Siderische Geburt - Peter Godzik

Siderische Geburt - Peter Godzik Siderische Geburt - Peter Godzik

25.05.2014 Aufrufe

56 Nur ein Gesetz sei hier kurz gestreift. Deutlich heben sich Mittelalter und Renaissance voneinander, ja bilden in den Hauptzügen einen polaren Gegensatz. Das phantastischromantische Mittelalter wendet sich vom Weltlichen zu einem Jenseits, die Renaissance ist ganz der Weltlichkeit zugewandt. Das Mittelalter ist unwissenschaftlich, aber die Zeit der großen Mystik und der innerlichen Vertiefung, die Renaissance bringt die Erfindungen, Entdeckungen und die wissenschaftliche Ernüchterung. Das Mittelalter ist unpersönlich und überpersönlich und zertritt schonungslos den Einzelnen, die Renaissance ist individualistisch und erzeugt die großen Männer, die freilich stets in einem Gegensatz zur Masse stehen, während der große Mann des Mittelalters nur die Steigerung und Vollendung des Massengeistes darstellt. Am Eingang des Mittelalters versinkt die Kultur der Gestaltung in dem Aufruhr der Völkerwanderung, die den erschöpften Völkern neues Blut zuführt, und Christentum und Kirche richten sich auf. Die Renaissance aber beginnt mit den Erfindungen und Entdeckungen und dem Staatsbürgertum, doch keine neue Rasse ist mehr, die frische Kräfte zuführte. Die Renaissance schöpft ihre Kraft aus dem Mittelalter; den Bogen, den das Mittelalter gespannt hat, drückt die Renaissance ab. Mittelalter und Renaissance sind also zwei grundverschiedene entgegengesetzte historische Prinzipien, die sich aufeinander folgen wie das Pulsen des Herzens. Renaissance und klassisches Altertum ruhen in diesem Sinne auf der gleichen Grundlage. Ihr Sinn ist Darstellung, weltliche Erfüllung, die des Mittelalters Erneuerung. Darum ist aber so überaus deutlich, dass jedes klassische Zeitalter notwendig in Verfall enden muss wie das römische Reich, denn auf Erfüllung und klassisch dinghafte Ruhe kann nur Niedergang folgen. Im Anfang der Geschichte finden wir die Ägypter, die in zyklopischen Gestalten die Unendlichkeit im Vergänglichen verewigen wollten und an die Mumie die Unsterblichkeit hefteten, die wir nur von glühend seraphisch sich öffnendem Leben erwarten. Es ist wieder kein Zufall, dass die Juden, die aus Ägypten auszogen, tätiger als irgendwo sich im russischen Volk wiederfinden, das ganz entgegengesetzt die Gestaltung an die Unendlichkeit hängen will. Die letzten fünf Jahrhunderte haben uns mit dem Geist der Renaissance so übersättigt, dass ein weiteres Festhalten an diesem Geist zu einem Fluch für die Menschheit wird, und zum Glück mehren sich die Zeichen, dass wir einem neuen Mittelalter entgegengehen. Die Neubelebung des religiösen Geistes, das erste zarte Wiedererwachen des metaphysischen Dranges, die ersten Anzeichen einer Zurückdrängung der persönlichen Kultur und das ferne Aufdämmern einer Gemeinschaft, die beginnende Überwindung der Renaissance in Literatur, bildender Kunst, Erziehung, Philosophie, das alles sind solche Zeichen, dass der Pendelschlag der Geschichte sich langsam dem mittelalterlichen Geist zuneigt, freilich auf höherer Stufe. Nun kann uns auch der Wechsel der historischen Typen, das Kommen und Gehen der Völker und Rassen nicht mehr wundern. Es folgt ganz dem Gesetz von der Dringlichkeit der Sendung. Jedes neue Stadium des Weltablaufes macht eine neue Gruppierung der Völker nötig, und immer wird jenes Volk die Führung haben, das seinem Charakter nach das geeignetste ist, den Gang der Weltentwicklung weiterzuführen, dessen Mission gerade jetzt die dringendste ist. Nicht „Kriegsglück“ noch „wirtschaftlicher Aufschwung“, noch irgendwelche Zufälligkeiten entscheiden über die Rangordnung der Völker, sondern einzig die Entwicklung der Welt, die das nach vorn führt und durch solche Faktoren begünstigt, was sie braucht. Hat Welt ihre Höhe überschritten, so werden wir keine neuen Rassen mehr erwarten, die wie die Horden der Völkerwanderung verjüngend aus dem Dunkel hervorbrechen. Wir kennen die Erde und ihren Bestand an Rassen und wissen, dass sie alle sich nur vermischen, verunreinigen und erschöpfen können. Alle überpersönlichen Verwobenheiten, alles Massenhafte, strebt jener Atomisierung in Individuen zu, damit jenseits dieses Tiefpunktes in siderischer

