Siderische Geburt - Peter Godzik

Siderische Geburt - Peter Godzik Siderische Geburt - Peter Godzik

25.05.2014 Aufrufe

18 von der Froschgestalt, die wir sehen, dieser Frosch für sich ist ein überaus viel Dumpferes als der Menschenfrosch, in dem das Leben des Sumpfes sich halb schon erlöst in grotesker Komik. So ist auch eine lärmende Menge noch weit nicht das Volksfest eines Schwind oder Ostade, so ist Schneien und Frieren noch weit nicht die weihnachtliche Winterpracht, die erst wir schauen. So wird Sonnenglut und Feuer im Pleroma zu seraphischer Liebe, und der Weltenschwerpunkt liegt nicht mehr in mechanisch toter Dinglichkeit; lebend kreist alles nun um Werte. Und Abgründe sind, ehe der Tiermensch sich erhebt zum Gottmenschen in siderischer Geburt sternenhaft über die Sterne. In der Steigerung kündet sich das Pleroma in der Welt. An seinem eigenen Schopf zog sich der Freiherr von Münchhausen aus dem Sumpf, und Münchhausen, der wahrer spricht als die pharisäische Sicherheit der Wissenschaft, ist die Welt. Sich selbst aus dem Sumpf! Erlösung vom Getast, Erlösung des Getastes und der Sinnlichkeit zu dem religiösen Leib im Pleroma, diesem Meer, von dem alle bisherigen Sinne und alle Körperlichkeit nicht mehr als die gekräuselte Wellenoberfläche sind. Noch ist der Mensch ein Sandkorn gegen die unbetretenen Wüsten seiner Möglichkeiten, und wie ein Fünkchen sich im reinen Sauerstoff entfacht, so lodert das Menschenfünkchen in der höheren Lebensluft des Pleroma zum Brand auf; es ist, wie der faulende Dünger in der Pflanze zum Blütenduft wird. Leben und Steigen sind ein und dasselbe und reines Leben ohne Steigerung eine materialistische Abstraktion. Ob Einzelwesen, ob Rasse, ob Volk, ob Zeitalter, keines kann im Weltleben in sich ruhen, ohne in Verwesung zu fallen. Schauen wir nur erwachend gegen das wesentlich Höhenhafte. Was aber spürt der Wurm, der am Boden kriecht, vom Dom über ihm, und wenn er beim Kriechen selbst nach und nach jedes kleinste Fleckchen berühren könnte. Was weiß er von der Kuppel, was erst vom Baumeister und gar vom Geist, dem der Tempel dient, und den Landen dort draußen. Sind denn die unsichtbaren Reiche in Wahrheit so unsichtbar? Aber nein! Sie sind das Allersichtbarste. Je dinghafter und sinnlicher die Sinne haften, umso dumpfer und tierischer sind die Sinne. Nur übertierischer Sinn spürt den Frühlingsglanz über den Bäumen, spürt das Weben zwischen den Menschen, spürt den steigenden Sinn in allem, und das „Alles ist voll von Göttern“. Nur das Unsichtbare ist sichtbar, denn dem erleuchteten Sinn schwindet der tastbar tierische Untergrund zu einer Abstraktion, die aus niederem Tierverstand stammt. In der Verklärung der Gegebenheit schauen wir die unsichtbaren Welten, bis wir nichts mehr sehen als nur diese Verklärtheit und ihr steinerner Untergrund formlos verdunstete. Das ist der Sinn des Hieronymus mit dem Löwen, dass der Tierabgrund gebändigt zu unseren Füßen liegt. Besinnen wir uns wieder einmal auf das, was allen Menschen gemeinsam ist, was der Herrlichste unter uns noch gemein hat mit dem Blödesten, was Goethe und den Australneger beide zu Menschen macht. Diese Grunderfahrung ist auch das, was der Neugeborene in der ersten Lebenszeit lernt, und im ganzen übrigen Leben lernen wir nicht wieder so viel wie in den ersten Monaten. An diese Grunderfahrung rührt nun all unser Trachten, dass sie göttlich revolutionierend gestaltet werde und wir am Ende den Tod töten. Dies einzig ist neu, dass wir wuchsen, und ist ein Erlebnis, das nicht seinesgleichen hat, dies „Wir größer als Welt“. Welt nicht mehr über uns und um uns, Welt innen in uns. Freilich werden wir zugleich begreifen, dass unser höchster Triumph auch unser Ende ist, dass nichts anderes geschah, als dass wir vom schlummernden Samenkorn zum Keimkorn wurden. Doch streitets nicht gegen unseren überweltlich königlichen Stolz, wenn wir zugleich mit einem Jubel, noch nie gehört, durch alle Äonen herausschreien: „Ich Same werde gesät!“ Der Weltenablauf ist gleich einem Skizzenbuch Gottes und wird keine Skizze völlig verworfen und jede verwertet und am Ende entsteht in Herrlichkeit das Werk, wie aus dem Weltlauf in

