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Siderische Geburt - Peter Godzik

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IV. Die hyazinthne Wanderung<br />

Das Ich ist der Schlüssel der Welt, und Welt nichts als das Leben des Ich. Welt ist das Naturreich,<br />

das zur Subjektivität hinanstieg. Alles Getrennte, alles Dingliche, alles Mechanische,<br />

alles Tote gewinnt im Ich erst Leben, im Ich ist erst alles miteinander verwoben, das Ich ist<br />

es, das all die zerflatternde Fülle aneinander drängte, wie der Komponist das Meer der Töne<br />

zur Musik, wie der Künstler die Mosaiksteinchen zum Bild. Das Ich ist das Erste, was überhaupt<br />

in einer gewissen Freiheit und Selbständigkeit für sich zu bestehen vermag; unter dem<br />

Ich besteht nichts einzeln, muss jedes in Nichts sinken, und was wir da für selbständig halten,<br />

sind nichts als Abstraktionen aus der Ichheit. Das Ich ist der treibende Sinn aller Vorweltlichkeit;<br />

die <strong>Geburt</strong> der Welt erklärt Natur, wie Welt sich erklärt, weil Pleroma geboren werden<br />

will. Aber wie Welt nun nichts Festes, Absolutes, Letztes war, wie wir unter sie blickten und<br />

über sie stiegen, wie wir all ihre Fülle in seraphischer Umarmung aus der Umklammerung<br />

des Todes losreißen, aus dem Seyns-Untergrund, aus der Fraß-Setzung und aus allen erstarrenden<br />

Materien, so werden wir auch über das Sonder-Ich hinausdringen zu einer maßlosen<br />

Göttlichkeit. Und wie die Weltengegenwart uns zu einem Organ überselig ewig schöpferischen<br />

Schwingens wurde, so werden wir aus der Enge des kleinen Einzel-Ich hervorschlüpfen,<br />

wie der Falter aus der Larve, und über verwesender Begrenztheit in jubelnden<br />

wonnigen Weiten unser höheres Ich, unsere Lebendigkeit, unsere Göttlichkeit erwerben.<br />

Doch müssen wir zuvor nicht nur erkennen, wie wir wurden, sondern auch, wie wir vergehen<br />

werden; denn nicht nur das Entstehen, sondern Werden und Vergehen des Einzel-Ich zusammen<br />

erst machen den Stoffwechsel unseres höheren Selbst. Also werden wir schauen,<br />

wie das Ich keimte im hyazinthnen Frühling der Welt, wie es blühte in sommerlich rosenhafter<br />

Pracht, und wie es reife Frucht ward im tannenen Herbst der Welt Ernte. Das zeige<br />

uns nun das herrliche Gleichnis vom Samenkorn.<br />

Die höchste Vollendung kann am wenigsten in sich ruhen, sie ist kein Ende, sondern so recht<br />

ein Anfang. Was im Kreisen in den Zustand der Vollendung und der Ruhe des Pleroma kam,<br />

will nun nicht bei sich bleiben, sondern in hinausschwingender Liebe sich seiner selbst entäußern<br />

und sich zu den Abgründen neigen, über denen es schwebt. Denn das Vollendete ist<br />

ja, was vor und über allem wirkt, ja, wie könnte das ewig schöpferische Schwingen bestehen,<br />

ruhte Vollendung eigensüchtig bei sich selbst. Also schließt sich die Blüte und wird zur<br />

Frucht, die fällt. Die Naturtiefe ist die Frucht des Pleroma. Aber die Frucht wiederum will den<br />

Samen, und dass der Kern wird, bestimmt das Leben der Frucht. So erklärt sich das Leben<br />

der Natur einzig durch das Werden des Ich oder der Welt, das Ich ist der Kern der Natur. Es<br />

ist aber unser Ich, wenn auch das Ende und die Höhe und die Überwindung aller Natur, doch<br />

nur ein Samenkorn vor dem Höheren, und wie der Same im jährlichen Leben der Pflanze der<br />

Zustand winterlicher Verschlossenheit, so ist auch unsere Person, unser Sonder-Ich, vom<br />

göttlichen Stand aus gesehen, nichts als der Abschluss herbstlichen Welkens und das Heut<br />

nichts als verschneite Tiefe des Winters. Und der Same verfaulte, würde er nicht gesät, muss<br />

seine Staubkorn-Gestalt verlieren, will er nicht zu Staub werden. So waren wir in der völligen<br />

Welterdrücktheit wie solch ein totes Korn, ja, noch in Weltumwölbtheit nicht mehr als ein<br />

Keimkorn. Da wähnte das tote Korn wohl zu vergehen, als es ein seltsam Springen und Zerreißen<br />

und gar ein fernes undeutliches Draußen, den weiten Acker, verspürte. Was das Herrlichste<br />

am Samenkorn ist, dass es Wälder und Blütenmeere in sich birgt, das mochte da wohl<br />

noch als ein unsicher unheimliches Grausen erscheinen. Aber unterdessen trieben da aus<br />

dem Korn Würzelchen hervor, Organe, die immer fester das Draußen umklammerten und<br />

fühlen ließen. Und wie nun auch Weltumwölbtheit von uns weichen will, da dringt aus dem<br />

Korn der lebendige Keim durch die Schollen des Weltlichen in einen trunkenen Mai. Unsere

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