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Siderische Geburt - Peter Godzik

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III. <strong>Siderische</strong> <strong>Geburt</strong><br />

Welch Schrecken ist schauerlicher als der Schrecken am Mittag! Nicht die Geisterstunde in<br />

der Nachttiefe! Höhnisch lacht der große Pan hinter jedem Stein und Baum. Ein feindseliges<br />

Sausen tönt ringsum – sensenscharf, wie eine ferne Schlacht. Der Atem stockt – Fieber glüht,<br />

und will der vor Erschöpfung Überwältigte das ermattete Auge schließen, da raunt die Mittagsfrau<br />

ihm ihre tödliche Weisheit. Mittagsschrecken liegt über der Welt!<br />

Doch wehe dem Ankläger wider die Schrecken am Mittag! Der sich sehnsuchtsvoll zurückwünscht<br />

zum Morgen! Solcher wird verschmachten vor Sehnsucht im Glühen des Mittags,<br />

denn wer den Abend scheut, wird den kommenden Tag nicht erleben, und wer der Welt<br />

herbstliches Welken nicht erleben mag und wie sie als reife Frucht gebrochen wird, der kann<br />

im heiligen Frühling nicht wiedergeboren werden. Die Welt endet – unwiederbringlich. Aber<br />

endet nicht in Vernichtung – nein, wie der Same, der vergeht, um zu Wäldern zu werden.<br />

Das werden wir in all seiner Fülle noch schauen. Drum sind heut keine schlimmeren Propheten<br />

als die Verkünder des Abgelebten. Sie lassen tausend Mumien unter uns wandeln und<br />

fallen dem Erneuerer Tod in die Arme; so hindern sie, dass die neue Herrlichkeit komme und<br />

tun Unheiligeres als gemeinen Mord. Solche sprechen nicht: was liegt daran – lass sausen!<br />

Eine andere Herrlichkeit leuchtete uns herein, vor der „Welt“ ist wie das Samenstäubchen<br />

vor seinen Wäldern.<br />

Wir aber sahen das größte Leid von allem Leid, die Erschöpfung unserer Zeit, und wir erkennen,<br />

dass keine Heilung ist, weder durch das Gestern, noch durch ein ewiges Heut, weil<br />

überhaupt keine Heilung sein wird. Und dennoch ist da nichts zu klagen noch anzuklagen. Es<br />

ist da keine Verderbtheit und keine Trägheit, keine Irreleitung und keine Schlechtigkeit; dies<br />

größte Leid ist, weil „Welt“ über ihre Höhe schritt, sich erschöpfte und sich zur Reife neigte.<br />

Und das ist so wenig krank oder schlecht wie das Fallen der Frucht im welkenden Herbst.<br />

Dies ist unsere Antwort an alle Fragen unserer Zeit: Welthöhe – nun Weltabstieg. Und kein<br />

Klagen, sondern Jubel, denn ein überseliger Glanz will anheben, die Gottheit sprengt das<br />

Welt-Ei. Also ward nie eine gewaltigere Zeit eingeläutet als die unsere. Nicht Rom, noch Jerusalem,<br />

noch der Pharao, noch Byzanz, noch irgendeine schicksalsschwere Stunde der Geschichte<br />

sah je, was uns bestimmt ist, nun zu erleben. Wir sollten vergehen vor Glück, denn<br />

wann je zersprang das Ei? Drum überwinden wir doch die Angst, die uns spricht: wie klein ist<br />

unsere Zeit! Klein ist nur die Weisheit vom stehenden Sumpf, klein „Hygiene“, „Gesundung“<br />

und „Reformen“, „Wohlfahrt“ und „Schönheitskult“. Aber nie stand je ein Wesen vor einer<br />

größeren Wende und über keiner Zeit lag je ein erhabenerer Schauer. Wir sollten vergehen<br />

vor Glück. Ist das erst einmal in all seiner Tiefe und Fülle erkannt, so werden alsbald zehntausend<br />

Recken des Ewigen unter uns aufstehen und vor uns herziehen gegen die Pforte der<br />

Welt.<br />

Doch was sind nun wir in dieser steigenden, fallenden Welt! Und kann denn „Welt“ steigen<br />

und fallen? Ist „Welt“ denn nicht das große Ur-Eine, der Behälter, der alles in sich schließt,<br />

Veränderung und Ruhe, die letzte Summe, in der alles enthalten ist? Ist sie nicht die Allmutter<br />

Natur, der erbarmungslose Mechanismus, in dem wir ein winzigstes Rädchen sind,<br />

das selbst ohne Beschwer fallen könnte? Wir sagen zu all dem Nein! Wir werden diesen<br />

Schrecken scheuchen und sprechen: weiche, Welt! Wir sind nicht das Staubkorn, das stets<br />

zermalmt werden kann in dieser Höllenmaschine, sondern all das All sänke in Nichts ohne<br />

uns und nichts ist, das uns je auslöschen könnte. Dies ist die letzte Weisheit von heut: alles<br />

ist relativ, alles ist etwas Beziehungsweises, alles ist miteinander vergesellschaftet. So auch<br />

„Welt“, und unter allen Auflösungen, die unsere Zeit vornahm, ist Welt die höchste und letz-

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