Siderische Geburt - Peter Godzik
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schwingende Göttlichkeit die neue Triebkraft der Zeugung. Ist der Sturzbach der Natur, der<br />
sich brausend in die Welttiefe ergossen hat, nun versiegt, so wird die neue Ehe hoch über<br />
der Naturbrunst in göttlichen Gluten und göttlicher Raserei eingesegnet; nicht die Winterkälte<br />
der Gottferne, sondern das Feuer der Göttlichkeit zwingt nun die Verschmelzung der Ehe.<br />
So ist die Tragik des Verfalles an der Weltwende zugleich die Verkündigung der neuen Ehe,<br />
über Natur und Welt erhöht.<br />
Trotz der dahinschwindenden physischen Zeugungskraft lodert die Geschlechtslust nur umso<br />
heftiger, ja, ihre drängendste Begehrlichkeit ist geradezu die Begleiterscheinung des Verfalls.<br />
Bei der Pflanze wird man kaum von Geschlechtslust sprechen können, aber auch beim Tier<br />
ist noch weit nicht die höchste Stufe erreicht; einzig der Mensch kennt die orgiastische Raserei<br />
der Erotik; in der Mittagsglut der Welthöhe überbietet die Erotik unserer Zeit selbst das<br />
sinkende Rom. Sank die physische Kraft der Zeugung dahin, um einem neuen sternenhaften<br />
Vermögen zu weichen, steigerte sich die Notwendigkeit der Kindeserzeugung für die Einzelperson<br />
aufs Höchste, um nun wieder zu sinken – ein tragisches Missverhältnis zwischen Fähigkeit<br />
und Notwendigkeit, das ein gewaltiges Werkzeug ist, die Person über den Nullpunkt<br />
heraus zu treiben – so will nun auch die Erotik über ihre schäumendste Begehrlichkeit<br />
hinwegschreiten. Der Höhepunkt des Erotischen ist der Tiefpunkt des Seraphischen. Das Erotische<br />
ist differentialer, das Seraphische integraler Natur, das Erotische ist begrenzt, das Seraphische<br />
unendlich. Das Erotische ist die Liebe des Einzelnen zum Einzelnen, die Liebe als<br />
Innerweltliches, und darum physisch und sinnlich. Das Seraphische ist die Liebe Gottes und<br />
ein Sturmhauch der Unendlichkeit. Das Seraphische ist die Lebensluft des wieder aufkeimenden<br />
Ichs, im Seraphischen eingebettet war das noch erdrückte Ich. Zart und leise beginnt<br />
in uns das Seraphische, immer stürmischer sich steigernd, bis es endlich, über alle Vollendung<br />
hinweg alle Vereinzelung von sich abgestreift hat und sich offenbart als der selige,<br />
ewig über sich schaffende Schwinge-Schwang. Das Erotische aber begleitet als ein matter<br />
Abglanz des Seraphischen das herbstliche und winterliche Sich-Schließen des Selbst. Wenn<br />
die Gottheit über sich selbst steigt, da kehrt sie das Schwert des cherubinischen Hasses gegen<br />
sich selbst, da fährt der gestaltende Meißel des Todes hinab, da gipfelt der trennende<br />
Hass in der höchsten Höhe der Vereinzelung, in der Welt-Mitte. Diesem cherubischen Weg<br />
ist das Erotische verwandt, und die stärkste Erotik muss sich darum selbst überbieten in dem<br />
vernichtenden Drang des Sadismus und Masochismus, die nicht bloß im flachen medizinischen<br />
Sinne „Perversitäten“ sind, sondern die gradlinige Verlängerung des erotischen Begehrens,<br />
das dem Fressen, Beißen und Hassen fast verwandter ist als der Liebe. Das seraphische<br />
Lieben kann sich nur steigern, es ist ein verzehrendes Feuer, vor dem das Ich verloht, das<br />
Erotische kann sich stets nur abschwächen, meist bricht es nach kurzem Aufflackern fast jäh<br />
zusammen, ja es endet sogar negativ in Ekel. Die Umwandlung des Erotischen ins Seraphische<br />
ist eine der großen Richtlinien, wenn wir über die Welthöhe geschritten sind und in das<br />
Reich der Vollendung und die seraphische In-eins-Setzung steigen. Das seraphische Lieben<br />
des sich immer weiter öffnenden Ich ist eine Lust, der sich nichts vergleichen kann, es ist als<br />
ob der verrauschende Moment der Geschlechtslust zur Ewigkeit geworden wäre. Doch ist<br />
das Erotische nur das halb selige, halb schauernde Geflacker des Leibes, der sich vergehend<br />
in den Abgrund der ehelichen Verschmelzung stürzt, wo die Vereinzelung endet, im Seraphischen<br />
aber will mein Selbst alle Fesseln der Person-Enge, des Weltenbannes und des Todes<br />
verlieren, um in grenzenloser Umarmung aller Fülle, über dem Seyn, über dem Fressen,<br />
habelos in heiliger Armut sich zur ewigen Steigerung seliger Gottheit zu weiten.<br />
Doch wann wird diese große Lust über die kleinere Lust der Erotik siegen? Die triumphierende<br />
Weltbeherrschung der Erotik kann nur gebrochen werden, durch eine mächtigere Lust,