Leseprobe (PDF) - Passivhaus Kompendium
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Foto: Scott Hales/Fotolia.com<br />
Achtung Falle!?<br />
Wie <strong>Passivhaus</strong>bauherren sich gegen<br />
Überraschungen wappnen von Werner Friedl<br />
50 <strong>Passivhaus</strong> <strong>Kompendium</strong> 2014
Positionen & Fakten<br />
Passivhäuser stellen für die Bewohner die derzeit wirtschaftlichste<br />
Form des energetischen Bauens dar. Des Weiteren überzeugen sie mit einer einzigartigen Behaglichkeit in den Innenräumen. Dies<br />
gilt aber nur, wenn es sich auch tatsächlich um ein <strong>Passivhaus</strong> handelt. Doch welche Gefahren und Fallstricke sind für die Bauherren<br />
möglicherweise von Bedeutung? Dieser Beitrag soll Interessierten helfen, wichtige Sachverhalte über Passivhäuser besser<br />
und frühzeitig beurteilen zu können.<br />
Nicht alles ist <strong>Passivhaus</strong><br />
Mit Schlagwörtern wie „Haus ohne Heizung“, „Plusstandard“<br />
oder „… ohne Heizkosten“ wirbt so mancher Bauträger, Fertighausanbieter<br />
oder Immobilienmakler. Begriffe wie Niedrigenergiehaus,<br />
Niedrigstenergiegebäude, Plushaus, Nullenergiehaus<br />
(Zero-energy building), KfW-Effizienzhaus, EnEV-Haus,<br />
Sonnenhaus, Biohaus, Ökohaus, Wohlfühlhaus und viele weitere<br />
kursieren in den Medien.<br />
Um aber die tatsächliche Qualität des Baustandards beurteilen<br />
zu können, ist zu hinterfragen, welches Rechenverfahren verwendet<br />
wird. Es gibt in Deutschland zwei wichtige Nachweisverfahren.<br />
Dies ist zum einen das Verfahren nach der Energieeinsparverordnung<br />
− abgekürzt EnEV − zum Nachweis des gesetzlich<br />
geforderten nationalen Mindestwärmeschutzes. Zum<br />
anderen gibt es das Rechenverfahren für Passivhäuser. Bezeichnet<br />
wird dieses mit „<strong>Passivhaus</strong> Projektierungs-Paket“ – abgekürzt<br />
PHPP, derzeit in der Fassung 8 (2013) erhältlich. Das Verfahren<br />
weicht von der Vorgehensweise der EnEV grundsätzlich<br />
ab. Das PHPP ermöglicht es, die Energieströme relativ genau zu<br />
erfassen und abzubilden. Die Energieeinsparverordnung ist<br />
hier zu unpräzise, um Passivhäuser nachzuweisen, diese sind<br />
deshalb mit dem PHPP zu berechnen. Potenzielle Hauskäufer<br />
sollen nach diesen Berechnungen verlangen. Wer neben der<br />
Qualität des <strong>Passivhaus</strong>es auch auf den Effizienzhausstandard<br />
40 oder 55 Wert legt, kann sein <strong>Passivhaus</strong> in Abhängigkeit des<br />
gewählten Energieträgers in der Regel rechnerisch nachweisen.<br />
Die Berechnungen hierzu können schnell und kostengünstig im<br />
Rahmen der Erstellung des Energieausweises erfolgen. Ein<br />
Ener gieausweis nach der Energieeinsparverordnung ist auch<br />
bei Passivhäusern gesetzlich Pflicht.<br />
Der Begriff „<strong>Passivhaus</strong>“ ist rechtlich nicht geschützt. Es kann<br />
somit quasi jedes Gebäude als solches bezeichnet werden. Um<br />
die gewünschte Qualität sicherzustellen, sollte die Bezeichnung<br />
„<strong>Passivhaus</strong>standard nach den Vorgaben des <strong>Passivhaus</strong> Instituts<br />
aus Darmstadt“ und ein Verweis auf das „PHPP-Nachweisverfahren“<br />
in Kauf- oder Architektenverträgen enthalten sein.<br />
Auch hoch wärmegedämmte Gebäude mit Dreifachverglasung<br />
und hocheffizienter Wohnraumlüftung entsprechen nicht automatisch<br />
einem <strong>Passivhaus</strong> im Sinne der Definition. Unberück<br />
sichtigt bleiben hier oftmals bestehende Wärmebrücken an<br />
Bauteilübergängen, die fehlende Qualität der verwendeten Bauteilkomponenten,<br />
die geografische Orientierung des Gebäudes,<br />
die nachbarliche Verschattung und vieles Weitere. Alles Faktoren,<br />