57 Geburt das neue Überpersönliche in göttlicher Verwobenheit in hyazinthnem Frühling aufkeime. Eine letzte Hoffnung lag noch in dem polaren Gegensatz zwischen Aristokratie und Demokratie, der alle Zeiten und alle Völker überdauert. Der heilige Gehorsam will, dass das Niedere sich unter das Höhere beuge und das Höhere in höchster Reinheit bleibe, denn wie könnte sonst Aufschwung und Steigerung und Bewegung sein. Die Scheidung in Aristokratie und Masse ist schlechterdings die größte aller Selbstverständlichkeiten, die nichts anderes besagt, als dass Aufstieg ist; und Streit kann nur sein, ob dieses Verhältnis in der Reinheit besteht, wie es der ursprüngliche Zweck war. Das allerdings ist keineswegs der Fall. Denn je mehr die Geschichte sich dem winterlichen Nullpunkt nähert, wo die persönliche Kultur gipfelt, umso mehr wird die aristokratisch demokratische Zweiteilung zu einem immer roheren Kampf um Besitz und Macht. Doch welches war der ursprüngliche Sinn? Liebevolle Belehrung, hilfesuchendes Vertrauen, Gemeinsamkeit um des höheren Zieles willen; das ist der Sinn des Aristokratischen, dass es hinaufziehen will in seraphischer Aufopferung und tollkühnem Vorposten-Mut, dass es voll von Entdeckerlust sei, Gestaltungskraft, und Führer und Vater und Lehrer. Und das ist der Sinn der Masse, dass sie darstellt, dass sie ausführt. Sie ist es, die Pyramiden und Maschinen gebaut hat, sie hat Schlachten geschlagen und Dichtungen gelebt, kein Heroismus ist ihr fremd, und was an ihr Niedrigkeit ist, stammt aus mangelnder Führung, denn Masse will geführt sein, sie ist das Geführte, sei es nun durch die abgründigen Triebkräfte, die aus Gott entspringen, oder durch den Vormarsch der Aristokratie, die Lösung der Masse ist. Die Masse ist stets hypnotisierbar, denn sie ist eben das, was unfrei geführt wird. Nur das Einzelpersönliche in seinem Rationalismus unterliegt nicht den Suggestionen wie die unrationalistisch bildmäßig denkende Masse. Und Masse muss hypnotisierbar sein, das ist eine der eminentesten Zweckmäßigkeiten der Welt, dass hier das fehlende Denk- und Führerorgan durch Andere ersetzt wird. Doch wie alle Ursprünglichkeit des Einzelnen, wie Familie und Volk und Rasse und Zeitgeist dahinsanken am Umkehrpunkt alles Weltseyns, so ist auch der Gegensatz des Aristokratischen und Demokratischen null und nichtig geworden und ein brutaler Streit um Besitz. Die Wenigen mögen nicht mehr hinanziehen und die Vielen nicht mehr darstellen, denn was oben ist, will heut nur knechtisch herabdrücken, und was unten ist, will den Massengeist zum Herrscher machen, beides also will raffen und fressen, und darum schwand aller Unterschied und die Spannung der Polarität, bis sie sich nun neu wieder erzeuge. Wir wissen, wie im Anbeginn in den Naturtiefen unter uns das Selbst wie ein hinaufziehendes Ziel, wie ein Keim des Aristokratischen noch ganz eingebettet war in den all-verwobenen Gattungsmäßigkeiten des Natürlichen. Der Gegensatz des Massengeistes und des Führergeistes drückt sich in einer Verteilung der Individuen aus, die wir schon am Eingang der Geschichte in großer Schroffheit vorfinden und die sich erst ausgleicht, als mit dem Verfall alles Volklichen der ganz einzelpersönliche Kampf um den Besitz zum ausschließlich Treibenden wird. Fortan kann die Polarität von Demokratischem und Aristokratischem kaum mehr durch eine Verteilung von Individuen verursacht werden, sondern kann sie nur zur Folge haben; das Demokratische ist nicht mehr Pöbelherrschaft, sondern bedeutet Teilnahme aller, das Aristokratische bedeutet nicht mehr Herabdrückung, sondern seraphisches Hinanziehen, und auf der Basis der inneren Freiheit erblüht erst staatsbürgerliche Freiheit, bis am Ende der Zeiten, wie wir ahnen, alle Volkstiefe von der Gotthöhe verschlungen sein mag. Immer mehr ist die persönliche Wohlfahrt nun zum einzigen geworden, das noch als erstrebenswert gilt, und die demokratische Aufklärung unserer Tage glaubt dies Ziel zu erreichen, indem sie in blindem Hass gegen des Menschen besten Teil wütet, gegen seinen siderischen Drang, überweltlich in grenzenlose Gottesweiten zu dringen. Aber solches Mühen schlägt

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Nur ein Gesetz sei hier kurz gestreift. Deutlich heben sich Mittelalter und Renaissance voneinander,<br />

ja bilden in den Hauptzügen einen polaren Gegensatz. Das phantastischromantische<br />

