Siderische Geburt - Peter Godzik

Siderische Geburt - Peter Godzik Siderische Geburt - Peter Godzik

25.05.2014 Aufrufe

36 göttlicher Erschöpfung ruhte das Jetzt. Und niemals wird Wissenschaft über diesen Tiefpunkt hinwegdringen, ein Anderes nur kann das Pendel wieder hinaufziehen. Bis hierher konnte Wissenschaft uns geleiten; ihre große Mission war eben, uns altern zu machen, mannbar, uns zu reifen und von der Dinghaftigkeit zu befreien und der kindlichen, frühen dinghaften Gottesvorstellung. Doch selbst dem Ding-Gesetz unterworfen, taugt Wissenschaft nicht, uns auch nur einen einzigen Schritt dem göttlichen Leben zurückzuführen. Wissen ist das gleiche wie Bewusstsein, es ist nur die krasseste Form des Verdinglichten – es ist erstarrtes, mumifiziertes Bewusstsein. Und was vom Seyn gesagt ist, gilt auch vom Bewusstsein, es ist nur ein Seyn, das sich enträtseln und lösen will und so recht der Ausdruck der sich neigenden Welt, daher es alle Konflikte des abgründigen Vergehens, aber auch alle Ahnungen des neuen Morgens in sich schließt. Wir fragten schon: „sind“ die Kategorien, „ist“ das Bewusstsein? Und das ist nichts anderes als die Frage nach dem Ursprung des Bewusstseins. Da sehen wir denn, wie das Bewusstsein nach außen nicht mehr im Seyn ruhen kann, es ist ein Seyn, das beginnt über sich selbst zu steigen, ewig greift etwas über das Seyn hinweg, es ist da Bewegung in die Ruhe des starren Seyns gekommen, ein Erwachen zum Leben, ein Seyn, das selbst nicht „ist“, sondern sich ewig selbst überspringt. Bewusstsein ist ein Spannungszustand zwischen Tod und vollstem, heißestem Leben. Je mehr das frühe Bewusstsein, noch halb betäubt, im Seyn wurzelt, umso mehr ist es ein Fressen und Besitzen, doch wie es zum reinen Geist zu keimen anfängt, beginnt es mehr und mehr, über der Realität zu schwingen, und dies führt uns zu einer der umwälzendsten Einsichten, zum Zustand der empirischen Transzendenz oder dem zerfließenden Charakter des Gegebenen. Das noch ganz weltlich gebundene Klagen über die Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Daseins deutet dorthin. Dem frühen Erleben ist alles Vorgefundene noch unbeweglich fest, es ist noch ganz eingewiegt in die Sicherheit des Dinglichen. Und nun ist es das geheimnisvoll ungeheuerste Ereignis der Menschengeschichte, gewaltiger noch als die reifende Befreiung durch Erkenntnis und zu ihrer befestigenden Arbeit ein Gegenstück, wie diese Sicherheit schwindet, wie die Welt von einem ewig Gefügten zu einem momentanen verrauschenden Spannungszustand wird, zu einem Schein, für einen Augenblick vorgetäuscht zu einem hochheiligen Zweck. Und endlich ist es uns völlig unmöglich geworden, noch irgendetwas in Wort oder Gedanken zu halten oder zu ergreifen, und was wir am festesten mit den Händen anpacken konnten, wird gar am meisten zu eitel Trug und Nichts. Die sommerliche Stärke der Welt wird zum winterlichen Nebel-Schleier, der ahnungsvoll ein weihnachtliches, ein erdrückendes Mysterium verhüllt. Die Welt verschwebt. Das Felsenfesteste verrauscht und verklingt wie ein Ton. Es ist das Gegebene nicht mehr das Sicherste, sondern zum Rätselvollsten geworden; die deutliche Gegebenheit wird zur Verborgenheit; die Welt, das Allerrealste, ist das Transzendenteste zugleich und Diesseits und Jenseits wollen ineinander fließen. So zwingt die höhere Geistigkeit uns immer mächtiger über die Grundlage der reinen Erfahrung hinaus, und indem wir die niedere Realität des Seyns verlassen, gelangen wir auch über das Bewusstsein, denn Seyn ist ja die Grundfunktion des Bewusstseins und von gleichem Geist, ein Haben. Wir überschreiten also die Erfahrung, wir transzendieren. Aber dürfen wir denn auch ins Transzendente schreiten? Wir dürfen es nicht nur, wir können es nicht nur, wir sollen es. Nichts anderes ist der Sinn aller unserer bisherigen Ausführungen. Ein Bedenken kann da nur sein, solange noch gefragt wird: „sind“ außer der Erfahrung auch noch andere Gestalten und Dinge, „sind“ noch höhere Regionen? Aber es gibt keine überempirischen Dinge, ebenso wenig wie jene kleine menschliche Transzendenz, die in kindliches Jenseits hinübergreifen will mit dem Fangarm der Erkenntnis, der aber einzig taugt, schon Durchleb-

