Siderische Geburt - Peter Godzik

Siderische Geburt - Peter Godzik Siderische Geburt - Peter Godzik

25.05.2014 Aufrufe

30 unsozialistisch, und auch alle Philosophie ist noch jene alte Stehe-Still- und Halte-Fest- Weisheit, die von all den unendlichen Standpunkten des übergestaltlich göttlichen Kreisens allein den Standpunkt der Weltmitte als absolut nimmt und von keinem anderen weiß. Da erscheint denn alles atomistisch, mosaikartig zerstückelt, aus zahllosen Dingen, Teilen, Stücken sich zusammenzusetzen, und es gelingt doch nimmer, eine Einheit daraus zu schmieden. Wie der Physiker nicht erklärt, wie Wirkung von einem aufs andere übergehen kann, so der Philosoph nicht, wie seine Weltstücke sich gegenseitig beeinflussen können, wie Subjekt auf Objekt, wie Wille auf Denken wirke. Doch dem überweltlichen Schauen wurden alle diese Teilstücke zu Organen des Ganzen, zu Aufgaben, Durchgangs- und Umkehrpunkten, und Subjekt und Objekt sind in völliger gegenseitiger Durchdrungenheit ineinander verschmolzen. Wir können die Verbindung der Organe unseres Leibes nicht verstehen, wenn wir sie nicht unter dem Höheren, Darübergreifenden des Stoffwechsels anschauen. So bleiben uns auch Wille und Denken, Subjekt und Objekt und alle Weltstücke ewig getrennt, wenn wir sie bloß erfahrungsmäßig erforschen, statt die Erfahrung zu durchbrechen, freilich nicht etwa mit dem untauglichen Verstande, sondern in jener endlosen Wanderschaft, deren Beginn das beispiellose Ereignis unserer Zeit ist, da hier, was noch nie war und ohnegleichen ist, mitten unter uns etwas zum Erlebnis und zur Tat werden will, was nicht nur „Welt“ ist. An Stelle des mechanischen Aufeinanderwirkens und des ebenso toten Abspiegelns von einem objektiven Außen ins Innere, tritt das eine allverwobene Leben, entsteht alle Vielheit durch das Leben der vielen Subjekte in sozialistischer Verschmolzenheit, in Gottheit. Die völlig weltgefesselte Grundlage zeigen noch zwei weitere Gegensatzpaare, die Begriffe abstrakt und konkret und a priori und a posteriori; auch sie sind nichts als Wegrichtungen des Weltablaufes, nicht Namen für Wirklichkeiten, sondern rein dynamisch zu verstehen. Das Konkrete verdichtet, aber es verengt, das Abstrakte erweitert, aber verdünnt und verflüchtigt. Auf der einen Seite der Enge-Tod, auf der anderen der Schwäche- und Leere-Tod. Echt weltlich sind beide Strebungen nur halb gegen das lebendige Erweitern und Verdichten, halb aber gegen den Tod orientiert. Als Plato sich von der Nichtigkeit des Einzelnen abwandte, suchte er Lösung im verschmelzenden Verallgemeinern; weiter hinaus über die betrachtende Ruhe des Griechen ging Kant, der durch die Tat der praktischen Vernunft den Ausweg ins Freie suchte. Grundentscheidend ist auch die Stellung zum a priori und kann einen Menschen bis ins letzte charakterisieren. Ist der Geist das unbeschriebene Blatt, das leere Gefäß, in das sich das Außen hineingießt, oder ist er der allmächtige Schöpfer und Grund von allem oder herrscht eine Art Gleichgewichtszustand? Das alles aber hängt nur davon ab, von welchem Stadium des Weltablaufs ich spreche und wohin ich das Gesicht wende. Das alles sind Verschiebbarkeiten und nichts kann sich etwa endgültig als „das“ a priori herausstellen. Das a priori ist wie eine Lokomotive vor dem Zug, es kommt darauf an, wo ich sie anspanne und wohin ich fahren will. Die dynamische Theorie des a priori macht allem Streit darüber ein Ende. Soll der professorale Ausdruck „System der Philosophie“ für uns einen Sinn haben, so nur den, dass wir jetzt so weit sind, alle vorhandenen Philosophien zu einer systematischen Tafel zusammenzuschließen, denn es kann keine Philosophie mehr geben. Wir wissen, dass alle „Fragen“ Spannungen sind, die aus dem Zustand „Welt“ hervorgehen, und dass es im Wesen jeder „Frage“ liegt, dass sie unbeantwortbar ist, da diese Spannung nicht durch Antwort gelöst werden kann, sondern nur, indem wir in siderischer Geburt über diesen Weltstand hinaus gelangen, wie wir immer deutlicher sehen werden. Vor der Frage weicht die Antwort ewig zurück, doch nicht vor dem Tanz und dem Fliegen. So wenig also, wie all die großen Fragen und Rätsel durch Philosophie beantwortbar sind, so wenig kann es gelingen, schließ-

