Siderische Geburt - Peter Godzik
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Doch wie dürfen wir so sprechen? Was ist das für ein Zustand, der weniger ist als „Welt“,<br />
und wo das Reich, das „Welt“ überwindet. Wollen wir, die wir eben das ewige Ende aller<br />
„Wiederbelebungen“ zeigten, das Kinderland des Himmelreichs erneuern? Wie beweisen,<br />
dass außer dem, was uns „gegeben“ ist, noch etwas „ist“, oder was wissen wir gar von anderen<br />
Seynsarten? Nun ist es die Beschränktheit unseres Standes in der Welt, dass wir nicht<br />
mit einem Schlage in blendender All-Schau begreiflich machen können, was wir in aller Fülle<br />
sagen wollen. Wir müssen in Schritten gehen und sehnsuchtsvoll danach ringen, jedes Wort<br />
mit Allheit zu umhüllen. Drum werden wir uns nicht oft – nein immerfort wiederholen, denn<br />
jedes Wort möchten wir sättigen mit der Gotttrunkenheit, mit der metaphysischen Gottkraft,<br />
und wenn wir auch, fernab von der heutigen Geschwätzigkeit, den Namen Gottes nicht<br />
unnütz im Munde führen werden, nur mit zögernder Scham und heiliger Scheu, so soll doch<br />
alles voll davon sein, dass wir von nun an in siderischer Gottwerdung sternenhaft über alle<br />
Sterne hinwegsteigen und über das tierische Reich des Todes. So soll über jedem Wort ein<br />
ständiges feierliches Glockengeläut sein, bis die einsiedlerische Glocke lauter und lauter<br />
dröhnen wird, um alles Weltliche mit ihrem Klang erschwingen zu machen.<br />
Mit welchen Mitteln werden wir nun in die Höhen und Tiefen dringen? Durch Wissenschaft?<br />
Die zünftige Meinung kennt keinen anderen Weg. Wir werden ihn nimmermehr beschreiten,<br />
denn heut werden wir gründlich verlernen zu kriechen, da uns Flügel wachsen wollen und<br />
wir auf neuen Pfaden, mit kühnerem Gefährt und doch so ursicher in unser ewiges Reich<br />
gelangen werden. Aber folgen wir auch unserer steilen Lehre, so werden wir dennoch den<br />
Waffengang mit der Wissenschaft nicht scheuen. Mehr noch; wir werden ihrer Taste-Weisheit<br />
geben, was sie nur je erträumen kann. Wir werden gestehen: Nimmermehr „ist“ anderes,<br />
als was der Fangarm der Wissenschaft umtastet, keine Höhe und keine Tiefe „ist“, die<br />
wir nicht tasten oder im Spiegel der Erkenntnis auffangen können. Aber eben dies wollen wir<br />
ja erlernen, über das Tasten hinauszugelangen und uns mit bloßem Spiegeln nicht zu begnügen,<br />
denn wir wollen wahrhaftig in unsere ewige göttliche Heimat gelangen, durch ein unerhörtes<br />
Wachstum, durch die kreißende Kraft der siderischen <strong>Geburt</strong> in uns, vor der wir vergehen<br />
werden, wie das Samenkorn, das zur Blüte wird. Nicht beharren im Taste-Reich, nicht<br />
spiegeln, was in der Ferne; sondern wir sollen die Tat aus der Taufe heben, die Tat, die uns<br />
befähigt zu transzendentem Handeln und über-empirischem Tun, denn der Gottheit überseyende<br />
Reiche, die wir erschwingen wollen, sind nimmermehr gesetzt in seyender Fraß-<br />
Setzung, sondern einzig in siderischer <strong>Geburt</strong>. Also lassen wir gern der Wissenschaft, was<br />
ihres Wesens tiefster Kern, wir aber wollen das Schwimmen nicht am Lande lernen, sondern<br />
voll von Seefahrer- und Entdeckermut uns kopfüber in das Grenzenlose stürzen. Wir wollen<br />
jenen metaphysischen Mut zum Transzendenten beweisen, der uns heut abhandenkam, da<br />
wir uns angstvoll einzig noch ans Taste-Reich klammerten. Nun enthüllt sich uns das große<br />
Mysterium, das lautet: credo ut intellegam, das heißt so viel wie: ich muss zuvor glauben,<br />
ehe ich erkenne. Was wissen wir noch von der Kultur des Glaubens, da wir nichts anderes<br />
mehr als Wissenskultur pflegen! Ist Glauben nicht nur ein kindliches bloßes Für-wahr-<br />
Halten? Wir aber meinen, dass nicht die winzigste Erkenntnis zustande kommen kann, ehe<br />
nicht im Glauben der feste Standort eingenommen ist, von wo sie gewonnen werden kann,<br />
und es ist nicht das kleinste Fünkchen Erkenntnis in der Welt, das nicht auf der sicheren<br />
Grundlage eines Glaubens ruhte; und was an einem Wissen sicher ist, ist nichts als einzig,<br />
was aus seinem Unterbau im Glauben stammt. Es ist eitle Selbsttäuschung, dies nicht zu sehen,<br />
aber es ist auch bodenlose Schwäche, wie wir leicht erfassen, wenn sich uns das zweite<br />
Mysterium enthüllt, das lautet: credo quia absurdum, ich glaube, weil es unmöglich ist, denn<br />
das bedeutet, dass wir etwas vermögen über das Unmögliche. Der Glaube ist die überweltliche<br />
Kraft, die alle Widersprüche schlägt, aus zweien eins macht und den Blick über alle Lan-