Siderische Geburt - Peter Godzik
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Blüte polar gegenüber. Diese Allverschmolzenheit aller Fülle im höchsten Ausgang des<br />
Pleroma, wo wir aus dem Kreisen hervortreten, ist es nun, die sich in der Masse offenbart;<br />
und der ruhende Nullpunkt der Gegenwart, die Einzelheit, das Grenz-Ich in dem, was wir<br />
Individuum nennen. Massenkraft und Ichkraft sind zwei titanische Weltbewegungen, die<br />
stets verbunden auftreten, keine ohne die andere. Eine Masse kann wie ein Individuum sein,<br />
und in einem einzigen Individuum lebt der Geist der Masse. In einer Masse zuckt oft mit einem<br />
Schlage ein Leben, ob sie nun Volk oder Beruf oder Stand oder eine gesellschaftliche<br />
Klasse oder ein Zeitalter ist, als ob sie ein einziges Individuum wäre, und sie ist auch in der<br />
Tat eine Einheit. Und ebenso lebt in Jedem, vorzüglich in den ganz großen Menschen, stets<br />
das Leben der Masse. Nur der mosaik- und der dinglich-rohen Betrachtung kann es schwierig<br />
erscheinen, dass Eines bald etwas Vielfaches, bald etwas Einfaches sein soll. Mit Dingen mag<br />
das unmöglich sein. Doch ganz leicht ist es, wenn Einheit und Vielheit eine Polarität, Standpunkte<br />
der Orientierung, zwei verschiedene Rotationspunkte sind, oder ein einziger Pulsschlag<br />
hin und her, in der göttlichen Allverwobenheit.<br />
Freilich sind diese Beziehungen ganz andere im hyazinthnen Frühling des Ich als in seinem<br />
tannenen Herbst. Im Naturreich verschwindet das Einzelwesen in der Masse, in der Art, der<br />
Rasse, der Gattung. Dort ist keinerlei Wert darauf gelegt, das Individuum zu erhalten, alle<br />
Sorgfalt ist auf den Bestand der Gattung verwendet. Der Tod des Einzelnen ist bedeutungslos,<br />
und so sehr kann das einzelne Individuum in der unsterblichen Gattung aufgehen, dass<br />
bei den primitiven einzelligen Wesen, die sich durch Teilung vermehren, die Fortpflanzung<br />
jedes Mal mit dem Ende des Einzelwesens zusammenfällt, so dass man hier, da niemals eine<br />
Leiche entsteht, geradezu von einer körperlichen Unsterblichkeit der Einzelligen reden konnte.<br />
Umso grimmiger aber scheint der Tod in der Welt des Menschen-Ich zu wüten, jeden Fall<br />
zu einer furchtbaren Tragödie gestaltend. Aber scheinbar nur. Denn das Einzelwesen tritt in<br />
immer höherem Aufstieg zwar aus der Gattung hervor, doch wenn das Individuum im Menschen<br />
endlich zur Person wird, da ist der Umkehrpunkt, in dem die Gattung beginnt, sich in<br />
der Person zu lösen, die Gattung wird zum Persönlichen, die Person weitet sich zur Gattung,<br />
so die Unsterblichkeit in sich hineinziehend. Immer höher steigt sie über die Sphäre der Zufälligkeiten<br />
und des Todes; denn Tod herrscht nur, wo die Einzelseele in tastbarer Enge in<br />
leiblicher Umschlossenheit ruht, in dem kurzen Zustand winterlicher Erfrorenheit, wo sie<br />
leibliche Seele oder Hyle ist. Diese begrenzte Enge-Person musste in Materialismus oder Dekadenz<br />
vergehen, wenn sie sich nicht einer überpersönlichen Aufgabe bemächtigte, denn<br />
einzig das überpersönliche Leben wurzelt nicht im Dinglich-Leiblichen und schwingt selig über<br />
dem Tode.<br />
War diese überpersönliche Aufgabe bisher das Verschlingen der Natur durch das Ich und die<br />
Weltbildung, so ist es nun die Welteroberung in seraphischem Umarmen und die Bildung des<br />
Pleroma. War das Ich noch ganz bedingt durch Gattung, durch die Vielheit, durch Masse, so<br />
will es nun die Masse erobern. Aber es kann dies nur, indem es selbst zur Gattung wird, nicht<br />
indem es als Ziel sich selbst nimmt, sondern nur, wenn es in liebesglühender sozialistischer<br />
Verschmelzung jeden Anderen als Inhalt und Aufgabe hat, so dass Jeder Alle und Alle Jeder<br />
ist. Und da erst beginnt auch jene Sprache, die nicht nur der Nachklang des Einzelnen, sondern<br />
die Vorahnung des Einen ist, jene schweigende Sprache, die einzig von Allen Verständigung<br />
und Ausdruck ist. Es ist die wortelose Sprache, in der Liebende sich allen Reichtum abgründiger<br />
mitteilen können als in den kunstvollsten Worten, es ist die Sprache, deren sich<br />
der fromme Pilger bediente, der aus weiter Ferne zum heiligen Franziskus von Assisi kam,<br />
und nach schweigender langer Umarmung zum Staunen der Brüder getröstet von dannen<br />
zog, ohne dass ein Wort gesprochen war. Es beginnt die Sprache der sozialen Verwobenheit,