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Siderische Geburt - Peter Godzik

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[Aufrichtung des großen Anti-Kant]<br />

Was wir bis hier darstellten, scheint nun überreif zu sein, um vor dem Forum der Wissenschaft<br />

verantwortet zu werden. Zwar deuteten wir bereits an, es werde das neue Leben der<br />

Zukunft wie auch Religion und Erkenntnis sich nimmermehr damit begnügen können, Wissenschaft<br />

als Grundlage zu haben, und das Ergebnis wird auch hier sein, dass wir über „Wissenschaft“<br />

zu einem unendlich reicheren, helleren Licht emporsteigen. Doch so viel steht<br />

zuvor deutlich fest: dass der wissenschaftliche Geist über die Menschheit kam, ist eines der<br />

bedeutsamsten Ereignisse der ganzen Menschheitsgeschichte, denn die Wissenschaft vertrieb<br />

den Menschen aus seiner kindlichen Unschuld, reifte ihn zum Mann, sie ist der Grund<br />

für das Altern der Menschheit. Doch wissen wir, dass alles Klagen vergeblich, alle Wiederbelebung<br />

unmöglich und selbst die Sehnsucht nach rückwärts schon ein Frevel gegen das heilige<br />

Weltgesetz, das einzig vorwärts und aufwärts das Leben, hinter uns aber den Tod gesetzt<br />

hat. Wie der Mann nicht wieder jung werden kann, es sei denn in seinem Kinde, so kann<br />

auch das Menschengeschlecht sich nur wieder verjüngen in neuer <strong>Geburt</strong> über sich selbst<br />

hinaus, wenn es in Aussaat vergeht. Wir können hinter die Wissenschaft nicht wieder zurückschreiten,<br />

nicht wieder einfältig wie ein Kind jeden Inhalt unserer persönlichen Einzelseele<br />

für wahr nehmen. Ein Drang nach Objektivität kam über uns, nach einem objektiven<br />

Maßstab, einem Draußen, an dem wir wahr und falsch scheiden in kritischer Besinnung. Und<br />

diese kritische Besinnung hat uns entgöttert. Und es ist gut, dass es so kam, denn das wissenschaftliche<br />

Erwachen hat unsere Seele aus der Welterdrücktheit gelöst, hat Angst um<br />

Angst, Zwang um Zwang von uns genommen, bis die letzte Fessel und der letzte Götze von<br />

uns abfiel und wir der Zwinge Gottheit entwachsen, mannbar geworden, als Freie zum seraphischen<br />

Liebesgott heimkehren können.<br />

Doch hat die philosophische Forschung den Maßstab der Wahrheit nicht finden können. Es<br />

hat Jesus zu der ewigen Pilatusfrage geschwiegen, weil sie in niederem Weltverstand nicht<br />

beantwortet werden kann. Darum sind nun allerhand Wissenschaften aufgetreten, die aus<br />

den niederen Sphären, aus denen wir fortziehen, herstammen, um die Philosophien abzulösen.<br />

Zuerst sollte Philosophie durch Theologie in die dogmatischen Bande des alten Zwinge-<br />

Gottes geschlagen werden; dann wollte Naturwissenschaft das niedere Natur-Reich unter<br />

uns über Welt und über uns selbst erhöhen, und alles in Physik lösen; und nun gar will Nationalökonomie<br />

und Psychologie die unteren Regionen des Menschenseyns zum Ersatz der<br />

Philosophie empfehlen. Dagegen sehen wir in der Philosophie selbst deutlich zwei Richtungen.<br />

Die eine positive metaphysische, von der wir schon sagten, dass sie bei aller Farbigkeit<br />

doch ein einziger hinansteigender Harmonieschwall ist, und die kritische erkenntnistheoretische,<br />

die uns mephistophelisch immer wieder aufrüttelt und fragt: was ist Wahrheit?<br />

Diese erkenntnistheoretische Erleuchtung hat nun ihren Höhepunkt überschritten in Immanuel<br />

Kant, der den Gipfel der Verstandeskultur bedeutet. Es ist kein Zufall, dass sein Auftreten<br />

mit dem siegreichen Durchbruch des Bürgertums in der Französischen Revolution zusammenfällt,<br />

des unmetaphysischen Bürgertums, das den Ding-Verstand zur höchsten Gewalt<br />

entfaltete – so wie dies Buch am Ausgang dieser Epoche steht und am Eingang des sozialistischen<br />

Zeitalters, wo die glühende Verschlafenheit des Mittags weichen will, hinter der<br />

Welthöhe, wo Welt eben beginnt sich zu neigen und ein Höheres sich ankündigt. Kant – das<br />

ist die dramatische Höhe, zugleich aber auch die beginnende Entthronung und Kreuzigung<br />

alles Denkens und Philosophierens, und wir wissen nun keine größere Kant-Ehrung als die<br />

Aufrichtung des großen Anti-Kant, denn „Kant verstehen heißt über ihn hinausgehen“. Das<br />

allein ist echtes Kant-Verständnis. Wir sagen: der „große“ Anti-Kant, denn übergenug haben

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