Siderische Geburt - Peter Godzik
Siderische Geburt - Peter Godzik
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Enge braust, wie ein Ozean um eine winzige Insel. Wir sind noch ganz erfüllt von den herbstlichen<br />
Gedanken, da die göttliche Blüte in Frucht und Samen hinsinkt, aber was nun reifer<br />
Same geworden ist, will keimend vergehen, nur das Weltliche können wir heut ernten. So<br />
sucht das Ich den Tod, der seine höchste Angst war, doch nicht den niederen Tod des Verlöschens,<br />
der das ewige Schicksal des endlichen Sonder-Selbst ist, das aus dem Schlummerzustand<br />
des mechanischen Seyns noch nicht erwachte, sondern den oberen, den mystischen<br />
Rausch-Tod, der höchste orgiastische Lust ist. Die Lust des Taste-Leibes, der im Überschwang<br />
der Tastberührung, in der Geschlechtslust, vergeht, ist nur der physische Nullpunkt solcher<br />
zerreißenden Seligkeit. Das enge Sonder-Selbst ist nur ein Teil, und wo Teil ist, da ist auch<br />
Gegenteil, daher es sich in eifersüchtiger Sorge um seinen Besitz, um sein Seyn, hassend verschließen<br />
muss. Das Sonder-Selbst muss hassen, um zu seyn, es kann nichts Höheres als seyn,<br />
und das Seyn ruht auf der Todessetzung des Hasses. Aber das seraphische Liebes-Selbst ist<br />
keine Enge, kein Abgegrenztes, wenn auch eine Einheit, es ist ein sprudelnder Quell, eine<br />
Sonne der Liebe im Liebesreich. Sein Leben ist kein Abgrenzen und Füllen seiner selbst, sondern<br />
ein spendendes Strahlen, Schaffen und erlösend befruchtend seraphisches Umarmen.<br />
Wer seine Einheit nicht im mechanischen Nullpunkt des Todes, sondern im Schwinge-<br />
Schwang der Göttlichkeit gefunden hat, gewinnt zugleich jene neue Lebensform des Verströmens,<br />
statt des seyenden Fressens, die Wanderschaft statt des unbewegten Stillstandes.<br />
Es gilt diese Absurdität einzusehen, dass nur der sein Leben gewinnt, der es verliert, dass nur<br />
verströmend seraphische Wanderung in alle Weiten mir festen Halt und Ewigkeit bringen<br />
kann, dass der mystische Tod in siderischer <strong>Geburt</strong> mich belebt und das Fahrenlassen alles<br />
Habens und Greifens die höchste Fülle grenzenlosen Reichtums in mich hineinzieht. Nicht<br />
mein ärmlich zitterndes Ich, sondern das Gottströmen in mir ist das Reale, meine Lebendigkeit<br />
über allem Tod ruht einzig in der Wanderung von meiner Enge zur Gott-Weite, zur seraphischen<br />
In-eins-Setzung von Allem und wieder hin zur Vielheit der Gestaltung in der atemlosen<br />
schaffenden Wildheit der Welt. In ihrer rastlosen Werkstätte, wo wir den funkelnden<br />
Reichtum der Göttlichkeit schmieden, um ihn der Gottheit darzubringen und endlich selbst<br />
als Lohn den Schmuck der Ewigkeit zu gewinnen, in dieser Schmiedewerkstätte, deren glühende<br />
Unrast wir wie Lebensblut den Höhen zuführen, da hafte ich durch nichts fester als<br />
durch meinen Leib. Je mehr ich in der Weltbildung als Ich heraustrat, je feiner und differenzierter<br />
da mein Leib sich formte, umso mehr wurde er mir zum sorgenvollen Besitz, haftete<br />
an ihm der Hass und Kampf, der mich immer weiter aus der allverwobenen Gemeinschaft<br />
des göttlichen Kreisens absonderte, mich immer weiter vereinzelte als jedes Tier und jede<br />
Pflanze. Wir wissen, dass wir diesen Gang durch die Tiefen der Materie machen müssen,<br />
dass mein hylischer Geist durch meinen Leib in das Stoffliche tief untertauchen muss, um der<br />
Gestaltung willen, denn aller Reichtum, alle Form hebt an im Physisch-Mechanischen, im<br />
Räumlich-Zeitlichen, und reißt sich nur langsam aus diesen Todestiefen los, um sich in der<br />
Seele zu beleben und in Vollendung in göttliche Fernen zu entschweben. Nur durch die trennende<br />
Kraft des Hasses kann Form sich streng von Form scheiden, um zunächst im Materiellen<br />
sich aufzubewahren, bis sie endlich auch im göttlichen Schwingen nicht zerfließt. Gelange<br />
ich aber in meiner Weltwanderung in höherer Reife dazu, Höheres zu wirken, schreite ich<br />
endlich durch meine tiefste Einengung, so gelange ich auch über meinen Leib und seine absondernde<br />
Macht. Mein Erleben kann immer weniger mit den leiblich physischen, objektiven<br />
Geschehnissen parallel verlaufen, es ragt immer mächtiger darüber hinaus, das Sonder-Ich,<br />
das Bündel-Ich, dieses geistige Spiegelbild meines leiblich-hylischen Seyns, gerät gewaltiger<br />
unter die Herrschaft meines höheren Selbst, dem der Leib immer gehorsamer folgt; immer<br />
staunender, berauscht und erglühend, entsteige ich meiner Körperlichkeit, die mir folgt, wie<br />
der Meißel der Künstlerhand. Der Höhere, der Seraphische wird zum Magier.