Schopenhauer
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Vorlesung „Ethische Begründungsansätze“: SoSe 2009 – PD Dr. Dirk Solies<br />
Arthur <strong>Schopenhauer</strong> (1788-1860)<br />
Begleitendes Thesenpapier – nur für Studierende gedacht!<br />
‣ Pessimismus<br />
o <strong>Schopenhauer</strong>s ethischer Pessimismus<br />
o Buddhismus-Rezeption<br />
‣ Mitleidsethik<br />
‣ Kritik an Kant<br />
‣ Problem der Willensfreiheit<br />
‣ Begründungsprobleme<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
1
Werke:<br />
<br />
Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (1813, Dissertation)<br />
Ueber das Sehen und die Farben (1816)<br />
Die Welt als Wille und Vorstellung, erster Band (1819)<br />
<br />
Theoria colorum (1830, lateinische Fassung der überarbeiteten Farbenlehre)<br />
Ueber den Willen in der Natur (1836)<br />
<br />
Die beiden Grundprobleme der Ethik: Ueber die Freiheit des menschlichen Willens,<br />
Ueber das Fundament der Moral (1841)<br />
Die Welt als Wille und Vorstellung, zweiter Band (1844)<br />
<br />
<br />
Parerga und Paralipomena, zwei Bände (1851, enthalten die Aphorismen zur<br />
Lebensweisheit, Ueber die Universitäts-Philosophie, Ueber Schriftstellerei und Stil u. v.<br />
a. m.)<br />
Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden.<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
2
Zur Einführung:<br />
• <strong>Schopenhauer</strong> als Privatier<br />
• Der Hass auf Hegel → Pessimismus vs. Optimismus<br />
o Misanthropie?!<br />
o kulturphilosophische Bedeutung des Pessimismus<br />
• <strong>Schopenhauer</strong>s „verspätete“ Wirkung<br />
• <strong>Schopenhauer</strong>: Einer der ersten Rezipienten des Buddhismus<br />
• Person: Erscheinung und Ding an sich<br />
• Wille und Individualität → Personbegriff<br />
• Mitleid und Tierethik<br />
• Verneinung des Willens<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
3
<strong>Schopenhauer</strong> und der Buddhismus 1<br />
Ichlosigkeit<br />
Leiden / Pessimismus<br />
zentrale Rolle des Mitleids (Karuna – „compassion“)<br />
Dhammapada , bes. Vers 279<br />
2<br />
„All die Lebewesen sind ohne Ich,<br />
Wer dies mit Weisheit erkennt,<br />
haftet nicht länger am Leiden der Welt:<br />
Das ist der Weg der Klarheit.“<br />
1 <strong>Schopenhauer</strong> hat den Dhammapada in der Ausgabe „Dhammapadam. Ex tribus codicibus Hauniensibus, palice edidit, latine vertit, excerptis ex commentario Palico notisque<br />
illustravit Viggo Michael Fausboll. Hauniae 1855” gelesen und ausdrücklich zur Lektüre empfohlen (Züricher Ausgabe IV, 730 und V 327 u.a.).<br />
2 Zusammenstellung von Lehrreden Buddhas. Im Pali-Kanon unter den Kurzen Texten (Khuddaka-Nikaya) eingeordnet.<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
4
<strong>Schopenhauer</strong>s Pessimismus:<br />
Wenn man Beides, die unbeschreibliche Künstlichkeit der Anstalten, den unsäglichen<br />
Reichthum der Mittel, und die Dürftigkeit des dadurch Bezweckten und Erlangten neben<br />
einander hält; so dringt sich die Einsicht auf, daß das Leben ein Geschäft ist, dessen Ertrag<br />
bei Weitem nicht die Kosten deckt. 3<br />
„kaufmännische“ Kalkulation <strong>Schopenhauer</strong>s<br />
Übertragbarkeit dieser Kosten-Nutzen-Rechnung?!<br />
Stellenwert des Pessimismus?!<br />
<strong>Schopenhauer</strong>s Pessimismus tut so, als wäre er Produkt einer objektiv validen<br />
utilitaristischen Abwägung von Nutzen und Nachteil.<br />
i. Ggs. dazu <strong>Schopenhauer</strong>s Kritik des „niedrigen Utilitarianismus“ 4<br />
3 W e l t a l s W i l l e u n d V o r s t e l l u n g , SSW 2, 404.<br />
4 V e r e i n z e l t e , j e d o c h s y s t e m a t i s c h g e o r d n e t e G e d a n k e n , SSW 5, 277<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
5
Bezug auf Kant:<br />
Das „Ding an sich“<br />
Methodische Kant-Kritik<br />
Er [Kant] ist demjenigen zu vergleichen, der die Höhe eines Thurmes aus dessen Schatten<br />
mißt, ich aber dem, welcher den Maaßstab unmittelbar anlegt. Daher ist ihm die<br />