37 tes zu umfassen. Wir sollen nicht wissen, sondern durch die übermenschliche Tat des Glaubens steigen, und die Transzendenz, die wir meinen, ist das Wachstum der siderischen Geburt. In ihrer seraphischen Hingegossenheit durch alle Himmel, können wir in der Enge der Erfahrung nicht mehr leben; und sie ist eine Enge, ja „reine“ Erfahrung sogar ganz unvollziehbar. Über die Erfahrung hinaus, das ist der übertierische Sinn, das ist aller Stolz und alle Würde des Menschentums und seine himmlische Krone. Schon wenn wir von der nächsten Vergangenheit sprechen, sind wir nicht mehr in reiner Erfahrung, und wir tun da nichts anderes, als wenn wir uns ein Zauberschloss vorstellen, das ja auch nur aus Bestandteilen der Erfahrung besteht. Es fragt sich nur noch, wo uns nun der Rubin der Realität leuchtet, und gelingt es uns, ihn in unsere Gewalt zu bekommen und leuchten zu lassen, wo wir wollen, so ist jedes Zauberschloss unser. Die reine Erfahrung, die von den neunmal Weisen der „exakten“ Wissenschaft als unverletzlich gepriesen wird, ist kaum mehr als ein Pflanzendasein, ja noch nicht einmal tierisches Leben. Wir blieben da in kümmerlicher Augenblicks-Versunkenheit. Könnten wir da jemals exakte Chemie treiben? Es ist schon Transzendenz, wenn wir nur von der einfachen Tatsache der chemischen Verbindung sprechen, denn „gegeben“ ist keine solche Verbindung, sondern primitive Gegebenheiten bauen sich auf in jener überobjektiven Ordnung in uns, die wir bereits kennen lernten. Es ist ein Irrtum, dass unser Leben sich im Empirischen, in der Erfahrung abspielt. Je höher wir steigen, umso mehr ist alles durchsetzt von Metaphysik, es ist nichts mehr, das da in sich beruhte und nicht nach außen wiese, ja, jede Aussage, jedes Urteil, jedes Bewusstseinsfaktum, ist gar nichts anderes als solch ein Hinweis über sich selbst fort; wir können kein Wort mehr sprechen, ohne Metaphysik zu treiben, ohne zu transzendieren. Leben können wir nur über der Erfahrung, die uns zum Untergrund wird, wir dämmern und pflanzen, sind aber in reiner Erfahrung. Sie ist nichts als das noch kindlich-ängstliche Festhalten an den Sicherheiten des Dinglichen, ist träger Besitz und unlebendiges, unsozialistisches Privateigentum, sie ist das Nest der jungen Vögel, die noch nicht lernten zu fliegen. Es ist völlig tierisch, sich nur an das Gegebene zu halten, und feige dazu; dies nicht zu tun und es zu durchbrechen, ist einzig menschlich. Nun könnte man meinen, dass die Anbeter der reinen Erfahrung wenigstens in das Gegebene eine starke verständnisvolle Einsicht hätten. Doch dies kann nicht sein, da sie ja eben von dem höheren Sinn alles Gegebenen, seiner göttlichen Verwobenheit, seinem über sich hinausweisenden Charakter nichts wissen und das Höchste aller Wirklichkeit, den siderischen Drang in sich glutvoll über aller Welt zu verströmen, niemals erleben. Es bleibt ihnen alles Erlebte nur ein sinnloses Herausgerissenes, für sich Bestehendes, und selbst von solchen toten Trümmern bemerken sie nur solche, die am allerweitesten entfernt sind, ihre Ruhe irgendwie zu stören. Die Scheu vor dem überweltlich Riesenhaften des Erlebens verblendet sie so sehr, dass auch die Durchforschung des Erfahrungsreiches nichts als tendenziös materialistische Stümperei bleibt. Es ist ein närrischer Streit zwischen dem Lager des Empirismus und dem der Spekulation. Heilig ist uns das Gegebene, heilig das Denken. Doch wie wir den Verstand entthronen, da er ein weltliches Werkzeug ist und untüchtig als Führer in die Höhen, so ist uns noch mehr die Augenblicksbeobachtung mit den Tier-Sinnen ein Haften an der Tiefe. Doch dem Sichtigen ruhen beide, Erfahrung und Denken, im Überschwang des Göttlichen, beide sind, wenn wir sie nur mit dem überweltlichen Blick sehen, trunken vor Göttlichkeit. Erfahrung und Denken können uns weder Wege zur Transzendenz sein noch Hindernisse, doch in ihrer überseyenden Setzung und überweltlichen Bedeutung – nicht als die halbtierischen Funktionen – sind sie uns Pforten in die höheren Reiche. Wenn wir nun transzendieren, tun wir es weniger

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göttlicher Erschöpfung ruhte das Jetzt. Und niemals wird Wissenschaft über diesen Tiefpunkt<br />

hinwegdringen, ein Anderes nur kann das Pendel wieder hinaufziehen. Bis hierher konnte<br />