die im PHPP zu berücksichtigen sind.<br />
Zertifizierte Komponenten geben Sicherheit<br />
Damit das gebaute Gebäude auch einem <strong>Passivhaus</strong> entspricht,<br />
sind die Berechnungen aus dem PHPP mit den tatsächlichen<br />
Ausführungen zu vergleichen. Wurden Bauteile und Anlagenkomponenten<br />
in der geforderten Qualität gewählt? Zum Teil<br />
werden aus Kostengründen vom Verarbeiter wissentlich oder<br />
unwissentlich minderwertigere Fensterrahmen und Verglasungssysteme<br />
eingebaut, womit die gewünschten solaren Erträge<br />
für das <strong>Passivhaus</strong> ausbleiben. Es ist davon abzuraten,<br />
technische Daten von Herstellern ungeprüft in das PHPP zu<br />
übernehmen. Herstellerangaben werden meist nach anderen<br />
Prüfkriterien ermittelt, um möglichst positive Ergebnisse zu<br />
erzielen.<br />
Ein gutes Beispiel ist der Wärmebereitstellungsgrad bei Lüftungsanlagen.<br />
Einige Hersteller weisen Werte bis zu 99 % in<br />
Produktdatenblättern aus. In den Zertifikaten von geprüften,<br />
passivhausgeeigneten Geräten werden dagegen bestenfalls<br />
Werte knapp über 90 % Wärmerückgewinnung attestiert. Empfehlenswert<br />
ist es deshalb, zumindest bei Fenstern, Haustüren,<br />
Verglasungen, Lüftungsanlagen und Wärmepumpen zertifizierte<br />
Produkte zu verwenden, die in der Komponentendatenbank<br />
des <strong>Passivhaus</strong> Instituts gelistet sind. Hilfreich ist diese<br />
Datenbank auch bei der Ermittlung der wärmebrückenfreien<br />
Anschlussdetails. Werden die Systemangaben beachtet, handelt<br />
es sich meist um wärmebrückenfreie Anschlüsse, die nicht<br />
mehr gesondert nachgewiesen werden müssen. Ist ein gewünschtes<br />
Produkt in der Datenbank nicht zu finden, sollte<br />
man beim Hersteller nachfragen, warum keine <strong>Passivhaus</strong>zertifizierung<br />
vorliegt. In diesem Fall ist abzuwägen, inwieweit die<br />
Herstellerangaben auch tatsächlich PHPP-konform und vertrauenswürdig<br />
sind; gegebenenfalls sind die Werte im PHPP<br />
entsprechend abzumindern.<br />
<strong>Passivhaus</strong> <strong>Kompendium</strong> 2014<br />
51
Positionen & Fakten<br />
Haustechnik frühzeitig klären<br />
Eine Luftheizung, wie sie bei kostengünstigen Passivhäusern<br />
üblich ist, sollte frühzeitig im Rahmen der Planung diskutiert<br />
werden. Dies ist umso wichtiger, wenn Bodenbeläge aus Keramik<br />
oder Stein vorgesehen sind. Diese Beläge werden aufgrund<br />
ihrer Oberflächenbeschaffenheit und ohne darunter liegende<br />
Flächenheizung auch in einem <strong>Passivhaus</strong> als kalt empfunden.<br />
Wer unterschiedlich temperierte Räume bevorzugt, ist mit einer<br />
raumweisen Flächenheizung, z. B. mit einer Fußbodenheizung,<br />
besser bedient. Ein weiterer Vorteil bei der Trennung von<br />
Heizung und Lüftung ist die Vermeidung von zu trockener<br />
Raumluft im Winter. Unabhängig vom Effizienzstandard sind<br />
solche Maßnahmen zur Behaglichkeitssteigerung mit Mehrkosten<br />
für die Bauherren verbunden.<br />
Die richtigen Fachleute<br />
Um die Qualität des Gebäudes zu sichern, ist Bauherren zu raten,<br />
sich an ausgewiesene <strong>Passivhaus</strong>planer zu wenden. Diese<br />
besonders geschulten Fachleute sind mit der Nachweisführung<br />
des PHPP vertraut und in der Umsetzung von hocheffizienten<br />
Gebäuden fachkundig. Die Betreuung sollte bis zur Fertigstellung<br />
des Gebäudes beauftragt werden. Vorteilhaft ist zudem,<br />
wenn der Architekt als Konstrukteur des Gebäudes gleichzeitig<br />
Foto: Friedl<br />
Der unbeheizte Schuppen könnte juristisch betrachtet als<br />
<strong>Passivhaus</strong> bezeichnet werden. Entsprechende Verweise<br />
