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Siderische Geburt - Peter Godzik

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wir von den kleinen, für die Kant der alte Chinese ist. Wir wissen uns mit ihnen so wenig eins<br />

wie mit der endlosen Reihe der Epigonen, die auf Kant aufbauen oder ihn fortführen, oder<br />

wie mit dem nutzlosen Streit der Kantphilologen. Nicht, weil wir ein entschiedenes Bekenntnis<br />

für oder gegen eine Lehre scheuen – unser innerstes Wollen ist ganz angefüllt durch den<br />

Drang nach Entschiedenheit, selbst bis in die äußersten Extreme –, sondern weil es ein Zeichen<br />

ungemeiner geistiger Beengtheit ist, einen großen Mann entweder zum Götzen oder<br />

zum Verderber zu stempeln, statt in freier schöpferischer Gelöstheit seines Erbes zu walten.<br />

Ohne Kant wären wir noch ganz verschüttet vom Objekt, vom Dinghaften, gefesselt an den<br />

einzig festen Boden der Erfahrung und hätten als Ausweg nach oben nur eine haltlose Begriffsdichtung.<br />

Doch hat Kant diese niedere Art der Metaphysik auf ewig zerstört, hat die<br />

Erfahrung kopernikanisch aus ihrer festen Ruhelage herausgerissen und sie gezwungen, ewig<br />

um die Sonne unseres Geistes zu kreisen. Doch dieser große Befreier und Löser war nicht<br />

auch zugleich ein großer Gestalter. Wo Kant Positives bauen wollte, fand er keine anderen<br />

Mittel, als die er selbst für immer als unzulänglich entwertet hatte. Er blieb ganz beim leiblich<br />

bedingten Tierverstand stehen, dessen Reich so ganz von dieser Welt ist, und hier entspringt<br />

denn das, was wir als so junggesellenhaft trocken und tot-mechanisch empfinden.<br />

Nicht ein „Weltbild“ oder ein „System“, sondern Befreiung ist das Ergebnis Kants und Freiheit<br />

ist der große Grundgedanke der Kritik der praktischen Vernunft. Zwar noch nicht jene<br />

grenzenlos göttlich-überschwingende, sondern eine gleichsam bürgerlich-gesetzmäßige<br />

Freiheit, aber dennoch eine der erhabensten Ideen aller Zeiten. Einzig die Kritik der praktischen<br />

Vernunft ist der Schlüssel zu allen Werken Kants, ist das innerste Motiv seines ganzen<br />

Wirkens und ohne sie ist kein Wort der Vernunftkritik restlos verständlich, die nur ein sinnloser<br />

Torso bliebe.<br />

Das ewig Große der Erkenntnistheorie ist, dass sie alle Objektivität für immer aus den Angeln<br />

gehoben hat. Sie hat alle Realität verflüchtigt, alles Absolute entthront, um mit dem Relativismus<br />

und der Phänomenalität alles Gegebenen zu enden; sie hat die alte Pilatusfrage nach<br />

der Wahrheit als falsch gestellte erwiesen und den menschlichen Geist zur Zentralsonne gemacht,<br />

das Reich der Objekte aber in nächtiges Dunkel versenkt, das sein Licht nur von dieser<br />

Sonne empfängt. Doch je selbstherrlicher die Erkenntnistheorie das Denken aufrichtete,<br />

umso mehr drängte sie uns des Denkens Grenzen, wo es kein Verweilen mehr gibt, sondern<br />

nur ein Hinüber. Die revolutionäre Auflösung war noch kein Aufbau und wir gewannen<br />

nichts, um zu neuen Wirklichkeiten zu dringen oder Metaphysik zu treiben. Es kann, wie wir<br />

zeigen werden, keinen größeren Irrtum geben als Metaphysik auf Erkenntnistheorie aufgebaut,<br />

denn die Erkenntnistheorie vermochte nicht um Haaresbreite über das Gegebene<br />

hinauszudringen, vielmehr ist gerade krassester Empirismus, völlige Immanenz ihr echtestes<br />

Wesen.<br />

Wollen wir uns mit dem Geist der Wissenschaft auseinandersetzen, so steht die Erkenntnistheorie<br />

am Eingang zu den höheren Reichen, denn sie ist die Wissenschaft vom Wissen. Aber<br />

wie wir finden werden, dass die kindlich dinghaft dogmatische Theologie, dass Naturwissenschaft,<br />

dass Psychologie und Wirtschaftslehre nimmermehr Philosophie sein können und<br />

Grundlage höheren Wissens, so können wir auch auf die Erkenntnistheorie nicht bauen,<br />

denn sie besteht überhaupt nur in den engsten Grenzen der Welt; über und unter ihr hat sie<br />

keine Geltung. Niemals ist sie die Voraussetzungslose, vielmehr ist einzig und stets „Welt“<br />

ihre Voraussetzung. Ihr selbstverständlicher Ausgangspunkt ist die Spaltung von Subjekt und<br />

Objekt, vom Subjekt, das erkennt, und dem Objekt, das erkannt wird. Und was erkannt werden<br />

soll, muss vorher in die Erkenntnis eingehen, soll Wissen zustande kommen. Und wie<br />

dieses Abspiegeln vor sich geht, ja, ob es überhaupt möglich sei, und was solch Spiegelbild

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