19 überweltlicher Erhöhung das Pleroma sich aufbaut. Wir können das Pleroma nimmermehr aus uns selbst ziehen wie die Spinne ihren Faden, wir müssen alles, was wir erschwingen, aus der Gottheit heraus leben, sind so aktiv und passiv zugleich. Denn Welt ist ewig kontingent (scholastisch ausgedrückt) bedingt. Kontingenz, das ist ein Schlüsselwort zum Weltverständnis, und es bedeutet ein völlig Neuwerden in der Entwicklung eines Menschen, wenn er zum Erleben des transzendenten Charakters aller Gegebenheit gelangt und das ganz außer sich Ruhende, das ungreifbar Zerrinnende aller Weltwirklichkeit plötzlich verspürt. „Welt“ ist nichts Unendliches, sondern ein Inmitten. „Welt“ kann nicht ins Unendliche wachsen. Es lässt sich ihr überweltliches Kreißen weltlich nicht mehr fassen und Unendlichkeit ist nicht innen in ihr. Sie hat ihre Sendung und Erfüllung, in der sie ans Pleroma grenzt, da will nun alles zum Himmel werden, aber innen in der Welt kann nichts Neues mehr sein. Es ist ihr eine obere Grenze gesetzt und überschreitet sie diese, so muss sie bersten. Und ist die Zersprengung der Welt nicht möglich, so ist überhaupt nichts möglich. Aber alles ist möglich, wenn es in der Gottrichtung liegt, und wir dürfen an unsere Allmacht glauben, wenn wir nur zum Pleroma schreiten. Ein neues Leben über dem Welt-Leben, das Pleroma-Leben beginnt, und diese Auffassung unserer Gegenwart als Beginn einer Weltenwende ist der rote Faden durch dies Buch. Nicht liegt über der Welt eine Sphäre schon bereit, nein, sie selbst steigt nun empor über das Vergängliche mit all ihrer Fülle und all ihren Formen zum Pleroma, zum heiligen Liebesreich, da ist alle Form grenzenlos alldurchflossen, nicht Hass des Einen gegen das Andere. Das Haus nicht mehr enge Aufhebung der freien Natur; das Wilde streitet nicht gegen das Zarte, der Ruhe mangelt nicht der Krieg und bebt gewaltig der Boden und zertrümmert nicht, und der Sturm knickt nicht die Blume und ist doch Sturm und Blume im heiligen Liebesreich des Pleroma. Nicht ist dieses entsetzlich fürchterliche Leid, dass alles, was auch immer ist, stets ein anderes ausschließt und All Jedes so ewig zugleich ein Mangel an etwas ist. Denn alles ist in seraphischer Glut miteinander verschmolzen, aber nichts ist verlöscht und steht doch ein jedes in herrlichster Eigenheit. Denn das Pleroma wird vom seraphischen Liebesgesetz beherrscht wie „Welt“ mechanisch vom sadistischen Getast. Wir wollen die Tat aus der Taufe heben, unsere Transzendenz, unsere Metaphysik ist nicht Theorie, nicht Schauen, sondern Wirklichkeitstat, und darum trennt uns ein Gegensatz von fast jedem religiösen Bewusstsein der Vergangenheit, von Indien und dem Christentum, von den Mystikern und allen Kirchen – es ist die Weltflucht. Von nun an ist es mit der Weltflucht auf immer dahin, denn Welterfassen, Weltgestalten, lustfrohe, glühende Umarmung der Welt ist der einzig notwendige Acker unserer Saat. Nichts wäre im Pleroma ohne Welt und in der Höhe nichts anderes, als was in unserer Umarmung erwärmte. Denn herrlich geschmückt ist das Pleroma in der Welt, angetan mit dem Weltkleid, in Tränen gewebt. Es ist in all dem, was wir hier darstellen, wie ein Verhängnis, dass wir stets das, wohin wir erst gelangen wollen, unbedingt schon voraussetzen müssen, aber eben das ist nur ein Spiegelbild der Welt, deren eigenste Art ist, sich selbst zu übersteigen, auf den Kopf zu stellen oder aus ihrer Haut zu fahren. Wir konnten Rumpf und Glieder nicht verstehen, ohne den Kopf, der erst ein Ganzes macht, und wir sagten weiter, dass der Kopf sich auch nicht begnügt beim Ganzen, sondern weit darüber hinaus dringt in ein grenzenlos anderes Seyn. Erklärten wir den Leib aus dem Kopf, woraus erklären wir nun aber den Kopf? Mit dem Kopf können wir nicht beim Kopf, mit dem Pleroma nicht beim Pleroma stehen bleiben, und gewinnen ein namenlos unermessliches Hinausdrängen, wie das schlummernde Samenkorn, wenn es gesät wird, ein unerhört Vergehen, ein Werden von Wäldern in sich verspüren mag. Sobald der Leib durch den Kopf zum Ganzen wird, will er ungestüm unaufhaltsam hinaus, wo er selbst als differentiales Moment verschwindet. Untersuchte ein Gelehrter den Magen

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von der Froschgestalt, die wir sehen, dieser Frosch für sich ist ein überaus viel Dumpferes als<br />

der Menschenfrosch, in dem das Leben des Sumpfes sich halb schon erlöst in grotesker Komik.<br />