in Kauf- und Architektenverträgen sind deshalb wichtig.<br />
<strong>Passivhaus</strong>planer ist. Wer ganz sichergehen will, kann das Gebäude<br />
als „qualitätsgeprüftes <strong>Passivhaus</strong>“ zertifizieren lassen.<br />
Dabei werden die Berechnungen, die Pläne und die verwendeten<br />
Produkte nochmals unabhängig geprüft. Die Zertifizierungsgebühren<br />
sind dabei nicht unerheblich und ein Mehraufwand<br />
für die Planer ist einzukalkulieren. Mehrere Tausend Euro<br />
für ein Einfamilienhaus sind dabei zu veranschlagen. Bei fehlender<br />
Kompetenz des Planungsteams wird geraten, einen <strong>Passivhaus</strong>planer<br />
als beratenden Fachmann mit einzubeziehen.<br />
Detailplanung und Umsetzung<br />
Lange vorbei sind die Zeiten, als ein Genehmigungsplan gleichzeitig<br />
Ausführungsplan war. Für energetisch optimierte Gebäude<br />
– dies betrifft alle heutigen Gebäude, nicht nur Passivhäuser –<br />
ist eine aussagekräftige Werk- und Detailplanung zwingend erforderlich.<br />
Diese Planung sollte zumindest die Grundrisse, Ansichten<br />
und Schnitte im Maßstab 1:50 abbilden. Im Detailbereich<br />
sind alle wärmebrückenspezifischen Anschlüsse darzustellen<br />
und rechnerisch zu bestimmen, falls diese nicht wärmebrückenfrei<br />
konstruiert sind. Die Detailanschlüsse betreffen<br />
zumindest die Fenster, Haustüren, Sockel, Traufe, Ortgang,<br />
Deckenauflager, Wandaufbauten und die Anschlüsse der Innenwände<br />
an Bodenplatte und Dach. Auch die exakte Lage der luftdichten<br />
Ebene ist in diesen Plänen festzulegen.<br />
Im Rahmen der Objektüberwachung sind die erstellten Pläne<br />
so exakt wie möglich umzusetzen. Bauherren und Bauleiter<br />
sollten die entsprechenden Firmen dafür sensibilisieren. Oftmals<br />
hilft es, frühzeitig im Verlauf der Ausführung auf den<br />
BlowerDoor-Test mit den erhöhten Anforderungen an Passivhäuser,<br />
auf eine mögliche geplante Gebäudethermografie oder<br />
auf eine Zertifizierung oder Überprüfung hinzuweisen. Eine<br />
Fotodokumentation, das Archivieren der Lieferscheine und<br />
Materialproben sind obligatorisch.<br />
Keine Angst vor den Kosten<br />
Über die Mehrkosten eines <strong>Passivhaus</strong>es wurde schon viel spekuliert.<br />
Vergleicht man jedoch zwei im Wesentlichen identische<br />
Gebäude miteinander, das eine im <strong>Passivhaus</strong>standard und das<br />
andere nach der Energieeinsparverordnung, so ist das Gebäude<br />
52 <strong>Passivhaus</strong> <strong>Kompendium</strong> 2014
Positionen & Fakten<br />
Das anfängliche Forschungstool <strong>Passivhaus</strong><br />
Projektierungs-Paket (PHPP) ist<br />
heute das einzig relevante Berechnungswerkzeug<br />
für das <strong>Passivhaus</strong>. Aktuell ist<br />
die Version PHPP 8 auf dem Markt.<br />
nach der Energieeinsparverordnung bei genauerer Betrachtung<br />
deutlich teurer. Wie das? Es kommt allein auf die Sichtweise<br />
an. In den Kostenüberlegungen sollte der Betrachtungszeitraum<br />
auf die Lebensdauer des Gebäudes, also auf etwa 30 bis 50<br />
Jahre, ausgeweitet werden. Der Werterhalt eines <strong>Passivhaus</strong>es<br />
wird erheblich besser sein als ein Gebäude nach der EnEV, das<br />
bereits heute im Vergleich zum Spitzenstandard nahezu Altbauniveau<br />
aufweist. Bauherren sollen sich deshalb nicht durch<br />
willkürlich gewählte Kostenargumente von den am Bauvorhaben<br />
Beteiligten verunsichern lassen. Die „Fachleute“, die aus<br />
Kostengründen von der <strong>Passivhaus</strong>bauweise abraten, tun dies<br />
häufig, um eigene Unerfahrenheit auf diesem Gebiet zu vertuschen<br />
oder weil sie den Mehraufwand in der Planung scheuen.<br />
Im Bereich der Herstellungskosten liegen die Mehrkosten bei<br />
