Siderische Geburt - Peter Godzik

Siderische Geburt - Peter Godzik Siderische Geburt - Peter Godzik

25.05.2014 Aufrufe

64 Die Unmöglichkeit individueller Erklärungen zeigt sich besonders deutlich beim Gedächtnis, das noch immer als eine Art Speicher gedeutet wird. Hier versagen alle Theorien kläglich. Dass wir Gedächtnis haben, ist der tragische Ausdruck unserer höchsten Einengung in den flüchtigen Gegenwartsmoment. Wir sind getrennt von der göttlichen, allumfassenden Gesamtschau, und Erinnerung ist nur ein erstes dämmerndes Wiedererwachen, ist der Beginn des erneuten seraphischen Lebens und Einbeziehung alles dessen, was außer der Gegenwartsenge liegt. Kein Vermögen, vergangene Gegenwart wieder gegenwärtig zu machen, sondern das Durchbrechen aller Gegenwärtigkeit in seraphischer All-Schau. Das Gedächtnis ist die Grundlage des Selbstbewusstseins. Sobald das Ich sich weiß, beginnt es sich aus seiner Starre zu entheben, Selbstbewusstsein ist beginnende Ich-Lösung. Aber weiß ich mich selbst? Nimmermehr! Das Höhere kann nicht in das Niedere eingehen. Das Wissen kann das Transzendente nicht erfassen. Also kann ich auch meine eigene höhere Wirklichkeit nicht mit meinem weltlichen Ich, nicht mit dem niederen Bewusstsein erfahren, sondern einzig im Kreißen der siderischen Geburt in mir. Ich weiß mich nicht, das ist eine urgewaltige Tatsache, die uns erst in Fleisch und Blut übergehen muss, wenn es anders kommen soll; und überwältigend, betäubend über alle Maßen ist das Erleben des Selbst in seiner Göttlichkeit. Das Ich, an das wir uns so angstvoll klammern, das der Sinn aller heutigen Kultur ist und das dräuendste Not uns entreißen wird, es ist nur der winzigste Teil unseres Selbsts, nichts als die unterste Grenze seliger Unendlichkeit, ich bin nur eine Woge in meinem Ozean. Mein ganzes Selbst ruht in seiner Himmelshöhe und seiner Wurzeltiefe in Gott, wenn auch sein weltlicher Leib in ewiger Erneuerung pulsiert. Mein Selbst ragt durch das Ganze des Kreisens, es keimt äonenlang in den Naturtiefen und zwingt alle Natur, sich an ihm zu gestalten, es wandert durch die erdrückende Fülle des weltlichen Erlebens und gießt sich in Vollendung durch alle Himmelshöhen, bis der Ring sich schließt in der Gottheit überseligem Schwingen. Erst mit der Gottheit ist das Selbst ein Ganzes. Ohne jede Göttlichkeit könnte ein Ich nicht den kleinsten Augenblick bestehen. Jedes Selbst hat seinen Bereich von der tiefsten Erstarrung bis zur heißesten Belebung, und sein Selbst erleben heißt Ganzheit des göttlichen Kreisens erleben, Erleben aber heißt in Größerem aufgehen. Das Ich kann nicht leben, wenn es nicht in Größerem aufgeht, in seiner eigenen Göttlichkeit. Nicht meine Dinglichkeit, meine Göttlichkeit strebe ich an. Nicht in Seyns- und Fraßsetzung, sondern in der ekstatischen Setzung des gesamten Kreisens will das Selbst wurzeln. Wie eine Geige gespielt werden, wie ein Same gesät werden will, so will das Ich sich immer brausender zur Gottheit erweitern in seraphischer Wanderung, um sich übervoll in berauschtem Schwang hinausdrängender Liebe wieder in die Tiefen zu werfen. Was wohl soll das kleine Ich als Selbstzweck, was eine Kultur, die dieses Ich konservieren will in närrischunmöglichem Mühen? Es kann schlechterdings keine größere Lächerlichkeit geben wie das Ich als Selbstzweck. Im gesamten Kreisen ist nichts, das weniger Selbstzweck wäre, als der Mensch; ja dass wir so gar nicht Selbstzweck sind, sondern gestaltend und erlösend uns durch alles Kreisen ergießen sollen, ist ja gerade unser göttliches Leben, das uns über die Tierheit hebt, ja, nur hierdurch sind wir überhaupt Lebende und nicht dinglich mechanisch Geführte. Nicht ich bin, sondern ich gotte ist meine stärkste Sicherheit. Eine volkstümliche Redewendung meint etwas sehr tief Überpersönliches, wenn sie sagt: „Hab‘ Dich nicht“. Der Mensch kann nicht sein eigener Besitz sein, ohne dem Tode zu verfallen, der Mensch kann nicht die Aufgabe des Menschen sein. Das Menschentum gehört der Göttlichkeit, es ist der Brennstoff für das Feuer der Gottheit. Ich selbst bin mir nur geliehen, nicht meine Enge, sondern alle Weltenweiten sind meine überpersönliche, wonnige Aufgabe. So wenig ist das rein Persönliche Selbstzweck, dass es nur ein göttliches Gelächter sein kann, und ausnahmslos ist jeder Einzelmensch ein willkommenes Ziel für erlösenden Humor. Wer in der Enge des welt-

