4 II. Mittagsschrecken Furchtbarer als alle Schrecken der Nacht ist der Schrecken am Mittag, wenn in brennender Glut alles enthüllt liegt, Ding neben Ding scharf geschieden, wenn der Tag sich nicht mehr steigern kann und im Mittag alles seine Höhe findet. Solchen Mittagsschrecken erlebt heut unsere Zeit. Es ist nicht irgendein Leiden, das unsere Zeit stachelt wie jede Zeit, es ist das höchste, furchtbarste Leid, das je und je sein kann, das Schöpferleid an der Endlichkeit, das Leid der höchsten Enge, das Leid des nicht mehr Wachsen Könnens, es ist das Leid des Todes. Höchste Erschöpfung ist das Geheimnis unserer Zeit. Doch werden wir immer wieder sehen, dass diese Zeit dennoch nicht etwa die kleine, die dekadente ist, sondern die gewaltigste aller Weltenwenden, die nur je sein kann, weil heut Welt sich wenden und ein Neues getan werden wird, unerhört durch alle Äonen, denn Erschöpfung ist, weil Welt über ihre Mittagshöhe schritt. Zwar scheint es, als ob das Leben nie brausender pulste als in unseren Tagen. Aber dennoch; überall werden wir das Ende schauen, wo einzig noch der Fortschrittsphilister zu glauben vermag. Da drängt es uns, das völlig Neue, die neuen Kräfte und neuen Reiche zu suchen, wo nichts von allem Alten uns noch zu genügen vermag und alle Welt um uns veraltete und uns zu eng ward. Und alles wird uns heut zu enge werden, das macht unsere Zeit so groß. Wie unsere äußere Kultur sich ins Unermessliche steigerte, schwindet auch die letzte Hoffnung, dass ihre Macht uns je das erhoffte Paradies hervorzaubert. Nur neue maßlose Schrecken wuchsen mit ihr empor. Wir glauben nicht mehr an die Erlösermission der Technik, der Zivilisation, der Medizin, der Wissenschaften. Wenn nun alle Ideale dieser Kultur verwirklicht wären, was dann? Wir glauben nicht, dass die ewigen Menschheitsfragen und die ewige Menschheitstragik auch nur um einen Deut ihrer Lösung näher wären. Und wir glauben auch nicht mehr, dass Erlösung sein kann durch alle Reformen und sozialen Umwälzungen und Lebenskunst und was auch immer für Parteien und Sekten, die sich uns anpreisen. Wir werden sehen, wie das alles wohl notwendige Etappen in der Menschheit Leben sind, aber nimmermehr uns dorthin führen zu jenem so Neuem, wohin der sternenhafte Drang uns weist. Und immer mehr ebbt sich um uns alle Wildheit, die uns je anstachelte, beherrschen wir die Natur, dass unser Leben immer beruhigter und sicherer wird, und die Ordnung des Staates mildert Konflikte und Gefahr. Ausgleich überall ist der Sinn unserer Zeit. Die Erde ward erforscht und klein, die Natur liegt entgöttert und wie wir nun mannbar geworden sind, muten uns alle Religionen und Gottesvorstellungen und Paradiese kindlich an. Und wir wurden mannbar und können nicht wieder Kind werden. Und wir erleben, wie alle Rassen sich vermengen und verwischen und verschwinden und alles Volkliche vergeht. Und das Leibliche verfällt, wo Geistigkeit einzieht, da erschöpfen sich die physiologischen Kräfte und die Fähigkeit zur Fortpflanzung. Aber auch das Geistige scheint an einer Grenze zu sein. Immer ärmlicher wird die Produktivität, immer mehr müssen wir auf die Schätze der Vergangenheit zurückgreifen. Wohl sehen wir in der Naturwissenschaft ein ungeheures Anwachsen des Materials, doch ein Steckenbleiben im Materialismus und nicht einmal einen Ansatz von Erkenntnis. Aber auch in der Philosophie sind, wie wir zeigen werden, alle Möglichkeiten erschöpft. Und immer neurasthenischer, willensschwächer will unsere Zeit immer tiefer in der Todes Enge versinken. Und immer eiliger wird das Tempo der Veränderung. Erneuerungen, die noch vor kurzem kaum von Generationen bewältigt wurden, veralten heut in wenigen Jahren und in Kunst und Denken und den tiefsten Lebensgrundlagen jagen sich die Moden in stilloser Hast. Das ist Mittagsschrecken. Und diese höchste Not, heiliger und dräuender als je eine war, kündet dem Sichtigen, dass wir die Genossen einer Zeit sind, heiliger und dräuender als je eine, dass wir heut, da alle Weltlichkeit uns zu enge ward, an den Toren der
5 Weltdurchbrechung stehen. Die Schöpfung ist vollendet, der Vater ruht, und wir schreiten in der Talwanderung. Was uns erdrückte, werden wir nun in Freiheit tun, über aller Kreuzigung des Sohnes nicht in unlebendiger Abwendung, sondern in liebesglühendem All-Umarmen. Nun, da sich alles erschöpfte und nichts Neues mehr sein kann, werden wir das Eine tun, das neu ist und alles erneut, dass wir aller Weltlichkeit entsteigen und aller Dinglichkeit, die jedes von sich ausschließt, hinein in unsere eigene Göttlichkeit, die alles in sich einschließt, dass wir und Welt neu werden in siderischer <strong>Geburt</strong>, sternenhaft über alle Sterne.
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