31 lich ein „Weltbild“ zu entwerfen, denn es ist nicht ein Etwas, das abgebildet werden könnte und als Bild in unser Inneres gehängt würde. Das ewig verfließende Gott-Strömen ist nicht abbildbar, und an Stelle des Abbildes tritt der transzendente Hub in mir. Diese Schilderungen der Philosophen sind nur ein großartiges Kombinationsspiel und gewaltiger Systembau aus den Stücken der Welt im dinglichen Verstande. Subjekt und Objekt, der Grad der Abstraktion, das a priori; auf Seiten der Objektivität die räumlich-zeitlichen und mechanischen Prinzipien, Vielheit, die mannigfaltigen Arten des Zusammenhangs, Einheit; auf Seiten der Subjektivität die Wertungen der Seele, das Denken, Fühlen, Wollen und endlich die Rückseiten – und Grenzbegriffe. Und aus allen solchen Stücken bauten die Philosophen, indem sie bald eines zum Fundament machten, auf dem alle anderen ruhten, bald eines a priori vor alle anderen setzten, bald eines zugunsten anderer auslöschten. Bald verflochten sie das alles zum kunstvollen Gewebe, bald lösten sie das eine im anderen auf. Und entscheidend war da einzig, was für eine Mission diese Männer hatten und wo ihr Standpunkt im Weltablauf war. Und alle diese Erkenntnisse waren echte und wahre! Zwar konnte keine die Sehnsucht nach dem absolut gültigen Weltbild befriedigen, weil dieses Ideal eine Forderung des weltlich gebundenen Geistes war, doch alle waren sie der Ausdruck tatsächlicher Lebensverhältnisse, alle wahrhafte Wegweiser zu wirklichen Richtungen im Weltablauf. Doch heut, wo mit der Welt alle Philosophie enden muss, bleibt uns nur die Tafel aller Philosophien, das System der Philosophie, diese Anordnung nach der Art des periodischen Systems der chemischen Elemente. Und fehlte noch eine Philosophie darin, wir könnten sie leicht ergänzen. Wir waren davon ausgegangen, uns mit dem Geist der Wissenschaft auseinanderzusetzen und die objektive Geltung der höheren Sphären zu prüfen. Nun suchten wir bisher die Objektivität aus den Banden der Dinghaftigkeit zu lösen, dass sie nicht mehr dingorientiert sei und um den Tod rotiere, sondern um das Lebendige im Selbst und von einer Sache zur gottgesandten Aufgabe und zum Paragranum werde. Und es war nun der Objektivität tiefstes Wesen, dass eben ein Niederes sich darin offenbarte, gottgesandt zwar, doch sehnsüchtig nach Erlösung. Drum können wir in der Objektivität allein nicht die Pfade zum Höheren finden. Wir schritten zum Subjektiven vor, um aber auch dort ganz und gar nicht stehen bleiben zu können, denn das Ich, das sich uns als der Ort der siderischen Geburt zeigen wird, wurde uns zur schlummernden Larve, der bald der göttliche Falter entsteigen will, um im Glanz des überseyenden Schwinge-Reiches selig zu schweben. Statt das Höhere zu verobjektivieren, zu verdinglichen, gegenständlich zu machen und als Gegenstand in uns zu verschließen, sollen wir das Objektive erhöhen und erlösen. Noch war es durch die Darstellung bedingt, dass wir von den höheren Funktionen und Sphären und dem Überweltlichen viel zu sehr eine objektive Schilderung gaben, ein Ausmalen; doch wie wir dem Todesalbdruck und dem Wahnsinn des Objekts entwachsen, schwindet uns auch die kindliche Möglichkeit, Himmelreich und Paradies bildlich zu schildern. Nicht nur, weil auch die glühendste Paradieses-Malerei nur ein armseliges Schemen ist gegen die schöpferische Gewalt selbst der grauesten Wirklichkeit, sondern weil alles solches Himmelreich ganz wie der graueste Jammer des Alltags dem höchsten Leiden unterliegt, dem Seyn, über das wir hinausdringen müssen zum Über-Seyn, zu höheren Setzungen. Was nun ist dieses „Seyn“? Nach Kant eine Kategorie oder ein Vermögen, eine Art unserer Seele, das Gegebene zu setzen, und zwar die allgemeinste grundlegende Art, der nichts entrinnt. Neben dem Seyn sind zahlreiche andere Kategorien, doch können wir uns nicht entschließen, sie alle in einer Tafel gleichberechtigt nebeneinander zu ordnen. Sie bilden vielmehr einen Organismus polaren Charakters und vermitteln zwischen den zwei Polen, von