Philosophie eine Wissenschaft aus Begriffen, mir eine Wissenschaft in Begriffe [sic], aus<br />
der anschaulichen Erkenntniß, der alleinigen Quelle aller Evidenz, geschöpft und in<br />
allgemeine Begriffe gefaßt und fixirt. 5<br />
• Reflexion / Kritizismus und „Intuition“<br />
• andere Methodik <strong>Schopenhauer</strong>s: Nicht Deduktion, sondern Beobachtung<br />
• relevant für Ethik<br />
5 W e l t a l s W i l l e u n d V o r s t e l l u n g , SSW 1, 537.<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
6
<strong>Schopenhauer</strong> über Methode und Metaphysik:<br />
Meine Metaphysik bewährt sich dadurch als die einzige, welche wirklich einen<br />
gemeinschaftlichen Gränzpunkt mit den physischen Wissenschaften hat [...]. Daher<br />
schwebt mein System nicht, wie alle bisherigen, in der Luft, hoch über aller Realität und<br />
Erfahrung; sondern geht herab bis zu diesem festen Boden der Wirklichkeit, wo die<br />
physischen Wissenschaften den Lernenden wieder aufnehmen. 6<br />
• metaphysischer Ansatz, aber<br />
• Anspruch auf naturwissenschaftliche Ausweisbarkeit<br />
• Nähe zu „induktiven Metaphysik“<br />
• Verhältnis Philosophie – Naturwissenschaften (Über den Willen in der Natur)<br />
6 SSW 3, 293f.<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
7
Problem der Freiheit:<br />
• Der Mensch „als Wille“ und der Mensch „als Vorstellung“:<br />
• Ding an sich und Erscheinung<br />
Der Satz vom Grunde als „allgemeine Form aller Erscheinung“: „und der Mensch in seinem<br />
Thun muß, wie jede andere Erscheinung, ihm unterworfen seyn“:<br />
*…+<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
8
Weil aber im Selbstbewußtseyn der Wille unmittelbar und an sich erkannt wird, so liegt<br />
auch in diesem Bewußtseyn das der Freiheit. Allein es wird übersehn, daß das Individuum,<br />
die Person, nicht Wille als Ding an sich, sondern schon Erscheinung des Willens ist, als<br />
solche schon determinirt und in die Form der Erscheinung, den Satz vom Grund,<br />
eingegangen. Daher kommt die wunderliche Thatsache, daß Jeder sich a priori für ganz<br />
frei, auch in seinen einzelnen Handlungen, hält und meint, er könne jeden Augenblick<br />
einen andern Lebenswandel anfangen, welches hieße ein Anderer werden. Allein a<br />
posteriori, durch die Erfahrung, findet er zu seinem Erstaunen, daß er nicht frei ist,<br />
sondern der Nothwendigkeit unterworfen, daß er, aller Vorsätze und Reflexionen<br />
ungeachtet, sein Thun nicht ändert, und vom Anfang seines Lebens bis zum Ende den<br />
selben von ihm selbst mißbilligten Charakter durchführen und gleichsam die<br />
übernommene Rolle bis zu Ende spielen muß. 7<br />
• Selbstbewusstsein als Ort der unmittelbaren Erkenntnis des Willens<br />
• Unveränderlichkeit des (empirischen) Charakters<br />
• Ablehnung der Freiheit<br />
7 <strong>Schopenhauer</strong>: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 159<br />
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9
<strong>Schopenhauer</strong> (und Spinoza) über Willensfreiheit:<br />
Spinoza sagt (epist. 62), daß der durch einen Stoß in die Luft fliegende Stein, wenn er<br />
Bewußtsein hätte, meinen würde, aus seinem eigenen Willen zu fliegen. Ich setze nur<br />
noch hinzu, daß der Stein Recht hätte.<br />
<strong>Schopenhauer</strong>: Die Welt als Wille und Vorstellung, ZA Bd. 1, S. 173<br />
Stein<br />
Wurf<br />
Naturgesetz<br />
Mensch<br />
Motiv<br />
Wille<br />
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10
<strong>Schopenhauer</strong>s Suche nach der „ächten moralischen Triebfeder“:<br />
Es giebt überhaupt nur drei Grund-Triebfedern der menschlichen Handlungen: und allein<br />
durch Erregung derselben wirken alle irgend möglichen Motive. Sie sind:<br />
a) Egoismus; der das eigene Wohl will (ist gränzenlos).<br />
b) Bosheit; die das fremde Wehe will (geht bis zur äußersten Grausamkeit).<br />
c) Mitleid; welches das fremde Wohl will (geht bis zum Edelmuth und zur Großmuth).<br />
Jede menschliche Handlung muß auf eine dieser Triebfedern zurückzuführen seyn; 8<br />