Wissenschaft uns geleiten; ihre große Mission war eben, uns altern zu machen, mannbar,<br />

uns zu reifen und von der Dinghaftigkeit zu befreien und der kindlichen, frühen dinghaften<br />

Gottesvorstellung. Doch selbst dem Ding-Gesetz unterworfen, taugt Wissenschaft nicht, uns<br />

auch nur einen einzigen Schritt dem göttlichen Leben zurückzuführen.<br />

Wissen ist das gleiche wie Bewusstsein, es ist nur die krasseste Form des Verdinglichten – es<br />

ist erstarrtes, mumifiziertes Bewusstsein. Und was vom Seyn gesagt ist, gilt auch vom Bewusstsein,<br />

es ist nur ein Seyn, das sich enträtseln und lösen will und so recht der Ausdruck<br />

der sich neigenden Welt, daher es alle Konflikte des abgründigen Vergehens, aber auch alle<br />

Ahnungen des neuen Morgens in sich schließt. Wir fragten schon: „sind“ die Kategorien, „ist“<br />

das Bewusstsein? Und das ist nichts anderes als die Frage nach dem Ursprung des Bewusstseins.<br />

Da sehen wir denn, wie das Bewusstsein nach außen nicht mehr im Seyn ruhen kann,<br />

es ist ein Seyn, das beginnt über sich selbst zu steigen, ewig greift etwas über das Seyn hinweg,<br />

es ist da Bewegung in die Ruhe des starren Seyns gekommen, ein Erwachen zum Leben,<br />

ein Seyn, das selbst nicht „ist“, sondern sich ewig selbst überspringt. Bewusstsein ist ein<br />

Spannungszustand zwischen Tod und vollstem, heißestem Leben. Je mehr das frühe Bewusstsein,<br />

noch halb betäubt, im Seyn wurzelt, umso mehr ist es ein Fressen und Besitzen,<br />

doch wie es zum reinen Geist zu keimen anfängt, beginnt es mehr und mehr, über der Realität<br />

zu schwingen, und dies führt uns zu einer der umwälzendsten Einsichten, zum Zustand<br />

der empirischen Transzendenz oder dem zerfließenden Charakter des Gegebenen. Das noch<br />

ganz weltlich gebundene Klagen über die Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Daseins deutet<br />

dorthin.<br />

Dem frühen Erleben ist alles Vorgefundene noch unbeweglich fest, es ist noch ganz<br />

eingewiegt in die Sicherheit des Dinglichen. Und nun ist es das geheimnisvoll ungeheuerste<br />

Ereignis der Menschengeschichte, gewaltiger noch als die reifende Befreiung durch Erkenntnis<br />

und zu ihrer befestigenden Arbeit ein Gegenstück, wie diese Sicherheit schwindet, wie<br />

die Welt von einem ewig Gefügten zu einem momentanen verrauschenden Spannungszustand<br />

wird, zu einem Schein, für einen Augenblick vorgetäuscht zu einem hochheiligen<br />

Zweck. Und endlich ist es uns völlig unmöglich geworden, noch irgendetwas in Wort oder<br />

Gedanken zu halten oder zu ergreifen, und was wir am festesten mit den Händen anpacken<br />

konnten, wird gar am meisten zu eitel Trug und Nichts. Die sommerliche Stärke der Welt<br />

wird zum winterlichen Nebel-Schleier, der ahnungsvoll ein weihnachtliches, ein erdrückendes<br />

Mysterium verhüllt. Die Welt verschwebt. Das Felsenfesteste verrauscht und verklingt<br />

wie ein Ton. Es ist das Gegebene nicht mehr das Sicherste, sondern zum Rätselvollsten geworden;<br />

die deutliche Gegebenheit wird zur Verborgenheit; die Welt, das Allerrealste, ist das<br />

Transzendenteste zugleich und Diesseits und Jenseits wollen ineinander fließen.<br />

So zwingt die höhere Geistigkeit uns immer mächtiger über die Grundlage der reinen Erfahrung<br />

hinaus, und indem wir die niedere Realität des Seyns verlassen, gelangen wir auch über<br />

das Bewusstsein, denn Seyn ist ja die Grundfunktion des Bewusstseins und von gleichem<br />

Geist, ein Haben. Wir überschreiten also die Erfahrung, wir transzendieren. Aber dürfen wir<br />

denn auch ins Transzendente schreiten? Wir dürfen es nicht nur, wir können es nicht nur,<br />

wir sollen es. Nichts anderes ist der Sinn aller unserer bisherigen Ausführungen. Ein Bedenken<br />

kann da nur sein, solange noch gefragt wird: „sind“ außer der Erfahrung auch noch andere<br />

Gestalten und Dinge, „sind“ noch höhere Regionen? Aber es gibt keine überempirischen<br />

Dinge, ebenso wenig wie jene kleine menschliche Transzendenz, die in kindliches Jenseits<br />

hinübergreifen will mit dem Fangarm der Erkenntnis, der aber einzig taugt, schon Durchleb-

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