Siderische Geburt - Peter Godzik
Siderische Geburt - Peter Godzik Siderische Geburt - Peter Godzik
32 denen der eine das Seyn, der andere die Kausalität und Teleologie, das ist Ursache, Wirkung und Zweck, ist. Das Seyn, das tote in sich ruhende Objektive, Kausalität und Teleologie das mehr Subjektive, das nicht nur in sich ruht, sondern eine Zweiheit, ein Verbindenwollen, eine Lösung des bloßen In-sich-Ruhens des Seyns enthält und so, besonders im Zweckbegriff, wie die Larve auf etwas über sich weist, auf etwas, das nicht mehr Kategorie ist. Diese polare Gegensätzlichkeit finden wir auch wieder bei den nach außen gewandten Vermögen Raum und Zeit. Es ist der Raum das Objektive, Niedere, ein lebloses, mechanisches Ding Umschließendes, eine erstarrte Unendlichkeit, dagegen die Zeit, das viel umfassendere Höhere, das mehr Subjektive, das ganz Undingliche, Lebendige, sie ist gelöster Raum und fließende Unendlichkeit und weist auf das Übergestaltliche. Sie ist der wirkenden Kausalität und dem Zweckbegriff verwandter als dem Seyn, das sich in seiner Ruhe eher dem unbewegten Raum vergleicht. Während wir den Raum in jeder Richtung durchlaufen können, ist die Richtung der Zeit eindeutig bestimmt. Das Räumliche ist tastbar, das Zeitliche ungreifbar, und nur die zeitliche Unendlichkeit ist wahrhafte Ewigkeit, denn der Raum ist nur ein differentiales Moment der Zeit. Auch ist die niedere Art zu transzendieren weit eher an das räumliche als an das zeitliche Bild gebunden. In welchem Verhältnis stehen nun die raum-zeitlichen und die Kategorienfunktion zueinander? Es richten sich Raum und Zeit mehr nach außen und dienen der Darstellung und der sichtbaren Gestaltung, die im Räume anhebt und dinglich äußerlich sich formt, in der Zeit aber sich verunendlicht und dem Inneren zuwendet. Wir selbst spielen in ihnen eine mehr passive Rolle. Die Kategorien aber ruhen mehr im Inneren und dienen der Verknüpfung, die im Seyn äußerlich anhebt und zur Kausalität steigt, um im Zweckbegriff innerlich zu gipfeln. Es ist im Raum noch bloße Ausdehnung, in der Zeit aber schon Richtung und Zweck und Lösung des toten Sichdehnens, ganz wie im Seyn tote Ruhe, aber in den Zweck-Ursachen Bewegung. Aber in Raum und Zeit wie in den Kategorien ist ein Gleiches, ein mathematischlogisch Zwingendes, ein Logos. Der ruhende Logos verhält sich darstellend ästhetisch, der bewegte Logos handelnd, ethisch. Es ist eine Dreieinigkeit von Logischem, Ethischem und Ästhetischem. Drum liegt der tiefste Grund für Raum und Zeit in der Ästhetik, für die Verstandesfunktionen in der Ethik, und ewig will sich eine in die andere kehren, ewig will das, was sich darstellt, zum Inneren werden und das Innere will sich wirkend darstellen. Doch von allen diesen Beziehungen ist das Seyn die unterste Wurzel, die letzte Forderung des mathematisch logischen Zwanges, und die Seele des Menschen, die in der Welt heranreifte bis zum Heut, will sich nicht eher zufrieden geben, ehe diesem Zwange nicht Genüge getan ist und sie in der Ruhe des Seyns endet, ehe sie nicht überzeugt ist, das Lösewort sprechen zu dürfen: „es ist“. Was also nun ist dieses „Seyn“, das wir nach der Forderung der Wissenschaft vollziehen müssen, ehe wir in die höheren Sphären über der Welt