65 lichen Ich zu leben vermag, versuche es, solange er kann. Ich aber kann nicht mehr mich als Aufgabe übernehmen, da ich Allheit und Gottheit als Aufgabe übernahm. Nicht ich bin das Endliche, sondern ich übernahm erlösend das Endliche, aber wie ich in seraphischem Umarmen alles mehr und mehr in mich hereinziehe, weite ich mich zur Unendlichkeit, gewinne ich selbst Ewigkeit, zog ich alles in mich, Brüder und Dämonen, Kröte und Rose, Erdbeben und brünstiges Umarmen. Das träge Beharren des Sonder-Ich bei sich selbst ist die Ursache des Todes. Entsteigt es dieser Unlebendigkeit in immer hellerem seraphisch überpersönlichem Tun, so schwingt es in Sphären, die vom Tode nicht betroffen werden, der nur im Nichts wütet, im Negativen. Negativ aber ist das Sonder-Selbst, das statt um Gottheit um sich selbst rotiert, positiv einzig das tätige Liebes-Selbst. Der letzte Grund aller Dekadenz ist das Fehlen einer überpersönlichen Aufgabe. Der Materialismus nimmt atomistisch das Sonder-Selbst in völliger Loslösung als das Höchste. Und aus Materialismus und Dekadenz folgt dann jene verzweifelte Kultur der „Innerlichkeit“, die in der Enge und Leere des Sonder-Selbst vergeblich nach Abgründen sucht und bald diese, bald jene Nichtigkeit des Persönlichen zur Grundlage immer neuer Sekten und reformierter Lebensauffassungen macht. Und doch ist echte Innerlichkeit einzig nur jene glühende Äußerlichkeit weltumfassenden Überschäumens, jenes höchste seraphische Außer-sich-Seyn und jene nie ruhende Wanderschaft in grenzenlose, nie geschaute Weiten. Es ist ein Steckenbleiben in dem noch unentwickelten Keimzustand des Selbsts, wenn noch das enge Sonder-Ich als das einzig Lebendige gelten will. Freilich in der aufsteigenden Welt kreist alles mehr und mehr um dieses Ich; Weltbildung ist verichte Natur, ist Ichbildung; das starke rücksichtslose Ich ist das lebendige Blut der steigenden Welt. Aber da sich Welt über ihrer Höhe erfüllt, da das Ich sich vollendet in rosenhaft sommerlicher Pracht, da wird nun in Zukunft alle Ich- Kultur zur Dekadenz-Kultur, da hilft uns kein Renaissance-Ideal weiter, auch nicht in der modernen Form der Stirner und Nietzsche. Das Sonder-Ich wird zum seraphischen Selbst. Was die höchste Angst der weltlichen Seele ist, zu verströmen, ist tosende Lust der seraphischen Seele, die sich der Natur, dem Welten-Ringen, dem Himmel und aller Göttlichkeit verschmelzend vermählen will, die überquillt von sternenhaftem Drang, sich durch alle Allheit zu ergießen. Das niedere Ich ist ein mechanischer Einheitspunkt des seelischen Lebens, es teilt und vereint. Das höhere Selbst begnügt sich nicht mit solcher tot mechanischen Tätigkeit, es wertet, es schafft und gestaltet, erlöst in liebender Umarmung, es setzt den Realitätspunkt. Wenn meine Phantasie einen jauchzenden Tanz schafft, und ich habe die Macht, ihn als real zu setzen, so „ist“ er zur Realität geworden und durch nichts von jeder anderen „Wirklichkeit“ geschieden. Doch die Macht zu solchen Wirklichkeitssetzungen hat einzig das seraphische Selbst, niemals doch das mechanische Sonder-Ich. Die höchste Angst der weltlichen Seele ist das Verströmen. Sie klammert sich an den Einheitspunkt, der ihren Zusammenhalt macht. Aber an den Tod klammert sie sich einzig, denn nichts als Tod, als Gegenpol des Göttlichen, als Gottferne der Gestaltung halber, ist der Schwerpunkt des innerweltlichen Kreisens oder der Ichpunkt. Darum kann auch alle individuelle Psychologie bei ihren Analysen, wie jedes Analysieren, nur auf tote Teile stoßen, die sich in der Art der mechanisch physischen Vorgänge beeinflussen, das Leben aber zerrinnt solcher Forschung unter den Händen, ewig untastbar, ungreifbar bleibt das Leben des Selbst draußen. Das ist der große Sinn der Weltwende für uns, dass wir statt einer mechanischen Einheit im Todespunkt unsere Einheit in göttlichem Schwingen finden müssen. Noch ist unsere Kultur der Weltbildung ganz erfüllt von dem Wachsen und Wohlergehen des Sonder-Ich, noch blind gegen die Lebensformen der höheren Wirklichkeit, die über dem Ich, über Fressen und Haben liegt, sie ahnt kaum das überherrliche, überreiche Leben, das um die armselige