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lich ein „Weltbild“ zu entwerfen, denn es ist nicht ein Etwas, das abgebildet werden könnte<br />

und als Bild in unser Inneres gehängt würde. Das ewig verfließende Gott-Strömen ist nicht<br />

abbildbar, und an Stelle des Abbildes tritt der transzendente Hub in mir.<br />

Diese Schilderungen der Philosophen sind nur ein großartiges Kombinationsspiel und gewaltiger<br />

Systembau aus den Stücken der Welt im dinglichen Verstande. Subjekt und Objekt, der<br />

Grad der Abstraktion, das a priori; auf Seiten der Objektivität die räumlich-zeitlichen und<br />

mechanischen Prinzipien, Vielheit, die mannigfaltigen Arten des Zusammenhangs, Einheit;<br />

auf Seiten der Subjektivität die Wertungen der Seele, das Denken, Fühlen, Wollen und endlich<br />

die Rückseiten – und Grenzbegriffe. Und aus allen solchen Stücken bauten die Philosophen,<br />

indem sie bald eines zum Fundament machten, auf dem alle anderen ruhten, bald<br />

eines a priori vor alle anderen setzten, bald eines zugunsten anderer auslöschten. Bald verflochten<br />

sie das alles zum kunstvollen Gewebe, bald lösten sie das eine im anderen auf. Und<br />

entscheidend war da einzig, was für eine Mission diese Männer hatten und wo ihr Standpunkt<br />

im Weltablauf war. Und alle diese Erkenntnisse waren echte und wahre! Zwar konnte<br />

keine die Sehnsucht nach dem absolut gültigen Weltbild befriedigen, weil dieses Ideal eine<br />

Forderung des weltlich gebundenen Geistes war, doch alle waren sie der Ausdruck tatsächlicher<br />

Lebensverhältnisse, alle wahrhafte Wegweiser zu wirklichen Richtungen im Weltablauf.<br />

Doch heut, wo mit der Welt alle Philosophie enden muss, bleibt uns nur die Tafel aller Philosophien,<br />

das System der Philosophie, diese Anordnung nach der Art des periodischen Systems<br />

der chemischen Elemente. Und fehlte noch eine Philosophie darin, wir könnten sie<br />

leicht ergänzen.<br />

Wir waren davon ausgegangen, uns mit dem Geist der Wissenschaft auseinanderzusetzen<br />

und die objektive Geltung der höheren Sphären zu prüfen. Nun suchten wir bisher die Objektivität<br />

aus den Banden der Dinghaftigkeit zu lösen, dass sie nicht mehr dingorientiert sei und<br />

um den Tod rotiere, sondern um das Lebendige im Selbst und von einer Sache zur gottgesandten<br />

Aufgabe und zum Paragranum werde. Und es war nun der Objektivität tiefstes Wesen,<br />

dass eben ein Niederes sich darin offenbarte, gottgesandt zwar, doch sehnsüchtig nach<br />

Erlösung. Drum können wir in der Objektivität allein nicht die Pfade zum Höheren finden.<br />

Wir schritten zum Subjektiven vor, um aber auch dort ganz und gar nicht stehen bleiben zu<br />

können, denn das Ich, das sich uns als der Ort der siderischen <strong>Geburt</strong> zeigen wird, wurde uns<br />

zur schlummernden Larve, der bald der göttliche Falter entsteigen will, um im Glanz des<br />

überseyenden Schwinge-Reiches selig zu schweben.<br />

Statt das Höhere zu verobjektivieren, zu verdinglichen, gegenständlich zu machen und als<br />

Gegenstand in uns zu verschließen, sollen wir das Objektive erhöhen und erlösen. Noch war<br />

es durch die Darstellung bedingt, dass wir von den höheren Funktionen und Sphären und<br />

dem Überweltlichen viel zu sehr eine objektive Schilderung gaben, ein Ausmalen; doch wie<br />

wir dem Todesalbdruck und dem Wahnsinn des Objekts entwachsen, schwindet uns auch die<br />

kindliche Möglichkeit, Himmelreich und Paradies bildlich zu schildern. Nicht nur, weil auch<br />

die glühendste Paradieses-Malerei nur ein armseliges Schemen ist gegen die schöpferische<br />

Gewalt selbst der grauesten Wirklichkeit, sondern weil alles solches Himmelreich ganz wie<br />

der graueste Jammer des Alltags dem höchsten Leiden unterliegt, dem Seyn, über das wir<br />

hinausdringen müssen zum Über-Seyn, zu höheren Setzungen.<br />

Was nun ist dieses „Seyn“? Nach Kant eine Kategorie oder ein Vermögen, eine Art unserer<br />

Seele, das Gegebene zu setzen, und zwar die allgemeinste grundlegende Art, der nichts entrinnt.<br />

Neben dem Seyn sind zahlreiche andere Kategorien, doch können wir uns nicht entschließen,<br />

sie alle in einer Tafel gleichberechtigt nebeneinander zu ordnen. Sie bilden vielmehr<br />

einen Organismus polaren Charakters und vermitteln zwischen den zwei Polen, von

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