. Er nimmt uns das alles<br />

ab, worunter wir seufzen und leiden, damit wir wieder frei werden können. Er nimmt<br />

auch den Opfern ab ihre Schreie, ihre Schmerzen, ihre Hilflosigkeit – all den Opfern<br />

unserer Schuld. Wir Menschen brauchen uns nicht mehr gegenseitig zu belasten,<br />

weil einer da ist, der für uns trägt.<br />

Beten heißt vergeben – im wahrsten Sinne des Wortes: Gott geben, was wir wünschen,<br />

was wir bitten, worunter wir leiden, womit wir nicht fertig werden. Gott nimmt<br />

es und verwandelt es in seiner Liebe und gibt es uns so zurück, wie wir es brauchen<br />

und tragen können.<br />

Menschen, die beten, können loslassen, Gott geben, ihm anvertrauen und aus seiner<br />

Hand liebevoll verwandelt zurücknehmen. Beten heißt vergeben, sich erleichtern,<br />

Gott mit einbeziehen in unser Leben, damit er mitträgt und uns hilft.<br />

Wer nicht mehr beten kann, ist eigentlich schlimm dran. Er behält alles bei sich, was<br />

ihn quält, wonach er sich sehnt; er hat niemanden, der mit trägt. Darunter kann einer<br />

zerbrechen. Jesus lädt uns ein, zu Gott zu beten und mit ihm unser Leben zu teilen.<br />

Der zweite Gedanke:<br />

„Euer Vater weiß schon, was ihr braucht, ehe ihr ihn bittet.“ Warum dann noch beten,<br />

wenn Gott doch alles weiß, alles sieht, uns besser kennt, als wir uns selbst? Die<br />

Antwort ist einfach: Beten ist nicht nur ein Geben, ein Vergeben an Gott; Beten ist<br />

auch ein Nehmen, ein Vernehmen von Gott.<br />

Im Beten lernen wir, mit Gottes Augen zu schauen, mit seiner Liebe die Menschen zu<br />

lieben. Wir neigen ja dazu, nur unsere eigene jeweilige Erfahrung gelten zu lassen.<br />

Wir sind beschränkt und behindert in unserer Wahrnehmung von Welt. Darin liegt<br />

eben unsere große Schuld.<br />

Wir meinen, wir haben recht, wenn wir nur auf uns sehen. Jeder hat immer viele und<br />

genügend gute Gründe für seine Sicht der Dinge. Er hat recht – mit seinen begrenzten<br />

Augen betrachtet. Aber mit den Augen Gottes betrachtet weitet sich der Horizont.<br />

Die Sicht der anderen, die unter uns leiden, kommt auch in Betracht. Im Beten vernehme<br />

ich von Gott all die Klagen der anderen, ihre Sicht der Dinge, ihre Wünsche<br />

und Sehnsüchte. Deshalb ist Beten so wichtig.<br />

Beten heißt: sich darum bemühen, Bescheid zu wissen und sich eine Meinung zu<br />

bilden. Beten heißt auch: seine Meinung überprüfen, offener zu werden für das<br />

Fremde und Unbekannte, weil es vor Gott genauso viel gilt wie ich selbst. Gott ist der<br />

Vater aller Menschen, ob sie es wissen oder nicht, jedenfalls nicht nur der Vater meiner<br />

Gedanken und Rechtfertigungen. Im Gebet begegnen sie mir, vernehme ich sie<br />

aus der liebevollen und behutsamen Sicht Gottes.<br />

Beten heißt: sich für die Liebe engagieren lassen, sich um Durchsetzung von Frieden<br />

und Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung bemühen.<br />

Durchsetzen meint dabei keinen machtpolitischen Anspruch, sondern eine Erfahrung<br />

am eigenen Leibe: durchsetzt zu sein von den andern, den Fremden, deren Erfahrung<br />

ich aus dem Gebet zu Gott vernommen habe. Verbunden zu sein mit ihnen und<br />

von daher mein eigenes Handeln zu bestimmen. Nicht mehr selbstgerecht auf mich<br />

selber zu sehen, sondern empfindsam gemacht und mit anderen verbunden, durchsetzt<br />

von ihnen, auf das Ganze achtzugeben.<br />

Beten heißt also: ver-geben und ver-nehmen, um frei zu werden von der Last der<br />

Vergangenheit und offen zu werden für die Taten der Liebe, die heute nötig sind.<br />

Amen.<br />

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