Mittelalter wendet sich vom Weltlichen zu einem Jenseits, die Renaissance ist<br />

ganz der Weltlichkeit zugewandt. Das Mittelalter ist unwissenschaftlich, aber die Zeit der<br />

großen Mystik und der innerlichen Vertiefung, die Renaissance bringt die Erfindungen, Entdeckungen<br />

und die wissenschaftliche Ernüchterung. Das Mittelalter ist unpersönlich und<br />

überpersönlich und zertritt schonungslos den Einzelnen, die Renaissance ist individualistisch<br />

und erzeugt die großen Männer, die freilich stets in einem Gegensatz zur Masse stehen,<br />

während der große Mann des Mittelalters nur die Steigerung und Vollendung des Massengeistes<br />

darstellt. Am Eingang des Mittelalters versinkt die Kultur der Gestaltung in dem Aufruhr<br />

der Völkerwanderung, die den erschöpften Völkern neues Blut zuführt, und Christentum<br />

und Kirche richten sich auf. Die Renaissance aber beginnt mit den Erfindungen und Entdeckungen<br />

und dem Staatsbürgertum, doch keine neue Rasse ist mehr, die frische Kräfte<br />

zuführte. Die Renaissance schöpft ihre Kraft aus dem Mittelalter; den Bogen, den das Mittelalter<br />

gespannt hat, drückt die Renaissance ab. Mittelalter und Renaissance sind also zwei<br />

grundverschiedene entgegengesetzte historische Prinzipien, die sich aufeinander folgen wie<br />

das Pulsen des Herzens. Renaissance und klassisches Altertum ruhen in diesem Sinne auf der<br />

gleichen Grundlage. Ihr Sinn ist Darstellung, weltliche Erfüllung, die des Mittelalters Erneuerung.<br />

Darum ist aber so überaus deutlich, dass jedes klassische Zeitalter notwendig in Verfall<br />

enden muss wie das römische Reich, denn auf Erfüllung und klassisch dinghafte Ruhe kann<br />

nur Niedergang folgen. Im Anfang der Geschichte finden wir die Ägypter, die in zyklopischen<br />

Gestalten die Unendlichkeit im Vergänglichen verewigen wollten und an die Mumie die Unsterblichkeit<br />

hefteten, die wir nur von glühend seraphisch sich öffnendem Leben erwarten.<br />

Es ist wieder kein Zufall, dass die Juden, die aus Ägypten auszogen, tätiger als irgendwo sich<br />

im russischen Volk wiederfinden, das ganz entgegengesetzt die Gestaltung an die Unendlichkeit<br />

hängen will. Die letzten fünf Jahrhunderte haben uns mit dem Geist der Renaissance so<br />

übersättigt, dass ein weiteres Festhalten an diesem Geist zu einem Fluch für die Menschheit<br />

wird, und zum Glück mehren sich die Zeichen, dass wir einem neuen Mittelalter entgegengehen.<br />

Die Neubelebung des religiösen Geistes, das erste zarte Wiedererwachen des metaphysischen<br />

Dranges, die ersten Anzeichen einer Zurückdrängung der persönlichen Kultur und<br />

das ferne Aufdämmern einer Gemeinschaft, die beginnende Überwindung der Renaissance<br />

in Literatur, bildender Kunst, Erziehung, Philosophie, das alles sind solche Zeichen, dass der<br />

Pendelschlag der Geschichte sich langsam dem mittelalterlichen Geist zuneigt, freilich auf<br />

höherer Stufe.<br />

Nun kann uns auch der Wechsel der historischen Typen, das Kommen und Gehen der Völker<br />

und Rassen nicht mehr wundern. Es folgt ganz dem Gesetz von der Dringlichkeit der Sendung.<br />

Jedes neue Stadium des Weltablaufes macht eine neue Gruppierung der Völker nötig,<br />

und immer wird jenes Volk die Führung haben, das seinem Charakter nach das geeignetste<br />

ist, den Gang der Weltentwicklung weiterzuführen, dessen Mission gerade jetzt die dringendste<br />

ist. Nicht „Kriegsglück“ noch „wirtschaftlicher Aufschwung“, noch irgendwelche Zufälligkeiten<br />

entscheiden über die Rangordnung der Völker, sondern einzig die Entwicklung<br />

der Welt, die das nach vorn führt und durch solche Faktoren begünstigt, was sie braucht.<br />

Hat Welt ihre Höhe überschritten, so werden wir keine neuen Rassen mehr erwarten, die wie<br />

die Horden der Völkerwanderung verjüngend aus dem Dunkel hervorbrechen. Wir kennen<br />

die Erde und ihren Bestand an Rassen und wissen, dass sie alle sich nur vermischen, verunreinigen<br />

und erschöpfen können. Alle überpersönlichen Verwobenheiten, alles Massenhafte,<br />

strebt jener Atomisierung in Individuen zu, damit jenseits dieses Tiefpunktes in siderischer

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