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lichen Ich zu leben vermag, versuche es, solange er kann. Ich aber kann nicht mehr mich als<br />

Aufgabe übernehmen, da ich Allheit und Gottheit als Aufgabe übernahm. Nicht ich bin das<br />

Endliche, sondern ich übernahm erlösend das Endliche, aber wie ich in seraphischem Umarmen<br />

alles mehr und mehr in mich hereinziehe, weite ich mich zur Unendlichkeit, gewinne ich<br />

selbst Ewigkeit, zog ich alles in mich, Brüder und Dämonen, Kröte und Rose, Erdbeben und<br />

brünstiges Umarmen. Das träge Beharren des Sonder-Ich bei sich selbst ist die Ursache des<br />

Todes. Entsteigt es dieser Unlebendigkeit in immer hellerem seraphisch überpersönlichem<br />

Tun, so schwingt es in Sphären, die vom Tode nicht betroffen werden, der nur im Nichts wütet,<br />

im Negativen. Negativ aber ist das Sonder-Selbst, das statt um Gottheit um sich selbst<br />

rotiert, positiv einzig das tätige Liebes-Selbst.<br />

Der letzte Grund aller Dekadenz ist das Fehlen einer überpersönlichen Aufgabe. Der Materialismus<br />

nimmt atomistisch das Sonder-Selbst in völliger Loslösung als das Höchste. Und aus<br />