eintreten dürfen? Was ist dieses Setzen der Realität? Die Seynssetzung ist die niederste von allen. „Seyn“ ist völliges Ruhen in eingekapseltem Zustand, das in sich selbst Versunkene, das wertelos Mechanische, das Tote; und wie alles Tote in seiner Unfreiheit, seiner Unselbständigkeit, seiner Beziehungslosigkeit und Abgeschiedenheit sich darnach drängt, in Liebesglut umarmt und vom Leben aufgenommen zu werden, so will alles Seyende eingehen in den Geist wie die Nahrung in den Leib, sich zu erhöhen. Alles Seyn ist Nahrung, ist Fraß, und Seynssetzung ist Fraßsetzung; wenn etwas „ist“, dann isst der Geist. Das „Seyn“ ist Umschließen, ein Betasten, im „Seyn“ be-greift der Geist. Doch nimmermehr können wir das Höhere, das Transzendente, das Göttliche begreifen oder betasten, niemals kann das in den Geist eingehen, wovon der Geist nur die Vorstufe ist, es schrumpft der Falter nicht wieder zur Larve. Spannten wir das Grenzenlose in die Enge, es wäre nicht nur der Urfrevel, wir raubten auch dem Selbst
33 jede Möglichkeit des Wachstums. Also erfassen wir Göttliches nicht im Abbild der Theorie und im Seyn. Zwar ist die Theorie, wie ihr Name deutet, das, was aus Gott hervorgeflossen ist und fortging, doch zu Gott zurück und zur göttlichen Lebendigkeit führt uns einzig siderische Geburt. Es ist die überwältigende Bedeutung unserer Zeit, dass wir plötzlich erkannten, wir sind über die Welt gewachsen, die uns zu enge ward, ich bin größer als Welt. Und wir sollen die Welt umfassen, zwar auch nicht allein im mechanischen Seyn, sondern in erlösender seraphischer Umarmung. Doch fanden wir uns zugleich unendlich kleiner als Gott, ein Samenkorn im grenzenlosen Acker des Göttlichen. Das Seyende ist das, was wir umschließen, das Transzendente, das Höhere umschließt uns. Nur das noch ganz welterdrückte kindliche Erleben oder der dingwärts gerichtete, materialistische Viehverstand kann im Seyn das Letzte, Allumfassende erblicken. Uns ist es Fraßsetzung und niederste Tätigkeit des Ich. Das Niedrigste, ein Fraßverhältnis ist die Grundlage der Erkenntnistheorie, eben diese Beziehung von Objekt zu Subjekt; und das Objekt ist noch nicht jenes alldurchströmte, jenes göttliche Samenkorn, sondern ein Ding, und das Subjekt siderisch ungeboren, sein geistiges Leben nur ein Fressen, ein Aneignen und Haben, doch kein schöpferisches Strahlen, es steckt noch halb im Tier. Nichts aber weiß die Erkenntnistheorie von jener göttlichen Beziehung des Überdinglichen zum Überpersönlichen, nichts von dem Höheren, dem sichersten Beginn, dass es gottet. So gelangt sie wohl zu einer spekulativen Hinterwelt, doch niemals zur Überwelt. Alles Spekulative ist aber nichts als Stillstehen-Wollen, als Trägheit und habgieriges Raffen, und der Giergeist ist es, der das Stecken in den Dingen macht. Aber was siderisch geboren sein will, mag nichts mehr fressen und haben, sondern vergeht in strömendem Lieben, es will das göttliche Keimkorn nicht größer sein als Acker, Luft und Sonnenschein. Was die Eishand der Kategorien erfasst, wird zum toten mechanischen Ding, es wird entgeistert; wir aber wollen uns begeistern. Es ist das träge Genügen am bloßen Abspiegeln so recht ein Ausdruck der mittaglichen Erschöpfung; es wird dieser Spiegel nie etwas