Mitleid: einzige nicht-egoistische, alleinige echt moralische Triebfeder<br />
Begründung / Plausibilisierung:<br />
(1) <strong>Schopenhauer</strong>s experimentum crucis: Kajus und Titus<br />
Vorsatz zum Mord des Nebenbuhlers<br />
Kajus: Verschiedene ethische Begründungen<br />
Titus: Ergriffensein vom Leid des Anderen<br />
(2) Thematisierung der Grausamkeit<br />
*…+<br />
8 III679f.<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
11
Grausamkeit als „das gerade Gegentheil des Mitleids“:<br />
Wenn wir von einer sehr grausamen That Kunde erhalten, wie z.B. die ist, welche eben jetzt die Zeitungen<br />
berichten, von einer Mutter, die ihren fünfjährigen Knaben dadurch gemordet hat, daß sie ihm siedendes Oel in<br />
den Schlund goß, und ihr jüngeres Kind dadurch, daß sie es lebendig begrub; — oder die, welche eben aus Algier<br />
gemeldet wird, daß nach einem zufälligen Streit und Kampf zwischen einem Spanier und einem Algierer, dieser,<br />
als der stärkere, jenem die ganze untere Kinnlade rein ausriß und als Trophäe davon trug, jenen lebend<br />
zurücklassend; — dann werden wir von Entsetzen ergriffen und rufen aus: »Wie ist es möglich, so etwas zu<br />
thun?« — Was ist der Sinn dieser Frage? Ist er vielleicht: Wie ist es möglich, die Strafen des künftigen Lebens so<br />
wenig zu fürchten? — Schwerlich. — Oder: Wie ist es möglich, nach einer Maxime zu handeln, die so gar nicht<br />
geeignet ist, ein allgemeines Gesetz für alle vernünftigen Wesen zu werden? — Gewiß nicht. — Oder: Wie ist es<br />
möglich, seine eigene und die fremde Vollkommenheit so sehr zu vernachlässigen? — Eben so wenig. — Der Sinn<br />
jener Frage ist ganz gewiß bloß dieser: Wie ist es möglich, so ganz ohne Mitleid zu seyn? — Also ist es der größte<br />
Mangel an Mitleid, der einer That den Stämpel der tiefsten moralischen Verworfenheit und Abscheulichkeit<br />
aufdrückt. Folglich ist Mitleid die eigentliche moralische Triebfeder. 9<br />
• abgelehnte Ethikansätze:<br />
o christliche „Zahlmeister“-Vorstellung<br />
o Kant<br />
o „Perfectio“<br />
• Ethik abgeleitet nicht aus Normen / Imperativen, sondern aus wirklichem, immer schon real<br />
wirksamem Antrieb: Mitleid<br />
• „deskriptive“ Ethik<br />
9 III702f.<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
12
Böse: Geneigtheit zum Bösen ist Unrechttun<br />
Nach unserer Erklärung des Unrechts heißt dieses, daß ein solcher nicht allein den Willen<br />
zum Leben, wie er in seinem Leibe erscheint, bejaht; sondern in dieser Bejahung so weit<br />
geht, daß er den in andern Individuen erscheinenden Willen verneint; was sich darin zeigt,<br />
daß er ihre Kräfte zum Dienste seines Willens verlangt und ihr Daseyn zu vertilgen sucht,<br />
wenn sie den Bestrebungen seines Willens entgegenstehn. Die letzte Quelle hievon ist ein<br />
hoher Grad des Egoismus [...].<br />
Wille zum Leben erscheint in Individuen (Personen)<br />
„Bosheit“ als Verneinung des Willens zum Leben in anderen<br />
Grundelemente des bösen Charakters:<br />
(1) „überaus heftiger, weit über die Bejahung seines eigenen Lebens hinausgehender<br />
Wille zum Leben“<br />
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13
(2) daß seine Erkenntniß, ganz dem Satz vom Grunde hingegeben und im principio<br />
individuationis befangen, bei dem durch dieses letztere gesetzten gänzlichen<br />
Unterschiede zwischen seiner eigenen Person und allen andern fest stehn bleibt; daher er<br />
allein sein eigenes Wohlseyn sucht, vollkommen gleichgültig gegen das aller Andern,<br />
deren Wesen ihm vielmehr völlig fremd ist, durch eine weite Kluft von dem seinigen<br />
geschieden, ja, die er eigentlich nur als Larven, ohne alle Realität, ansieht.<br />
(<strong>Schopenhauer</strong>: Die Welt als Wille und Vorstellung, ZA Bd. 2, S. 451)<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
14
Erkenntnis: „daß unser wahres Selbst nicht bloß in der eigenen Person, dieser einzelnen<br />
Erscheinung, daist, sondern in Allem was lebt. Dadurch fühlt sich das Herz erweitert, wie durch<br />
den Egoismus zusammengezogen“. 10<br />