So ist auch eine lärmende Menge noch weit nicht das Volksfest eines Schwind oder<br />

Ostade, so ist Schneien und Frieren noch weit nicht die weihnachtliche Winterpracht, die<br />

erst wir schauen. So wird Sonnenglut und Feuer im Pleroma zu seraphischer Liebe, und der<br />

Weltenschwerpunkt liegt nicht mehr in mechanisch toter Dinglichkeit; lebend kreist alles<br />

nun um Werte. Und Abgründe sind, ehe der Tiermensch sich erhebt zum Gottmenschen in<br />

siderischer <strong>Geburt</strong> sternenhaft über die Sterne. In der Steigerung kündet sich das Pleroma in<br />

der Welt. An seinem eigenen Schopf zog sich der Freiherr von Münchhausen aus dem Sumpf,<br />

und Münchhausen, der wahrer spricht als die pharisäische Sicherheit der Wissenschaft, ist<br />

die Welt. Sich selbst aus dem Sumpf! Erlösung vom Getast, Erlösung des Getastes und der<br />

Sinnlichkeit zu dem religiösen Leib im Pleroma, diesem Meer, von dem alle bisherigen Sinne<br />

und alle Körperlichkeit nicht mehr als die gekräuselte Wellenoberfläche sind. Noch ist der<br />

Mensch ein Sandkorn gegen die unbetretenen Wüsten seiner Möglichkeiten, und wie ein<br />

Fünkchen sich im reinen Sauerstoff entfacht, so lodert das Menschenfünkchen in der höheren<br />

Lebensluft des Pleroma zum Brand auf; es ist, wie der faulende Dünger in der Pflanze<br />

zum Blütenduft wird. Leben und Steigen sind ein und dasselbe und reines Leben ohne Steigerung<br />

eine materialistische Abstraktion. Ob Einzelwesen, ob Rasse, ob Volk, ob Zeitalter, keines<br />

kann im Weltleben in sich ruhen, ohne in Verwesung zu fallen. Schauen wir nur erwachend<br />

gegen das wesentlich Höhenhafte. Was aber spürt der Wurm, der am Boden kriecht,<br />

vom Dom über ihm, und wenn er beim Kriechen selbst nach und nach jedes kleinste Fleckchen<br />

berühren könnte. Was weiß er von der Kuppel, was erst vom Baumeister und gar vom<br />

Geist, dem der Tempel dient, und den Landen dort draußen.<br />

Sind denn die unsichtbaren Reiche in Wahrheit so unsichtbar? Aber nein! Sie sind das Allersichtbarste.<br />

Je dinghafter und sinnlicher die Sinne haften, umso dumpfer und tierischer sind<br />

die Sinne. Nur übertierischer Sinn spürt den Frühlingsglanz über den Bäumen, spürt das Weben<br />

zwischen den Menschen, spürt den steigenden Sinn in allem, und das „Alles ist voll von<br />

Göttern“. Nur das Unsichtbare ist sichtbar, denn dem erleuchteten Sinn schwindet der tastbar<br />

tierische Untergrund zu einer Abstraktion, die aus niederem Tierverstand stammt. In der<br />

Verklärung der Gegebenheit schauen wir die unsichtbaren Welten, bis wir nichts mehr sehen<br />

als nur diese Verklärtheit und ihr steinerner Untergrund formlos verdunstete. Das ist der<br />

Sinn des Hieronymus mit dem Löwen, dass der Tierabgrund gebändigt zu unseren Füßen<br />

liegt.<br />

Besinnen wir uns wieder einmal auf das, was allen Menschen gemeinsam ist, was der Herrlichste<br />

unter uns noch gemein hat mit dem Blödesten, was Goethe und den Australneger<br />

beide zu Menschen macht. Diese Grunderfahrung ist auch das, was der Neugeborene in der<br />

ersten Lebenszeit lernt, und im ganzen übrigen Leben lernen wir nicht wieder so viel wie in<br />

den ersten Monaten. An diese Grunderfahrung rührt nun all unser Trachten, dass sie göttlich<br />

revolutionierend gestaltet werde und wir am Ende den Tod töten. Dies einzig ist neu, dass<br />

wir wuchsen, und ist ein Erlebnis, das nicht seinesgleichen hat, dies „Wir größer als Welt“.<br />

Welt nicht mehr über uns und um uns, Welt innen in uns. Freilich werden wir zugleich begreifen,<br />

dass unser höchster Triumph auch unser Ende ist, dass nichts anderes geschah, als<br />

dass wir vom schlummernden Samenkorn zum Keimkorn wurden. Doch streitets nicht gegen<br />

unseren überweltlich königlichen Stolz, wenn wir zugleich mit einem Jubel, noch nie gehört,<br />

durch alle Äonen herausschreien: „Ich Same werde gesät!“<br />

Der Weltenablauf ist gleich einem Skizzenbuch Gottes und wird keine Skizze völlig verworfen<br />

und jede verwertet und am Ende entsteht in Herrlichkeit das Werk, wie aus dem Weltlauf in

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