Siderische Geburt - Peter Godzik
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diese Voraussetzung ist nur ein Fall unter unendlichen Möglichkeiten. Und schon haben die<br />
Gelehrten begonnen, im Begrifflichen Mathematiken zu konstruieren, die eine höhere Dimensionszahl<br />
als Unterbau haben und von denen jede genau so folgerichtig ist wie die unsere.<br />
Und man ist weitergegangen und hat dem Raum – etwa wie einer Kugelfläche – ein inneres<br />
Krümmungsmaß gegeben, es darf positiv oder negativ sein, so dass die kürzeste Verbindung<br />
zwischen zwei Punkten nicht die Gerade wäre. Und fern schwebt uns das Ideal einer<br />
göttlich absoluten Mathematik, die all die unendlichen Mathematiken in sich schlösse. Würde<br />
sich die Raumschau unserer Seele in einer dieser Möglichkeiten ändern, kein Stein bliebe<br />
auf dem anderen von all unserer Welt. Und gleich schwebend sind auch die allgemeinsten<br />
Eigenschaften, sind Ursache und Wirkung, Einheit, Vielheit, Zusammenhang und die oberste<br />
aller „Eigenschaften“, das Seyn 3 , Funktionen unseres Geistes, Bau und Formkräfte, „Kategorien“.<br />
Und gehen wir noch weiter und fragen: „Sind“ die Kategorien? „Ist“ das Seyn? Die Frage<br />
ist kein Spiel, sie ist eine wahrhaft apokalyptische Frage. Das Seyn kann sich nicht selbst<br />
übergreifen, nicht sprechen: ich bin. Es flieht vor sich selbst – das Höchste, Letzte an allem<br />
ruht in Abgründen. Ein Höheres greift um das Seyn – ein Überseiendes. Und wenn alles im<br />
Wissen ruht, worin ruht das Wissen? Wieder im Wissen? Wir kommen nicht ans Ende. Nicht<br />
auf ein Dahinter, auf eine Rückseite – auf ein Tieferes und Höheres weist uns alles, darin es<br />
ruht. Nicht diese Rückseite spintisierender Stubenweisheit ist das Transzendente – nein, das<br />
Transzendenteste ist das Gegebene, das Erlebte selbst, wie es da überschwänglich heilig<br />
schwebt über Abgründen, zerrinnend und wieder entstehend, das Festeste und doch ungreifbar,<br />
webt es da hin und her zwischen Ich und Ding und Ding und Ich – zwei rätselvollen,<br />
nie betretenen Polen. Je mehr wir uns ihnen nähern, desto mehr werden wir gewiesen in<br />
sternenhafte Abgründe über den Sternen. Da flüchtet sich die feige Weisheit der reinen Erfahrung,<br />
die bodenständige, Materialismus, Positivismus, Immanenzlehre, mitten hinein in<br />
dies Hin- und Herweben, die Grenzen wollen sie sorgsam meiden, – aber desto schwindelnder<br />
hängt nun Alles über dem Bodenlosen. Sie betäuben sich in erstickender Enge, dass der<br />
furchtsame Blick den grenzenlosen Abgrund ringsum nicht sehe. Wir aber fliehen weit ihre<br />
Sumpf-Weisheit und folgen unserer vertikalen, steilen Lehre. Nicht am Boden liegen, sondern<br />
Erhebung und Flug. Und dies ist alles Geheimnis und aller Sinn des Menschen, dass er<br />
die Schranken des Natürlichen und des Gegebenen durchbreche und Tiefe in Höhe wandle.<br />
Sahen wir, wie mit unserem Wachstum in der Welt und mit aller gründigen Erkenntnis, die<br />
damit einherschritt, der jagende Wirbel der Erscheinungen immer mehr versank im Selbst,<br />
so wurde er dennoch nicht zunichte. Eingebettet im Selbst und dort liebesglühend gehalten<br />
über dem Versinken. Steigen wir aber auf der Stufenleiter hinab, bis Welt uns wieder<br />
umwölbt und endlich erdrückt, bis an die Todesgrenze am Eisabgrund, da ist nichts eingebettet,<br />
denn einzig das Selbst, das dort ruht wie ein gestaltlos schlummerndes Samenkorn. Das<br />
Seyn, das heut in mir ist, istet dort um mich. Fanden wir heut statt der gelösten Welt einen<br />
„Subjekt-Objekt-Prozess“ vor, so sprechen wir dort umgekehrt von einem „Objekt-Subjekt-<br />
Prozess“. Schauen wir nun, wie es in diesem Prozess ichtet und wie es dingt, und ist doch nur<br />
ein einziger Hergang. Ein Einziger, wie Kugelfläche und Kugelraum eines sind und nicht zwei,<br />
denn setze ich Kugelraum, so habe ich Oberfläche der Kugel mitgesetzt, und setze ich Kugelfläche,<br />
so umschließt sie den Kugelraum. Also sind Ich und Ding im Subjekt-Objekt-Akt in<br />
völliger Verschränkung verschmolzen, so dass der Hergang ganz ichtet und ganz dingt. Diese<br />
Verschränkung ist auch deutlich, sobald wir den ganzen Vorgang unter Inhalt und Form betrachten.<br />
Wir sind zuerst versucht zu sagen: Ding ist Inhalt, Ich ist Form; aber gleich müssen<br />
wir schon einsehen, dass auch „Ding“ gerade das Formeinprägende ist, und „Ich“ das, woran<br />
3 Gutkind schreibt das allumfassende Sein immer mit y, also „Seyn“.