Siderische Geburt - Peter Godzik
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II. Mittagsschrecken<br />
Furchtbarer als alle Schrecken der Nacht ist der Schrecken am Mittag, wenn in brennender<br />
Glut alles enthüllt liegt, Ding neben Ding scharf geschieden, wenn der Tag sich nicht mehr<br />
steigern kann und im Mittag alles seine Höhe findet. Solchen Mittagsschrecken erlebt heut<br />
unsere Zeit. Es ist nicht irgendein Leiden, das unsere Zeit stachelt wie jede Zeit, es ist das<br />
höchste, furchtbarste Leid, das je und je sein kann, das Schöpferleid an der Endlichkeit, das<br />
Leid der höchsten Enge, das Leid des nicht mehr Wachsen Könnens, es ist das Leid des Todes.<br />
Höchste Erschöpfung ist das Geheimnis unserer Zeit. Doch werden wir immer wieder<br />
sehen, dass diese Zeit dennoch nicht etwa die kleine, die dekadente ist, sondern die gewaltigste<br />
aller Weltenwenden, die nur je sein kann, weil heut Welt sich wenden und ein Neues<br />
getan werden wird, unerhört durch alle Äonen, denn Erschöpfung ist, weil Welt über ihre<br />
Mittagshöhe schritt.<br />
Zwar scheint es, als ob das Leben nie brausender pulste als in unseren Tagen. Aber dennoch;<br />
überall werden wir das Ende schauen, wo einzig noch der Fortschrittsphilister zu glauben<br />
vermag. Da drängt es uns, das völlig Neue, die neuen Kräfte und neuen Reiche zu suchen, wo<br />
nichts von allem Alten uns noch zu genügen vermag und alle Welt um uns veraltete und uns<br />
zu eng ward. Und alles wird uns heut zu enge werden, das macht unsere Zeit so groß. Wie<br />
unsere äußere Kultur sich ins Unermessliche steigerte, schwindet auch die letzte Hoffnung,<br />
dass ihre Macht uns je das erhoffte Paradies hervorzaubert. Nur neue maßlose Schrecken<br />
wuchsen mit ihr empor. Wir glauben nicht mehr an die Erlösermission der Technik, der Zivilisation,<br />
der Medizin, der Wissenschaften. Wenn nun alle Ideale dieser Kultur verwirklicht<br />
wären, was dann? Wir glauben nicht, dass die ewigen Menschheitsfragen und die ewige<br />
Menschheitstragik auch nur um einen Deut ihrer Lösung näher wären. Und wir glauben auch<br />
nicht mehr, dass Erlösung sein kann durch alle Reformen und sozialen Umwälzungen und<br />
Lebenskunst und was auch immer für Parteien und Sekten, die sich uns anpreisen. Wir werden<br />
sehen, wie das alles wohl notwendige Etappen in der Menschheit Leben sind, aber<br />
nimmermehr uns dorthin führen zu jenem so Neuem, wohin der sternenhafte Drang uns<br />
weist. Und immer mehr ebbt sich um uns alle Wildheit, die uns je anstachelte, beherrschen<br />
wir die Natur, dass unser Leben immer beruhigter und sicherer wird, und die Ordnung des<br />
Staates mildert Konflikte und Gefahr. Ausgleich überall ist der Sinn unserer Zeit. Die Erde<br />
ward erforscht und klein, die Natur liegt entgöttert und wie wir nun mannbar geworden<br />
sind, muten uns alle Religionen und Gottesvorstellungen und Paradiese kindlich an. Und wir<br />
wurden mannbar und können nicht wieder Kind werden. Und wir erleben, wie alle Rassen<br />
sich vermengen und verwischen und verschwinden und alles Volkliche vergeht. Und das<br />
Leibliche verfällt, wo Geistigkeit einzieht, da erschöpfen sich die physiologischen Kräfte und<br />
die Fähigkeit zur Fortpflanzung. Aber auch das Geistige scheint an einer Grenze zu sein. Immer<br />
ärmlicher wird die Produktivität, immer mehr müssen wir auf die Schätze der Vergangenheit<br />
zurückgreifen. Wohl sehen wir in der Naturwissenschaft ein ungeheures Anwachsen<br />
des Materials, doch ein Steckenbleiben im Materialismus und nicht einmal einen Ansatz von<br />
Erkenntnis. Aber auch in der Philosophie sind, wie wir zeigen werden, alle Möglichkeiten<br />
erschöpft. Und immer neurasthenischer, willensschwächer will unsere Zeit immer tiefer in<br />
der Todes Enge versinken. Und immer eiliger wird das Tempo der Veränderung. Erneuerungen,<br />
die noch vor kurzem kaum von Generationen bewältigt wurden, veralten heut in wenigen<br />
Jahren und in Kunst und Denken und den tiefsten Lebensgrundlagen jagen sich die Moden<br />
in stilloser Hast. Das ist Mittagsschrecken. Und diese höchste Not, heiliger und dräuender<br />
als je eine war, kündet dem Sichtigen, dass wir die Genossen einer Zeit sind, heiliger und<br />
dräuender als je eine, dass wir heut, da alle Weltlichkeit uns zu enge ward, an den Toren der