den vorgenannten Gebäudevergleichen bei etwa 5 %. Dem Argument<br />
des Planers, das <strong>Passivhaus</strong> würde z. B. 10 % Mehrkosten<br />
verursachen, ist mit dem Argument zu begegnen: „Dann<br />
bauen wir es eben 10 % kleiner.“<br />
Bauherrenpflichten<br />
Zur Realisierung eines <strong>Passivhaus</strong>es ist die Mitwirkung der<br />
Bauherren erforderlich. Dies betrifft etwa die frühzeitige Beauftragung<br />
der erforderlichen Planungsleistungen und der weiteren<br />
Fachleute für Sonderaufgaben, die regelmäßige Teilnahme<br />
an Baubesprechungen, die Erfordernis, Entscheidungen zu<br />
treffen, unvorhergesehene Leistungen im Zuge der Ausführung<br />
zu genehmigen, Abnahmen zu tätigen und natürlich Zahlungen<br />
zügig zu leisten. Größere Änderungen sollten in der Ausführung<br />
vermieden werden, denn diese wirken sich meist im PHPP<br />
aus. Bestehende DIN-Normen entsprechen nicht immer dem<br />
Stand der Technik und sind für Passivhäuser gelegentlich kontraproduktiv.<br />
Hier sollte dem Planungsteam Vertrauen signalisiert<br />
werden.<br />
Zeitweilig werden Architekten mit Bauherrenwünschen konfrontiert,<br />
die mit dem Baurecht des Grundstücks nicht vereinbar<br />
sind. Dies gilt insbesondere für die Realisierung mehrgeschossiger<br />
Passivhäuser mit Flach- oder Pultdach. Nur bei entsprechender<br />
städtebaulicher Zulässigkeit kann solch eine architektonische<br />
Gestaltung realisiert werden. Abweichungen<br />
und Befreiungen bedürfen immer des Einverständnisses der<br />
Baubehörden. Zugeständnisse zur Änderung der Dachform<br />
sind dabei eher selten, aber nicht ausgeschlossen. Bauherren<br />
sollten sich deshalb bereits beim Grundstückskauf von Fachleuten<br />
beraten lassen.<br />
Resümee<br />
Die Praxis zeigt: Bei kompetenter Planung ist es einfach, komfortable<br />
Passivhäuser zu errichten. Achtzugeben ist insbesondere<br />
auf die Vertragsgestaltung im Rahmen des Kaufes oder der<br />
Beauftragung des Planers. Hier ist der Verweis auf das <strong>Passivhaus</strong><br />
Institut und das dazugehörige Rechenverfahren, also auf<br />
das PHPP und die darin enthaltenen Mindestanforderungen<br />
erforderlich. Bereits mit der Auswahl des Planers und des dazugehörigen<br />
Planungsteams entscheidet sich die Qualität des Gebäudes<br />
– Referenzen sind hilfreich. Von angekün digten Mehrkosten<br />
darf man sich nicht verunsichern lassen, stattdessen<br />
sollte mit allen Beteiligten nach Einsparpotenzial gesucht werden,<br />
ohne auf den bestmöglichen Effizienzstandard zu verzichten.<br />
Schon in der frühen Planungsphase sollte entschieden werden,<br />
ob die Vorteile der Trennung von Heizung und Lüftung die<br />
entstehenden Mehrkosten rechtfertigen. Auch Passivhäuser<br />
müssen die städtebaulichen Vorgaben, die sich z. B. aus dem<br />
Bebauungsplan ergeben, einhalten. Befreiungen und Abweichungen<br />
sind hier eher die Ausnahme.<br />
Wenn die vorgenannten Sachverhalte beachtet werden, lassen<br />
sich Baurisiken beim eigenen <strong>Passivhaus</strong> minimieren.<br />
Dr. Werner Friedl<br />
ist „Zertifizierter <strong>Passivhaus</strong>Planer“ und seit über 15 Jahren<br />
als freier Architekt auf die <strong>Passivhaus</strong>bauweise spezialisiert.<br />
Er wurde mit dem Umweltpreis des Landkreises<br />
Aichach-Friedberg und als Zukunftspreisträger der Stadt<br />
Augsburg ausgezeichnet. Außerdem ist er Herausgeber<br />
und Autor von Fachliteratur, Sachverständiger für die<br />
Energieeinsparverordnung (EnEV) in Bayern und Referent.<br />
www.architekt-friedl.de<br />
<strong>Passivhaus</strong> <strong>Kompendium</strong> 2014<br />
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