anderes aufzeigen als die Kadaver des Lebendigen, das Leben selbst und alle Ursprünglichkeit bleibt solchen Mühen ewig draußen, denn was gespiegelt wird, kann nicht gelebt werden und alles, wovon die Wissenschaften erzählen, ist nichts Lebendiges. Also ist das Seyn noch ohne alle Beziehung auf Leben und Gottheit oder genauer, es ist ein erst beginnendes, ein Binnenleben, das zwar nicht mehr völliges Unterdrücktsein ist, sondern dieses schlafende Getriebensein bereits unter sich hat, andererseits aber erst beginnt zum überseyenden Außer-Sich-Seyn zu erwachen, es ist so recht der weltliche Zustand inmitten. Erleben ist kein Binnenleben; dem Erleben ist das Metaphysische kein zwingendes, gespiegeltes Jenseits, es tatet 6 das Metaphysische. „Seyn“ ist eine niedere mechanische, ungöttliche Funktion, ein tierisches Fressen und unsozialistisches Haben, und darum will siderische Geburt alle Wirklichkeit aus diesem niederen Grunde losreißen, alle Gestaltung, alles Leben auf eine höhere Realität bauen als aufs Seyn. Im Seyn ist alles noch wertelos gesetzt, in räumlich mechanischen, in Ding-Beziehungen. Nichts Seyendes kann göttlich sein. Doch in höherer Setzung ist alles Gestaltete nicht mehr ein Fraß, ein Haben und Raffen, sondern in seraphischer Glut von mir umschlossen, um zum Leben geweckt und erlöst zu werden. Es wird dort mehr und mehr alles zu meiner Schöpfung, vom Ding-Objekt, vom Fraß-Inhalt zum Liebesobjekt und seraphischen Inhalt. Das Nehmen wird zum Geben, das Haben zum Strahlen und Strömen, dass da kein träges Ruhen in sich selbst ist und nichts unverwoben mit Gott bleibe, sondern losgerissen aus dem gottfernen, gottgelösten Untergrund des Seyns will alles nun ruhen in seraphischer Setzung und in liebesglühendem Umarmen seinen höchsten 6 Gutkind benutzt häufiger „Taten“ bzw. „taten“ anstelle von „Tun“ bzw. „tun“ und meint damit immer das schöpferische Handeln Gottes, an dem der Mensch Anteil gewinnen kann.
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jede Möglichkeit des Wachstums. Also erfassen wir Göttliches nicht im Abbild der Theorie<br />
und im Seyn. Zwar ist die Theorie, wie ihr Name deutet, das, was aus Gott hervorgeflossen<br />
ist und fortging, doch zu Gott zurück und zur göttlichen Lebendigkeit führt uns einzig siderische<br />
<strong>Geburt</strong>. Es ist die überwältigende Bedeutung unserer Zeit, dass wir plötzlich erkannten,<br />
wir sind über die Welt gewachsen, die uns zu enge ward, ich bin größer als Welt. Und wir<br />
sollen die Welt umfassen, zwar auch nicht allein im mechanischen Seyn, sondern in erlösender<br />
seraphischer Umarmung. Doch fanden wir uns zugleich unendlich kleiner als Gott, ein<br />
Samenkorn im grenzenlosen Acker des Göttlichen. Das Seyende ist das, was wir umschließen,<br />
das Transzendente, das Höhere umschließt uns. Nur das noch ganz welterdrückte kindliche<br />
Erleben oder der dingwärts gerichtete, materialistische Viehverstand kann im Seyn das<br />
Letzte, Allumfassende erblicken. Uns ist es Fraßsetzung und niederste Tätigkeit des Ich.<br />
Das Niedrigste, ein Fraßverhältnis ist die Grundlage der Erkenntnistheorie, eben diese Beziehung<br />
von Objekt zu Subjekt; und das Objekt ist noch nicht jenes alldurchströmte, jenes göttliche<br />
