Siderische Geburt - Peter Godzik
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über dem mechanischen Ablauf der alltäglichen Geistesfunktionen steht, ist unberührt von<br />
geistiger Erkrankung. Auch in wahnwitzigsten Geistesstörungen erhält sich das Persönliche<br />
unverändert, ja diese Erkrankungen sind oft nichts als Steigerungen von Eigenschaften, die<br />
schon in der Person bereit lagen. Wenn beim Nahen des Todes der Verband zwischen Geist<br />
und Leib sich lockert, leuchtet meist das Bewusstsein noch einmal in voller Klarheit auf. Wäre<br />
Denken wirklich so ganz auf das Gehirn gestellt, wie könnte es dann sich noch aus dem<br />
zerstörten Organ wieder erheben. Auch Genie und Göttlichkeit sind eine Art Wahnsinn bei<br />
gesundem Geiste. Aller Wahnsinn ist stärkste Nichtachtung der gegebenen Realitäten, ein<br />
Überspringen der Wirklichkeiten, und was fehlte unserer Zeit so sehr als dieser göttliche<br />
Wahnsinn. Nur wo die Gestiegenheit und göttlicher Überschwang noch nicht stark genug<br />
waren zu solchem überweltlichen Tun, fällt das niederste Bewusstsein, das tierische, das an<br />
die Materie brandet, in Irresein. Aber sehen wir uns die Depressionen und Manien und alle<br />
Typen des Irreseins an, so finden wir kaum da etwas, das den Charakter der Störung eines<br />
materiellen Organs hätte, wir gewinnen wie auch bei allen anderen Krankheitstypen viel<br />
eher den Eindruck, charakteristische Konflikte des persönlichen Lebens zu haben, als materielle<br />
mechanische wertelose Unregelmäßigkeiten.<br />
Das Leiden gehörte dem Reich des Todes an, das wir als den einen Pol der Göttlichkeit bestimmt<br />
hatten. Über den Tod hebt sich als eine der Säulen, die das Weltliche tragen, das Bewusstsein,<br />
diese erste Lösung alles Toten, und weiter das Ich, das erst die Grundlage bildet<br />
zu allem überpersönlichen Taten. Im Reich der Wertung endlich fanden wir die große Umkehr<br />
vom Sinnlos-Mechanischen zu Zweck und Sinn. Hier fanden wir Antwort, warum göttliches<br />
Kreisen nicht sinnlose, ewig gleiche Wiederholung ist, sondern schaffende Erneuerung<br />
und glühendes Liebesweben, und wir sahen, dass einzig der unseraphischen Betrachtung der<br />
absolute Maßstab der Wertung fehlte und sinnvoller Zweck sich erst in seraphischer Setzung<br />
enthüllt. Doch könnte schließlich seraphische In-eins-Setzung nicht sein, wenn alle die Fülle,<br />
um derentwillen der Aufwand der Welt einzig gemacht ist, sich in unterschiedsloser Einheit<br />
auflöste und ausgliche. Nicht ist etwa die polare Spaltung von Mann und Weib nur vorhanden,<br />
um am Ende wieder zu vergehen, wie der gespannte Bogen seine Spannung verliert.<br />
Das göttliche Gesetz der Harmonie vereint und verschmilzt alle Fülle und lässt doch ein Jedes<br />
in seiner stärksten ungebrochenen Besonderheit bestehen. Durch die Harmonie muss alle<br />
Fülle hindurch, ehe sie in seraphischer In-eins-Setzung bestehen kann, und in konkretester<br />
Lebendigkeit will alle Fülle und Einzelheit ungeschwächt im göttlichen Urschwang ruhen.<br />
Doch noch näher an den dem Tode entgegengesetzten Pol göttlicher höchster Lebendigkeit<br />
führt uns die Freiheit. Die Freiheit ist die Vorstufe der höchsten Göttlichkeit, Freiheit ist das<br />
ureigentlich Innerste aller Aktivität und Lebendigkeit; und dass alles, was als Zwang vor uns<br />
liegt, alle Fülle der Welt in Freiheit getan wird, ist aller Zukunft Sinn. Freiheit ist nicht nur<br />
Abwesenheit von Zwang, sondern das aller Positivste, ist lebendiges Schaffen. Um der Freiheit<br />
willen hat sich Gott in die Welt entäußert. Das Größte an Gott ist diese Unfreiheit, dass<br />
Gott nichts anderes als Gott tun kann, und dennoch soll alles Gott-Tun in Freiheit geschehen,<br />
in Freiheit soll Gott ergriffen werden. Der Mensch ist das Reich dieser Freiheit im göttlichen<br />
Urzwang, das Reich der freien Wahl über allem Schwanken und Streiten. Der Mensch ist der<br />
göttliche Streit in Gott. So steht der Mensch inmitten von Zwang und Freiheit, kommt aus<br />
ewigem Zwingen und geht zur Freiheit. Das ganz Freie ist die Gottheit, die nur ihrem eigenen<br />
Gesetz folgt, ihrem eigenen Zwang. Zwang und Freiheit fallen in ihr zusammen. Eine rohe<br />
mechanistische Zeit hat die Freiheit des Wollens und Handelns bezweifelt. Doch ist uns solche<br />
Betrachtung in dinghaft materiell mechanischen Bildern oder nach der Art eines Uhrwerks<br />
mit seinen Rädern genug als rückständig kindlich gezeichnet, nur dies muss betont<br />
werden, dass Worte wie Handeln und Wollen nicht mehr angewendet werden dürfen auf