Materialismus und Dekadenz folgt dann jene verzweifelte Kultur der „Innerlichkeit“, die in<br />

der Enge und Leere des Sonder-Selbst vergeblich nach Abgründen sucht und bald diese, bald<br />

jene Nichtigkeit des Persönlichen zur Grundlage immer neuer Sekten und reformierter Lebensauffassungen<br />

macht. Und doch ist echte Innerlichkeit einzig nur jene glühende Äußerlichkeit<br />

weltumfassenden Überschäumens, jenes höchste seraphische Außer-sich-Seyn und<br />

jene nie ruhende Wanderschaft in grenzenlose, nie geschaute Weiten. Es ist ein Steckenbleiben<br />

in dem noch unentwickelten Keimzustand des Selbsts, wenn noch das enge Sonder-Ich<br />

als das einzig Lebendige gelten will. Freilich in der aufsteigenden Welt kreist alles mehr und<br />

mehr um dieses Ich; Weltbildung ist verichte Natur, ist Ichbildung; das starke rücksichtslose<br />

Ich ist das lebendige Blut der steigenden Welt. Aber da sich Welt über ihrer Höhe erfüllt, da<br />

das Ich sich vollendet in rosenhaft sommerlicher Pracht, da wird nun in Zukunft alle Ich-<br />

Kultur zur Dekadenz-Kultur, da hilft uns kein Renaissance-Ideal weiter, auch nicht in der modernen<br />

Form der Stirner und Nietzsche. Das Sonder-Ich wird zum seraphischen Selbst. Was<br />

die höchste Angst der weltlichen Seele ist, zu verströmen, ist tosende Lust der seraphischen<br />

Seele, die sich der Natur, dem Welten-Ringen, dem Himmel und aller Göttlichkeit verschmelzend<br />

vermählen will, die überquillt von sternenhaftem Drang, sich durch alle Allheit zu ergießen.<br />

Das niedere Ich ist ein mechanischer Einheitspunkt des seelischen Lebens, es teilt und<br />

vereint. Das höhere Selbst begnügt sich nicht mit solcher tot mechanischen Tätigkeit, es wertet,<br />

es schafft und gestaltet, erlöst in liebender Umarmung, es setzt den Realitätspunkt.<br />

Wenn meine Phantasie einen jauchzenden Tanz schafft, und ich habe die Macht, ihn als real<br />

zu setzen, so „ist“ er zur Realität geworden und durch nichts von jeder anderen „Wirklichkeit“<br />

geschieden. Doch die Macht zu solchen Wirklichkeitssetzungen hat einzig das seraphische<br />

Selbst, niemals doch das mechanische Sonder-Ich.<br />

Die höchste Angst der weltlichen Seele ist das Verströmen. Sie klammert sich an den Einheitspunkt,<br />

der ihren Zusammenhalt macht. Aber an den Tod klammert sie sich einzig, denn<br />

nichts als Tod, als Gegenpol des Göttlichen, als Gottferne der Gestaltung halber, ist der<br />

Schwerpunkt des innerweltlichen Kreisens oder der Ichpunkt. Darum kann auch alle individuelle<br />

Psychologie bei ihren Analysen, wie jedes Analysieren, nur auf tote Teile stoßen, die<br />

sich in der Art der mechanisch physischen Vorgänge beeinflussen, das Leben aber zerrinnt<br />

solcher Forschung unter den Händen, ewig untastbar, ungreifbar bleibt das Leben des Selbst<br />

draußen. Das ist der große Sinn der Weltwende für uns, dass wir statt einer mechanischen<br />

Einheit im Todespunkt unsere Einheit in göttlichem Schwingen finden müssen. Noch ist unsere<br />

Kultur der Weltbildung ganz erfüllt von dem Wachsen und Wohlergehen des Sonder-Ich,<br />

noch blind gegen die Lebensformen der höheren Wirklichkeit, die über dem Ich, über Fressen<br />

und Haben liegt, sie ahnt kaum das überherrliche, überreiche Leben, das um die armselige

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