Samenkorn, sondern ein Ding, und das Subjekt siderisch ungeboren, sein geistiges Leben<br />
nur ein Fressen, ein Aneignen und Haben, doch kein schöpferisches Strahlen, es steckt<br />
noch halb im Tier. Nichts aber weiß die Erkenntnistheorie von jener göttlichen Beziehung des<br />
Überdinglichen zum Überpersönlichen, nichts von dem Höheren, dem sichersten Beginn,<br />
dass es gottet. So gelangt sie wohl zu einer spekulativen Hinterwelt, doch niemals zur Überwelt.<br />
Alles Spekulative ist aber nichts als Stillstehen-Wollen, als Trägheit und habgieriges<br />
Raffen, und der Giergeist ist es, der das Stecken in den Dingen macht. Aber was siderisch<br />
geboren sein will, mag nichts mehr fressen und haben, sondern vergeht in strömendem Lieben,<br />
es will das göttliche Keimkorn nicht größer sein als Acker, Luft und Sonnenschein. Was<br />
die Eishand der Kategorien erfasst, wird zum toten mechanischen Ding, es wird entgeistert;<br />
wir aber wollen uns begeistern. Es ist das träge Genügen am bloßen Abspiegeln so recht ein<br />
Ausdruck der mittaglichen Erschöpfung; es wird dieser Spiegel nie etwas anderes aufzeigen<br />
als die Kadaver des Lebendigen, das Leben selbst und alle Ursprünglichkeit bleibt solchen<br />
Mühen ewig draußen, denn was gespiegelt wird, kann nicht gelebt werden und alles, wovon<br />
die Wissenschaften erzählen, ist nichts Lebendiges.<br />
Also ist das Seyn noch ohne alle Beziehung auf Leben und Gottheit oder genauer, es ist ein<br />
erst beginnendes, ein Binnenleben, das zwar nicht mehr völliges Unterdrücktsein ist, sondern<br />
dieses schlafende Getriebensein bereits unter sich hat, andererseits aber erst beginnt<br />
zum überseyenden Außer-Sich-Seyn zu erwachen, es ist so recht der weltliche Zustand inmitten.<br />
Erleben ist kein Binnenleben; dem Erleben ist das Metaphysische kein zwingendes, gespiegeltes<br />
Jenseits, es tatet 6 das Metaphysische. „Seyn“ ist eine niedere mechanische, ungöttliche<br />
Funktion, ein tierisches Fressen und unsozialistisches Haben, und darum will siderische<br />
<strong>Geburt</strong> alle Wirklichkeit aus diesem niederen Grunde losreißen, alle Gestaltung, alles<br />
Leben auf eine höhere Realität bauen als aufs Seyn. Im Seyn ist alles noch wertelos gesetzt,<br />
in räumlich mechanischen, in Ding-Beziehungen. Nichts Seyendes kann göttlich sein. Doch in<br />
höherer Setzung ist alles Gestaltete nicht mehr ein Fraß, ein Haben und Raffen, sondern in<br />
seraphischer Glut von mir umschlossen, um zum Leben geweckt und erlöst zu werden. Es<br />
wird dort mehr und mehr alles zu meiner Schöpfung, vom Ding-Objekt, vom Fraß-Inhalt zum<br />
Liebesobjekt und seraphischen Inhalt. Das Nehmen wird zum Geben, das Haben zum Strahlen<br />
und Strömen, dass da kein träges Ruhen in sich selbst ist und nichts unverwoben mit<br />
Gott bleibe, sondern losgerissen aus dem gottfernen, gottgelösten Untergrund des Seyns will<br />
alles nun ruhen in seraphischer Setzung und in liebesglühendem Umarmen seinen höchsten<br />
6 Gutkind benutzt häufiger „Taten“ bzw. „taten“ anstelle von „Tun“ bzw. „tun“ und meint damit immer das<br />
schöpferische Handeln Gottes, an dem der Mensch Anteil gewinnen kann.