• <strong>Schopenhauer</strong> über den mitleidigen Menschen:<br />
Ihm ist kein Leiden mehr fremd. Alle Quaalen Anderer, die er sieht und so selten zu<br />
lindern vermag, alle Quaalen, von denen er mittelbar Kunde hat, ja die er nur als möglich<br />
erkennt, wirken auf seinen Geist, wie seine eigenen. Es ist nicht mehr das wechselnde<br />
Wohl und Wehe seiner Person, was er im Auge hat, wie dies bei dem noch im Egoismus<br />
befangenen Menschen der Fall ist; sondern, da er das principium individuationis<br />
durchschaut, liegt ihm alles gleich nahe. Er erkennt das Ganze, faßt das Wesen desselben<br />
auf, und findet es in einem steten Vergehn, nichtigem Streben, innerm Widerstreit und<br />
beständigem Leiden begriffen, sieht, wohin er auch blickt, die leidende Menschheit und<br />
die leidende Thierheit, und eine hinschwindende Welt. Dieses Alles aber liegt ihm jetzt so<br />
nahe, wie dem Egoisten nur seine eigene Person. 11<br />
‣ Egoismus als mangelnde / mangelhafte Einsicht<br />
‣ Mangel wirkt auf Handelnde selbst zurück<br />
10 <strong>Schopenhauer</strong>: Die Welt als Wille und Vorstellung, ZA Bd. 2, S. 463<br />
11 <strong>Schopenhauer</strong>-ZA Bd. 2, S. 469<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
15
Man muß wahrlich an allen Sinnen blind, oder vom foetor Judaicus total chloroformirt seyn, um<br />
nicht zu erkennen, daß das Wesentliche und Hauptsächliche im Thiere und im Menschen das Selbe<br />
ist, und daß was Beide unterscheidet, nicht im Primären, im Princip, im Archäus, im innern Wesen,<br />
im Kern beider Erscheinungen liegt, als welcher in der einen wie in der andern der Wille des<br />
Individuums ist, sondern allein im Sekundären, im Intellekt, im Grad der Erkenntnißkraft, welcher<br />
beim Menschen, durch das hinzugekommene Vermögen abstrakter Erkenntniß, genannt Vernunft,<br />
ein ungleich höherer ist, jedoch erweislich nur vermöge einer größern cerebralen Entwickelung, also<br />
der somatischen Verschiedenheit eines einzigen Theiles, des Gehirns, und namentlich seiner<br />
Quantität nach. Hingegen ist des Gleichartigen zwischen Thier und Mensch, sowohl psychisch als<br />
somatisch, ohne allen Vergleich mehr. So einem occidentalischen, judaisirten Thierverächter und<br />
Vernunftidolator muß man in Erinnerung bringen, daß, wie Er von seiner Mutter, so auch der Hund<br />
von der seinigen gesäugt worden ist. 12<br />
‣ Berufung auf kreatürliche Weise des Lebewesens (Abstammung, Schmerzfähigkeit etc.)<br />
‣ begründet Rechte von Tieren<br />
‣ Mangel der christlichen Moral (ander Buddhismus)<br />
12 III, 711<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
16
Mitleid mit Thieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, daß man<br />
zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Thiere grausam ist, könne kein guter Mensch<br />
seyn. 13<br />
13 III, 712<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
17
Anlässlich einer zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Schilderung, die von einem<br />
angeblich hypnotisierten Eichhörnchen berichtet, das sich freiwillig in den Rachen einer<br />
Schlange gestürzt habe, ruft <strong>Schopenhauer</strong> aus:<br />
daß ein Tier vom andern überfallen und gefressen wird, ist schlimm, jedoch kann man sich<br />
darüber beruhigen: aber daß so ein armes unschuldiges Eichhorn, neben dem Neste mit<br />
seinen Jungen sitzend, gezwungen ist, schrittweise, zögernd, mit sich selbst kämpfend und<br />
wehklagend dem weit offenen Rachen der Schlange entgegenzugehn und mit Bewußtseyn<br />
sich hineinzustürzen, – ist so empörend und himmelschreiend, daß man fühlt wie Recht<br />
Aristoteles hat zu sagen: ή φυσις δαιμονια μεν εστι, οφ δε θεια. – Was für eine<br />
entsetzliche N(atur) ist diese, der wir angehören! 14<br />
14 W e l t a l s W i l l e u n d V o r s t e l l u n g , handschriftlicher Nachtrag zur Ausgabe letzter Hand (1854) zu SSW 2, 399, Manuskriptenbuch S e n i l i a S. 142.<br />
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, solies@uni-mainz.de<br />
18